Das große Schach-Allerlei: Verwegenes, Verrücktes und Verkorkstes auf 64 Feldern
Von Peter Köhler
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Das große Schach-Allerlei - Peter Köhler
Gwyddbwyll oder
Schach in anderen Sprachen
(Tschadraki, Georgisch), Xadrez (Portugiesisch), Xake (Baskisch).
Düpiert
Eine Pleite besonderer Art erlebte der slowenische Großmeister Milan Vidmar, als er sich – es war in den 1920er Jahren – in einem Kaffeehaus in seiner Heimatstadt Ljubljana zum Zeitunglesen niedergesetzt hatte. Am Nebentisch war eine Schachpartie im Gang, doch ein Blick genügte ihm, um festzustellen, dass es sich um zwei Patzer handelte. Enttäuscht wandte er sich wieder seiner Lektüre zu, als plötzlich einer der beiden aufstand und sich verabschiedete. Der andere blickte sich um, und weil er Vidmars Interesse bemerkt hatte, fragte er ihn, ob er Schach spiele. Vidmar gab zu, mit dem Brettspiel einigermaßen vertraut zu sein. Großmütig räumte ihm sein Partner die weißen Steine ein. Vidmar beschloss, sich über den Schwachmaten lustig zu machen: Er eröffnete mit 1. e4 e5 2. Ke2 Sf6 3. Kd3 Sc6, und nach dem vollends tollkühnen 4. Kc4 provozierte Vidmar seinen Gegner zusätzlich, indem er auf den ungedeckten e-Bauern hinwies und verlautbarte, jetzt Gambit spielen zu wollen. „Die Antwort war verblüffend", schreibt Vidmar in seinem Erinnerungsbuch Goldene Schachzeiten: „Mit einer energischen mähenden Bewegung seiner Rechten rasierte mein Gegner das Schachbrett, so dass die Figuren fast wegflogen, und erklärte mit schlecht zurückgehaltener Wut: ‚Mit einem solchen Stümper spiele ich nicht!‘"
Die Natur hat uns das Schachbrett gegeben, aus dem wir nicht hinauswirken können noch wollen; sie hat uns die Steine geschnitzt, deren Wert, Bewegung und Vermögen nach und nach bekannt werden; nun ist es an uns, Züge zu tun, von denen wir uns Gewinn versprechen. Dies versucht nun ein jeder auf seine Weise und lässt sich nicht gern einreden.
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), deutscher Schriftsteller
UNSTERBLICHES
Anderssen gegen Kieseritzky, 1851
Das erste Turnier der modernen Schachgeschichte fand 1851 in London statt und sah den Breslauer Schulprofessor Adolf Anderssen als Überraschungssieger. Fortan durfte er als bester Spieler der Welt gelten. Besonders in Erinnerung geblieben ist seine Glanzpartie gegen Lionel Kieseritzky. Dabei wurde sie gar nicht in jener ersten Runde des im K.-o.-System ausgetragenen Turniers gespielt, in der Anderssen ebendiesen Kontrahenten mit 2:0 nach Gewinnpartien (bei einem Remis) aus dem Wettbewerb warf; es war eine der vielen freien Partien, die die in London versammelten Meister nebenher austrugen. Es heißt, Kieseritzky habe die Mehrzahl dieser Spiele gegen Anderssen, in denen es um nichts ging, gewonnen. Doch dieses eine verlor er mit Pauken und Trompeten. Anderssen, der die weißen Steine führte, opferte erst einen Bauern, dann einen Läufer, danach die beiden Türme und schließlich die Dame und krönte dieses Crescendo mit einem triumphalen Matt:
1. e4 e5 2. f4 exf4 3. Lc4 Dh4+ 4. Kf1 b5 5. Lxb5 Sf6 6. Sf3 Dh6 7. d3 Sh5 8. Sh4 Dg5 9. Sf5 c6 10. g4 Sf6 11. Tg1! cxb5 12. h4 Dg6 13. h5 Dg5 14. Df3 Sg8 15. Lxf4 Df6 16. Sc3 Lc5 17. Sd5 Dxb2 18. Ld6 Lxg1 19. e5!! Dxa1+ 20. Ke2 Sa6 21. Sxg7+ Kd8 22. Df6+! Sxf6 23. Le7#.
