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Ausnutzen: Oder die Dekonstruktion des Selbst
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Ausnutzen: Oder die Dekonstruktion des Selbst
eBook323 Seiten4 Stunden

Ausnutzen: Oder die Dekonstruktion des Selbst

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Über dieses E-Book

Exzessive Saufeskapaden, extreme chauvinistische Einstellungen und ein Nihilismus Jenseits der Konstrukte von Gut und Böse.
Finn Tucker säuft, hurt, stiehlt und manipuliert. Gefangen in einem inneren Spannungsverhältnis von Idiolatrie und Verachtung gegenüber sich selbst, erzählt der Roman eine Leidensgeschichte über das moderne Leben. In einer pluralistischen Welt voller verschiedenster Wert- und Moralvorstellungen, existenzieller Ängste, Kultur- und Geschlechterkämpfe, will Finn Tucker nur eines: Chaos über das Umfeld niederregnen lassen, das ihn zu dem machte, der er heute ist. Voller Hohn betrügt er seine Freundinnen, manipuliert Freunde und Mitmenschen, nur um seine niederen Bedürfnisse zu befriedigen. Mittels seiner eigens gegründeten Sekte, des Rudels, pervertiert er auf Mikroebene die Grundpfeiler des gesellschaftlichen Zusammenlebens, obwohl er tief in seinem Inneren nur eines will: die große Liebe finden.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum12. Apr. 2021
ISBN9783740723057
Ausnutzen: Oder die Dekonstruktion des Selbst
Autor

Dennis Bleul

Dennis Bleul, geboren 1991, studierte die hohe Kunst der Soziologie und arbeitete anschließend als Teamleitung und Sozialpädagoge eines Bildungsträgers. Neben gesellschaftlichen Zusammenhängen interessieren ihn Möpse (Hunde), Literatur und popkulturelle Phänomene. Das Schreiben ist für ihn eine romantisierte Form des reinen Ausdrucks und der Freiheit.

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    Buchvorschau

    Ausnutzen - Dennis Bleul

    Ich träumte von bunten Blumen

    So wie sie wohl blühen im Mai

    Ich träumte von grünen Wiesen

    Von lustigem Vogelgeschrei

    Von lustigem Vogelgeschrei

    Franz Schubert – Winterreise – Frühlingstraum

    »Some people never go crazy. What truly horrible lives they

    must live.«

    Charles Bukowski

    Inhalt

    Finn Tucker im Land des Lächelns

    Die Gründung einer Sekte namens Rudel

    Ein Taxi für lau

    Der XXL Cocktail des Schicksals

    Verfettete Hagrids und wo sie zu finden sind

    Molitors Hose

    K - wie Katharsis

    Borbarad

    Erwachen

    Das sechste Gebot

    Finn Tucker im Land des Lächelns

    2018

    Die Dortmunder Brückstraße. Das Kreuzberg des Ruhrpotts. Denke ich an diesen biblischen Schandfleck, das letzte Überbleibsel Sodom und Gomorras, so kommen mir als erstes besoffene Partygänger, Schlägereien, zig Dönerbuden und D’Angelos weltberühmtes Sucuk-Baguette in den Kopf. Und eine ganz bestimmte Ecke, in der jeder zweite Dortmunder schon einmal vor dem Feiern abgepisst hatte. Alles in allem ein Fleckchen, in dem man nicht allzu gerne seine Zeit verbringt, wenn man nicht gerade Obdachloser aus Leidenschaft oder junger Mann mit Migrationshintergrund ist. Jedenfalls sollte mein Assoziationsrepertoire für diesen Ort durch diesen Abend noch erweitert werden. Dabei begann alles recht harmlos.

