Fastnacht: Ein Bodensee Krimi (Huber-Krimi – Band 2)
Von Robert Ellmer
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Über dieses E-Book
Martin Huber ist ganz zufrieden mit seinem Vorarlberger Exil, in das er vor seinem bisherigen Chef, dem Leiter der Kriminalabteilung der Salzburger Gendarmerie, geflüchtet ist.
Die Wasserleichen aus dem Bodensee machen ihm allerdings zu schaffen. Die Spur führt ins Rotlichtmilieu und ein Vorarlberger Industrieller gerät ins Visier des Ermittlers. Inmitten des Fastnachtstrubels versucht Huber den Fall zum Abschluss zu bringen.
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Buchvorschau
Fastnacht - Robert Ellmer
Claudia
PROLOG
La Rochelle fällt Pius Wallner sofort wieder ein, nachdem er die Schüsse gehört hat. Zuerst hat er den Flugzeugmotor gehört. Dann die Schüsse. Juni 1940, II. Armeekorps. Bei La Rochelle sind sie in einen Hinterhalt geraten – ein französisches MG-Nest. Noch keine zwanzig war er damals. Jetzt springt der Ötzmoosbauer auf, sein Melkschemel fällt um. Mitten in den Kuhdreck. Die Explosion war gewaltig. Pius Wallner läuft zur Stalltür, reißt sie auf und schaut nach oben. Da fallen brennende Teile vom Himmel, schlagen laut auf dem Wasser auf und versinken dann langsam im Bodensee. Morgengrauen. Heute ist der letzte Fastnachtstag.
1. APRIL 1980
Huber ist mit dem Zug gekommen und geht jetzt in Bregenz die Bahnhofstraße entlang. Landesgendarmeriekommando Vorarlberg steht auf dem großen Messingschild.
„Zu wem wollen Sie?", hält ihn am Eingang ein Glatzkopf mit der Figur eines Superschwergewichtlers auf.
„Guten Morgen, schaut Huber hinauf. Der Riese macht keinen Mucks. „Zu Oberst Dr. Collini. Termin nullneunhundert.
Er hält dem unsympathischen Muskelberg den Dienstausweis vor die Nase.
Der liest den ganz genau und deutet dann mit dem rechten Zeigefinger nach oben: „Vierter Stock." Dann rührt er sich nicht mehr und schaut missmutig.
Huber nimmt die Treppe, nicht den Paternoster. Die Dame im Vorzimmer von Oberst Collinis Büro ist freundlich und hübsch. Huber hat schon geglaubt, alle sind hier so wie das Ungeheuer im Erdgeschoß unten. Lächelnd bittet sie ihn zum Oberst hinein und macht die Tür hinter ihm zu.
Ein ziemlich kleines, auffallend kahles Büro, nicht so eine Residenz wie die von seinem Chef in Salzburg. An der Wand ein Porträt von Landeshauptmann Herbert Kessler, keines von Bundespräsident Kirchschläger. Die betrachten Vorarlberg ja als selbständigen Staat, fällt Huber ein. Der Oberst steht neben seinem Schreibtisch und streckt die Hand aus. Auch er ziemlich kahl, unauffällig, drahtig, asketisch. Um die Fünfzig. Mit einer Handbewegung bietet er Huber einen Platz an und fragt ihn, wie die Anreise war.
Die hübsche Vorzimmerdame bringt Kaffee und Wasser.
„Sie nehmen doch Kaffee?, fragt der erste Stabsoffizier mit guten Umgangsformen, den Huber seit langem getroffen hat. Collini hebt einen erbsengrünen Akt in die Höhe. „Unterhaltsame Lektüre, Ihre Personalakte. Sie scheinen ein eigenwilliger Charakter zu sein. Die Unterordnung ist nicht Ihre Stärke, das Einhalten der Dienstvorschriften wohl auch nicht.
Lädt mich der zum Kaffee, um mir das zu sagen und mich mit dem nächsten Zug nach Hause zu schicken, fragt sich Huber und gibt drei Löffel Zucker in den Kaffee.
„Exzellente Aufklärungsquote, fährt der Oberst fort. „Bis auf diese Sache in Frankreich
, schaut er Huber jetzt eine Zeit lang in die Augen. Sie unterhalten sich eine knappe halbe Stunde. Collini erklärt kurz den Aufbau der Abteilungen und die Ablauforganisation. Nachher stellt er Huber eine Menge Fragen. Kurz. Präzise. Meistens mit ja oder nein beantwortbar. „Sie sind kein Akademiker, meint er dann. „Ich möchte auch keinen. Als Jurist weiß ich, wovon ich rede. Und Sie sind nicht von hier. Viele sagen, man muss Land und Leute gut kennen, als Gendarm. Ich sehe das nicht unbedingt so. Bei niedrigen Chargen ja. Nicht aber bei leitenden Beamten. In unserem Staat steht die Exekutive stark unter dem Einfluss der Politik. Das ist nicht gut für unsere Arbeit. Sie sind hier fremd. Sie haben mit der heimischen Politik nichts am Hut. Das ist gut für unsere Arbeit.
