Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Gregorius
Gregorius
Gregorius
eBook381 Seiten5 Stunden

Gregorius

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Wind peitschte unerbittlich über die trostlose Landschaft. Er heulte über die kniehohe Schneedecke, wirbelte Eiskristalle scharf wie Nadelspitzen auf und neigte riesige Bäume, bis sie krachend niederfielen.

Im Auftrag des Herzogs begibt sich Gregorius auf eine Reise, die sein Leben für immer verändern wird. Er entdeckt eine Welt, die grausamer und magischer nicht sein könnte. Inmitten eines verborgenen Krieges weiß er bald nicht mehr, auf welcher Seite er steht.

Ob es sich lohnt zu kämpfen?
SpracheDeutsch
HerausgeberNOLA-Verlag
Erscheinungsdatum1. Sept. 2020
ISBN9783945914045
Gregorius

Ähnlich wie Gregorius

Ähnliche E-Books

Action- & Abenteuerliteratur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Gregorius

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Gregorius - Christy Henry

    14

    1

    Der Sturm heulte über die kniehohe Schneedecke, wirbelte Eiskristalle scharf wie Nadelspitzen auf und neigte riesige Bäume bis sie krachend niederfielen. Er brachte starken Schneefall und behinderte die Sicht auf die blanken Felsspitzen, die vereinzelt aus der Schneedecke herausragten. Unerbittlich fegte der Wind über die trostlose Landschaft aus gefrorenem Schnee, kahlen Bäumen und Felsen. Die einsetzende Dunkelheit machte es im Zwielicht des Sturms noch schwieriger, sich in dieser Eiswüste zu orientieren.

    Der einsamen, gebeugten Gestalt, die sich stoisch durch den Schneesturm kämpfte, war das jedoch einerlei. Ein Weg war schon seit Stunden nicht mehr zu erkennen gewesen. Die letzten menschlichen Behausungen hatte er vor Tagen passiert. Lange bevor dieser Sturm eingesetzt hatte. Gefühlte Ewigkeiten war er seitdem auf der Flucht gewesen. Ohne Verpflegung und ohne Pferd war er in dieser trostlosen Gegend gelandet. Seine schweren, mit Fell gefütterten Stiefel hinterließen schleifende, unförmige Abdrücke im Schnee. Die lederne Hose war dunkel vom aufgesogenen Wasser und steif gefroren von Wind, Schmutz, Eis und Kälte. Ein dicker Fellumhang hing lose um breite Schultern. Die Ränder des Umhangs waren zerfranst und an der rechten Seite klaffte ein Loch. Die Verschnürung des darunterliegenden Brustpanzers war vollkommen zusammengefroren. Ein feines Leinenhemd schützte nur spärlich die nackte Haut vor dem Metall und dem Frost. Hals, Ohren und Mund waren durch einen breiten Schal aus dunkler Wolle verborgen. Kälte und Feuchtigkeit hatten ihn weiß und hart werden lassen. Unter der Fellmütze kam eine lange, strähnige Mähne zum Vorschein. Das Haar fiel in breiten, gefrorenen Streifen über den Rücken. Es floss hinab bis auf einen fast leeren Köcher und einen Bogen. Eine breite, spröde Schwertscheide baumelte an der Seite der Gestalt. Der Griff des Schwertes war mit einem feinen Tuch umwickelt. Er hielt einen Moment inne, richtete sich mühsam gegen den Sturm auf und versuchte, die Umgebung zu betrachten. Der scharfe Wind und die herumwirbelnden Schneespitzen vereitelten dies jedoch. Einen Augenblick verharrte die Gestalt in dieser Haltung, bevor die Schultern sich wieder gegen den Wind stemmten. Erneut kämpfte er sich einen Schritt nach dem anderen durch die schier unendlichen weißen Massen und das tobende Unwetter. Unerbittlich wurde er vom Wind mal hierhin, mal dorthin gezerrt, während er versuchte, sich einen Weg durch den Schnee und die Felsbrocken zu bahnen. Unter dem Schnee war der Boden hart gefroren und trügerisch. Vorsichtig schob er einen Fuß vor den anderen.

    Er taumelte.

    Fand Halt.

    Ging weiter.

    Taumelte erneut.

    Er konnte sich gerade noch an einer Felsspitze abstützen, bevor er fiel. Schwer atmend blieb er einen Moment an den Felsen gelehnt stehen. Erneut sah er sich forschend um. Doch sein Blick schien kein Ziel zu finden. Sein schmerzhaftes Stöhnen ging im tobenden Sturm unter, als er sich aufrichtete und erneut vorsichtig tastend einen Fuß vor den anderen setzte. Stur stemmte er sich gegen Wind und Wetter und den Widrigkeiten seines Weges, um voranzukommen. Wieder rutschte er aus.

