10 Tage im Herzen der Ferne
Von Nico Mateew
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Über dieses E-Book
Ein Ökonom mit Karriere, eigenem Haus und einer gesunden Familie beginnt am gewählten Weg zu zweifeln. Immer mehr hinterfragt er seine Arbeit in einem großen Unternehmen. Ein Urlaub in der bulgarischen Heimat seines Vaters führt ihm vor Augen, dass sein Leben auch ganz anders aussehen könnte. Zurück im Alltag plant er die nächste Reise. Diesmal will er das ihm unbekannte Albanien erkunden und einen Dokumentarfilm drehen über die Menschen, die Küche und die Seele des kleinen Landes.
Ohne festes Drehbuch und mit einem Zwei Mann Drehteam macht er sich mitten im Dezember auf zu einer Reise voller Überraschungen. Zehn Tage später weiß er, dass Kopfschütteln ja und Nicken nein bedeutet, welche kulinarischen Raffinessen und Exportschlager es hier gibt und wie Berat zur Stadt der 1000 Fenster wurde. Er hat eine Kochschule und ein Galadinner im Präsidentenpalast besucht sowie den Humor und die Herzlichkeit der Menschen kennengelernt. Nun will er nichts lieber, als bald mit seiner Frau und den Töchtern in das kleine Balkanland zurückzukehren.
Nico Mateew
Das Buch beruht auf meinem eigenen Weg und dem erlebten auf dieser Reise nach Albanien.
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Buchvorschau
10 Tage im Herzen der Ferne - Nico Mateew
Für Luca, Raja und Nora
Inhalt
Vorwort
Teil 1: Werdegang
Bei meiner Großmutter
Die Zeit des Laufenlassens
Ausbildung
Start ins Berufsleben
Die erste Woche im Unternehmen
Herr Stefanov, der Zimmerkollege
Das erste Jahr
Die ersten zehn Jahre
Ging es anderen anders?
Beurkundung und andere Auszeichnungen
Produktbereichsstrategie
Eine Taxifahrt in New York
Das 11. Jahr
Jugendweihe und das Buch: Sinn des Lebens
Interne Alternativen
Externe Alternativen
Frührente
Bulgarien
Das MRT als Wachrüttler
Vorbereitungen
Teil 2: Albanien
Timing
Was sollte man über Albanien wissen?
Es geht los
Unser erster Drehtermin
Die Farm von Egzon
Fundim im Boutique Hotel
Ein Besuch im Kindergarten Nr. 34
Leutrim
Kochschule
Auf dem Weg nach Berat
Grab mit Seeblick
Berat – Stadt der 1000 Fenster
Kuchen an der Tankstelle
Zamir
Das Galadinner
Buntes Tirana
Erion und sein kleines feines Restaurant
Lake Koman
Das Bunker Hotel
Hashims Welt
Lange Fahrt zurück nach Tirana
Chef Avni aus Vlora
Polizeikontrolle
Kochen mit Großmutter Domenika
Nachwort
Vorwort
„Der Sinn des Lebens ist es, unsere Gabe zu finden. Das Ziel des Lebens ist es, sie zu verschenken." Pablo Picasso
Was macht man, wenn man seine Gabe, seine eigentliche Berufung oder wie auch immer man es bezeichnet möchte, auch nach Jahren der Arbeit noch nicht finden konnte und somit auch nichts verschenken kann? Orientiert man sich langsam um, zieht man die Notbremse oder macht man sich auf die Suche nach sich selbst? Wenn Letzteres die beste Entscheidung ist, wo findet man diesen Weg zu sich selbst? Und warum ist es eigentlich so, dass man seine Gabe und auch Teile von sich selbst nicht finden kann? Ist es die Zeit, in der wir leben, mit den vermeintlich vielen Alternativen, die uns verwirren und das Bild auf unser eigenes Ich verschwimmen lassen?
Teil 1
Werdegang
Bei meiner Großmutter
Die Tage in den Sommerferien bei meiner Großmutter waren ruhig und entspannt, die Zeit schien grenzenlos und die Tage endlos. Die Ferien begleitete immer eine gewisse Grundlangeweile und erst als das Ende der Ferien nahte, wusste ich, wie schön dieses gewisse Maß an Nichtstun sein konnte, und wie viel Raum es einem zum Nachdenken gab.
