Wo Gott zu Hause ist: Mystische Orte der Weltreligionen
Von Michael Albus
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Buchvorschau
Wo Gott zu Hause ist - Michael Albus
Michael Albus
Wo Gott zu Hause ist
topos taschenbücher, Band 1028
Eine Produktion des Verlags Butzon & Bercker
Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck
Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement
www.topos-taschenbuecher.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8367-1028-2
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5038-7
E-Pub: ISBN 987-3-8367-6038-6
2016 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim
Verlag Butzon &Bercker, Kevelaer.
Umschlagabbildung: © nena2112/photocase
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
Inhalt
Vorwort
Mystik – Der Königsweg der Religionen
Konya – Mystischer Ort des Islam
New York – Mystischer Ort des Judentums
Taizé – Mystischer Ort des Christentums
Quellennachweis
Vorwort
Niemand kann von sich, wenn er ehrlich und aufrichtig zu sein versucht, sagen, er befinde sich auf dem rechten Weg. Der Weg selber ist eine einzige Suche. Sie dauert ein Leben lang. Und was danach kommt? Wir wissen es nicht! Wir können nur den Versuch eines Glaubens machen. Mit ungewissem Ausgang.
Die Begleiterin auf dem Weg durch unser Leben ist die Sehnsucht danach, heimzukehren. Wie sonst sollten wir auf einem Weg sein?
Ich habe versucht, dieser Sehnsucht Raum zu schaffen. Räume zu finden, in denen sie ein Zuhause haben könnte. Nicht ein ewiges Zuhause, sondern ein Zuhause für eine Zeit. Für unseres Lebens Zeit. Das hat mich an drei ausgezeichnete Orte geführt, deren Erfahrung mir eine Ahnung vermittelt hat von dem, was „eigentlich" sein könnte, hat mich Umrisse sehen und spüren lassen, die im Nebel der alltäglichen und allnächtlichen Erfahrungen Hoffnung aufkommen ließen, dass es im Diesseits schon die Möglichkeit des Jenseitigen gibt, manchmal wie eine ferne Verheißung.
Ganz unterschiedlich sind diese Orte: Konya, New York, Taizé. Eine große Stadt in der Türkei, eine übergroße Stadt in Nordamerika und ein kleines Dorf in Frankreich. Orte, wie sie, von außen gesehen, unterschiedlicher nicht sein könnten – auch was deren kulturelle, religiöse, politische und geschichtliche Kontexte betrifft.
Die Reisen dahin und das Verweilen dort hatten einen äußeren Anlass: Ich hatte eine dreiteilige Reportagereihe für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) zu realisieren. Ihr Titel: Wohnungen Gottes – Mystische Orte der drei großen Weltreligionen – Islam, Judentum und Christentum. Sie war die logische Konsequenz einer ihr vorausgehenden sechsteiligen Reihe mit dem Titel „Wohnungen der Götter – Heilige Berge der Weltreligionen".
Die Arbeit an den Reportagen war alles andere als eine touristische Oberflächenberührung. Sie ließ mich eintauchen in eine faszinierende Welt, in das Innere, ja das Innerste der drei monotheistischen Religionen. Von diesen Tauchversuchen berichtet das vorliegende Buch.
Zu danken habe ich all denen, die an den Orten selber bereit dazu waren, sich dem fragenden Zugriff zu öffnen. Das war nicht immer leicht, und es gab dabei auch Widerstände zu überwinden. Das war auch ganz „normal. Denn es ist schwierig, die Scheu zu überwinden, die sich einstellt, wenn jemand „von außen
kommt, um forschende Blicke auf etwas zu richten – und dann auch noch davon zu berichten, was leicht verletzlich ist. Das war für mich auch immer ein Hinweis auf die Authentizität, die sich hinter diesem existenziellen Sachverhalt verborgen hat. Man gibt nicht leicht ein Geheimnis preis.
Gegenwärtig gleicht die religiöse Szene bei uns einem Kaufhaus. Die Angebote sind vielfältig, fast nicht mehr überschaubar. Die Wahl fällt schwer. Nicht zuletzt auch deswegen, weil viel Glitzerware dabei ist, die in die Augen springt, aber bei genauerem Hinsehen am Ende ein schales Gefühl zurücklässt.
Mir wurde bei dieser Arbeit auch bewusst, wie sehr die wirklichen und grundlegenden Traditionen der drei großen Weltreligionen in Vergessenheit geraten sind, wie sehr Aufgüsse, zweite, dritte und vierte, den Markt beherrschen. Das hat vielerlei Gründe. Einer von ihnen liegt auch im Vergessen der Institutionen selber. Manchmal weiß ich nicht, was in diesem Vergessen wirksamer ist: die Unkenntnis der eigenen Wurzelwelt oder die Angst davor, welche die Kenntnis und deren Konsequenzen hervorrufen könnte?
