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Schöpfung: Theologisch-praktische Quartalschrift 1/2023
Schöpfung: Theologisch-praktische Quartalschrift 1/2023
Schöpfung: Theologisch-praktische Quartalschrift 1/2023
eBook248 Seiten2 Stunden

Schöpfung: Theologisch-praktische Quartalschrift 1/2023

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Über dieses E-Book

Schöpfung – angesichts der Ökologiekrise beweist der Begriff ein erstaunlich säkularisierungsresistentes Potenzial, trotz seiner Spannung zu unserem naturwissenschaftlichen Weltbild. Was heißt heute von der Welt als Schöpfung sprechen? In Heft 1/2023 wird aus verschiedenen Perspektiven der Gehalt, die Herausforderung, das semantische Potenzial des Themas Schöpfung ausgelotet. Namhafte Autorinnen und Autoren geben Auskunft und Orientierung zu einem Schlüsselbegriff unserer Zeit.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Feb. 2023
ISBN9783791762364
Schöpfung: Theologisch-praktische Quartalschrift 1/2023

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    Buchvorschau

    Schöpfung - Verlag Friedrich Pustet

    Liebe Leserin, lieber Leser!

    Das Wort „Schöpfung ist unter den Grundworten des christlichen Glaubens nicht nur höchst aktuell, sondern auch überraschend resilient. Es trotzt dem Druck eines säkularen Zeitalters. Es scheint weniger auf eine „rettende Aneignung (J. Habermas) angewiesen zu sein als andere Grundworte. Offenbar wird es auch unter den Bedingungen der Moderne verstanden, obwohl es vielleicht sogar wie kein anderes Wort des Glaubens einer fundamentalen „Entzauberung ausgesetzt war. Freilich gewinnt dieses Wort seine Relevanz heute vor allem durch die ökologische Bedrohung unserer Heimat Erde. Es ist das Geschöpf „Mensch, das dem Planeten zusetzt.

    Das vorliegende Themenheft versucht, aus diesem großen Glaubenswort verschiedene Aspekte und Zugänge zu erschließen. Den Auftakt setzt der Trierer Professor für Exegese des Neuen Testaments Hans-Georg Gradl: Nicht nur für das Alte Testament, auch für das Neue Testament ist „Schöpfung" grundlegend. Dieses Thema zieht sich durch die Evangelien über die Briefe des Paulus, die Apostelgeschichte bis hin zur Johannes-Offenbarung. In kompakten Schritten beleuchtet Gradl die schöpfungs-theologischen Fäden im NT und kommt zum Ergebnis: Der Begriff Schöpfung hat auch ökumenische und interreligiöse Weite: alle Menschen werden durch sie miteinander verbunden. In einem bewusst gesetzten Perspektivenwechsel lassen wir danach den Naturwissenschaftler und Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer zu Wort kommen: In seinem Beitrag zeigt er entlang einzelner Aspekte der Geschichte der Naturwissenschaften, dass deren Entdeckungen und Erkenntnisse gleichsam immer einen Bedeutungsüberschuss mit sich tragen. Am Beispiel des physikalischen Grundbegriffs der Energie oder des biologischen Grundbegriffs des Zufalls zeigt Fischer, dass unsere Wirklichkeit allein mit naturwissenschaftlichem Blick nicht hinreichend zu fassen ist. Auch die Religion gehört hinzu, denn die Wissenschaft hebt das Geheimnisvolle der Natur nicht auf, sondern vertieft sie. Fischer erwähnt Wolfgang Pauli und Albert Einstein, die darum wussten und eine Komplementarität von Religion und Naturwissenschaft suchten.

    Die Theologin Sibylle Trawöger, Professorin für Dogmatik an der Universität Graz, stellt sich in ihren Reflexionen einer Metapher, mit der sich die Schöpfungstheologie und Theologische Anthropologie zu beschäftigen hat: Der Mensch als Krone der Schöpfung, als Nabel der Welt? Trawöger diagnostiziert eine kopernikanische Wende in der Verschiebung des Nabels der Welt, des Symbols für die Mitte der Welt, des Zentrums des Denkens. Der Mensch ist organisch kein solipsistisches Subjekt, er trägt in seinem eigenen Leib sein Leben ermöglichende Mikroorganismen, das menschliche Biom. Diese Tatsache unterläuft also die klassische Unterscheidung von Subjekt Mensch und Objekt Natur. Will sich der Mensch als Subjekt verstehen, ist seine Umwelt kein Objekt mehr, sondern eine Art Ko-Subjekt. Das bedeutet: Beziehung, Relation ist das Zentrum des Denkens, nicht Subjektivität.