„Diese Partie braucht keine Kommentare, urteilte Ende des 19. Jahrhunderts der russische Weltmeisterkandidat Michail Tschigorin, selber ein brillanter Angriffsspieler, über diese Opfer-Symphonie. „Jeder, der sie aufmerksam studiert, wird bemerken, mit welcher Folgerichtigkeit, Harmonie und Gründlichkeit Anderssen den Angriff von Anfang bis Ende durchgeführt hat.
Entwickle die Bauern!
In der Eröffnung schnellstmöglich die Figuren zu entwickeln, lautet ein klassisches Prinzip. Dass es anders geht, demonstrierte der US-amerikanische Altmeister Frank Marshall in einer 1940 in New York gespielten Partie gegen einen gewissen Hyman Rogosin: 1. e4 c5 2. b4 cxb4 3. a3 Sc6 4. axb4 Sf6? 5. b5 Sd4 6. c3 Se6 7. e5 Sd5 8. c4 Sdf4 9. g3 Sg6 10. f4 Sxgf4 Der Springer ist ohnehin verloren. 11. gxf4 Sxf4 12. d4 Sg6 13. h4 e6 14. h5 Lb4+ 15. Ld2 Nach 14 Bauernzügen der erste Zug einer Figur! 15. … Lxd2+ 15. Sxd2 Se7 17. Se4 Sf5 18. h6! Endlich wieder ein Bauernzug. 18. … g6 19. Sf6+ Kf8 20. Sf3 d6 21. Sg5 dxe5 22. dxe5 Dxd1+ 23. Txd1 Ke7 24. Th3 b6 25. Lg2 Tb8 26. Sgxh7 aufgegeben.
Entwickle dich einseitig!
Erst wenn die Figurenentwicklung abgeschlossen ist, soll man einen Angriff einleiten. Aber wie alle Theorie wird dieser Grundsatz gelegentlich von der Praxis korrigiert. So in der folgenden Partie, in der Weiß auf die Entwicklung seiner Königsseite pfeift und allein mit den Figuren der Damenseite eine erfolgreiche Attacke reitet. Blackburne – N. N. (Manchester 1894): 1. e4 e5 2. Sc3 Sc6 3. f4 exf4 4. d4 d5 5. Lxf4 dxe4 6. d5 Df6 7. Dd2 Sce7 8. d6 Sg6 9. Sd5 Dxb2 10. Sxc7+ Kd8 11. Td1 Tb8 12. d7!! Lb4 13. Se6+! fxe6 14. Lc7+! Kxc7 15. d8D+ Kc6 16. D8d6+ Lxd6 17. Dxd6#.
Die Gesengte Sau oder
Tierische Eröffnungen
Drachenvariante: Diese Variante der sizilianischen Eröffnung (1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 g6) verdankt ihren Namen dem Kiewer Schachmeister und Hobbyastronomen Fjodor Dus-Chotimirski, dem die Ähnlichkeit der Bauernstellung d6-e7-f7-g6-h7 mit dem Sternbild des Drachen aufgefallen war. Als Drachen bezeichnet man auch den für diese Eröffnung typischen fianchettierten Königsläufer, der in seiner Höhle auf g7 lauert.
Eidechsenangriff: Zu ihm kommt es, wenn Weiß nach 1. Sc3 d5 2. e4 d4 3. Sce2 e5 den Hebel f2–f4 mit den Zügen d2–d3, g2–g3 und Lf1–g2 vorbereitet.
Elefantengambit: Dieses wird im Mittelgambit im Nachzug (1. e4 e5 2. Sf3 d5 3. exd5) durch 3. … Ld6 charakterisiert.