Meine Großmutter hatte wenig zu tun, aber auch wenig Zeit oder Interesse, sich mit mir zu beschäftigen, was ich weder hinterfragte noch mich störte. Alles folgte einem geordneten ruhigen Rhythmus. Wesentliche Säulen dieser angenehmen Lethargie waren das Nichtvorhandensein elektro nischer Versuchungen sowie zwei Uhren im Wohnzimmer. Eine große dunkle, hölzerne Standuhr tat ehrwürdig und irgendwie auch einschüchternd ihre Arbeit. Ticktack, ticktack … wie eine Handsäge, die sich langsam, aber sicher Stück für Stück in eine riesige Eiche hineinfrisst, mit der grausamen Gewissheit, dass dieser wundervolle, starke und im Sommer lebensfrohe Baum nun zu Fall kommt. Ich mochte diese Uhr nicht, da sie neben den vollen Stunden auch noch die vergangenen halben Stunden, wenn auch sehr leise und kurz, mit einer scheinbar gemeinen Freude erklingen ließ.
Trotz dieser mahnenden Erinnerung, dass Zeit etwas Wertvolles und leider auch Begrenztes ist, hatte diese Uhr auch irgendetwas Beruhigendes.
Einmal hielt ich ihr Pendel an, einfach so. Es war ein schönes Gefühl und der Glaube daran, dieses zeitfressende Monster für einen Augenblick gestoppt zu haben. Aus Ehrfurcht und Sorge über den möglichen Zorn der Uhr, sie in ihrer unaufhaltsamen Arbeit gestoppt zu haben, beließ ich es bei diesem kurzen Moment des Anhaltens der Zeit und entließ sie wieder auf ihren Weg, obgleich ich nun das Gefühl hatte, die Uhr liefe schneller, um die verloren gegangene Zeit wieder einzuholen. Seitdem wagte ich keinen weiteren Versuch, die Zeit anzuhalten.
Die zweite Uhr, und weitere Säule dieser angenehmen Lethargie bei meiner Großmutter, war anders, obwohl sie das gleiche Werk verrichtete. Sie war klein und silbern und ließ eine kleine Platte am Boden mit sechs darauf befestigten Kugeln von links nach rechts drehen. Wie ein kleines fröhliches Kinderkarussell eine Runde nach links und dann ein Runde nach rechts dreht, ohne jemals zu stoppen. Sie schien ein deutlich fröhlicher wirkender Zeitmesser zu sein, der darauf aufmerksam machte, dass Zeit nicht nur vergeht, sondern auch Chancen bietet.
Beide Uhren waren zwei ungleiche Partner, jedoch mit demselben Auftrag, auf die Vergänglichkeit der Zeit hinzuweisen, mit allen Facetten, die sich daraus ergeben.
Eingebettet in dieser angenehmen Lethargie entstand oft Langeweile, aus der ich mich mit aller Kraft und Ruhe herausträumen und in mich hineinschauen konnte.
Jahre später als Soldat beim Wachestehen fand ich in einem Schlagbaum den Spruch „Ein Reh springt hoch, ein Reh springt weit, warum auch nicht, es hat ja Zeit" eingeritzt, der mich an die Zeit der Sommerferien bei meiner Großmutter erinnerte.
In der Küche meiner Großmutter hing am Fenster ein kleiner Tageskalender mit abzureißenden Tagen und je einem Kalenderspruch pro Tag. Als Kind war der Abriss eines alten Tages nichts Trauriges. Es gab einem sogar das gute Gefühl, einen Tag näher in Richtung Erwachsensein gekommen zu sein. Der Reiz der Kalendersprüche bestand für mich darin, herauszufinden, ob ich geistig schon etwas gewachsen war und diese komprimierten Lebensweisheiten verstand. Darüber hinaus empfand ich es aber auch als eine kleine Denkaufgabe, über das nachzudenken, was anderen im Leben bereits widerfahren war und sie zu solchen Weisheiten bewegt hat. Bis heute sind mir drei dieser Kalenderweisheiten in besonderer Erinnerung geblieben.
