Pferdeheimat im Hochland - Winterstürme, Frühlingsluft
Von Ursula Isbel
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Buchvorschau
Pferdeheimat im Hochland - Winterstürme, Frühlingsluft - Ursula Isbel
Ursula Isbel
Pferdeheimat im Hochland - Winterstürme, Frühlingsluft
Saga
Pferdeheimat im Hochland - Winterstürme, Frühlingsluft
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1993, 2021 Ursula Isbel und SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726877380
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Für meine Hündin Nicki,
die treue Gefährtin auf vielen Wegen,
die starb, als dieses Buch entstand.
1
Im Traum war ich wieder in München, in unserem Reihenhaus am Stadtrand, und wartete auf einen Brief von Danny, der nicht kam. Das Leben verlief in seinen alten Bahnen, als wäre ich nie fortgewesen bei Danny, Onkel Scott und den Pferden, mit den Koppeln und Wasserläufen und Bergketten im wechselnden Licht des Tages und der Jahreszeiten, dem Duft der Heide und dem Gesang des Windes. Wie in dem alten schottischen Lied war mein Herz in den Highlands geblieben, und im Traum wußte ich, es würde erst zur Ruhe kommen, wenn ich dorthin zurückkehrte.
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Der Winterwind rüttelte an den Fensterrahmen und blies seinen eisigen Atem ins Zimmer. Ich wischte mir die Tränen mit Tante Annes Patchworkdecke ab und war froh, so froh, daß alles nur ein Traum gewesen war, daß ich hier in The Laurels lag, nicht mehr als eine kurze Wegstrecke von Danny entfernt; daß ich Rascals friedliche Schnarchtöne vom Fußende meines Bettes hörte und das Getrippel der Mäuse und Siebenschläfer im Gebälk.
Der Mond stand kalt und silbern hinter den Fenstern, umgeben vom Kranz der Sterne. Ich sah zu ihm auf und dachte: Vielleicht ist man nicht immer dort zu Hause, wo man geboren ist. Vielleicht gibt es irgendwo eine wirkliche Heimat, die man sich im Leben selbst suchen muß. Ich hatte sie gefunden. Und wenn ich eines Tages gehen mußte, würde ich doch immer wieder ins Hochland zurückkehren.
Der Winter war hart in diesem Jahr. Dicht lag der Schnee über den Weiden und Berghängen, gemustert von den Hufen und Krallen der Tiere, die auf der Suche nach Futter durch das Hochmoor streiften: Füchse, Hasen, Dachse, Rotwild, Moorschneehühner und wilde Katzen, die sich, von den Menschen enttäuscht und verjagt, in die Berge zurückgezogen hatten. Auch die Schafe wanderten einzeln und in Gruppen über die Hänge und scharrten wie unsere Pferde im Schnee, denn im Verborgenen gab es noch immer spärliche Grashalme, Moose, Flechten und Kräuter.
Die Weihnachtstage vergingen mit gemütlichen Stunden am Kaminfeuer und einem Paket mit brandneuen Reitstiefeln von Onkel Scott, die herrlich nach Leder dufteten und von einem alteingesessenen Aberdeener Schuster angefertigt waren. Sheila hatte mir einen Pullover gestrickt. Das beste von allem aber war ein herzförmiger Anhänger aus Bernstein von Danny.
Das Weihnachtsessen krönte ein Plumpudding von Mrs. Tweedie, der recht seltsam schmeckte. Doch das Glück war mir hold, denn ich biß auf einen eingebakkenen Ring.
„Das bedeutet, daß du im kommenden Jahr heiraten wirst!" prophezeite die alte Dame und drohte mir lächelnd mit ihrem gichtgekrümmten Zeigefinger.
Seit langem hatte ich mir einen „richtigen" Winter wie diesen gewünscht, mit Glitzerschnee, Eiszapfen und frostklaren Nächten. Doch wenn wir beim Morgengrauen und in der Abenddämmerung in Schneestürme und klirrende Kälte hinausmußten, um die Pferde zu versorgen, bis unsere Ohren brannten, die Nase fast abfiel und Hände und Füße trotz Wollsocken, Stiefeln und Fellhandschuhen schmerzten, wünschte ich Tauwetter herbei, sehnte mich nach der Sonne, nach grünem Gras und milden Temperaturen.