    Diesmal konnte er sich nicht halten und fiel. Erschöpft blieb er liegen und blickte in den grauen Himmel. Scheinbar unaufhörlich peitschten weiter Schnee und Wind auf ihn nieder. Er holte einen tiefen Atemzug, um sich gleich darauf mit schmerzverzerrter Miene zur Seite zu rollen und die Beine anzuziehen. Einen Augenblick blieb er benommen liegen, bis er sich schließlich mit einem Stöhnen schwankend auf die Knie kämpfte. An der Stelle, an der er gestürzt war, hatte sich in der Schneelandschaft eine Kuhle gebildet, in der deutlich ein roter Abdruck zu sehen war. Stirnrunzelnd fasste er sich an die rechte Seite und zog seine Hand hervor. Sie war blutverschmiert.

    Unbewegt blickte er darauf, als wäre es nicht sein eigenes Blut, dass er dort sah.

    Schwerfällig versuchte er seine Gedanken in Gang zu bringen. Er schüttelte den Kopf und tastete nach dem Felsen, der ihn unter dem Schnee zu Fall gebracht hatte. Mühsam stemmte er sich nach oben. Der Gedanke, weiter zu müssen, trieb ihn erneut an. Alle anderen aufkeimenden Gedanken wurden von diesem Mantra verdrängt. Er zwang seinen Fuß wieder einen Schritt nach vorne. Den Kopf eingezogen, den Oberkörper nach vorne gebeugt, eine Hand an die verletzte Seite gepresst, begann er sich abermals durch den Schneesturm zu kämpfen.

    Blind für die Umgebung und abgestumpft dem Sturm, der Kälte und dem Schnee gegenüber stapfte er benommen weiter. Der Schmerz an seiner Seite drang kaum durch seine Erschöpfung.

    Er musste weiter. Er musste aus dem Sturm. Er musste einen Platz zum Ruhen finden. Er musste seine Fracht vor den Räubern in Sicherheit bringen.

    Immer wieder taumelte er. Sein Gang wurde mit jedem weiteren Schritt unsicherer. Noch konnte er sich auf den Beinen halten.

    Plötzlich spannte sich sein Körper unwillkürlich an. Ruckartig hob er den Kopf. Da war es wieder. Dieses latente Gefühl von Gefahr.

    Er blickte suchend umher, doch der Schneefall ließ nur einen schemenhaften Blick auf die Umgebung zu. Gleich darauf ließ ihn der Schmerz wieder zusammensinken. Er war sich sicher gewesen, etwas gesehen zu haben. Nur für einen Augenblick.

    Er schüttelte zweifelnd den Kopf, um Eis und Gleichgültigkeit aus Augen, Ohren und Verstand zu bekommen. Klümpchen lösten sich aus dem hart gefrorenen Bart und den Haaren. Durch das dichte Schneetreiben konnte er immer noch nichts Genaues erkennen. Vielleicht hatten ihm seine müden Augen nur einen Streich in dieser unwirklichen Gegend gespielt. Dennoch rieten seine Instinkte zur Vorsicht. Irgendetwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Dessen war er sich sicher. Weder seine Augen noch seine Ohren konnten das bestätigen. Doch selbst seine Müdigkeit konnte das Gefühl der Gefahr nicht wegfegen.

    Diesmal atmete er vorsichtiger ein, als er sich erneut in Bewegung setzte. Grimmig griff er dabei nach dem versteckten Dolch unter seinem Wollumhang. Schmerz zuckte durch seine verletzte Seite und er hielt in der Bewegung inne. Vorsichtig versuchte er, wieder Luft zu bekommen. Abermals sah er sich um. Auch jetzt konnten seine Augen die Quelle des Gefühls der Gefahr nicht erfassen. Vage wurde ihm bewusst, dass er für einen Kampf eigentlich keine Kraft mehr hatte. Tagelanger Hunger und Kälte hatten ihn völlig ausgezehrt.

    Seine Hand glitt diesmal behutsamer zum Dolch. Immer wieder schaute er sich suchend um. Er war zu lange Soldat gewesen, um diesen Instinkt zu ignorieren. Selbst im Zustand totaler Erschöpfung regte sich sein Widerstand. Der Drang, zu überleben. Er wollte es ihnen so schwer wie möglich machen, falls sie ihn doch verfolgt hatten. Während er sich weiter umsah, nestelte er an der Verschnürung der Scheide. Seine eiskalten Finger konnten den Dolch jedoch nicht aus der gefrorenen Halteschlaufe befreien.