Gebratene-Leber-Angriff: Name im Zweispringerspiel (1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc4 Sf6) für das nach 4. Sg5 d5 5. exd5 Sxd5 mögliche Springeropfer 6. Sxf7!?. Robert „Bobby Fischer verwendet den Namen, englisch: „Fried Liver Attack
, in seinem Buch Meine 60 denkwürdigen Partien im Kommentar seiner Partie gegen Arthur Bisguier (New York 1963).
Geier: Die vom deutschen FIDE-Meister und Theoretiker Stefan Bücker erfundene Eröffnung 1. d4 Sf6 2. c4 c5 3. d5 Se4.
Gesengte-Sau-Verteidigung: So nennt der englische Internationale Meister William Hartston in seinem Buch Wie man beim Schach bescheißt (deutsche Ausgabe 1986) die Flankeneröffnung 1. … b6 in Verbindung mit Lc8–b7 und d7–d6.
Habichd: Die Zugfolge 1. d4 Sf6 2. Sf3 c5 3. d5 c4, von Stefan Bücker 1986 ausgetüftelt. Der von ihm vorgeschlagene Name ist eine Verkürzung von „Hab ich dich, doch wird der Eröffnungsname auch „Habicht
geschrieben und ins Englische mit „Hawk" übersetzt.
Hippopotamus: Bezeichnung für den schwarzen Aufbau mit den Bauern auf b6, d6, e6 und g6, den Läufern auf b7 und g7 sowie den Springern auf d7 und e7. In der 16. Partie des WM-Kampfes 1966 zwischen Tigran Petrosjan und Boris Spasski wurde er auf höchster Ebene erprobt: 1. d4 g6 2. e4 Lg7 3. Sf3 d6 4. Le2 e6 5. c3 Sd7 6. 0-0 Se7 7. Sbd2 b6 8. a4 a6 9. Te1 Lb7. Die Partie endete im 49. Zug remis.
Igel: Ebenfalls nicht Name einer speziellen Zugfolge, sondern Bezeichnung für einen Stellungstyp. Der schwarze c-Bauer wird gegen den weißen d-Bauern getauscht, während alle anderen schwarzen Steine nicht über die sechste Reihe hinausrücken; zentral ist der schwarze e-Bauer auf e6. Auf der Gegenseite sind die auf c4 und e4 postierten Bauern typisch. Meist wird der schwarze Damenläufer nach b7 entwickelt und der Damenspringer nach d7. Ein Beispiel ist der Partieanfang 1. c4 c5 2. Sf3 Sf6 3. g3 b6 4. Lg2 Lb7 5. 0-0 e6 6. Sc3 Le7 7. d4 cxd4 8. Dxd4 d6 9. Tfd1 a6 10. Lg5 Sbd7. Wahrscheinlich war es William Hartston, der in den 1970er Jahren diesen Stellungstyp „Hedgehog (deutsch: „Igel
) nannte.
Ochsenfroschgambit: Das Bauernopfer 1. d4 Sf6 2. g4. Es kam 1950 (nach anderen Quellen erst 1967) in einem sowjetischen Vereinsmatch zwischen David Bronstein und Wladimir Simagin aufs Brett. Es folgte 2. … d5 3. g5 Se4 4. f3 Sd6 5. e4!? dxe4 6. fxe4 e5! 7. dxe5 Dxd1+ 8. Kxd1 Sxe4, und die beiden gut befreundeten Spieler einigten sich auf Remis. Aufgrund dieser Partie spricht man auch von „Bronstein-Gambit. Der Ursprung der Bezeichung „Ochsenfroschgambit
(englisch „Bullfrog Gambit") ist unbekannt.
Orang-Utan: Als die Teilnehmer des New Yorker Turniers 1924 an einem spielfreien Tag den Zoo besuchten, erinnerten Savielly Tartakower die hurtig im Geäst turnenden Affen an den behände das Brett hinaufkletternden b-Bauern in der damals hypermodernen Eröffnung 1. b2–b4.