„Aber Sie sind doch auch von hier, Herr Oberst – oder nicht?"
„Ja, ich widersetze mich dem Einfluss, so gut es geht. Deshalb bleibe ich – was Spitzenpositionen betrifft – wohl nur ein ewiger Stellvertreter. Und werde von den Politikern geschnitten, meistens, grinst er jetzt fast ein bisschen. „Fast alle sind von hier. Mit der Spurensicherung haben wir derzeit Planstellen für vier Offiziere, neun dienstführende Beamte, acht eingeteilte Beamte und drei VB. Derzeit sind es 22 Leute – 21 Vorarlberger. Weil Sie das vorhin angeschnitten haben – den fremdenpolizeilichen Kram macht auch die Gruppe zwo. Ebenso die kriminalpolizeiliche Beratung. Seit mein Stellvertreter unterhalb des Piz Buins verunglückt ist, vertritt mich Oberstleutnant Bodenmüller von der Verkehrsabteilung. Am Papier. Und disziplinär – wenn es sein muss. In die kriminalpolizeiliche Arbeit mischt sich der natürlich nicht ein. Und ich bin einer der Stellvertreter des Landesgendarmeriekommandanten, was viel Arbeitszeit in Anspruch nimmt, weil der General gesundheitliche Probleme hat. Leider. Also suche ich jemanden, der die Abteilung weitgehend selbständig führt und mich auf dem Laufenden hält. Er schaut Huber eine Zeit lang in die Augen, dann schaut er auf den erbsengrünen Akt auf dem Tisch, direkt vor ihm. Er nimmt ihn und legt ihn auf die Seite, schaut wieder Huber an: „So jemanden wie Sie suche ich. Sie können am 2. Mai hier anfangen, wenn Sie wollen.
Das ist dem Huber jetzt zu schnell gegangen: „Sprechen Sie so etwas nicht vorher mit jemandem ab, Herr Doktor? Mit Ihrem Chef zum Beispiel."
„Ich weiß nicht, wie das in Restösterreich ist, der Oberst schmunzelt jetzt ausnahmsweise fast ein bisschen, „aber bei uns sucht sich jeder seine Leute selber aus. Und mit Ihrem Chef habe ich telefoniert – der ist froh, wenn er Sie nicht mehr sieht.
Huber ist baff. Und bringt nichts heraus.
„Brauchen Sie Zeit zum Überlegen?", hebt Collini die Brauen.
„Nein … Ich freue mich …"
„Gut, dann sehen wir uns am 2. Mai. Den Papierkram erhalten Sie über Ihre Dienststelle. Ihr Stellvertreter hier ist übrigens eine Stellvertreterin. Eine junge Dame, Jahrgangsbeste in der Gendarmerieschule, Jahrgangsbeste in der Offiziersausbildung, der jüngste weibliche Offizier des Landes, mehrmonatige Spezialausbildung beim FBI, gute Sportlerin, etwas eigenwillig vielleicht. Na, Sie werden ja sehen. Allerdings lernen Sie sie erst Mitte Mai kennen.
Wenn Sie bei uns anfangen ist sie auf Urlaub. Heute ist sie bei einem Seminar. Kollegin Reiter hat sich große Mühe gegeben, die Lücke möglichst klein zu halten, seit ihr Vorgesetzter verunglückt ist. Respektable Leistung. Trotzdem fehlt natürlich ein erfahrener Offizier. Eine leitende Position kann sie vielleicht in fünf Jahren übernehmen."
„Hört sich interessant an", lügt Huber und denkt sich, dass er jetzt endlich das Haar in der Suppe entdeckt hat – eine junge Besserwisserin als engste Mitarbeiterin.
„Sie werden eine Wohnung brauchen, schiebt ihm der Oberst eine Visitenkarte über den Tisch. „Wenn Sie wollen können Sie meine Frau anrufen. Sie ist Immobilienmaklerin. Auf eine Provision verzichtet sie bei einem Kollegen.
Huber geht den kurzen Weg zum Bahnhof und bestellt sich in der Bahnhofsrestauration ein Paar Debreziner mit scharfem Senf und ein kleines Bier. Er denkt immer wieder über die Sache nach. Diesen schwer einschätzbaren akademischen Oberst, das Ungetüm am Empfang, die Vorzugsschülerin als seine künftige Stellvertreterin, die blonde Vorzimmerdame im lila Kleid. Er bestellt noch ein kleines Bier.
Im Abteil schaut er dann misstrauisch die Visitenkarte an, die ihm der Oberst gegeben hat: Anna Maria Collini, Immobilienmaklerin.
