Liebe in Gefahr
Von Ell Wendt
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Buchvorschau
Liebe in Gefahr - Ell Wendt
Ell Wendt
Liebe in Gefahr
Saga
Liebe in Gefahr
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1939, 2020 Ell Wendt und SAGA Egmont
All rights reserved
ISBN: 9788726629255
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
1.
Sibylle wurde von einem Sonnenstrahl geweckt, der sich in ihre Augenlider stahl. Neben ihr atmete Alexander in tiefen, gleichmäßigen Zügen. Sein Gesicht war ihr zugewandt, eine kleine, steile Falte stand zwischen seinen Brauen, das hellbraune Haar hing wirr in die schöne Stirn.
Wie fest er schlief! Sibylle lächelte zärtlich. Sie war bereit, zehn zu eins zu wetten, daß er beim Aufwachen behaupten würde, er habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Künstler dürfen nicht mit gewöhnlichem Maß gemessen werden; irgendwie haben sie alle etwas von der Prinzessin auf der Erbse an sich. Sie stand leise auf und zog den grünen Fenstervorhang fester zusammen, damit Alexander nicht von der Sonne gestört werde. Draußen war der Himmel von einem kalten, blankgeputzten Blau, Glockengeläut schwang feierlich in der klaren Luft.
Sibylle schlüpfte ins Bett zurück und zog die Decke eng um ihre Schultern. Sonntag! Das bedeutete: schlafen, so lange man Lust hatte, heißen Toast und Orangenmarmelade zum Frühstück, spazierengehen mit Alexander und Polster, Mittagessen im Hause Birk. — —
Hier machten Sibylles freundlich schweifende Gedanken halt. Das Mittagessen war nicht unbedingt den Reizen des Sonntags zuzuzählen. Alexanders Vater besaß einen ungewöhnlich stark entwickelten Sinn für Familie und Tradition. Ihm war es zu verdanken, daß alles, was Birk hieß, sich allsonntäglich zu gemeinsamem Mittagsmahl zu versammeln hatte. Alexander behauptete boshaft, nur ein Amtsgerichtsrat sei imstande, mit soviel pedantischer Hartnäckigkeit auf einem Brauch zu bestehen, der sich im Zeitalter der Wochenendausflüge überlebt habe und alle Beteiligten empfindlich in ihrer Freiheit beschränke.
Er entstammte einer Familie von Rechtsgelehrten, strengen, nüchternen Herren, die es im Dienst der Justiz zu Ehre und Ansehen gebracht hatten. Es schien selbstverständlich, daß er ihrem Beispiel folgen würde, obwohl seine starke musikalische Begabung schon in früher Kindheit zutage getreten war. Sein Entschluß, Pianist zu werden, schlug im Hause Birk ein wie eine Bombe. Es war etwas noch nie Dagewesenes, daß ein Sproß dieser wohlbestallten Beamtenfamilie die gesicherte Existenz im Dienste des Staates einer Laufbahn opferte, die den Birks ebenso zweifelhaft erschien wie Trapezakrobatik oder Drahtseillauf. Nach Auftritten, bei denen Alexander den Donnerworten des Vaters mit dem zähen Widerstand eines eigensinnigen Esels begegnet war, hatte der Amtsgerichtsrat endlich, vollkommen erschöpft, die Waffen gestreckt.
„Tu’ was du willst, hatte er gesagt, „aber gib dich nicht der Hoffnung hin, daß ich dich in alle Ewigkeit unterstützen werde. Ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn du als Hungerleider in einer Dachkammer endest.
In den Augen des Amtsgerichtsrats hing jede Art von Kunst auf das engste mit Hunger und Dachkammern zusammen. Hinweise auf Künstler, die es zu etwas gebracht hatten, pflegte er mit der lakonischen Bemerkung abzutun, da habe halt mal einer Glück gehabt.
Es erleichterte Alexander das Leben durchaus nicht, daß der Vater, seiner düsteren Prognose zum Trotz, von Tag zu Tag auf die Früchte seiner Opferbereitschaft wartete. Selbst, wenn der Amtsgerichtsrat es bisweilen unterließ, seine Gedanken in dieser Hinsicht in Worte zu kleiden, glaubte Alexander ewigen Vorwurf in seinen Blicken zu lesen.
Er litt darunter, ohne es zuzugeben. Wie viele zarte Naturen, verbarg er innere Unsicherheit unter einer Maske undurchdringlichen Hochmutes. Aber er vibrierte vor nervöser Gereiztheit, und es gab Tage, an denen er einem Vulkan glich, brodelnd, und jeden Augenblick bereit, auszubrechen.