    Das Gefühl der Gefahr verstärkte sich, auch wenn er die Quelle immer noch nicht ausmachen konnte. So als wäre sein Feind ihm dicht auf den Fersen, aber noch nicht zu sehen. Schließlich gab er es leise fluchend auf, den Dolch zu ziehen und versuchte schneller durch den Schnee voranzukommen.

    Schwer atmend musste er seine Bemühungen nach wenigen Schritten wieder aufgeben. Er war zu erschöpft. Verzweifelt schweifte sein Blick über Felsen und kahle Bäume, um einen Platz auszumachen, an dem er seinen Feinden gegenübertreten könnte. Als er erneut taumelnd in einer Schneewehe versank, musste er atemlos einen Moment liegen bleiben.

    Beschwerlich rollte er sich auf die verletzte Seite, um besser Luft zu bekommen. Der Schnee rieselte ihm unaufhörlich ins Gesicht. Kurz kam ihm in den Sinn, einfach liegen zu bleiben. Doch eine innere Hartnäckigkeit stichelte in seinem Hirn und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Gefühl von Gefahr wurde überwältigend.

    Unendlich langsam quälte er sich in eine sitzende Position. Mit größter Anstrengung öffnete er die Augen einen Spaltbreit. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er sie geschlossen hatte. Undeutlich nahm er eine Gestalt wahr, die auf ihn herab sah. Erschrocken griff er erneut mit einer unbedachten Bewegung nach seinem Dolch. Der darauffolgende Schmerz betäubte ihn einen Moment und nahm ihm die Luft. Er fiel zurück in den Schnee.

    Als er sich wieder aufrichtete und endlich halbwegs klar schauen konnte, war die Gestalt immer noch dort. Eine zierliche Person, die als Schutz vor der Kälte lediglich einen leichten Wollumhang trug. Sie war im Schneetreiben kaum zu erkennen. Den Jagdbogen hielt sie locker in einer Hand, als sie auf ihn nieder schaute. Während er sie abwartend beobachtete, tastete er im Schnee nach etwas Hartem, das er zu seiner Verteidigung nutzen konnte. Er würde nicht kampflos aufgeben. Die Gestalt über ihm betrachtete seine Bemühungen. Langsam umrundete sie ihn und kam gemächlich näher, wie eine Katze, die ihre Beute in die Enge getrieben hatte. Gerade als er einen Stein zu fassen bekam, sah er unerwartet ihre Faust auf sich zukommen. Er spürte einen Schlag auf seine verletzte Seite. Schmerzhaft entwich die Luft aus seinen Lungen, Sterne tanzten vor seinen Augen und er verlor endgültig das Bewusstsein.

    Orientierungslos versuchte er sich mühsam hoch zu kämpfen. Gleichzeitig tastete er nach dem Dolch. Zwei starke Hände drückten ihn wieder hinunter. Er kam gegen den Druck nicht an und versank erneut in Bewusstlosigkeit.

    Einige Zeit später schwemmten Erinnerungen an Kälte, Schmerz und Schnee in sein Bewusstsein. Er versuchte seine Augen aufzuzwingen. Eine sanfte Stimme wollte ihn beruhigen. Sie behauptete, dass er in Sicherheit sei. Er glaubte, das Knistern eines Feuers zu hören. Er spürte Wärme auf seiner Brust, wo Fell seine nackte Haut berührte. Er fühlte Blut durch seine prickelnden Hände strömen. Die Härte warmer Steine an seinen Füßen. Ohne sich dagegen wehren zu können, versank er wieder in tiefen Schlaf.

    Erneut trieb sein Bewusstsein an die Oberfläche, als etwas seine Stirn berührte. Ziellos wollte seine Hand mit einer Bewegung den Störenfried verscheuchen. Er hatte merkwürdige Dinge geträumt. Dann setzte sich sein Hirn langsam in Bewegung. Es versuchte sich zu erinnern, wo er war und wie er dorthin gelangt war. Eine Stimme über ihm lachte leise. Sie beruhigte ihn. Erklärte, dass er in Sicherheit sei und seine Wunden versorgt würden. Bevor er etwas erwidern konnte, ließ ihn der beruhigende Ton der Stimme zurück ins Land der Träume gleiten.

    Das Schnauben von Pferden in kurzer Entfernung weckte ihn erneut. Vorsichtig öffnete er die Augen. Und blickte geradewegs in ein Frauengesicht. Erschrocken schaute er zur Seite und sah auf ein kleines Feuer, über dem ein Topf baumelte. Eine Flüssigkeit brodelte darin vor sich hin. Der Geruch von Essen stach ihn in der Nase. Unvermittelt begann sein Magen zu knurren. Verlegen schaute er sich um und erkannte, dass er in einem Zelt lag. Die Plane bog sich über ihm schwer vom nassen Schnee. Vor dem geschlossenen Eingang konnte er die Silhouette einer weiteren Person erkennen. Sein Blick schweifte zu der Frau zurück, die sich demonstrativ dem brodelnden Eintopf über dem Feuer widmete.