Ich glaube das sowieso erst alles, wenn ich es schriftlich habe, denkt er sich. Er schaut aus dem verschmierten Zugfenster in die vorarlbergische Landschaft und kann nicht wissen, dass schon in einer Woche alles schriftlich auf seinem Schreibtisch liegen wird. Nur einen Haken hat er an dem Job bisher entdeckt, außer der Sache mit der Streberin als rechte Hand. Er müsste in Bregenz wieder alles machen, auch Rauschgift, Vergewaltigung, Raub, Mord. Aber im kleinen, biederen Ländle wird es schon nicht so blutig zugehen, denkt sich Huber. In Salzburg haben sie es sich ja in den letzten Jahren unter der Hand aufgeteilt. Verbrechen gegen Leib und Leben bearbeitet hauptsächlich der Major Maulwurf, weil die für Presse und Rundfunk mehr hergeben und der Maulwurf unheimlich auf Auftritte vor der Kamera steht. Blind wie ein Maulwurf. Seinen Spitznamen hat er seiner Aufklärungsquote zu verdanken. Und beim Pistolenschießen trifft er auch nie etwas. Aber beste Verbindungen zur Politik. Um die Eigentumsdelikte kümmert sich meistens der Huber, weil der die blutigen Sachen nicht so mag. Außer im Steakhaus. Und das kann der Huber im Korridorzug natürlich auch noch nicht wissen, dass bald eine Menge Blut fließen wird.
14. MAI 1980
Huber schaut zum See hinaus. Dann schaut er zu Napoléon hinunter. Der dreifärbige Kater hebt den Kopf.
Ingwer-ocker gestreift mit weißen Pfoten. Hals und Nase auch in Weiß. Die Übersiedlung in der letzten Aprilwoche war ein Horror, denkt sich Huber. Er hasst Umzüge.
Schon Wochen vor dem Übersiedlungstermin verschlechtert sich seine Laune beträchtlich. Er ist grantig. Schnauzt jeden an. Schaut missmutig drein. Oft wird er mitten in der Nacht wach – schweißgebadet. Er fürchtet sich direkt vor Übersiedlungen, Wohnungsrenovierungen, neuen Möbeln, Handwerkern im Haus, diesem ständigen Ausmalenmüssen. Er mag es überhaupt nicht, wenn immer alles anders aussieht. Da sind die Frauen unmöglich, denkt er sich. Die wollen dauernd alles verändern im Haus. Oft schon nach fünf bis zehn Jahren wieder. Ja, und dann war da noch die Geschichte mit Napoléon. Der hasst Übersiedlungen genauso. Nach dem Umzug ist er den ganzen Tag auf der Terrasse gesessen und hat zum See hinausgeschaut. In der Nacht ist er auf der Terrasse gelegen. Eine ganze Woche lang hat er das Haus nicht betreten, nichts gefressen, Huber ignoriert. Am Ende der Woche ist er plötzlich aufgestanden, zum See hinausgegangen und mit einem kleinen Fisch im Maul wiedergekommen. Seither ist er so gut gelaunt wie schon lange nicht mehr. Natürlich schläft er wieder bei Huber im Bett. Am Fußende. Und frisst für zwei. Jetzt sitzt er neben Huber auf dem Bretterboden der überdachten Terrasse und schaut auf den See hinaus. Wie sein Herr. Zufrieden nimmt Martin Huber einen Schluck Rotwein und greift dann nach dem Pfeifentabak. Jetzt habe ich einmal eine Glückssträhne gehabt, denkt er sich beim Stopfen der Mignon-Azur-Pfeife – ein Weihnachtsgeschenk seiner aus Grenoble stammenden Freundin Édith Mounier. Übermorgen kommt sie, die Édith. Ungefähr um zwei fährt sie los, hat sie am Telefon gesagt. Gut zweieinhalb Stunden fährt man von Mülhausen nach Bregenz. Sie wird um vier da sein, denkt sich Huber. So wie die fährt. So ein Glück, denkt er sich. Der Wein heizt seine Stimmung noch ein bisschen an. Zuerst kriegt er glatt diesen Job, 320 Kilometer von seinem bisherigen Chef entfernt. Dann findet er auf Anhieb über die Frau von seinem neuen Chef dieses gemütliche kleine Haus. Mit Seeblick! Die Miete hat mich nicht geschreckt, überlegt Huber. Sein Haus in Salzburg hat der Franz gemietet. Ein Freund von ihm. Der war früher Einbrecher – bis Huber ihn geschnappt hat, dann Gelegenheitsarbeiter. Huber hat ihm damals viel geholfen – nicht, weil er so ein edler Mensch ist, sondern weil er ein schlechtes Gewissen gehabt hat. Huber und ein paar Uniformierte haben den Franz auf frischer Tat ertappt, vor vielen Jahren. Da wollte der natürlich abhauen, aber der Huber hat ihm ins Knie geschossen, ohne Warnschuss. Jetzt hat er sich mit Einbruchsicherungen selbständig gemacht, der Franz. Super Idee. Hat einen fulminanten Start hingelegt.
Der dürfte auf eine echte Marktlücke gestoßen sein. Jetzt braucht er schon ein