Tiger: Das Königsfianchetto in Verbindung mit dem Zug a7–a6, zum Beispiel: 1. e4 g6 2. d4 Lg7 3. Sc3 d6 4. Le3 a6. Seit 2005 propagiert der schwedische Großmeister Tiger Hillarp Persson diese auf nahezu alle weißen Eröffnungszüge mögliche Spielweise, die er praktischerweise auf seinen Namen getauft hat: Tiger’s Modern heißt sein damals erschienenes Buch.
Das Zweispringerspiel
Weltmeister Emanuel Lasker hielt einen Vortrag über Schacheröffnungen und wurde von einem jungen Zuhörer um einen Tipp für das Zweispringerspiel gebeten. Lasker zeigte ihm ein paar Varianten und fragte, ob ihm das weiterhelfe. Der Zuhörer schüttelte den Kopf: „Sie meinen ein ganz anderes Zweispringerspiel, seufzte er. „Meister Walbrodt spielt ab und zu gegen mich. Immer gibt er mir zwei Springer vor, und dagegen komme ich einfach nicht an!
Poetische Eröffnungen
Weil die Bauern aus der Anfangsstellung nur ein Feld vorrücken durften und die Figuren bis auf den Turm kurzschrittig waren, entwickelte sich im mittelalterlichen Schach das Kampfgeschehen langsam. Um die Zeit abzukürzen, bis die Partie in Fahrt kam, benutzten die arabischen Meister daher vorgegebene Ausgangsstellungen, in denen schon bis zu 20 Züge geschehen waren. Wie die Eröffnungen im modernen Schach hatten diese Tabiyen (Einzahl: Tabiya), von denen es etwa zwei Dutzend gab, Namen, darunter romantische und bildhafte, beispielsweise „Die mit Flügeln Versehene, „Der Reichgeschmückte
, „Der Weise, „Das Schwert
, „Der reißende Strom".
WUSSTEN SIE SCHON …
dass die mittelalterlichen islamischen Theologen das Schachspiel widerwillig duldeten, aber schließlich als gottgefällig erklären mussten, weil es in den eroberten Regionen von Indien bis Nordafrika äußerst beliebt war? Allerdings sorgten sie dafür, dass das Bilderverbot eingehalten wurde und die Schachsteine mehr abstrakte Formen annahmen. Abgewandelt sind sie bis heute in Gebrauch.
WAS NUN?
In der Schachliteratur gilt der Grundsatz: Gute Leser sollen auch gute Löser sein! Darum werden Ihnen auch in diesem Buch kleine Aufgaben gestellt.
Soll Schwarz in nachstehender Stellung sein Glück mit 1. … Dg3 versuchen oder kann er es auf andere Weise erzwingen?
Gata Kamsky – Peter Svidler (Chanty Mansijsk 2011)
Lösung:
Schwarz brauchte kein Glück, sondern bewies großes Können: Mit 1. … Te2!! knallte er den Zug des Turniers aufs Brett. Der Hintergedanke des auf den ersten Blick sinnlosen Turmopfers: Nach 2. Dxe2 Dg3! (jetzt erst!) kann Weiß nicht mehr mit 3. Sc6 die Diagonale sperren, was nach sofort 1. … Dg3 der Fall gewesen wäre. Weiß musste 2. Dc3 ziehen und gab nach 2. … Txf2 3. Sc6 Txf1+ auf.
WUSSTEN SIE SCHON …
dass die Regel, der zufolge Bauern, die die letzte Reihe erreichen, in eine Figur umgewandelt werden, erst im 16. Jahrhundert aufgestellt wurde?
dass dieser Bauer in Spanien ausschließlich in eine Dame, in Frankreich und Deutschland nur in eine bereits geschlagene Figur umgewandelt werden konnte? War noch keine Figur aus dem Spiel genommen, musste der Bauer so lange auf der Grundreihe warten.
dass ein Spieler auf die Umwandlung verzichten und den Bauern stehen lassen konnte?
dass die heutigen Bauernumwandlungsregeln erst seit dem Londoner Turnier von 1851 gelten?
dass heutzutage in über 99,9 Prozent der Fälle der Bauer in eine Dame umgewandelt wird?