„Er hat Launen wie eine Primadonna", behauptete sein Freund Andreas, während Tante Gudula Sibylle anvertraut hatte, Alexander arte seiner Urgroßmutter nach, deren Porträt in zarten Pastellfarben im Birkschen Eßzimmer hing.
Rein äußerlich betrachtet, glich er ihr in der Tat auf überraschende Weise: das ausdrucksvolle Oval des Gesichtes, die tiefblauen Augen unter hellbraunem Haar, nicht zuletzt der weiche, schön geschwungene Mund mit dem kleinen, spöttischen Lächeln in den Mundwinkeln. Alles sprach dafür, daß sie Alexander auch die Liebe zur Musik vererbt hatte, denn sie hatte eine sehr hübsche Stimme ihr eigen genannt, deren Ausbildung einem italienischen Gesangsprofessor, namens Martinuzzi oder Martinelli — des Namens entsann Tante Gudula sich nicht mehr genau — übertragen worden war. Die Familie tat jener Urgroßmutter ungern und selten Erwähnung. Es war nämlich geschehen, daß sie eines Tages mit besagtem Martinuzzi auf und davon gegangen war, unter Hinterlassung eines Briefes, in dem sie Kaspar Birk wissen ließ, sie langweile sich in der Ehe mit ihm zu Tode. Niemand wird es den Birks verdenken, wenn dieser Grund für sie der Stichhaltigkeit ermangelte. Sie scheuten weder Mühe noch Kosten, die Pflichtvergessene ohne Skandal dem häuslichen Herd wieder zuzuführen, und es ging ein Aufatmen durch die Familie, nachdem es gelungen war. Eheliche Fahnenflucht war in den Annalen der Birks ohne Beispiel und ganz und gar unerhört.
Was übrigens Alexanders Heirat mit Sibylle betraf, so war sie der zweite Schlag gewesen, den Alexander den Seinen zugefügt hatte. Sibylle war sich schamhaft bewußt, genau das Gegenteil von dem zu sein, was Birks sich als Schwiegertochter gewünscht hatten. Als Tochter eines Privatgelehrten und Kunstsammlers, der gestorben war, ohne ihr etwas zu hinterlassen außer einigen schönen alten Möbeln und einem Bilde von Spitzweg, dessen Echtheit jedoch angezweifelt wurde, hatte sie keinerlei Anspruch auf Ansehen in der Familie. Weder ihr anmutiges Äußere, noch die Fähigkeit, Kunstgewerbliches geschmackvoll anzufertigen, hatte den Amtsgerichtsrat von ihren Qualitäten zu überzeugen vermocht. Er nannte die Ehe seines Sohnes einen glatten Wahnsinn und weigerte sich hartnäckig, Alexanders Zuschuß auch nur um einen roten Heller zu erhöhen.
Dieser Zuschuß, verbunden mit dem Honorar für einige Klavierstunden, und dem kärglichen Erlös aus Sibylles kunstgewerblichen Arbeiten, bildete die Basis, auf der sie ihr gemeinsames Leben aufbauten.
Unnötig, zu sagen, daß sie nicht auf Rosen gebettet waren! Alexander, dem die Existenz des freien Künstlers aus der Perspektive selbstverständlicher bürgerlicher Gesichertheit romantischer erschienen sein mochte, als sie es tatsächlich war, litt unter den Beschränkungen, die der Mangel an Geld ihm allenthalben auferlegte. Obwohl er behauptete, den „Mammon" zu verachten, konnte er ihn nicht im geringsten entbehren. Hieraus ergab sich ein Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, der das Leben oft sehr schwierig machte. Aber sie liebten einander. Es war zwar nicht mehr so oft die Rede davon, wie im Anfang, als die Wunder der Welt nur darauf zu warten schienen, im Sturm von ihnen erobert zu werden; aber sie wußten um das Gefühl tiefer Zusammengehörigkeit, das sie den Schwierigkeiten des Alltags zum Trotz, oder vielleicht gerade um ihretwillen verband.
Ein Kratzen an der Tür ließ Sibylle aufhorchen. Sie sprang aus dem Bett und drückte behutsam die Klinke herab. Draußen saß der Hund Polster; er sah sie mit schief geneigtem Kopf aus bernsteingelben Augen an, sein Schwanz klopfte in heftiger Gemütsbewegung den Boden.
Sibylle mußte lachen.
„Pst, sagte sie, „wir müssen leise sein.
Der Hund jedoch drängte sich an ihr vorbei ins Zimmer. Er liebte Sibylle über alles, jede Begegnung mit ihr war ein jubelndes Wiedersehensfest. Winselnd vor Glück umkreiste er sie und brachte, springend und tanzend, den Hocker vor dem Toilettentisch zu Fall.
Alexander fuhr verstört auf.