    „Wo bin ich?" Fragend sah er zu der Frau. Sie schwieg. Er wartete still eine Weile. Dann fragte er erneut:

    „Sag mir, wo ich bin."

    Die Frau schien einen Augenblick zu zögern. Dann antwortete sie ihm:

    „In meinem Zelt."

    Mit einem frustrierten Seufzen versuchte er sich aufzusetzen. Unvermittelt stöhnte er auf. Die Frau drehte sich besorgt zu ihm und half ihm, sich aufzurichten.

    „Immer langsam. Ihr seid schwer verletzt. Die Wunde braucht Zeit zum Heilen."

    Neugierig schob er die Decke beiseite und blickte auf einen breiten Verband, der um seine verletzte Seite geschlungen war. Die Kälte, die trotz des hellen Feuers im Zelt zu spüren war, zwang ihn, die dicke wärmende Decke wieder hochzuziehen.

    „Wo bin ich? Ich wurde verfolgt. Ihr seid in Gefahr, wenn Ihr mir Unterschlupf gewährt."

    Die Frau lachte leise und wissend.

    „Hierhin wird Euch sicher niemand folgen."

    Nach einem Moment des Zögerns fuhr sie in einem erklärenden Ton fort:

    „Unser Lager liegt gut versteckt. Die Wache wird uns warnen, falls uns jemand zu nahe kommt. Ihr solltet euch schonen. Das Schwert hat euch einige schwere Wunden zugefügt."

    Die Frau deutete in Richtung Verband.

    „Wollt Ihr mir berichten, wie das geschehen ist?"

    Kopfschüttelnd versuchte er sich weiter aufzusetzen. Während er seine Gedanken sortierte, um sich an die Geschehnisse der letzten Tage zu erinnern, blickte er sich erneut im Zelt um. Es war ziemlich klein und außer seinem Lager und dem Feuer gab es keine weitere Einrichtung. Fragend blickte er zu der Frau.

    „Wenn dies Euer Zelt ist, wo ist dann Euer Schlafplatz?"

    Die Frau beugte sich wieder über das Feuer.

    „Keine Sorge, ich finde immer einen Schlafplatz. Ich habe gehört, dass Ihr Hunger habt. Was haltet Ihr von ein wenig Suppe?"

    Sein Magen knurrte erneut laut und vernehmlich. Sie schien das als Einverständnis zu nehmen und füllte eine tiefe Schale mit dem Inhalt des Kessels. Erneut wollte er zu einer Frage ansetzen, doch sie unterbrach ihn:

    „Zuerst essen. Dann können wir reden."

    Erneut nickte er, als er die Schüssel entgegennahm. Schweigend saßen sie beisammen und aßen den Eintopf. So hatte er Zeit, das Innere des Zeltes näher zu betrachten. Es war wohl hastig aufgestellt worden. Der Boden war nur notdürftig vom Schnee befreit worden. Neben der Feuerstelle lag weiteres frisches Brennholz bereit.

    Sein Blick wanderte zu der Frau, die ihm gegenüber auf der Erde hockte. Die Kälte schien ihr wenig auszumachen. Plötzlich richtete sich die Frau alarmiert auf.

    „Entschuldigt mich. Ich bin gleich wieder da."

    Schon hatte sie ihre Schüssel beiseite gestellt und verließ eilig das Zelt. Er konnte deutlich hören, wie unvermittelt vor dem Zelt eine heftige Diskussion losbrach. Die Sprache war ihm jedoch nicht geläufig. Sie klang fremd und bedrohlich. Ein in scharfem Ton gesprochener Satz beendete das Gespräch unsanft. Eine Person entfernte sich mit wütenden Schritten und leise murmelnd. Die Frau vor dem Zelt rief der Person streng hinterher:

    „Ich kann dich hören."

    Das Murmeln verstummte augenblicklich. Die Schritte entfernten sich eiliger. Die Frau betrat erneut das Zelt, nahm schweigend Platz und ergriff ungerührt ihre Schüssel.