Die vielen Seelen des Schachspiels
Die Bauern sind die Seele des Schachspiels.
François-André Danican Philidor (1726–1795), französischer Komponist und Schachmeister
Schöne Kombinationen sind die Seele des Schachspiels.
Fred Reinfeld (1910–1964): The Joys of Chess, New York 1961
Die Kombination ist die Seele des Schachspiels.
Schachweltmeister Alexander Aljechin (1892–1946) zugeschrieben; wahrscheinlich stammt der Satz aber von den ungarischen Schachgrößen Géza Maróczy (1870–1951) oder Rudolf Charousek (1873–1900).
Strategie und Taktik sind die Seele des Schachspiels.
Christian Wolbert, Heilbronner Schachspieler
Das Tempo ist die Seele des Schachspiels.
Siegbert Tarrasch (1862–1934), deutscher Schachgroßmeister
Der Gegenangriff ist die Seele des Schachspiels.
Joseph Blackburne (1841–1924), englischer Schachgroßmeister
Der Abtausch ist die Seele des Schachspiels.
Georg Kieninger (1902–1975), deutscher Internationaler Meister
Der Fehler ist die Seele des Schachspiels.
Pertti Saariluoma (finnischer Kognitionswissenschaftler): Chess Players’ Thinking, London 1995
Die dritte Rochade
1972 veröffentlichte der Holländer Tim Krabbé dieses Schachproblem:
Matt in drei Zügen
Scheinbar ist die Aufgabe unlösbar. Zwar wird Schwarz nach 1. e7! sowohl im Fall von 1. … Kxf3 2. e8T! d4 3. 0-0 als auch bei 1. … gxf3 2. e8T! Kd3 3. 0-0-0 matt, aber nach 1. … Kd3/Kxf3 2. e8T! Kc2/Kg2 geht es nicht weiter. So scheint es! Doch weil die offiziellen Regeln des Weltschachbundes lediglich besagten, dass König und Turm vor der Rochade nicht gezogen haben dürfen, kann der König mit dem soeben auf e8 entstandenen Turm rochieren: 3. 0-0-0-0#!!
1971 hatten der Franzose Jean-Luc Seret und Krabbés Landsmann Max Pam die Ungenauigkeit im Regelwerk publik gemacht. Die FIDE fügte daraufhin in die amtlichen Spielregeln die Formulierung ein, König und Turm müssten „in the first rank" stehen.
Wäre Deutsch die Amtssprache der Fédération Internationale des Échecs gewesen, hätte es die Lücke nicht gegeben und folglich auch Krabbés Drei-Rochaden-Problem nicht. Auf Deutsch lautete der fragliche Passus über die Ausführung der Rochade nämlich: „Der König verläßt sein ursprüngliches Feld, um auf derselben Reihe [Hervorhebung durch den Verf.] eines der beiden nächsten Felder gleicher Farbe zu besetzen; sodann geht der Turm, zu dem sich der König hinbewegt hat, über den König hinweg auf dasjenige Feld, das dieser soeben überschritten hat. Klingt bürokratisch und lässt an Genauigkeit nichts zu wünschen übrig: Es heißt „Reihe
, womit die „Linie" ausgeschlossen ist.
Die polnische Rochade
Am 18. Februar 1956, zum „Schachfasching", veröffentlichte Hans Klüver in seiner Schachecke in der Welt dieses Problem von Karl Arthur Leonid Kubbel, das erstmals 1910 in der Deutschen Schachzeitung abgedruckt war:
Matt in fünf Zügen
Klüver berichtet, man habe das Problem in einem Schachklub gezeigt, ohne dass jemand es habe lösen können. Immer wieder wurde Ta4–a1 versucht, doch man kam nicht weiter – bis ein Witzbold eingriff, König und Ta1 nahm und vertikal rochierte (nota bene: lange vor Krabbé!). „Alles lachte, fährt Klüver 1956 fort, „keiner aber merkte, dass damit die Lösung eigentlich schon verraten war
– nämlich: „1. Ta1 Ka8 Da jetzt, auch in der Faschingszeit, die Rochade nicht geht, rochiert Weiß polnisch 2. Ka4 Ka7 3. Ka3 Ka6 4. Ka2 Ka5 5. Kb1#."