    Bezogenheit auf die Natur, auf die nichtmenschlichen Lebewesen ist auch das Thema des Linzer Moraltheologen Michael Rosenberger. Aus der Perspektive der spirituellen Theologie erschließt er spirituelle Schichten in der Umweltbewegung, die der christlichen Schöpfungstheologie neue Impulse verleihen können. Anhand der spanischen Originalbegriffe der Enzyklika Laudato si´ von Papst Franziskus entfaltet Rosenberger die Bedeutungstiefe des Begriffs „cuidado (Sorge, Sorgfalt, Mitgefühl, Fürsorge), der im Deutschen mit dem eher abstrakten Begriff „Schöpfungsverantwortung übersetzt wird. Der Autor plädiert dafür, das genuin christliche Moment neu zu entdecken: Die Geschöpfwerdung Gottes, seine Compassion in der Menschwerdung Jesu.

    Von der Spiritualität zur Ethik: diesen Schritt unternimmt der nächste Beitrag, der aus der Feder des Münchner Sozialethikers an der Ludwig-Maximilians-Universität, Markus Vogt, stammt. Vogt greift die Erblast des christlichen Schöpfungsglaubens auf: den sogenannten Herrschaftsauftrag aus Genesis 1. In einer Relecture dieses Textes zeigt der Autor, dass die „Tatsache" der Schöpfung auch heute noch aktuelle Prinzipien für eine Umweltethik freigibt: Gottebenbildlichkeit, Mitgeschöpflichkeit, Ehrfurcht und die Ökonomie der Gabe sind zentrale Leitbegriffe für eine naturethische Erschließung der christlichen Schöpfungstheologie.

    Den Schlussakkord setzt die Lateinamerikanistin und ehemalige Mitarbeiterin im Päpstlichen Missionswerk der Frauen in Koblenz, Elisabeth Steffens. Ihr Beitrag ist ein Zeugnis: Die Erinnerung an Berta Cáceres, einer Umweltaktivistin aus dem Volk der Lenca, die in Honduras und El Salvador leben. Ihr Engagement kostete Berta Cáceres gewaltsam das Leben. Die Autorin zeigt die tiefe naturverbundene Spiritualität der Lencas auf, die sich in wesentlichen Grundzügen auch mit der christlichen Spiritualität der Schöpfung verbinden. Steffens zeigt dies an Motiven der Umweltenzyklika von Papst Franziskus.

    Zwei weitere Beiträge beschließen das Heft 1/23: Roland Atzmüller untersucht den höchst aktuellen Zusammenhang von religiösen und rechtspopulistischen Konzepten der Sozialpolitik; der Jesuit Nikolaus Klein befasst sich in seinem Beitrag mit der Bedeutung der Stimme Gottes im Alten Testament.

    Liebe Leserinnen und Leser der ThPQ: So unterschiedlich und thematisch vielschichtig die einzelnen Beiträge dieser Ausgabe auch sind, sie haben einen gemeinsamen roten Faden: „Schöpfung" ist der Begriff dafür, dass wir von Voraussetzungen leben, die wir nicht selbst hergestellt haben: unser Leben, unsere Mitwelt und Umwelt – und das ist vor allem jene Wirklichkeit, die wir als den Grund der Schöpfung benennen: Gott.

    Ich wünsche Ihnen anregende Stunden bei der Lektüre im ersten Heft des Jahres 2023, das nach 30 Jahren wieder in einem neuen Layout und mit einem neuen Cover erscheint. Wir hoffen, dass Ihnen unser kreativer Eingriff in das Erscheinungsbild der ThPQ gefällt. Möge dieses neue Jahr auch für Sie ein gutes und gesegnetes Jahr werden!

    Ihr Franz Gruber

    Im Namen der Redaktion

    Einem Teil dieser Ausgabe liegen Prospekte des Verlags Friedrich Pustet bei. Wir bitten um Beachtung.