    Mein Freund Darren und ich hatten es seit Wochen der Abstinenz mal wieder geschafft, einen Abend zu finden, an dem wir Zeit zum Feiern hatten. Er hatte an diesem Tag seine letzte Klausur geschrieben, ich meinen vorerst letzten Arbeitstag absolviert und so schrie der Freitag nach Alkohol, Gesprächen über Frauen und Exzess. Alles Thematiken, zu denen der Rest unserer Versagerfreunde schon monatelang den Kontakt verloren hatte. Das Rudel war zu dieser Zeit nur noch der verblasste Schatten einer einst so kraftvollen Idee. Es siechte nur noch elendig vor sich hin, wie ein morgendlicher Schiss, den man vergessen hatte, abzuspülen und dessen Aroma die gesamte Wohnung erfüllte, fand man ihn abends nach der Arbeit. Am schlimmsten von allen hatte es Jacques getroffen. Aus dem fröhlichen, klauenden, in Ecken pissenden Hund mit gutem Musikgeschmack, war eine Karikatur seiner selbst geworden. So ähnlich wie die Regisseure und Drehbuchautoren der neuen Star Wars Trilogie sich überlegt hatten, wie sie diese so unverkennbare, eigenständige Marke mit einzigartiger Geschichte so abgrundtief in den Arsch ficken konnten, dass sie zwar noch monetarisierbar, jedoch auf dem kreativen und geistigen Niveau lediglich für 14-jährige Gender-AktivistInnen rezipierbar blieb, so war es auch Jacques ergangen. Die Regie seines Lebens hatte ihn »ge-Rian-Johnson-t«.

    Nur noch in seine Jogginghose und leere Worte gehüllt, streifte er wie ein Geist, der den Anschluss zum Weitergehen verpasst hatte und mit toten Augen sein altes Selbst suchte, durch das Leben. Eine arme, bedauernswerte Gestalt. Darren und ich redeten an diesem Abend lange über ihn, schließlich wollten wir unserem alten Weggefährten helfen, sein altes Feuer zu entfachen, doch er wollte nicht hören. Also war es sein Problem. Mit einem gepflegten: »Dann soll er sich halt ficken lassen, wir wischen ihn schon vom Boden auf, wenn die unausweichliche Bruchlandung stattfindet«, stießen wir mit unseren Bieren an und soffen zu alter Musik aus unserer Jugend. House und Deutschrap. Wir ließen alte Geschichten Revue passieren, vernichteten ein Bier nach dem anderen, sahen uns lustige YouTube Videos an und stiegen schlussendlich auf Schnaps um. In Erinnerungen versunken, bemerkten wir gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Kurz vor zwölf informierten wir uns dann endlich nach Bahnen, schnappten uns jeder noch ein kühles Wegbier und zogen in die Nacht hinaus.

    Ich hatte für diesen Abend nur einen leichten Mantel, mein weißes, löchriges T-Shirt und ein offen getragenes, rot-kariertes Hemd an. In Kombination mit meinem Hipster-Zopf wollte ich die Illusion des extrem lässigen, alternativen Studenten erzeugen. Der Nachteil war, dass in diesem Februar noch Minusgrade herrschten und ich mir meinen Arsch abfror. Ebenfalls suboptimal war, dass wir noch gezwungene, elendige Minuten in der Kälte an der Bahnstation ausharren mussten, bevor wir in die U49 Richtung Hoffnung, Dortmund City, stiegen.