„Schnitze das Leben aus Holz, das du hast" vom russischen Schriftsteller Leo Tolstoi.
Als Kind fragte ich mich, welches Holz gemeint sei, da ich kaum über eigenes Holz verfügte und dazu angehalten war, erst einmal draußen in der weiten Welt nach Holz zu suchen.
„Versuche herauszufinden, was in dir steckt, grabe in dir selbst, nur dort kannst du deinen Weg finden."
Diese Weisheit schien mir im ersten Moment etwas weniger bedeutungsvoll, da sie nicht auf der Lebenserfahrung einer bekannten Persönlichkeit oder gar des scheinbar allwissenden Konfuzius beruhte. Bewegt hat sie dennoch. Ich hielt sie für eine einfache Anleitung auf der Suche nach dem Glück und der eigenen Persönlichkeit.
„Wer wenig braucht, ist frei."
Eine Weisheit in fünf Wörtern zu fassen, ist bereits Grund genug, darüber nachzudenken. Warum ist mir diese Weisheit so sehr in Erinnerung geblieben? Wohl, weil ich sie damals nicht verstand. Wie kann weniger mehr sein? Mit viel Mühe versuchte ich mir vorzustellen, auf wen diese Weisheit, und in gewisser Weise der Aufruf zum Verzicht, wohl zutreffen könnte. Als Kind gelang es mir nicht, das herauszufinden, sodass der Spruch sich wahrscheinlich in meinem Unterbewusstsein auf Wiedervorlage für einen späteren Lebensabschnitt gespeichert hat.
Die Zeit des Laufenlassens
Schule, Ausbildung und der Beginn der Arbeit, das war die Roadmap und der Rahmen meines weiteren Weges. Die Gestaltung der einzelnen Abschnitte sind die Variablen. Durch Hinweise meiner Eltern und Verwandten sowie meiner eigenen Erfahrungen wusste ich, dass es teilweise in meiner Hand liegt, diese Variablen zu definieren. Ohne Fleiß kein Preis. Die Etappen sind bekannt, die Gestaltung liegt teilweise bei einem selbst. Aber weiß wirklich jemand, was er tut? Sicher hängt es von einem selbst ab. Der eine legt, ohne zu wissen, was er tut, voller Fleiß und Tatendrang los. Der andere schmiedet klug und in voller Konzentration an etwas, von dem er weiß, was es wird. Wiederum ein anderer verpasst gar den Gang in die Werkstatt.
Die Tage nach Beendigung der Schule und vor dem Beginn des nächsten Lebensabschnittes waren wunderbar. Etwas wurde abgeschlossen und das Nächste hatte noch nicht begonnen. Es war ein gutes Gefühl, sich noch nicht entschieden zu haben, wie die Reise weitergeht. Aber trotzdem hatte ich das Gefühl, dass viele verschiedene Wege und Möglichkeiten noch vor einem liegen.
Das letzte Zusammensein mit meinen Schulfreunden und das Philosophieren darüber, in welcher Konstellation man sich nach 20 Jahren wiedersehen würde, war etwas Besonderes. Im Kern schien dieser Moment ehrlich und wahrsagerisch zu sein, da jeder Mitschüler zu wissen meinte, was den anderen ausmachte, was seine Stärken und seine Schwächen waren und wo sie denjenigen hinführen können.
Es vermittelte den Eindruck, als ob dieser Moment Großmutters Kalenderspruch „Versuche herauszufinden, was in dir steckt, grabe in dir selbst, nur dort kannst du deinen Weg finden" nicht nötig hatte, da Freunde einen besser kannten als man sich selbst.