„Siehst du, sagte Sibylle vorwurfsvoll, „jetzt haben wir ihn aufgeweckt.
Sie ging zum Fenster und zog den Vorhang zurück. Die Sonne flutete in breitem Strom ins Zimmer.
Es war ein sehr merkwürdiges Schlafgemach. Sibylle haßte Betten, sofern es sich nicht um Lagerstätten aus der Zeit des Barock, des Empire oder der Renaissance handelte, wie sie in Museen und Schlössern zu finden waren. Sie hatte der Banalität des zweibettigen bürgerlichen Schlafzimmers zu entgehen versucht, indem in ihrer Wohnung zwei große Matratzen, am Tage von einer grünen Decke verhüllt, mit zahllosen bunten Kissen als Diwan prunkten, während sie zur Nacht mit ein paar Handgriffen in Betten verwandelt wurden. Auf diese Weise war ein gewichtiges Möbelstück entstanden, das den kleinen Raum vollkommen beherrschte. Kaum, daß ein gebrechliches Toilettentischchen, mit einem halbblinden Barockspiegel darüber, nahe beim Fenster Platz fand. Kleider und Wäsche waren in einem Wandschrank untergebracht, während ein winziges Gelaß neben der Küche mit einer hochbeinigen Blechwanne den stolzen Namen Badezimmer führte.
„Guten Morgen, sagte Sibylle und lächelte Alexander gewinnend an, „sieh nur, welch herrlicher Tag!
Alexander jedoch erwies sich als unempfänglich für die Schönheit des Sonntags. Er gehörte zu den Menschen, die Morgensonne als persönliche Kränkung empfinden. Nachdem er den freudetrunkenen Polster zornig von seinem Bett verscheucht hatte, zog er die Decke über den Kopf, so daß nichts als ein Büschel brauner Haare hervorschaute, und tauchte nur noch einmal auf, um Sibylle vorwurfsvoll mitzuteilen, er habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.
Sibylle zog den Bademantel über ihr Pyjama, sie gab ihrem kurzen, glatten Blondhaar einen kräftigen Bürstenstrich und verschwand im Badezimmer, wo sie sich aus Gründen der Sparsamkeit mit einer kalten Dusche begnügte. Dann begab sie sich daran, das Frühstück zu bereiten und den Tisch im Atelier zu decken.
Das Atelier — ein richtiges Maleratelier mit einem Riesenfenster — war ihr „Zimmer für alles". Hier stand der große schwarz glänzende Konzertflügel, hier prangte die Barockkommode aus der Hinterlassenschaft des Kunstmalers mit üppig geschwungenen Formen und kunstvollen Beschlägen. Vor das Sofa aus der Zeit der Madame Récamier war der niedrige Tisch geschoben, an dem sie ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegten; ein paar ebenso dekorative wie unbequeme Stühle paradierten an den Wänden, die mit dem angezweifelten Spitzweg und einigen schönen alten Stichen geschmückt waren.
Sibylle war der Atelierromantik hoffnungslos verfallen. Es focht sie nicht im geringsten an, daß das Zimmerthermometer sich im Winter hartnäckig weigerte, über 15 Grad zu steigen, den Kohlenmengen zum Trotz, die Jeremias, das häßliche, schwarze Öfchen, wie ein Moloch verschlang. Dafür schien am Vormittag die Sonne hinein, ein Umstand, der alle Kunstmaler auf die Dauer zwang, das Atelier aufzugeben. Sibylle liebte den schwachen Duft von Farbe und Terpentin, den sie hinterlassen hatten; sie liebte den Blick über Dächer und Türme — an föhnigen Tagen schweifte er ungehemmt bis zur blauen Kulisse des fernen Gebirges. Sie liebte den Himmel vor dem Fenster mit dem Spiel ziehender Wolken, dem tiefen Blau stiller Sommertage und dem funkelnden Sternenmeer klarer Nächte.
Die Familie hatte die Wahl der Wohnung seufzend den mancherlei Verstiegenheiten zugerechnet, an die Alexander und Sibylle sie im Lauf ihrer vierjährigen Ehe gewöhnt hatten. Aber das Badezimmer erfüllte Mama immer aufs neue mit stiller Trauer, ebenso wie es sie verdroß, daß das Atelier vom Schlafzimmer lediglich durch einen Vorhang abgetrennt war. Sie begriff nicht, wie Alexander, von jeher an solide Behaglichkeit gewöhnt, sich im Milieu eines „bohémien" — ein Wort übrigens, das die Familie mit unsäglicher Verachtung aussprach — wohlfühlen konnte. Nichts jedoch hätte Alexander und Sibylle zu bewegen vermocht, um größerer Bequemlichkeit willen auf die mannigfachen