    In der Stadt angekommen marschierten der Lieutenant, wie wir den leicht korpulenten, zu Geheimratsecken neigenden, Darren früher liebevoll genannt hatten und ich auf direktem Weg zu dem Ziel unserer Antarktisexpedition: dem Bierkönig. Wir waren schon öfter dort gewesen und früher war der Laden für Schlagermusik, hässliche Frauen und Bauerntrampel-Deutsche bekannt. Doch sowohl der Laden, als auch wir, waren älter geworden. Ausgelöst durch Zuwanderung und das eigene Dahinwelken, konnte man als ganz normaler Mittzwanziger in nicht mehr viele Dortmunder Diskotheken gehen, ohne auf Schwarzkopfüberschuss, Trapmusik und minderjährige Fotzen zu treffen. Politisch unkorrekt gesprochen. Das Mallorca Dortmunds, das von allen Seiten umkreiste, gallische Dorf, hatte jedoch zu unserer Hoffnung die Zeichen der Zeit erkannt. Der Bierkönig hatte seinen Schlagermusikanteil drastisch reduziert und war auf massentaugliche House- und Chartmusik umgeschwenkt, besaß ein annehmbares Getränkespecialangebot und ließ nicht mehr so viele Bauern aus dem Dorf hinein. Diversität wie sie sein sollte, ohne in ein Extrem abzudriften. Wobei, vielleicht redete ich mir diese Scheiße auch nur ein, damit ich mit all den RTL-Kandidaten, den gelegentlichen Schlagerhits und mittelmäßigen Frauen klarkam, ohne den natürlichen Zerfallsprozess meines Körpers noch weiter zu verfluchen. Die unausweichliche Entropie, die Leere in die ich unweigerlich zurückkehren würde.

    Trotz meiner kognitiven Dissonanz hinsichtlich des Ladens war es kein Wunder, dass Darren und ich uns in einer kleinen Schlange vorfanden. Vor uns wurde gerade eine Gruppe aus feierwütigen Frauen abgelehnt und ich nahm besoffen zur Kenntnis, dass dies ein schlechtes Zeichen war. Ein klein wenig Selbstzweifel schlich sich in mein, vom Alkohol vergiftetes, Hirn. Meine Schuhe waren dreckig, mein schwarzer Mantel voller Hundehaare und meine Augen vernebelt wie blaues Muranoglas. Immerhin wusste ich, dass ich mich artikulieren konnte, wenn es drauf ankam und ein sympathisches Siegerlächeln bei Türstehern effektiver war, als Pikachus Donnerblitz bei einem Pokémon vom Typ »Wasser«. Bei Quapsel zum Beispiel. Ich schnappte also reflexartig mein zu fliehen drohendes Ego und stopfte es mir mit aller Gewalt dahin, wo es hingehörte. In meine gottverdammte Fresse. Türsteher wollten eigentlich nur eines. Keinen Stress, dumme Lemminge, die viel Geld in der Disco ließen, eine gute Stimmung verbreiteten und sich stillschweigend wieder verpissten, wenn sie all den Frust ihres Lebens beim Feiern und Saufen, komprimiert auf einen Abend, herausgelassen hatten. Genau diese Maske setzte ich auf, als ich den Türstehern freundlich, bestimmt in die Augen blickte, zunickte und ohne darauf aufmerksam gemacht zu werden, bereits meinen Ausweis gezückt hatte. Selbstverständlich kamen wir hinein.

    Nachdem wir unsere Jacken an der Garderobe abgegeben hatten, holten wir uns zur Einstimmung einen Wodka-Energy und begutachteten, wie gelernte Taktiker, das Schlachtfeld. Lieutenant Gustl Style. Die Stimmung war ausgelassen, die Frauen-Männerquote schien auf den ersten Blick zu stimmen und ich fühlte mich geil. Gut gelaunt, Endorphin- und Adrenalingeladen gingen wir auf die Tanzfläche, um einfach Spaß zu haben. Schnell bemerkte ich zu meinem Bedauern, dass die Bauernquote doch verhältnismäßig hoch war. Ein paar von den karottenziehenden Traktorfahrern besaßen tatsächlich die Dreistigkeit, mich mit ihren Ellbogen in den Rücken zu schlagen. Wie ich das hasste. Ich drehte mich bestimmend um und erklärte dem, scheinbar zurückgebliebenen, Kuhstallausmister, dass die Tanzfläche im Verhältnis zu den sich darauf befindenden Menschen überproportional gefüllt war und dass, sollte er sich noch einmal erdreisten, mich grundlos zu belästigen, ich sein dämliches Scheißleben ficken würde. Trotz Enge. So schwer schien er dann doch nicht von Begriff zu sein und Darren und ich konnten endlich in Ruhe tanzen. Unsere Stimmung besserte sich wieder, wir sprachen ein paar Frauen zum Warmmachen an und ließen uns zu der Musik gehen. Ausgelassen eskalierten wir auf der Tanzfläche, männliche Fotzen im Klub, passend zu dem simultan gespielten Lied von SXTN.