Ausbildung
Für mich begann der nächste Schritt mit einem Studium der Ökonomie. Warum Ökonomie? Weil ich beim Überblick über mögliche Berufe nicht mit Leidenschaft bei einem hängen geblieben bin. Weil mir meine Eltern keine Vorgaben auferlegt haben, eine Tradition fortzuführen, etwas zu lernen, was von einem erwartet würde oder sonst irgendwelcher Zwänge, die mir vielleicht die Wahl erleichtert hätten. Einzig mein Großvater äußerte einen Ratschlag, den ich leider nicht verinnerlichte. Er empfahl mir, vor dem Studium einen echten Beruf zu lernen, ein Handwerk, das mich strukturiert, diszipliniert und mir im Fall einer wie auch immer gearteten schwierigen Zeit die Chance gibt, durch meiner Hände Arbeit Werte zu schaffen. Im Grunde hatte er vollkommen recht, nur hörte ich ihm nicht wirklich zu. Wenn man jung ist, lässt man sich von einem so plausiblen Ratschlag ungern beeinflussen. Interessanterweise habe ich den Ratschlag meines Großvaters aber oft an andere weitergereicht, da es mir ein sehr guter Ratschlag schien. Je öfter ich ihn anderen empfahl, umso gerechter meinte ich meinem Großvater zu werden, dass ich seine Weisheit weitertrug, wenn auch nicht durch mich selbst.
Etwas später las ich einen Artikel über einen jungen Japaner, der mit seinem hervorragenden Schulabschluss alles und überall studieren konnte. Jedoch entschied er sich erst einmal für eine Lehre zum Dashi-Koch. Dashi ist ein japanischer Fisch-Sud, der als Art Grundwürze sehr oft und in vielen Gerichten verwendet wird. Er hat einen festen Platz in den meisten japanischen Küchen und Gerichten. Das Grund-Dashi wird, einfach klingend, aus Bonito-Flocken und braunem Seetang gewonnen.
Auf der Liste der Berufe, die ich für mich prüfte, war kein japanischer Fisch-Sud-Koch, und selbst wenn er dabei gewesen wäre, wäre ich daran nicht hängen geblieben.
In dem Artikel beschrieb der junge Mann seine Beweggründe, warum er erst einmal den Beruf des Dashi-Kochs lernen wollte. Neben einer Reihe von anderen Argumenten ging es ihm um die volle Fokussierung auf ein im ersten Moment wenig komplex scheinendes Thema. Die Zeit der Lehre dieses Berufs betrug für mich unglaubliche sechs Jahre. Gereift im Geist würde er sich dann nach dieser Zeit entscheiden können, ob er noch weitere drei Jahre arbeitet, um eine Meisterausbildung in diesem Beruf zu machen, oder ob er ein akademisches Studium aufnimmt. Damals konnte ich die Gedanken des jungen Mannes nicht nachvollziehen, beeindruckt haben sie mich dennoch.
Da mich aber weder die Worte meines Großvaters noch die Geschichte des Dashi-Schülers zu einer Änderung meiner eigenen Richtung bewegen konnten, studierte ich vier Jahre Ökonomie. Diese vier Jahre bedeuteten für mich im Nachhinein ein Studium von Allem und Nichts. Alles, weil man in jeden Bereich der Ökonomie einen Einblick bekam, und Nichts, weil man in keinem Bereich wirklich etwas konnte.
Start ins Berufsleben
Bei Abschluss des Studiums gab es wieder diesen kurzen Augenblick wie am Ende meiner Schulzeit, die einem einen Ausblick darauf gab, wo man in 30 Jahren stehen könnte.
Jedoch funktionierte an dem Abend das Vorhersagen nicht. Vielleicht weil alle dasselbe studiert hatten und ähnliche Wege vor sich hatten.
Ähnliche Wege, die alle nur ein Ziel kannten: den Erfolg. Erfolg im Sinne von Geld und des zu erwartenden Levels in einer Hierarchie. Keiner dachte an Selbstverwirklichung, Glück, Familie, Kinder oder überhaupt etwas Wesentliches fürs Leben, da diese Arten der Skalierung nicht in unseren Köpfen vorhanden war. Diese Erkenntnis machte mich einen Moment lang nachdenklich. War es das, was ich im nächsten Lebensabschnitt zu erwarten hatte, eine Vorschau darauf, wie man gemessen wird, oder die Erkenntnis, dass man vielleicht lieber etwas anderes hätte studieren sollen, was andere Aussichten bieten würde?
Kurz musste ich wieder an den Dashi-Koch denken, und was nun nach Beendigung seiner Lehrzeit wohl seine Aussichten und auch Sorgen waren.