Die Wahl der Orte geschah nicht willkürlich oder aus einem vordergründigen Interesse.
In Konya verdichtet sich die mystische Bewegung des Islam, die mir als die wirksamste erschien und die bis heute weitergeht, ja eine neue Belebung erfährt – in vielen Ländern, auch in solchen, in denen eine andere religiöse Tradition über lange Zeiten lebendig war.
In New York kann man einerseits beobachten, wie sehr die Flüsse der Religionen auseinandergehen, sich verzweigen, und andererseits, wie sich eine alte mystische Tradition behauptet, ja vielleicht ihre eigene Identität in den Verfremdungen wiederfindet.
In Taizé, das der unvergessene Papst Johannes XXIII. einen „kleinen Frühling" genannt hat, ist man erstaunt darüber, welche spirituellen Kraftreserven, welche Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit eine Tradition besitzt, die einst den europäischen Kontinent grundlegend geprägt hat bis auf den heutigen Tag – auch wenn in der Präambel der ersten europäischen Verfassung der Name Gottes nicht mehr genannt wird.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die mystischen Bewegungen des Islam, des Judentums und des Christentums Antworten bereithalten, die den Fragen der Welt, die wir die „moderne" nennen, standzuhalten vermögen. Eine Voraussetzung dieser Überzeugung ist aber, dass man etwas weiß, konkret, nicht nur etwas ahnt. Dazu wollte ich ein wenig beitragen.
Mein Wunsch ist es, dass diejenigen, die sich auf den Weg dieses Buches einlassen, Lust bekommen oder zumindest Interesse verspüren an einem vertieften Nachgehen. Die Mystik hat nicht nur eine Vergangenheit, sie hat auch eine Gegenwart und eine Zukunft.
Michael Albus
Mystik – Der Königsweg der Religionen
Wohl dem Menschen, der nachsinnt über die Weisheit,
der sich bemüht um Einsicht,
der seinen Sinn richtet auf ihre Wege und auf ihre Pfade achtet,
der ihr nachgeht wie ein Späher und an ihren Eingängen lauert,
der durch ihre Fenster schaut und an ihren Türen horcht,
der sich bei ihrem Haus niederlässt und seine Zeltstricke an ihrer Mauer befestigt,
der neben ihr sein Zelt aufstellt
und so eine gute Wohnung hat,
der sein Nest in ihr Laub baut und in ihren Zweigen die Nacht verbringt. (Jesus Sirach 14,20–26)
In immer wieder neuen Anläufen wird das Wort beschworen: Mystik. Es wird inflationär in unseren Tagen, wird mit anderen Worten gleichgesetzt, wird kommerziell in Umlauf gebracht. Es gibt Anleitungen, die Wellness versprechen, eine Steigerung des Wohlbefindens, wenn man die Technik beherrscht. Mystik ist Mode geworden, und das nicht von ungefähr. Noch in seiner Verzerrtheit und Oberflächlichkeit fördert es einen Hunger des Menschen zutage, der gestillt werden will, koste es, was es wolle.
Mit abschätziger Kritik, es handle sich hier um religiöse Fast-Food-Mentalität, ist dem Phänomen nicht beizukommen. Mystik ist die innerste und äußerste Erscheinungsform von Religion zugleich. Sie ist Feuer, das wärmt und verbrennt. Mystik ist auch keine Erscheinung der modernen und nachmodernen Zeit. Seit es Menschen gibt und den Versuch, zu sich selbst zu finden, gibt es Mystik.
Sie entsteht, wird geboren in der Begegnung des Menschen mit der ihn umgebenden Welt. In ihr gibt es täglich und nächtlich so viele Erfahrungen, die einer Erklärung mit dem Verstande nicht zugänglich sind, dass der Mensch sich zwangsläufig mit dem Faktum auseinandersetzen will. Mystik ist somit zunächst der Versuch, sich zum Unerklärlichen, Unbegreiflichen, Unauflösbaren zu verhalten, eine Beziehung zu ihm zu finden. Und dieser Versuch ist schon Religion. Er ist Ausdruck einer Kraft, die im Menschen selber liegt, ihn erst wirklich zum Menschen macht. Die Wege sind ganz verschieden, verlaufen oben und unten, innen und außen. Sie sind selbst innerhalb der verschiedenen Religionen unterschiedlich. Es gibt nicht die allgemeine Mystik, wabernd, verschwommen, wie uns die esoterischen Quacksalber glauben machen wollen.