    Nach wenigen Minuten des Tanzens bemerkte ich, wie mich eine Frau mit verträumten Augen ansah. Entweder hatte sie zu viel getrunken, etwas geschmissen oder war Valium abhängig. Diese großen, verträumten, glasigen Augen, hinter denen ich bereits eine versaute Schlampe vermutete. Mein gedanklich gesendetes Stichwort erkennend, ging ich innerhalb eines Wimpernschlags auf sie zu, ignorierte ihre Freundin, nahm sie an der Hand und drehte sie einmal um sich selbst. Sie flüsterte mir irgendwas zu, aber ich verstand es nicht. Unterhalten ohne zu schreien war bei der Musiklautstärke, zumindest in der Mitte der Tanzfläche, nicht möglich und da ich Darren alleingelassen hatte, er keine Anstalten machte, mich zu wingen, setzte ich alles auf eine Karte und versuchte mein Objekt der Begierde unangebracht zu küssen. Wie nicht anders zu erwarten, blockte sie ab.

    »Darren, fuck auf die Nutten, lass was saufen!«, rief ich meinem Wannebe-Wingman zu und mit dem gleichen, glasigen Blick, wie ich sie zuerst gesehen hatte, ließ ich sie stehen. An der Bar angekommen laberten wir noch ein paar Fotzen an, soffen Wodka-E, den ich über alles verabscheute und holten uns einen Korb nach dem anderen. Was zur Hölle war heute los? Wir sahen geil aus und in dieser besseren Scheunenparty gehörten wir – Minimum – zu den oberen zwei Prozent. Ich trank einen weiteren Schluck dieses widerlichen, kreislaufkillenden Getränks und malte mir aus, dass ich heute einfach zu abgefuckt war und Darrens, prinzipiell monogame, Beziehung ihm seinen Attraktivitätsstachel gezogen hatte.

    Verdammte Scheiße. Wenn ich heute mit keiner rumlecken sollte, würde ich mein Ego wenigstens mit anderen Mitteln betanken. Suff! Wir wechselten die Theke, Darren ging eine Runde pissen und ich stand alleine an einem höher gelegenen Rundtisch, der mir eine perfekte Sicht auf den Klub erlaubte. Von hier oben sah die Tanzfläche genauso eng, klein und Loveparade-artig gefüllt aus, wie ich es auf ihrem Inneren in Erinnerung hatte. Zu meiner Linken tanzte eine Gruppe mitdreißigjähriger Frauen, die bereits ihr bestes Alter hinter sich gelassenen hatten. Wie sie sich, zu einem Kreis geschlossen, schauspielerisch in die Gesichter lächelten. Verlogene Huren. Entweder die hatten ihre bierbauchigen, glatzköpfigen Männer zu Hause hocken lassen und freuten sich, endlich mal wieder auf einen Girly-Abend, während der Göttergatte auf Teenie-Amateure in Fake-Taxen wichste oder sie hatten in ihrer harten Schlampenphase die Ausfahrt Richtung ernsthafter Beziehung längst verpasst. Jedes Wochenende schwärmten sie wahrscheinlich aufs Neue in Klubs und redeten sich aufgrund feministischer Literatur ein, sie bräuchten keine Männer. Freundinnen würden reichen, währenddessen sie sich insgeheim sehnlichst danach verzehrten, doch noch die große Liebe in Gestalt eines Haralds oder Mahmuts zu finden, der ihr Haus, Kind und Sicherheit schenkte. Der darüber hinwegsah, dass sie sich öfter hatten durchbürsten lassen, als britische Langhaarkatzen.