Ein Kommilitone von mir half mir indirekt bei der Entscheidung für ein Unternehmen, bei dem ich in die Arbeitswelt starten würde. Er hatte bereits im Studium viel Zeit in die Suche nach einem passenden Arbeitgeber investiert und ein großes internationales Chemieunternehmen gefunden, das alle Voraussetzungen für eine vermeintlich gute Karriere bot. Als Ökonom in einem Chemie-Unternehmen, so dachten wir, würden die Wissenslücken unseres Studiums weniger auffallen.
Das erste Gehalt war aus Sicht eines Studenten sehr hoch, und auch sonst bot das Unternehmen mit Fördermöglichkeiten, Arbeiten im Ausland und vielen anderen Bausteinen alles, was ich mir wünschen konnte. Eigentlich bietet ein solches Unternehmen einem zum Start ins Berufsleben sehr viel mehr, als man verdient hat. Daher konzentrierte ich mich wohl auch nicht auf Dinge, die anfänglich befremdlich wirken. Ich verbuchte sie als Erfahrung, lachte darüber und gab ihnen keine weitere Bedeutung. Ich hatte ja große Ziele und den Weg nach oben fest im Blick. Sollen sich doch andere, die schon lange dort waren, mit dem auseinandersetzen, was mir eigenartig vorkam. Dass ich eines Tages, nach einigen Jahren, selbst ein Teil und Ursache dieser befremdenden Punkte werden könnte, kam mir zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise nicht in den Sinn.
Die erste Woche im Unternehmen
Vor dem Beginn der Arbeit in einem Unternehmen war ich mir darüber im Klaren, dass dieses neue Leben mit einer Vielzahl von Einschränkungen einhergehen wird. Eines hatte ich dabei jedoch übersehen: das gemeinsame Mittagessen mit Kollegen oder die Geschäftsessen mit Kunden. Ich saß nun beim Essen mit Personen zusammen, die durch die Situation vorgegeben waren. Gemeinsam mit denen zu essen, mit denen ich es wollte und die ich mochte, das gab es so nicht mehr.
Bei einer dieser ersten erzwungenen Tischrunden in der Kantine sprachen mich einige Kollegen darauf an, dass ich doch aus versicherungsmathematischen Gründen so schnell wie möglich die vom Unternehmen angebotene Sterbeversicherung abschließen sollte. Was ist eine Sterbeversicherung? Will man als junger Mensch am ersten Tag seines noch schier unendlichen Arbeitslebens eine Sterbeversicherung abschließen oder überhaupt darüber sprechen und nachdenken? Nein. Warum sprachen sie dann mit mir über so etwas? Aus gut gemeinten rationalen Gründen. Das Unternehmen bezahlt einem den größten Teil seiner eigenen Beerdigung und darüber hinaus sieht das Finanzamt darin keinen geldwerten Vorteil, weil man ja gerade gestorben ist, quasi ein letzter Bonus des Finanzamtes. Der Logik nach sind es drei Fliegen, die mit einer Klappe geschlagen werden: Vom Unternehmen gibt es etwas umsonst, der Staat profitiert nicht davon und die Verwandten werden es einem danken.
Welch ein grauenvoller Gedanke, dachte ich, zumal ich zu der Zeit noch keine eigene Familie hatte, die mir für den Abschluss meiner Sterbeversicherung eines Tages hätten danken können. Der weise Mensch erkennt seine Chancen schon weit vor der Zeit oder eben vor seinem Tod. Das hätte hier als Sprichwort gepasst. Einerseits wiegte ich mich in der glücklichen Lage, dass, wenn alles planmäßig läuft, rein rechnerisch mein Tod von allen hier am Tisch Anwesenden am spätesten eintreten würde. Andererseits war der Gedanke grausam, dass diese Etappe meines Lebens sich schon jetzt mit meinem Ende beschäftigt.
In einem großen Unternehmen ist es wie auf einem Bahnhof, Züge fahren ein und aus, nur dass es hier Menschen, ihre Arbeitswege, Karrieren und Leben sind. Nachdem ich das Thema der Sterbeversicherung verdrängt hatte, lernte ich am Nachmittag mit der Verabschiedung von Herrn Weber