    Während sie weiter schweigend aßen, betrachtete er sie neugierig. Sie war nicht besonders groß. Ihre langen dunklen Haare reichten ihr fast bis zur Hüfte und wurden nur durch ein breites Band zusammengehalten. Sie trug schlichte, aber saubere Kleidung aus guter Wolle. Irgendetwas an ihr forderte Respekt, obwohl sie keineswegs bedrohlich wirkte. Er war sich plötzlich sicher, dass sie kein Dienstmädchen war, wie er zuerst vermutet hatte. Wissbegierig betrachtete er sie genauer. Das dunkle Grün ihrer Kleidung passte hervorragend zu ihrer Ausstrahlung. Die Wolle war edel und sehr gut verarbeitet. Das einzige Schmuckstück, das sie trug, war ein ungewöhnlicher Anhänger, der an einem ledernen Band befestigt war. Es war eine Art Kreuz mit einer Schlaufe. In der Mitte des Stückes befand sich ein hübscher grüner Stein. Er hatte so etwas noch nie zuvor gesehen. Erstaunt stellte er fest, dass an ihrer Hüfte ein kleiner Dolch befestigt war. Die Waffe wirkte nicht bedrohlich, doch reichte sie mit Sicherheit, um dem Feind einen Schrecken einzujagen. Ihre Hände waren weder rau noch ungepflegt. Sie war mit Sicherheit keine einfache Dienerin. Aber warum sollte sich eine Frau von Stand ohne Gefolge und ohne jede Bequemlichkeit bei diesem Wetter in der Wildnis aufhalten? Ihr Lächeln erregte seine Aufmerksamkeit. Es raubte ihm beinahe den Atem. Er blickte ihr geradewegs in die Augen.

    „Warum seid Ihr hier?"

    Das Lächeln der Frau verschwand. Stattdessen zeigte sich ein Ausdruck von Verschlossenheit.

    „Dasselbe könnte ich Euch fragen. Doch lasst uns mit etwas Einfacherem beginnen. Mein Name ist Leana."

    Dabei verbeugte sie sich vor ihm, so weit es ihre sitzende Position zuließ. Mit einer Geste deutete er auf seine Verwundung und erwiderte:

    „Verzeiht, wenn ich die Geste nicht erwidere. Mein Name ist Gregorius del Montelaro, 12. Barone di Palombara. Darf ich fragen, aus welchem Hause Ihr stammt? Ihr seid mit Gewissheit keine Magd, also werdet Ihr auch einen Familienstammbaum haben."

    Leanas Gesicht verschloss sich noch mehr, wenn das möglich war.

    „Meine Familie ist Euch mit Sicherheit fremd, daher macht es keinen Sinn, Euch meinen vollen Namen zu nennen. Doch der Name del Montelaro ist weithin bekannt. Ihr seid ein Günstling des Herzogs."

    Ihre Stimme verriet Geringschätzung und Wut, als sie den Herzog erwähnte. Überrascht zog Gregorius die Augenbrauen hoch.

    „Woher wisst Ihr das?"

    Leanas Haltung versteifte sich und Gregorius konnte sehen, wie sie erneut Gleichgültigkeit zur Schau stellte. Er befürchtete schon, dass sie nicht antworten würde. Schließlich seufzte sie, bevor sie betont sachlich weitersprach:

    „Eure Fracht hat es mir verraten."

    Gregorius runzelte fragend die Stirn. Leana zog den Beutel hervor. Seinen Beutel. Der kleine lederne Sack, der seinen Auftrag enthielt. Er hatte bei seinem Leben geschworen, den Inhalt dem Herzog unbeschädigt auszuhändigen. Er war der Grund für seine Reise. Der Auftrag des Herzogs war einfach gewesen. Hole den Beutel beim Händler ab und bringe ihn zum Herzog. Nur wenig mehr als ein langer Botengang. Der Herzog hatte angedeutet, dass der Beutel etwas enthielt, das sehr wertvoll war. Eine Eskorte wäre in dieser einsamen Gegend jedoch viel auffälliger, als ein einzelner Reiter. Daher sollte die Fracht unbemerkt transportiert werden. Um die Ware dennoch zu schützen, war Gregorius als erfahrener Krieger und Soldat für diesen Botengang ausgewählt worden. Der Beutel und sein Inhalt waren der Grund für seine Verfolger gewesen, ihn durch den Schneesturm zu hetzen. Leana wog den Beutel in der Hand und sah ihn dabei abschätzend an.

    „Was wisst Ihr darüber?"

    Gregorius zögerte.

    „Warum sollte ich Euch das verraten?"

    Leana lächelte grimmig.

    „Ihr seid Euren Verfolgern nur knapp entkommen. Ich hätte Euch im Schneetreiben auch liegen lassen können. Und ich habe Möglichkeiten, auch anders an die Informationen zu kommen."