    In meinen Gedanken versunken, musste mich eine Gottheit des Chaos erhört haben, denn wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Zwei-Meter-Hüne zwei Meter von mir entfernt und schrie eine Gruppe junger Männer an. Wie in der Schlussszene des ersten Jurassic Park-Films, brüllte der T-Rex die Velociraptoren an, die aufgeregt und unter dem Austausch panischer Blicke miteinander kommunizierten. Worte fielen, dann die erste Bombe des Wikingers und unter dem Aufkreischen seiner Freunde und des gesamten oberen Thekenbereichs, schlug der Getroffene auf den Boden und riss den Tisch mit sich. Ich lachte in meine Mischung, exte sie und klaute in dem einsetzenden Trubel ein großes Bier von einer der Alten-Fotzen-Fraktion. Just in diesem Moment kam Darren von der Toilette wieder. Irritiert durch den Lärm und die erschrockenen Menschen, erklärte ich ihm zuallererst, was sich während seiner Abwesenheit ereignet hatte. Mein Diebesgut brüderlich teilend, lachten wir uns kaputt und bestellten eine neue Runde. Der Diebstahl und die Schlägerei hatten meine Laune schlagartig gebessert. Gestärkt sprach ich meine beklauten Frauen an. Eine von ihnen wollte bestimmt, nein musste, mit einem gutaussehenden Studenten rummachen wollen.

    »Hey wunderschöne Frau, wie läuft der Abend?«, fragte ich, während ich mein gespieltes Lächeln aufsetzte und meinem Opfer tief in die Augen sah.

    Die Brünette nippte gerade an ihrem Strohhalm und hielt ihr Glas mit beiden Händen fest. Sie trug ein blaues Kleid und selbst bei dem schummrigen Discolicht erkannte ich, dass sie, entweder aufgrund meiner schlechten Anmache oder ihres Alkoholpegels, anfing rot zu werden.

    »H-Hey«, brachte sie irritiert hervor.

    »Du bist mir aufgefallen… Ich hab’ dich gerade gesehen und fand einfach, dass du atemberaubend schön bist«, log ich in ihre alkoholisierte Fresse und hoffte, dass sie so blöd war, wie sie aussah, schließlich befand ich mich seit mindestens zehn Minuten neben ihr, ihrer Truppe und hatte einer Freundin von ihr ein Bier gestohlen.

    »Wow… Danke, das ist wirklich nett von dir.« Sie sah mich aus ihren großen braunen Augen an, löste eine Hand von ihrem Drink und fuhr sich durch die Haare.

    Bestätigt machte ich weiter. Die war on, das erkannte ich. Dieser Blick in ihren Augen, wie sie mich ansah. Entweder sie fanden einen direkt geil und wollen dich ficken oder sie wollen es gar nicht. Da braucht man gar nicht lange um den heißen Bei herumreden, um in Anbetracht des Kontextes, in dem ich mich befand, ein deutsches Sprichwort zu rezitieren.

    »Hast du die Schlägerei eben gesehen? Ich hatte richtig Schiss!« Ich grinste und ahmte den Schlag des Wikingers nach, stoppte langsam vor ihrer Nase und kam näher, sodass ich nur noch wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt war.

    »Ja… Das war wirklich…«, begann sie, doch urplötzlich stieß eine blonde, fette Freundin von ihr dazu. Dass dieses monströse Geschöpf die Beschützerin der Truppe war, erkannte ich sofort. Adipös, nicht mal schulterlange Haare und ein Blick, der von Jahren des Ungevögeltseins verkündete.

    »Komm Mimi, wir gehen. Du hast schon genug getrunken, los«, blaffte sie und griff nach der Hand der Brünetten, die höchstwahrscheinlich Miriam hieß.

    Sehnsüchtig sah ich Mimi nach, wie sie von ihrer ungefickten oder lesbischen Leibwächterin abgeführt wurde. Irgendwas in meinem alkoholisierten Blick musste eine tiefe Stelle ihrer Seele berührt haben, denn sie riss sich, freundlich aber bestimmt, aus dem Griff ihrer Freundin los, sagte: »Danke. Aber keine Sorge, ich kann schon alleine auf mich aufpassen« und kam zu mir zurück.