„Es wird Zeit, daß der Frühling kommt, sagte auch Onkel Scott. Das war Anfang Februar, nach einem erneuten Kälteeinbruch, der aus Sibirien stammte. „ Je älter ich werde, desto mehr macht mir der Winter zu schaffen. Dann verstehe ich die Leute, die es in den Süden zieht.
„Bald ist März. Das ist der erste Frühlingsmonat. Im März ist der Winter fast vorbei", sagte ich, als wäre es eine Beschwörungsformel, die die Macht hatte, den Winter zu vertreiben; und mein Onkel lächelte und schüttelte den Kopf. Er meinte, im Hochland hielte sich das Wetter selten an die üblichen jahreszeitlichen Regeln.
Unsere Pferde ließen den Winter geduldig über sich ergehen, zottelig wie Schafe in ihrem Winterfell. Wenn es zu arg stürmte, drängten sie sich Kopf an Kopf in den Schutzhütten zusammen und wärmten sich gegenseitig. Fiona, die Mutterstute, und Finn, unser einziges Fohlen, verbrachten die rauhesten Tage im Stall, zusammen mit dem blinden Nutmeg, mit Ginger und Dandy, der nur schwer Luft bekam, und mit noch ein paar Pferden, die zu alt oder zu schwach waren, um Schnee und Kälte auszuhalten. Sie alle litten unter der mangelnden Bewegung, vor allem der kleine Finn. So oft es das Wetter zuließ, brachten wir ihn auf die Koppel; dann tobte er wie ein Irrwisch kreuz und quer über Laurels Pasture, den sahnefarbenen Schweif hoch erhoben, wälzte sich im Schnee und schlitterte den Abhang zum Bach hinunter, die Beine gegrätscht, so daß mir beim Zusehen die Lachtränen kamen und auf meinen Backen zu Eis erstarrten.
Er war jetzt ein gesundes und kräftiges Hengstfohlen, unser Finn, mein „Bairnie"; er bekam längere Beine, stärkere Knochen und größere Ohren. Auch die Farbe seines Fells veränderte sich; und wenn ich ihn liebte – und das tat ich, obwohl ich wußte, daß ich mich eines nicht allzu fernen Tages von ihm trennen mußte –, so liebte ihn Allan, unser Pferdepfleger, wohl noch mehr. Er war es, der in jeder freien Minute mit Bairnie spielte und herumtobte; und sein finsteres Gesicht unter dem schwarzen Haar wurde weich, wenn er unser Hengstfohlen ansah.
„Wenn Onkel Scotts Freund im Frühsommer kommt, um den Kleinen abzuholen, dreht Allan durch, sagte ich zu Danny. „Du, ich glaube fast, Bairnie ist der einzige, den er liebt. Eine Freundin hat er wohl nicht, und zu Hause gibt’s sowieso nur Probleme mit seiner Mutter, die trinkt, und seinen jüngeren Geschwistern, um die sich keiner richtig kümmert.
Doch Danny hatte eigene Sorgen. Die Lammzeit war gekommen, für einen Schafzüchter die anstrengendsten Monate im Jahr, wie er mir erklärt hatte; und sie dauerte für gewöhnlich vom Februar bis in den Juni hinein.
„Jetzt haben wir schon fast zwei Dutzend Mutterschafe im Stall, die jeden Augenblick lammen können, sagte er, während wir mit „Mildred
, dem alten schwarzen Auto der MacClintocks, nach Inverness zuckelten, zu einem lange geplanten und ewig verschobenen Kinobesuch. „Das bedeutet, daß jede Stunde einer von uns in den Stall gehen und nachsehen muß, was sich tut."
„Nachts auch?" fragte ich.
„Ja, sicher, jedenfalls so bis zwei oder halb drei. Und morgens um sechs geht’s dann meistens wieder weiter!"
„Kriegen denn die Schafe ihre Jungen nicht von allein? Ich meine, so eine Geburt ist doch eine natürliche Sache, und früher . . ."„begann ich, stockte dann aber und begriff, daß ich Unsinn redete, denn auch Stuten kommen bei Fohlengeburten nicht immer ohne Hilfe aus.