Die Ohne-Rochade
Eine interessante Frage warf vor über 150 Jahren ein Leser des britischen Chess Player Chronicle auf: „Jemand gab mir einen Turm vor und wollte dann nach der Seite rochieren, von der er den Turm entfernt hatte – ist das erlaubt?"
Die Zeitschrift bejahte das, obwohl es absurd erscheine.
Die schwedische Rochade
In einer Partie der schwedischen Jugendmeisterschaft 1980 war es zu folgender Stellung gekommen, in der Weiß angesichts dreier hängender Figuren auf Verlust stand:
Während der Weißspieler grübelte, schlenderte der Nachziehende durch den Turniersaal. Plötzlich hatte der Weiße einen Gedankenblitz: 1. 0-0-0! Und siehe da: Nach 1. … Dxc4 2. Dd8+ Kf7 3. hxg6+ hxg6 4. Txh8 Lxh8 5. Dxh8 Sxe3 6. Df6+ Kg8 7. Td8+ war es Schwarz, der aufgeben musste. Erst als beide Spieler die Partie analysierten, erkannten sie, was geschehen war – zu spät: Ein unmöglicher Zug bleibt gespielt, wenn man ihn erst nach dem Ende bemerkt. Am Partieausgang war nicht mehr zu rütteln.
UNSTERBLICHES
Hamppe gegen Meitner, 1872
Dass Remispartien langweilig sind, ist ein Vorurteil. Wie geistreich, ungewöhnlich und aufregend, kurzum: sensationell eine sein kann, illustrierten die Österreicher Carl Hamppe (Weiß) und Philipp Meitner, als sie 1872 in Wien die „Unsterbliche Remispartie" produzierten: 1. e4 e5 2. Sc3 Lc5 3. Sa4?! Lxf2+ 4. Kxf2 Dh4+ 5. Ke3 Df4+ 6. Kd3 d5 7. Kc3 Dxe4 8. Kb3 Sa6 9. a3 Dxa4+! 10. Kxa4 Sc5+ 11. Kb4 a5+ 12. Kxc5 Se7! 13. Lb5+ Kd8 14. Lc6! b6+! 15. Kb5 Sxc6 16. Kxc6 Lb7+! 17. Kb5 La6+ 18. Kc6 Lb7+ und ewiges Schach!
Humorlos
Keinen Spaß verstand der Mann, gegen den der englische Meister Joseph Blackburne sich zu einer freien Partie bereit erklärt hatte. Der Amateur, dem Blackburne den Anzug überlassen hatte, begann mit 1. h3. „Oha, ächzte Blackburne in gespieltem Entsetzen, „da muss ich aufgeben!
„In Ordnung", versetzte sein Gegner und war nicht davon abzubringen, dass er die Partie gewonnen habe.
WAS NUN?
Das schwarze Orchester steht zum finalen Einsatz bereit. Wird es einen Triumphmarsch spielen? Oder muss es ein Klagelied anstimmen, weil Tc8 und Ld5 angegriffen sind?
Bent Larsen – Ljubomir Ljubojevic (Mailand 1975)
Lösung:
Mit 1. … Dh4!! ließ Schwarz die triumphale Schlussfanfare ertönen. 2. Dxe5 Und nun der Paukenschlag: 2. … Df2!! Alle schwarzen Figuren hängen, aber das Matt ist unabwendbar. Falls 3. Txg1, so 3. … Dxg2+! 4. Txg2 Tc1+ und Matt im nächsten Zug. Weiß gab auf.
Weltmeisterliches
Zwischen 1917 und 1924 blieb José Raúl Capablanca acht Jahre ungeschlagen, darunter im WM-Wettkampf gegen Emanuel Lasker 1921. Allerdings gab es damals erheblich weniger große Turniere als heute.
Von 83 Weltmeisterschaftspartien von 1927 bis 1944 verlor die