    »Oh, ein großes Mädchen also.« Ich lächelte. Tsching tsching, die hatte ich im Kasten. Abgerechnet wurde in ihrem Bett.

    »Oh ja und was für eins«, sagte sie in einem Tonfall, den ich schwer deuten konnte. Er klang so ähnlich wie der einer Frau, die ich vor langer Zeit abgeschleppt hatte, als ich mir im Vollrausch eine, mit zugedrücktem Auge, aussehende 6.5 gegönnt hatte. Ich hatte den peinlichen Small Talk am nächsten Tag auf ein Minimum reduziert und in Gedanken bereits eine Trilliarden Ausreden parat, weshalb ich ihr unter keinen Umständen meine Nummer geben würde, als es passierte. Als Randnotiz: Ich befand mich derzeit in einer tendenziell monogamen Beziehung. Tendenziell, denn während meine Freundin treu war, nutzte ich regelmäßig fremd, wann immer mir der Alkohol, existenzielle Ängste und ein manisches Ego zu Kopfe stiegen. Als es dann so weit war und ich den One-Night-Stand zur Bahn brachte, mich innerlich für die bevorstehende Diskussion wappnete, nahm sie mir zuvorkommend jegliche Ängste.

    »Ach ja, bitte nimm es mir nicht übel, aber ich denke, wir sollten keine Nummern austauschen und uns auch so nie wiedersehen. Mein Freund hätte glaube ich etwas dagegen.«

    Mit diesen Worten, in einem ganz speziellen Tonfall, stieg sie in die Bahn und ließ mich sprachlos zurück. Und genau diesen Tonfall hörte ich in dieser Bauerndisco bei Mimi heraus. »Wie groß denn?«, fragte ich kokett und zwinkerte ihr zu.

    »So groß, dass mein Mann sicher nicht unterstützen würde, was ich gerade mache«, antwortete sie und deutete auf einen schlichten, goldenen Ring.

    Fuck! Ich wusste es, hatte es intuitiv gespürt. »Ach, ist doch kein Problem«, beschwichtigte ich. »Ich finde dich ja auch nur extrem schön und würde nicht einmal im Traum daran denken, dich küssen zu wollen oder Ähnliches.« Mit meiner linken Hand berührte ich ihre Schulter, während ich einen weiteren Schluck meines Diebesguts nahm.

    »Ich kann nicht…«, flüsterte sie zögerlich.

    »Was kannst du nicht? Vielleicht will ich ja auch einfach nur mit dir tanzen.« Ich nahm ihre Hand und zog sie langsam in Richtung der Tanzfläche, weit weg von der Kampfhundeausbildung durchlaufenden Aufpasserin. Wir waren keine drei Meter vorangekommen, da merkte ich einen gewaltigen Ruck und war gezwungen, stehen zu bleiben. Der Höhlentroll hatte meinen dreisten Entführungsversuch bemerkt. Sie schnappte sich Mimi, warf mir einen Blick voller Verachtung zu und ging mit meiner, nicht länger demonstrierenden, Beute weg. Suuuper. Heute lief ja richtig bei mir. Existierte möglicherweise wirklich so etwas wie eine urkosmologische Kraft namens »Karma« und überfuhr mich soeben in Form eines Rapetrains? Lag es daran, dass ich in den letzten Jahren auf mehr Menschen geschissen, vergrault, deren Illusion eines friedlichen Lebens zerstört hatte, als ich Eier in meine weiße Porzellanschüssel gelegt hatte? Oder vielleicht daran, dass ich ein misogynes Schwein war, welches Frauen die Illusion einer romantischen, monogamen Paarbeziehung vorheuchelte, währenddessen ich mich wie ein, vom Wahn befallener, Berserker promiskuitiv durch das Nachtleben schnetzelte? Wer weiß. Ich wusste nur: An so kleingeistigen Müll wie Karma, Horoskope oder Gerechtigkeit glaubte ich eigentlich nicht. Wenn ich der Überkomplexität und Emergenz des Lebens unbedingt einen Sinn zuschreiben musste, benutzte ich Gott. Das machte Sachen einfacher.