    Gregorius musterte sie. Eine unverhohlene Drohung schwang in ihrer Stimme mit, die er durchaus ernst nahm. Etwas an ihr verursachte ihm plötzlich Unbehagen. Er wagte nicht daran zu denken, was sie ihm in seinem geschwächten Zustand antun könnte. Unwillkürlich schossen verschwommene Bilder von Gewalt durch seinen Kopf. Klauen, Zähne, Blut. Stirnrunzelnd verscheuchte er die Gedanken. Leana deutete ungerührt auf den Verband. Jede Form von Gefühl oder Anteilnahme war aus ihrem Wesen verschwunden. Sie sprach weiter, als hätte sie seine Gedanken erraten.

    „Es wäre ein Leichtes, Euch Schmerzen zuzufügen. Aber ich will es mit einer einfachen Frage versuchen. Also bitte, zwingt mich nicht dazu. Was wisst Ihr darüber?"

    Wieder ließ Leana den Beutel durch ihre Finger gleiten. Gregorius drängte sich das Bild einer Katze auf, die mit der gefangenen Maus spielte. Doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr sie fort:

    „Habt Ihr ihn geöffnet? Wisst Ihr, was sich in dem Beutel befindet? Wisst Ihr, was ihr transportiert?"

    Gregorius zögerte erneut. Ihre Stimme und ihr Gesicht hatten für einen kurzen Moment eine Doppeldeutigkeit der Frage zum Ausdruck gebracht, die Gregorius nicht erkennen konnte. Doch ahnte er, dass seine Antwort entscheidend für sein Leben war. Leanas Haltung verriet, dass sie längst wusste, was sich in dem Beutel befand. Dass sie vielleicht viel besser wusste, was sich in dem Beutel befand, als Gregorius selbst. Schließlich nickte er.

    „Er enthält einen Stein. Einen roten Rubin, wenn ich nicht irre. Ich habe den Auftrag, ihn zu meinem Herzog zu bringen. Auf dem Weg zurück wurde ich angegriffen und verletzt. Ich irrte durch den Schnee, bis Ihr mich gefunden habt."

    Leana runzelte die Stirn.

    „Ihr wurdet angegriffen und konntet entkommen?"

    Gregorius bestätigte dies mit einem Nicken. Anerkennend zog Leana die Augenbrauen hoch. Gedankenverloren ließ sie den Beutel von einer in die andere Hand gleiten. Sie schien nachzudenken. Wieder blickte sie zu Gregorius, der sich immer unwohler in ihrer Gegenwart fühlte. Etwas schien Leana zu beschäftigen. Einen Moment verharrte sie reglos. Die Katze in Gregorius’ Kopf hob die Tatze zum tödlichen Schlag.

    „Was wisst Ihr über Euren Auftrag? Was wisst Ihr über Eure Angreifer?"

    Gregorius schüttelte irritiert den Kopf. Diese Frage verwirrte ihn. Er hatte das Gefühl, dass mehr hinter der Frage stand, als er ergründen konnte. Etwas riet ihm zur Vorsicht. Dennoch schüttelte er erneut den Kopf.

    „Ich habe Euch schon alles berichtet, was ich zu meinem Auftrag weiß. Aber Ihr scheint darüber besser informiert zu sein, wie mir scheint."

    Leana beobachtete ihn noch einen Moment skeptisch. Dann entspannte sie sich ein wenig und steckte den Beutel wieder weg. Sie nickte mehr zu sich selbst, als zur Bestätigung von Gregorius’ Vermutung.

    „Euer Herzog hat Euch nicht in die Einzelheiten eingeweiht, also werde ich dies auch nicht tun. Wer euch angegriffen hat kann ich Euch nicht sagen. Ich kann Euch jedenfalls nichts verraten, was Euch in Eurer Situation weiterhelfen könnte. Also belassen wir es dabei. Lasst uns von Dingen sprechen, die wir beeinflussen können. Wie fühlt sich Eure Wunde an? Schmerzt sie noch?"

    Gregorius wunderte sich über den unerwarteten Themenwechsel. Es irritierte und verwirrte ihn, dass echte Besorgnis in Leanas Stimme mitschwang. Schweigend bat sie darum, sich die Wunde ansehen zu dürfen. Gregorius zuckte mit den Schultern und verzog gleich darauf schmerzverzerrt das Gesicht. Elegant ließ sich Leana dicht neben ihm nieder. Gregorius zog die Decke so weit zur Seite, dass sie den Verband lösen konnte. Behutsam betastete sie die Wunde und reinigte sie vorsichtig. Dabei hielt Leana den Kopf gesenkt, sodass Gregorius ihr Gesicht nicht erkennen konnte. Er hörte Leana etwas murmeln, das ihn wohl beruhigen sollte. Er fühlte, wie ihre kalten Hände vorsichtig den Rand der Wunde abtasteten. Unwillkürlich stellten sich die Haare in seinem Nacken auf. Etwas an der Situation brachte seine Sinne zum Erzittern. Er wollte sehen, was sie tat, doch sie befahl ihm, ruhig liegen zu bleiben. Dabei ruhte eine Hand fest auf seiner Schulter, mit der anderen untersuchte sie weiter die Wunde. Unerwartet fühlte Gregorius einen heftigen Schmerz, der sein Fleisch zu durchdringen schien. Überrascht zuckte Gregorius zusammen und versuchte instinktiv sich zu befreien. Leanas Hände zwangen ihn, still zu verharren.