Die Mystiken der großen Religionen sind unterschiedlich. Aber sie sind gleichwohl miteinander verbunden. In ihnen zeigt sich der Mensch in seiner Urfassung und in der Verwobenheit mit seinem geschichtlichen, kulturellen, landschaftlichen und klimatischen Schicksal.
Das Wort „Mystik kommt aus der griechischen Sprache. Dort heißt „mýein
die Augen schließen, auch den Mund, still und stumm werden vor Staunen und Erschrecken.
Die Augen verschließen heißt noch lange nicht blind werden. Unter den Lidern der Augen entstehen neue Bilder, wird, um es paradox auszudrücken, Unerhörtes sichtbar.
Mystik bedeutet nicht „ausflippen, nicht „abdriften
ins Vage, ins Umrisslose, ins Unbestimmte. Mystisch verhalten kann der Mensch sich nur innerhalb des Bestimmten, des Umrissenen, des Konkreten. Mystik bleibt immer eingebettet in den Kontext des gelebten Lebens, ist nicht nur eine Angelegenheit der Seele oder des Geistes, sondern eine Sache auch des Körpers. Eben des ganzen Menschen.
Von Wilhelm Busch, der nicht nur ein Humorist war, stammt der Vers: „Die Seele schwingt sich in die Höh’ juchhe. Der Leib bleibt auf dem Kannapé." – Das ist nicht der Weg der Mystik. Der Weg der Mystik ist keine Autobahn, auf der man in Höchstgeschwindigkeit, ungebremst ins Nirwana gerät. Er ist ein steiler und steiniger Weg, oft ein wegloser Weg, der nach gründlicher Orientierung verlangt.
Grenzen werden spürbar
Wenn heute so viele Menschen den Hunger nach dem Geheimnis verspüren, dann liegt es auch an der Zeit, die solchen Hunger massiv hervorruft. Man muss nüchtern und konkret bleiben, sehen und hören.
Vier Gründe mache ich aus, wenn ich mich frage, woher der mystische Hunger unserer Tage und Nächte kommt. Vier Gründe, die gemischt vorkommen und die man nur verbal voneinander trennen kann. Den ersten Grund möchte ich kennzeichnen mit dem Satz:
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein
Auch wenn seit Jahren bei uns darüber geklagt wird, dass es uns schlechter und schlechter gehe und die Armut ausgebrochen sei, sehe ich: Wir leben im Wohlstand. Wer das Gegenteil behauptet, ist zumindest mit partieller Blindheit geschlagen.
Auch die sogenannten Aussteigerinnen und Aussteiger leben im Wohlstand, welcher ja erst ihre zumeist luxuriösen und privilegierten Ausstiegsversuche ermöglicht. Sie steigen oft nur von einem Wohlstand in den andern um.
Wir sind, so scheint mir, trotz der Umrisse einer neuen Armut wie verzweifelt in den Wohlstand eingebunden, eingeklemmt. Das macht die Sache so schwierig, für viele die Lage so aussichtslos. Das Wohlstandsbombardement der letzten Jahrzehnte hat die Menschen mürbe gemacht, ein enormes Verzweiflungs- und Sinnvakuum hinterlassen. Dieses Vakuum verlangt folgerichtig nach einer Füllung. Dem herrschenden Wohlstand entsprechen die steigende Sinnleere, Langeweile, kulturelle Hektik.
In einer Welt, in der man – angeblich – nahezu alles für Geld haben kann, hat man sich selbst offensichtlich immer weniger. Viele Fakten und Zahlen sprechen dafür.
Wir haben perfekte technische Mittel und verworrene Ziele
Einerseits hat es der Mensch fertig gebracht, auf dem Mond zu landen, immer neue Mittel der technischen Kommunikation zu erfinden, eine verwirrende Fülle von Techniken zur Erleichterung der Mühsal des alltäglichen Lebens bereitzustellen. Dennoch weiß heute bei ehrlicher Betrachtung keine und keiner mehr über das Wozu und Wohin von allem Auskunft zu geben. Es fehlt im Wirrwarr der Möglichkeiten an einer Orientierung, an einer Gewichtung der Möglichkeiten, an einer Richtschnur, die einem hilft zu unterscheiden.
Fast überall rasender Stillstand, keuchende Hektik, stille Raserei, aber es geschieht kaum etwas wirklich, gemessen an dem, was geschehen könnte und geschehen müsste. Dieser Zustand wird immer mehr Menschen angstvoll bewusst.
Entlarvung weltlicher Heilslehren
Nur ein Beispiel: Das Vertrauen in die Allmacht und Allzuständigkeit der Wissenschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten schier grenzenlos waren, hat einer tiefen Skepsis Platz gemacht, einem schleichenden Misstrauen den Weg bereitet und ist eigentlich schon gebrochen.