    Hans-Georg Gradl

    Zurück in die Zukunft

    Schöpfung im Neuen Testament

    Die Grundlagen für die neutestamentlichen Aussagen zur Schöpfung sind, wie der Verfasser, Professor für Neues Testament in Trier betont, im Alten Testament gelegt; auf ihnen baut sich eine interessante Entwicklung der Gedanken auf. Schon die jesuanische Verkündigung der Gottesherrschaft bezieht sich in den Gleichnissen auf die gute Schöpfung, aber übersieht auch nicht ihre Heilungsbedürftigkeit. Letztere steht bei Paulus im Vordergrund, wobei er die Hoffnung auf ihre Überwindung in der Auferweckung Jesu begründet sieht, die zum Maßstab einer neuen Schöpfung mit der Aufhebung aller Unterschiede wird. Der Paulus der Apostelgeschichte wiederum nützt die Schöpfungsthematik als einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die Verkündigung der christlichen Botschaft in der Heidenwelt. Die Offenbarung des Johannes schließlich führt die gesamte Heilsgeschichte, angefangen in der Genesis, in der Überwindung des Bösen und im Blick auf den neuen Himmel und die neue Erde zusammen zum glücklichen Ende. So unterschiedlich die Blickwinkel auch sein mögen, sie bieten, wie Verf. am Ende aufzeigt, wichtige Ansätze für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung. (Redaktion)

    Wer nach der biblischen Vorstellung von der Schöpfung fragt, greift zum Alten Testament. Das ist verständlich: Die Schöpfungserzählungen am Beginn der hebräischen Bibel legen den Grundstein. Sie sind bekannt und – als Resultat einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit den Schöpfungsmythen der Umwelt Israels – breitflächig erforscht.

    Das Neue Testament dagegen fristet als Gesprächspartner eher ein schöpfungstheologisches Schattendasein: unberechtigterweise! Ausgehend von der Verkündigung Jesu nämlich – die ihrerseits auf der Glaubensüberzeugung Israels basiert – entwickelt das Urchristentum eine facettenreiche und erstaunlich aktuelle Schöpfungstheologie. Es geht um die Frage nach der Herkunft und dem Ziel, dem Zustand und dem Sinn, aber auch um die Rolle und die Verantwortung des Menschen inmitten der Schöpfung.

    1. Der historische Jesus: Schöpfung als Lehrbuch

    Eine eigenständige, systematische Reflexion über die Schöpfung findet sich in der Überlieferung der Verkündigung Jesu nicht. Doch das Thema ist präsent: in den Gleichnissen, die Jesus zur Verkündigung der Gottesherrschaft gebraucht, und in seinem Wirken, das vom gegenwärtigen Zustand und von der Zukunft der Schöpfung erzählt. Als Jude atmet und teilt Jesus die Glaubensüberzeugung Israels: Die Welt wurde von einem guten Schöpfergott ins Dasein gerufen. Diesen Gott nennt Jesus „Abba", geliebter Vater.¹ In der Schöpfung spiegelt sich die Vatersorge Gottes um all seine Geschöpfe: Kein Spatz fällt zur Erde ohne das Wissen des Schöpfers (Mt 10,29). Gottes Größe und Schöpfungsmacht lassen sich an Vögeln und Pflanzen regelrecht ablesen. Sie werden ersichtlich an den Raben, die Gott nährt (Lk 12,24), und an der prachtvollen Schönheit der Lilien auf dem Feld, die Gott kleidet (Lk 12,27). Selbst das Gras des Ackers (Mt 6,30) dient Jesus als Anschauungsmaterial. Die Schöpfung wird zum Erkenntnismedium: Die Größe und Fürsorge des Schöpfers spiegeln sich darin. Die als Bild und Gleichnis verwendeten Schöpfungsmotive lassen eine enorme Wertschätzung der Schöpfung erkennen: Jesus vergleicht das Reich Gottes mit einem Senfkorn (Mk 4,31) und mit etwas Sauerteig (Mt 13,33). Er spricht vom Acker, vom Weinberg, von Weizen und Unkraut, von der Sonne, die tagtäglich aufgeht, und vom Regen, der die Felder tränkt. Der Rückgriff auf derart viele Schöpfungselemente ist ein Beleg für die Achtung gegenüber der Schöpfung. Staunend sollte der Mensch auf die Gaben der Schöpfung schauen, die ihm – ohne eigenes Zutun – geschenkt werden: „Der Same keimt und wächst, der Mensch „weiß nicht wie. Die Erde bringt von selbst Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann den vollen Weizen in der Ähre (Mk 4,27–28). Da herrscht keine Gedankenlosigkeit gegenüber den Gaben der Schöpfung. Im Gegenteil: Respektvoll wird von einem Bissen Brot (Mt 6,11) und einem Schluck Wasser (Mk 9,41) gesprochen.