    „Ich bin gleich fertig. Es wird Euch nichts geschehen", hörte er Leana murmeln.

    Zähneknirschend blieb er so lange liegen, bis der Druck ihrer Hände etwas nachließen. Dann versuchte er, in eine Position zu gelangen, in der er besser sehen konnte, was Leana tat. Diese beugte sich noch einmal über die Verletzung. Ihre Haare verdeckten die Sicht. Wieder durchfuhr ein blendender Schmerz Gregorius Innereien. Er wand sich, doch ihr unerbittlicher Griff hielt ihn an Ort und Stelle. Durch den Schmerz hindurch fragte er sich, wie eine solch zierliche Person so viel Kraft aufbringen konnte. Immer wieder hörte er Leana murmeln, dass er nichts zu befürchten habe. Stöhnend versuchte Gregorius sich zu entspannen. Erst jetzt konnte er erkennen, dass Leana ein Werkzeug in der Hand hielt. Ihr Blick wandte sich irritiert von ihm ab und streifte die Zeltplane hinter ihm. Kurz sah er sie ärgerlich die Stirn runzeln. Er hörte, wie sich eilig Schritte entfernten. Während Leana seine Wunde wieder verband, glättete sich ihr Gesicht allmählich und auch der beunruhigende Blick verschwand.

    Gregorius setzte sich weiter auf. Mit schmerzverzerrter Miene drückte er eine Hand auf den frischen Verband. Er hatte urplötzlich den dringenden Wunsch, diesen Ort zu verlassen. Alles ihn im wehrte sich den Gedanken, noch eine Sekunde länger hier zu verweilen.

    „Ich muss weiter. Ich muss zum Herzog. Je länger ich warte, umso eher sind mir meine Verfolger wieder auf den Fersen. Könnt Ihr mir sagen, wie lange ich brauche, um wieder auf den richtigen Weg zu gelangen?"

    Gregorius beobachtete Leanas Reaktion. Doch sie schien die Frage erwartet zu haben. Ihre abschätzende Miene verriet, dass sie ernsthaft darüber nachdachte.

    „Ihr seid nicht wirklich weit vom Weg abgekommen. Wenn Ihr gesund wäret, könntet Ihr in einem Tag wieder auf der richtigen Straße sein. Doch in Eurer Verfassung, ohne Pferd und bei diesen Wetterbedingungen wäret Ihr innerhalb eines halben Tages tot. Wenn Euch nicht der Schnee besiegt, dann Eure Verfolger. Und selbst wenn Ihr wie durch ein Wunder den Spähern des Herzogs in die Hände fallt, wäret Ihr tot. Ohne den Stein seid Ihr für den Herzog wertlos. Und den Stein kann ich Euch nicht aushändigen."

    Gregorius ließ sich zurücksinken.

    „Ich bin also Euer Gefangener? Daher die Wache vor dem Zelt?"

    Leana konnte sich ein nachsichtiges Schmunzeln nicht verkneifen.

    „Selbst wenn Ihr wolltet, könntet Ihr wohl kaum fliehen. Wenn Ihr es so sehen wollt, seid Ihr also mein Gefangener. Ich muss überlegen, wie es weiter geht. Davon hängt mehr ab, als Ihr ahnt. Ihr habt den Stein gesehen. Wisst Ihr, wozu er dient? Wisst Ihr, was der Herzog damit vorhat?"

    Das Drängen in ihrer Stimme verriet, wie wichtig diese Frage für Leana war. Gregorius fühlte ihren lauernden Blick. Doch die Katze in seinen Gedanken hatte die Tatze nur halbherzig gehoben. Dennoch schüttelte er vorsichtig den Kopf.

    „Der Herzog hat es mir nicht verraten. Und ich habe nicht gefragt."

    Leana schnaubte auf.

    „Er muss Euch ja fürstlich belohnen, wenn Ihr ohne zu fragen in einen Krieg zieht. Was wisst Ihr überhaupt?"

    Der aufgebrachte Ton entging Gregorius nicht, auch wenn er ihn nicht zu deuten wusste.