    Pessimistisch wie ich an diesem Abend war, suchte ich meinen Freund Darren auf, der sich mittlerweile erneut ein Bier bestellt hatte. Amateur. Hier wurde ja wohl geklaut! Aber hey, das Universum, Gott himself, wollte mir möglicherweise etwas mitteilen. Unter Umständen musste eine persönliche Veränderung herbei. Dem Gedanken an Erlösung nähergekommen, zückte ich meine Bankkarte und bestellte auf regulärem Wege ein Bier. Völlig legal. Nachdem wir ausgetrunken hatten, versuchten wir unser Glück noch einmal auf der Tanzfläche. Der Abend war noch nicht gelaufen. Wie ich mich erneut irren sollte, wurde mir nur wenige Minuten später bewusst. Zwar hatte ich mich wenige Augenblicke zuvor in religiösem, alkoholgeschwängertem Eifer dazu entschlossen, ein besserer Mensch zu werden, doch hatte ich die Götter des Chaos, die ich zuvor angebetet hatte, bereits vergessen. Und Scheiße, hatten die wenig Respekt für ihren überinterpretierenden, selbstzweifelnden Überläufer.

    Darren und ich tanzten und verhielten uns in Anbetracht der Menschenmenge völlig normal, als ich merkte, wie die Stimmung von Lied zu Lied aggressionsgeladener wurde. Drei südländisch aussehende Typen und ein Blondschopf tanzten in einem Kreis und rempelten alles an, was sie konnten. Mein Aggressionslevel stieg. Wie sie frech in die Menge grinsten und wieder einem deutschen Bauernopfer einen Bodycheck verpassten. Noch sagte keines der Schafe etwas, doch langsam murmelten manche der Umherstehenden oder gingen. Ich tanzte weiter, sollten die mich anpacken. Das wäre es heute noch, eine gepflegte Schlägerei, ausrasten. Irgendwie brauchte ich das und wünschte mir insgeheim, diese kleinen Hurensöhne würden es probieren.

    Meine dunklen Gebete erhörend, nahm ich plötzlich zu meiner Rechten wahr, wie einer der drei Schwarzköpfe einer jungen Frau an die Brust fasste und voller Gewalt zudrückte. Die Frau schrie schockiert auf und stand regungslos, in einer Schockstarre gefangen, da. Versteinert. Genau wie ihr Freund. Tausende Gedanken schossen durch meinen Kopf. Wie konnte dieser Bastard es wagen? In den Zeitungen las man mittlerweile jeden Tag von vergewaltigenden, grapschenden Flüchtlingen. Und doch war ich noch nie Zeuge eines solch respektlosen Verhaltens gewesen, außer ich war selbst beteiligt. Und wieso sagte der Freund nichts? Mein Zorn stieg. Auf den Freund, auf dieses kleine, behinderte, grapschende Arschloch, auf die Menschen um mich herum, die zwar einmal sozial konditioniert geschockt dreinschauten und dann wieder zur Normalität zurückfanden, um einfach weiterzumachen, ohne Probleme zu bekommen. Und auf mich selbst. Weil ich selbst nichts machte. Wegsah. Aber nicht heute. Meinem aggressiven Impuls folgend, drängte ich mich zu der Gruppe und schrie die Wichser aus Leibeskräften an. Die drei Schwarzköpfe, alle mindestens einen Kopf kleiner als ich, bauten sich aggressiv vor mir auf. Scheiße, hatten die eine Ahnung.

    »Was sollte das, du kleines Stück Dreck? Fandst du das geil, du MANN?!«, schrie ich den Hauptverantwortlichen an und machte mich bereit für eine Schlägerei. Die Gruppe brüllte irgendetwas zurück, das ich nicht verstand, dann stellte sich der blonde Freund vor sie und sah mich arrogant an.