    Gleichwohl ergeht sich Jesus keineswegs in einer naiven Naturromantik. Die Schöpfung ist nicht nur gut und schön. Sie ist gebrochen und bedarf der Heilung. Ein Gutteil der Jesusüberlieferung umfasst Heilungen: Jesus wendet sich Kranken und Leidenden zu (Mk 1,34). Er versteht sein Wirken als punktuelle Verwirklichung des Gottesreichs. Für einen Moment zumindest blitzt in der Überwindung von Krankheit, Leid und Tod eine tief ersehnte neue Schöpfung auf: „Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen (Lk 11,20). In der Beseitigung von Schmerzen und Mangel lässt sich physisch erfahren, was Gott mit seiner Schöpfung wollte und weiterhin will. Dabei bleibt der Grund für die Gebrochenheit dieser Schöpfung im Dunkeln. Jesus ergeht sich nicht in einfachen Schuldzuweisungen, wie wenn die leidvolle Seite der Schöpfung nur von Menschen gemacht und zu verantworten wäre. Da wird kein plumper Tun-Ergehen-Zusammenhang vertreten: Der Mensch leidet nicht nur, weil er selbst oder irgendjemand gesündigt hat (Joh 9,2–3). Fast trotzig mutet demgegenüber das Wirken Jesu an: Leiden und Schmerzen sind Störfaktoren und schöpfungstheologische Fremdkörper. Sie wecken Barmherzigkeit und rufen zur Solidarität auf. Vor allem aber schürt die Gebrochenheit dieser Welt die Hoffnung auf einen Gott, der mit seiner Schöpfung noch nicht fertig ist. Am Horizont der Verkündigung Jesu steht die Erwartung der Herrschaft Gottes, die den Tod und all seine Trabanten entmachten wird. Insofern hat auch der Glaube an die Auferweckung Jesu eine schöpfungstheologische Sinnspitze. Die frühen Christen begreifen die Errettung Jesu aus dem Tod als den Anbruch einer neuen Schöpfung. Als „Erstling der Entschlafenen (1 Kor 15,20) ist er der hoffnungsfroh stimmende Beginn: Grund genug, um sich einer Schöpfung entgegenzusehnen, die nicht mehr dem Tod unterworfen ist.

    2. Paulus: eine Schöpfung in Geburtswehen

    Das Thema Schöpfung stellt für Paulus eine Kommunikationsbasis und Verkündigungsbrücke dar. In den völkerweltlichen Gemeinden, die er auf seinen Reisen gründet und besucht und in seinen Briefen adressiert, lässt sich mit der Schöpfung argumentieren: Die Schöpfung verbindet Menschen unterschiedlichster Herkunft.

    Ein zentraler gemeinsamer Erfahrungswert ist dabei das Leiden an und in der Schöpfung. Paulus ergeht sich nicht in schwärmerischen Schöpfungshymnen. Vielmehr gilt: Jeder Mensch erfährt und erleidet, dass „die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen ist (Röm 8,20). Die gesamte Schöpfung „seufzt (Röm 8,22). Doch Paulus deutet dieses Ächzen der gesamten Schöpfung und aller Kreatur als „Geburtswehen" (Röm 8,22).² Das Trostpotential ist offensichtlich: Die Gebrochenheit der Schöpfung ist nicht das Ende, das als solches nur in Verzweiflung stürzen könnte, sondern ein Hoffnung weckendes Durchgangsstadium (Röm 8,24).

