Gefangen im Lügengespinst: Der Arzt vom Tegernsee 61 – Arztroman
Von Laura Martens
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Über dieses E-Book
Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen.
Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird.
Als Bettina Herzog durch das Tor des Leinerhofes fuhr, wurde sie von ohrenbetäubendem Hundegebell begrüßt. Sie parkte in der Nähe des Freigeheges und stieg aus. Alex Hofmeister kam ihr mit seiner Hündin Roni entgegen. »Ein ganz schöner Lärm, nicht wahr, Frau Herzog?« meinte der Bub grinsend. »Das kann man wohl sagen.« Die junge Frau widerstand dem Verlangen, sich die Ohren zuzuhalten. Auch wenn sie Hunde mochte, dieses Gekläff war des Guten zuviel. »Sie möchten bestimmt zu meiner Stiefmutter«, sagte Alex. »Ja, ich bin hier, um meine Puppe abzuholen«, erwiderte sie und kraulte Roni, die sich vertrauensvoll an sie schmiegte, hinter den Ohren. Das Hundegebell verebbte. Die vierbeinigen Bewohner des Tierpflegenestes gewöhnten sich stets rasch an Besucher. Die junge Frau warf einen Blick durch das Freigehege. »Sind es nicht schon wieder mehr Hunde geworden? Wenn das so weitergeht, werdet ihr anbauen müssen.« Alex nickte. »Nach Weihnachten haben wir acht Fundhunde und drei Katzen aufgenommen.« Sein Gesicht verzog sich vor Zorn.
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Gefangen im Lügengespinst - Laura Martens
Der Arzt vom Tegernsee
– 61 –
Gefangen im Lügengespinst
Laura Martens
Als Bettina Herzog durch das Tor des Leinerhofes fuhr, wurde sie von ohrenbetäubendem Hundegebell begrüßt. Sie parkte in der Nähe des Freigeheges und stieg aus. Alex Hofmeister kam ihr mit seiner Hündin Roni entgegen. »Ein ganz schöner Lärm, nicht wahr, Frau Herzog?« meinte der Bub grinsend.
»Das kann man wohl sagen.« Die junge Frau widerstand dem Verlangen, sich die Ohren zuzuhalten. Auch wenn sie Hunde mochte, dieses Gekläff war des Guten zuviel.
»Sie möchten bestimmt zu meiner Stiefmutter«, sagte Alex.
»Ja, ich bin hier, um meine Puppe abzuholen«, erwiderte sie und kraulte Roni, die sich vertrauensvoll an sie schmiegte, hinter den Ohren.
Das Hundegebell verebbte. Die vierbeinigen Bewohner des Tierpflegenestes gewöhnten sich stets rasch an Besucher. Die junge Frau warf einen Blick durch das Freigehege. »Sind es nicht schon wieder mehr Hunde geworden? Wenn das so weitergeht, werdet ihr anbauen müssen.«
Alex nickte. »Nach Weihnachten haben wir acht Fundhunde und drei Katzen aufgenommen.« Sein Gesicht verzog sich vor Zorn. »Ich kann die Leute nicht verstehen. Warum verschenken sie zu Weihnachten Tiere, wenn diese hinterher im Tierheim oder bei uns landen? Das heißt, wenn man sie zu uns bringt, ist es ja noch gut. Zwei der Hunde sind trotz der Kälte nachts an Bäume gebunden worden. Man hat sie halb erfroren gefunden. Einem von ihnen hat Dr. Weingart zwei Zehen abnehmen müssen.«
»Ich begreife soviel Unmenschlichkeit auch nicht«, erwiderte Bettina. Sie nickte Gustav Maurer zu, der aus der Futterküche kam. Gustav hatte lange Jahre seines Lebens auf der Landstraße verbracht. Erst Ilse Hofmeister hatte ihm ein neues Zuhause gegeben.
»Bitte, kommen Sie. Ilse ist in ihrer Werkstatt.« Alex ließ Roni los. Die Hündin rannte sofort zum Tor des Freigeheges. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als es zu öffnen und Roni zu den anderen zu lassen. Kläffend wurde sie von ihren Kameraden begrüßt.
Die Werkstatt Ilse Hofmeisters, der Besitzerin des Tierpflegenestes, lag in einem Anbau des alten Bauernhauses. Die junge Frau war damit beschäftigt, ein Tonmodell der Puppe zu formen, die sie nach dem Foto eines fünfjährigen Mädchens anfertigen sollte. Sie hatte sich vor Jahren darauf spezialisiert, lebensechte Puppen herzustellen. Es war eine sehr zeitaufwendige Arbeit, die sich oft über Monate hinzog.
»Ich habe Sie bereits erwartet, Frau Herzog.« Ilse reichte Bettina die Hand. »Wie geht es Ihrem Vater?« Sie wußte, daß die junge Frau ihren Beruf als Krankenschwester aufgegeben hatte, um ihren Vater, der an einer schweren Nierenkrankheit litt, zu pflegen.
»Nicht besonders gut«, antwortete Bettina. »Ich hoffe, daß ihm die Puppe etwas Auftrieb geben wird. Mein Vater scheint mit jedem Tag weniger zu werden.«
»Das tut mir leid.« Ilse berührte Bettinas Arm.