Immerhin: Mit den Mitteln der Wissenschaft wurde die Atombombe hergestellt und das Zyklon-B-Gas für Auschwitz erfunden. Und in unseren Tagen spielen manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ganz ernsthaft und optimistisch mit den Möglichkeiten und Versuchen, die Grenzen des Menschen selbst zu überschreiten.
Aber was ist das für ein Fortschritt? Ein Fortschritt in eine virtuelle Zukunft? Oder ein Fort-Schritt von uns selber weg? Ein Wahn? Eine große Selbsttäuschung? – Das Wort ist zum Fetisch der Moderne geworden, zu einem Wort, das mehr verdeckt, als es offenbart.
Grenzen des Wachstums
Die Zeit der Wachstumseuphorie ist vorbei. Auch wenn der Aufschwung immer wieder beschworen wird, das Wirtschaftswachstum einem Zauberwort gleicht: Die Energiequellen werden geringer, die Vorräte schwinden, die Wälder sterben, das Eis auf den Polkappen schmilzt, der Meeresspiegel steigt, das Wetter gerät durcheinander. Man kann nicht mehr alles essen, was es gibt, nicht mehr alles trinken, nicht mehr alles sehen und hören, was es zu sehen und zu hören gibt. Vielfach vergehen einem Sehen und Hören. Man hat nur ein begrenztes Fassungsvermögen. Wird dies überschritten, beginnen Leib und Seele buchstäblich auszuspeien, weil es ihnen übel geworden ist. Das Misstrauen geht immer tiefer, schlägt zeit- und gebietsweise um in eine Haltung der aggressiven Angst. Man traut dem ganzen Leben nicht mehr, ist pauschal verzweifelt.
Es hat den Anschein, dass die Menschen zu träge sind, um aus ihrer eigenen Geschichte zu lernen. Und es stimmt nachdenklich, wenn der Philosoph Max Horkheimer sagt, dass wir den Gewinn einer technisch machbaren Welt mit dem Verlust der Sinnfrage erkauft hätten. Ein ganz anderer Hunger meldet sich an.
Betrachtet man ruhig und gelassen alle diese Bewegungen unserer „modernen" Welt, kommt man nicht umhin, nüchtern festzustellen, dass der Boom von Mystik, Esoterik und Psychologie alles andere als verwunderlich ist: Der Mensch fühlt sich gefesselt, stranguliert – und möchte frei werden.
Der russische Maler Wassily Kandinsky (1866–1944) sagt:
Die Mystik ist der rechte Weg, frei zu bleiben
Es geht allerdings um eine Mystik, die den Namen wirklich verdient. Nicht um Mystik „light", nicht um einen Aufguss, der das Wohlbefinden steigert und den letzten Kick bringt. Es geht nicht um irgendwelche Geheimlehren, die nur Eingeweihten zugänglich sind. Es geht um den Kern und die Mitte des menschlichen Lebens selber, in der die religiöse Erfahrung nicht nur eine reine Zutat ist, sondern die Sache selbst.
Die Mystik der drei großen monotheistischen Religionen ist in diesem Punkt eine und dieselbe. Aber sie ist verschieden in den Wegen, die zu ein und demselben führen.
Diese Wege ändern sich immer wieder. Schon allein deswegen, weil der Mensch in seiner Geschichte immer wieder neue Anläufe genommen hat und nimmt, um dem letzten Geheimnis seines Daseins auf die Spur zu kommen.
Im Grunde geht es um die Spannung, das Leben in der Welt als Faktum und als Geheimnis zugleich zu begreifen – und diese Spannung so auszuhalten, dass daraus eine sinnvolle Lebensgestaltung und Lebensgestalt erwachsen können.
Josef Sudbrack, christlicher Theologe und geistlicher Lehrer, der die Tradition kennt, schreibt: „Die Zeit scheint vorbei, da man über die Mystik das Verdikt von Obskurantismus oder von Wirklichkeitsflucht verhängen konnte. Zu sehr bedrängt den Menschen von heute die Frage nach dem Sinn, nach Erfüllung, nach Transzendenz, nach einem ‚Mehr‘ über den alltäglichen Ablauf der Dinge hinaus, und zu groß ist der Hunger nach Erfahrung in unserer Zeit – und er wird noch wachsen."
Über die zeitgemäßen Voraussetzungen mystischen Lebens
Aus Leo Tolstois Meine Beichte, 1879:
Die vernünftige Erkenntnis hatte mich dahin geführt, das Leben als etwas Sinnloses anzuerkennen – mein Leben hatte stillgestanden, und ich hatte den Wunsch, es zu vernichten. Ich betrachtete die Menschen, die ganze Menschheit, und sah: Die Menschen leben und behaupten, sie kennen den Sinn des Lebens. Ich