    Den entscheidenden Grund für diese Hoffnung erkennt Paulus in der Auferweckung Jesu. Hier hat Gott seine Macht über den Tod offenbart. An die Hoffnung auf diesen Gott des Lebens, der „durch seine Macht auch uns auferwecken wird (1 Kor 6,14), hängt Paulus seine gesamte Existenz: Der Riss, der die Schöpfung durchzieht, der Leiden und Tod in einer von Gott gut gemachten Schöpfung bedingt, ist – im Keim und dem Ansatz nach – geheilt: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden (1 Kor 15,22).³

    Diese gläubig erhoffte Zukunft verändert die Wahrnehmung der Gegenwart. Die Schöpfung ist kein unvollkommenes oder gar misslungenes Handwerksstück eines unfähigen Schöpfers, an dem der Mensch leidet. Die Schöpfung wird zum Ort des erfahrbaren Heilswirken Gottes. Das Wissen um den guten Ausgang der Geschichte setzt das Leben in ein anderes Licht. „Bedrängnis, Angst Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr oder Schwert (Röm 8,35) – alles wird überwindbar. Die in Jesu Auferweckung ansichtig gewordene neue Schöpfung ist weit mehr als ein bloß abstrakter theologischer Wissensschatz. Dieser Glaube hat konkret lebenspraktische Folgen: „Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld (Röm 8,25). Mit Blick auf die neue Schöpfung werden bisherige Grenzen überwunden: „Denn weder Beschneidung noch Unbeschnittensein ist etwas, sondern eine neue Schöpfung (Gal 6,15). Darum ist die neue Schöpfung auch nicht erst eine Größe der Zukunft. Sie bestimmt die Gegenwart: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er neue Schöpfung; das Alte ging vorüber, siehe, Neues ist geworden (2 Kor 5,17).

    Man kann sich vorstellen, wie befreiend diese Botschaft gewirkt haben mag: Standesgrenzen verschwimmen, soziale Gegensätze werden aufgehoben, die bleierne Endgültigkeit des Todes ist überwunden. Die neue Schöpfung lässt aufatmen und eröffnet schon inmitten der „alten" Schöpfung schier paradiesische Aussichten.

    3. Die Apostelgeschichte: Schöpfung als egalitärer Erfahrungsraum

    Der zweite Teil des lukanischen Doppelwerks erzählt von der – im Rückblick sicher idealisierten, aber die Adressaten motivierenden – Ausbreitung des jungen Christentums: Die Reise beginnt in Jerusalem und endet in Rom. Nach wie vor hat die These viel für sich, dass dort – in Rom – die anvisierten Adressaten der Apostelgeschichte zu finden sind. Der Autor führt die Geschichte – und damit die Verkündigung des Evangeliums – bis an die Türschwelle seiner Leserinnen und Leser heran. In einer römischen Mietwohnung verkündet Paulus das Evangelium „in aller Offenheit und „ungehindert (Apg 28,31). Er gibt den Stab weiter. Er tritt von der Bühne ab. Die Adressaten werden zu Protagonisten: An ihnen liegt es nun fortzuführen, was – unter großer Kraftanstrengung – erreicht wurde. Der „gewaltige(n) Siegeslauf des Evangeliums"⁴ soll nicht enden.

    Das Thema Schöpfung tritt vor allem in den zahlreichen Missionsreden der Apostelgeschichte zutage. An unterschiedlichen Orten und vor verschiedensten Zuhörern fassen große Gestalten der Urzeit – Petrus, Jakobus oder Paulus – das Wirken Jesu zusammen und übersetzen das Evangelium in neue Kulturkreise hinein. Gerade in der Begegnung mit fremden Kulturen und der paganen reichsrömischen Religion dient die Schöpfung als Argumentationsbasis. Der „Weg" – wie sich das frühe Christentum nennt (Apg 9,2) – muss sich auf unbekanntem Terrain bewähren und mit neuen Verständnisvoraussetzungen umgehen. Außerhalb des Judentums lässt sich nur bedingt auf die Überzeugungskraft der jüdischen Schriften setzen und mit den Ereignissen der jüdischen Heilsgeschichte argumentieren. Anders verhält es sich dagegen mit der Schöpfung, die einen gemeinsamen – allgemein menschlichen und überreligiösen – Bezugsrahmen und Erfahrungswert darstellt. Das Thema Schöpfung ist für die urchristliche Verkündigung ein Ankerplatz in der Erfahrungswelt der Gesprächspartner und eine entscheidende Kommunikationschance.

    Die Schöpfung wird dabei in dreierlei Hinsicht als Argument ins Feld geführt. Während eines Besuchs in Lystra wird ein

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