»Ich verschwinde«, sagte Alex. »Tschüs, Frau Herzog.« Er winkte der jungen Frau zu und war bereits im nächsten Moment verschwunden.
»Ein netter Bub«, bemerkte Bettina.
»Ja, und sehr hilfsbereit«, bestätigte Ilse. »Ich bin sehr froh, daß Alex und ich uns inzwischen so gut verstehen. Immerhin bin ich nur seine Stiefmutter. Anfangs wollte er nichts davon wissen, daß sein Vater und ich heiraten. Er ist sogar ausgerissen.« Ihre Lippen umhuschte ein Lächeln. »Allerdings ist er nicht weit gekommen. Dr. Baumann hat ihn auf einer Raststätte aufgegriffen.«
»Für ein Kind ist es niemals leicht, die Mutter zu verlieren und ein paar Jahre später eine neue Frau an der Seite des Vaters zu akzeptieren«, sagte Bettina. »Alex macht den Eindruck, als würde er auf dem Leinerhof sehr glücklich sein.«
»Wofür ich nicht genug danken kann.« Ilse Hofmeister öffnete einen langen Karton und entnahm ihm eine in mehrere Lagen Seidenpapier gehüllte Puppe. Vorsichtig entfernte sie das Papier. »Nun, was sagen Sie?« fragte sie.
Bettina starrte die Puppe an. »Ruth«, flüsterte sie und streckte unwillkürlich die Arme aus. Diese Puppe glich ihrer verstorbenen Nichte bis aufs Haar. »Sie wird meinen Vater sehr glücklich machen. Er ist nie über Ruths Tod hinweggekommen. Erst neulich meinte er, daß er viel da für geben würde, sie noch einmal in den Armen halten zu können.«
»Ahnt er etwas von der Puppe?«
Bettina schüttelte den Kopf. Sie hatte die Puppe vor einem halben Jahr in Auftrag gegeben. Kurz zuvor hatte sie hunderttausend Mark im Lotto gewonnen, sonst hätte sie sich diese Ausgabe nicht leisten können. »Soll ich Ihnen den Betrag überweisen, oder nehmen Sie auch einen Scheck?« erkundigte sie sich.
»Gegen einen Scheck ist nichts einzuwenden.« Ilse nahm der jungen Frau die Puppe aus den Armen und legte sie in den Karton zurück.
Bettina schrieb einen Scheck über zehntausend Mark aus und reichte ihn der Künstlerin. Ihr Blick fiel aus dem Fenster. »Am besten, ich fahre gleich nach Hause. Ich möchte bei Einbruch der Dunkelheit unten in der Stadt sein. Danke, Frau Hofmeister. Heute abend, oder morgen werde ich Sie anrufen und Ihnen verraten, was mein Vater zu der Puppe gesagt hat.«
Ilse Hofmeister brachte die junge Frau zum Wagen. Es begann zu schneien. Sie wartete, bis Bettina den Leinerhof verlassen hatte, bevor sie in ihre Werkstatt zurückkehrte. Wie stets, wenn sie eine Puppe weggegeben hatte, empfand sie einen gewissen Verlust. Sie hoffte von ganzem Herzen, daß Robert Herzog diese Puppe lieben würde.
Auf dem Schreibtisch lag
Ruths Foto. Sie hatte vergessen, es Bettina zurückzugeben. Ruth war kurz nach ihrem ersten Geburtstag an einer Virusinfektion gestorben. Nachdenklich berührte sie das Gesicht des kleinen Mädchen.
Auf ihrer Fahrt in die Stadt hinunter mußte Bettina Herzog an jenen Tag denken, an dem ihnen vor fünf Jahren Ruth genommen worden war. Sie waren alle wie erstarrt vor Schmerz gewesen. Es hatte lange gedauert, bis sie ihren Kummer überwunden hatte. Ihr Vater, ihr Bruder und dessen Frau waren an Ruths Tod fast zerbrochen. Nur drei Wochen später waren ihr Bruder und ihre Schwägerin nach Australien geflogen, um dort zu bleiben. Karens Eltern besaßen in der Nähe von Sydney eine Farm. Seitdem waren sie nie mehr nach Tegernsee zurückgekehrt.
Die junge Frau hielt in der Einfahrt des Hauses, stieg aus und trug den Karton mit der Puppe in die Diele. »Ich bin zurück, Vati!« rief sie. »Ich brühe dir gleich deinen Tee auf.«
»Wo bist du denn so lange gewesen, Betty?« kam die Stimme ihres Vaters aus dem Wohnzimmer.
»Einen Moment.« Sie legte den Karton neben die Treppe auf den Boden, öffnete ihn und nahm Ruth heraus. In ihren Armen fühlte sich die Puppe wie ein kleines Kind an. Wie hatte sie Ruth geliebt! Sie war ihr ein und alles gewesen. »Gleich kommst du zu deinem Opa«, flüsterte sie der Puppe zu. »Was meinst du, wie er sich freuen wird.«
Robert Herzog schaute seiner Tochter gespannt entgegen. »Nanu, wen bringst du denn da?« fragte er, als sie mit der Puppe auf dem Arm das Wohnzimmer betrat. Er bewegte seinen