„Oft geht’s ganz problemlos, aber so eine Geburt kann sich auch über Stunden hinziehen, und dann ist’s eine Plage. Manchmal passiert es sogar, daß eins der Mutterschafe einen Kaiserschnitt braucht. Dann müssen wir den Tierarzt holen, damit kommen wir nicht allein klar, sagte Danny. „Man muß immer damit rechnen, daß etwas schiefläuft; wenn der Kopf zuerst kommt, muß man dabeisein und ihn zurückschieben . . .
„Der Kopf? Ja, was muß denn zuerst kommen? Das Hinterteil?" fragte ich verdutzt.
„Nein, die Vorderbeine. Erst die Vorderbeine, und dazwischen das Mäulchen; nur so geht’s, erklärte Danny. „Vorgestern hat in diesem Jahr das erste Mutterschaf gelammt – es waren gleich drei kleine Knöpfe, dunkelbraun und weiß gescheckt; aber eins davon hat es nicht geschafft.
„Was? Drei Junge kann so ein Schaf auf einmal kriegen?"
„Sicher." Danny runzelte die Stirn und spähte durch die Windschutzscheibe. Als ich seinem Blick folgte, merkte ich, daß wir geradewegs in eine dunkle Wolkenwand hineinfuhren, die verteufelt nach einer Riesenladung Schnee aussah.
Danny machte ein Gesicht wie ein Kapitän, der entschlossen ist, sein Schiff durch Sturm und Wellen zu steuern. Langsam sagte er: „Wenn das alles herunterkommt, bleiben wir unter Garantie stecken. Ich hab nur Sommerreifen drauf, und die sind so abgefahren und platt wie Mullahans Schädel. Es wär besser gewesen, wenn wir den Bus genommen hätten, aber wir wollten ja noch die Futtersäcke abholen."
„Wir hätten Onkel Scott bitten können, die Säcke für euch zu holen, sagte ich. „Er muß demnächst sowieso nach Mill Farm, um Hafer und Mais zu kaufen.
Es war noch immer wie ein absolutes Wunder für mich, daß nach der Generationen alten Feindschaft zwischen den MacClintocks und den Montroses so eine nachbarschaftliche Hilfe überhaupt möglich war.
„Daran hab ich überhaupt nicht gedacht, erwiderte Danny, ebenfalls erstaunt. „Ja, du hast recht; Mom hätte ihn nur darum zu bitten brauchen, er wäre wahrscheinlich losgedüst wie eine Rakete!
Wir lächelten uns zu, und die Wolkenwand kam mir plötzlich freundlicher vor, gewissermaßen rosafarben angehaucht, obwohl sie innerhalb von zwei Minuten unmöglich die Farbe gewechselt haben konnte.
„Jedenfalls, meinte Danny und klopfte der röhrenden Mildred besänftigend aufs Armaturenbrett, „kann es immer noch sein, daß er kommen und uns abschleppen muß, falls wir in der Schokolade festsitzen.
„Hm, sagte ich. „Dann kann man bloß hoffen, daß eine Telefonzelle in der Nähe ist. Die sind ja selten da, wenn man sie braucht, besonders hierzulande. Soll ich beten?
„Schaden kann’s nicht. Ich glaube, wir müssen froh sein, wenn wir’s bis Dingwall schaffen. Von dort fahren wir mit dem Bus weiter oder warten ab, was passiert."
Ich hatte den Kinobesuch schon mehr oder weniger abgeschrieben. „Der Bus fährt erst um sechs, sagte ich. „Dann kommen wir nur noch in die spätere Vorstellung und erwischen womöglich den letzten Bus zurück nicht mehr.
Danny seufzte. Jetzt erst bemerkte ich, daß er einen total blau angelaufenen Daumennagel hatte. „Dann müssen wir uns eben in Dingwall ,amüsieren‘", sagte er, und das Wort klang derart komisch in Verbindung mit dem harmlosen kleinen Provinznest, daß wir beide losprusteten und uns kaum mehr beruhigen konnten.
„Dingwall ist der Nabel der Welt!" sagte Danny schließlich würdevoll und steuerte entschlossen direkt in das dunkle Gebräu hinein.
Ich kam mir vor wie in einem