    »Ganz ruhig. Pass lieber auf, was du machst. Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«, fragte er süffisant gegen den Lärm und sah mich aus kalten Augen an.

    »Was glaubt ihr, wer ihr seid?« Ich lachte ihn aus. »Ich bin nicht der erbärmliche Freund von der Schlampe, die einer deiner behinderten Freunde gerade angepackt hat und der sein Maul hält, das kannst du mir glauben«, erwiderte ich mit vor Adrenalin aufgerissenen Augen.

    »Ich sag`s dir noch einmal. Vorsicht. Ich gehe seit fünf Jahren boxen. Sei ruhig und verpiss dich einfach, is doch alles gut.«

    Wie um seine Worte zu unterstreichen, ballte er seine rechte Hand zur Faust.

    Hätte dieser, vor mir stehende, arrogante Wichser nur ein paar Barthaare gehabt oder anderweitig mehr Dominanz ausgestrahlt, ich wäre gegangen. Leider besaß er nicht mehr als die typische Russen-Kurzhaarfrisur, das typische kantige Russengesicht, den typischen russischen Akzent und den typischen russischen Lebenslauf. Fünf Jahre boxen. Ich lachte mich innerlich kaputt und signalisierte meinem betrunkenen Gehirn, bei jeder ruckhaften Bewegung sofort in die Doppeldeckung zu gehen. Mein Zornlevel überstieg eine kritische Grenze. Ich kannte dieses Gefühl und noch nie war es gut ausgegangen, wenn ich meine Wut völlig ungezügelt entfesselte. Manchmal für mich, manchmal für andere. Ein letztes Mal sah ich ihn kontrolliert und voller Hass an, während in seinem Rücken die drei Schwarzköpfe wie Straßenhunde ihren Anführer unterstützten, indem sie irrational und unartikuliert rumbrüllten.

    »Ich sag dir das jetzt einmal.« Ich ging näher an ihn ran. »Nur einmal. Machen du oder deine behinderten Freunde mich weiter an, dann ficke ich euer gesamtes Scheißleben! Droh mir noch einmal und ich mach dich kaputt! Und wenn ich mit euch fertig bin, hole ich die Türsteher und gucke genüsslich zu, wie sie und seine Freunde weiter auf euch vier Missgeburten eintreten, weil ihr sexuelle Straftäter seid, die fremden Frauen an die Titten packen!«

    Mein wutgesteuertes Auftreten zeigte Wirkung. Möglicherweise hatte der Typ auch schlicht gemerkt, dass es extrem eng und somit völlig unvorteilhaft für eine Schlägerei war ODER er und seine dummen Freunde besaßen die nötige Intelligenz, zu begreifen, dass immer mehr Fremde das Geschehen beobachteten und sich eine aufgeladene Stimmung gegenüber den Grapschern aufbaute. Er sagte seinen kleinen Mitläufer-Schwarzkopf-Hündchen etwas, dass ich auf Grund der Lautstärke nicht verstand und sofort hörten sie auf zu bellen und – viel wichtiger – verpissten sich. Alleine und etwas ruhiger, erklärte mir der Anführer der Gruppe nun, dass seine Freunde Austauschschüler aus Italien waren, die viel zu viel getrunken hatten und keinen Stress wollten. Ich hörte mir die Scheiße seelenruhig an, während mein Herz langsam aufhörte, wie besessen zu schlagen und wünschte den Typen noch einen schönen Abend.

    Was hatte ich wieder für ein Schwein gehabt. Rational betrachtet, hatte ich mich gutmenschartig in Dinge eingemischt, die mich einen Scheiß angingen und, hätte mein Auftreten weniger Wirkung gezeigt, wäre ich womöglich noch in einer Schlägerei mit offenem Ausgang gelandet. Wobei der offene Ausgang auch nur in meinem,

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