    „Was für ein Krieg? Der Herzog versprach mir meine Ländereien, wenn ich den Stein unbeschadet zu ihm bringe. Alles andere ist nicht meine Angelegenheit. Ich habe kein Recht, ihn nach solchen Dingen zu fragen. Ich werde es erfahren, wenn es für mich relevant wird. Nicht vorher."

    Leana holte tief Luft und deutete an, dass sie verstand. Er als Untergebener hatte in der Tat die Absichten seines Herzogs nicht zu hinterfragen.

    „Ich bin sicher, er hat Euch ausdrücklich davor gewarnt, den Stein anzufassen?"

    Gregorius bestätigte dies. Bevor er nachfragen konnte, warum sie das wusste, sprach Leana bereits weiter:

    „Ihr habt es dennoch getan, oder? Ihr habt den Beutel geöffnet und den Stein herausgenommen?"

    Leana brach abrupt ab. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, doch sie blieb still und ließ Gregorius Zeit zu antworten.

    „Ich musste sehen, wofür ich mein Leben riskierte, nachdem ich angegriffen worden war. Daher begutachtete ich den Stein. Wertvoll, zugegeben."

    Leana schnitt ihm das Wort ab.

    „Genug. Vielleicht erwächst doch etwas Gutes aus dieser unglückseligen Zusammenkunft."

    Gregorius sah sie fragend an. Er hatte erneut den Eindruck, dass ihm das Wichtigste an diesem Gespräch entging. Die eiskalte Härte in ihren Augen konnte er nicht recht einordnen. Ihr verschlossenes Gesicht zeigte deutlich, dass sie ihm dazu keine Fragen beantworten würde. Stattdessen blickte sie abschätzend wieder auf Gregorius und den frischen Verband hinab. Es schien, als hätte sie einen Entschluss gefasst.

    „Ihr solltet Euch noch ein wenig ausruhen. Wenn Ihr etwas benötigt, wendet Euch bitte an die Wache vor dem Zelt. Ich werde später noch einmal nach Euch sehen."

    Ohne eine Erwiderung abzuwarten, stand Leana auf und verließ eilig das Zelt. So sehr sich Gregorius auch anstrengte, er konnte ihre Schritte nicht hören. Schließlich fiel er in einen erschöpften Schlaf.

    Der kalte Luftzug weckte ihn, als das Fell vor dem Eingang weggeschoben wurde. Die umgebende Dunkelheit verriet, dass es tiefe Nacht war. Nur das kleine Feuer in der Mitte des Zeltes spendete spärlich Licht. Leana blickte auf ihn hinab.

    „Wie geht es Euch?"

    Gregorius rieb sich den Schlaf aus den Augen.

    „Gut."

    Er log. Sein ganzer Körper schien aus Schmerz zu bestehen. Leana sah ihn mit einem eigentümlichen Blick an. Sie verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln.

    „Das muss reichen. Schafft Ihr es, Euch auf einem Pferd zu halten?"

    Alarmiert sah Gregorius zu ihr hoch.

    „Wenn es sein muss, ja."

    Leana nickte und stieß einen kurzen Befehl aus. Hinter der Zeltplane entstand hektische Betriebsamkeit.

    „Gut. Es muss sein. Wir sind entdeckt worden. Wir werden Euch so warm wie möglich einpacken und sofort losreiten."

    Gregorius sah fragend zu Leana.

    „Und wenn ich mich weigere?"

    Leana verzog nur den Mundwinkel.

    „Ihr könnt es ja versuchen. Aber ich würde es Euch nicht raten. Die Soldaten des Herzogs sind hinter uns her. Wenn sie Euch ohne den Stein finden, seid Ihr sofort tot. Und den Stein nehme ich mit."

    Gregorius wog kurz seine Möglichkeiten ab. Leana schien seine Gedanken zu erraten, denn sie lachte hart auf.

    „Versucht nur, mich zu überwältigen. Ihr werdet trotzdem mitkommen."

    Gegen ihre Bestimmtheit kam er merkwürdigerweise nicht an. Ohne ein weiteres Wort warf sie ihm seine Kleidung zu. Gregorius nahm seine Sachen entgegen und begann, sich anzuziehen. Ungeduldig wartete Leana, dass er fertig wurde. Eine weibliche Stimme außerhalb des Zeltes rief etwas. Unwirsch antwortete Leana in der fremden Sprache. Angespannt wandte sie sich an Gregorius:

    „Wenn das jetzt nicht schneller geht, lassen wir Euch zurück."

    Die Zeltplane wurde heftig durchgeschüttelt, als jemand dagegen klopfte. Leana stützte ihn auf dem Weg hinaus, wo schon ein Pferd für ihn bereitstand. Sie half ihm auf das hohe

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1