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Eiskalte Gfraster: Bezirksinspektor Kratochwil Teil 2
Eiskalte Gfraster: Bezirksinspektor Kratochwil Teil 2
Eiskalte Gfraster: Bezirksinspektor Kratochwil Teil 2
eBook362 Seiten4 Stunden

Eiskalte Gfraster: Bezirksinspektor Kratochwil Teil 2

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Über dieses E-Book

Es ist ein richtiger Winter in Wien: Schnee zur Adventzeit, eiskalte Temperaturen, doch Bezirksinspektor Thomas J. Kratochwil hat wenig übrig für die besinnliche Zeit des Jahres. Neben seinem Beruf bemüht er sich um ein gutes Verhältnis zu seiner Tochter und ist froh, alleine zu arbeiten.
Das ändert sich aber, als ihm eine neue Kollegin zugeteilt wird. Dabei handelt es sich um die Nichte des Innenministers, mit dem ihn eine komplizierte Vergangenheit verbindet.

Schon der erste gemeinsame Fall sorgt für Aufsehen und stellt die Zusammenarbeit der beiden Bezirksinspektoren auf eine harte Probe. Mitten im Wahlkampf müssen sie ein Schussattentat auf eine umstrittene Politikerin aufklären. Der Hauptverdächtige ist schnell gefunden, noch dazu handelt es sich dabei um einen Bekannten des Bezirksinspektors. Immerhin hat Thomas Kratochwil ihn einst hinter Gitter gebracht. Nun sieht der mutmaßliche Attentäter nur eine Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen, doch die bringt den Bezirksinspektor beruflich und privat in große Bedrängnis.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum2. Nov. 2023
ISBN9783758376986
Eiskalte Gfraster: Bezirksinspektor Kratochwil Teil 2
Autor

Joachim Koller

Joachim Koller, geboren 1978 in Wien, hat nach dem Schulabschluss mehrere Jahre im Reisebüro verbracht. Wohl auch deshalb zählt neben dem Schreiben das Reisen zu seiner großen Leidenschaft. Seine Lieblingsdestinationen sind dabei Kreta, Schottland und Barcelona.

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    Buchvorschau

    Eiskalte Gfraster - Joachim Koller

    1. Dezember

    22:35 Uhr

    Die Wohnungstür wurde aufgesperrt und mit Schwung aufgestoßen. Vom eisigen Wind durchgefroren betrat Thomas Kratochwil seine Wohnung und stellte erfreut fest, dass er die Heizung beim Verlassen nicht vollständig abgedreht hatte. Seine Jacke landete auf einem breiten Kleiderhaken neben der Tür, die Schuhe ließ er mitten im Gang liegen. Seine Dienstwaffe und die Erkennungsmarke, die ihn als Bezirksinspektor auswies, legte er griffbereit neben der Garderobe auf die Kommode. Dort stapelten sich Werbeprospekte und Briefe, die er seit über einer Woche nicht durchgesehen hatte. Da er seit seiner Scheidung vor über einem Jahr alleine in der Zwei-Zimmer-Wohnung im 9. Bezirk wohnte, sah er keinen Grund, übermäßig gründlich zu sein.

    Mit einer Bierflasche in der Hand ließ er sich auf die Couch fallen und griff nach der Fernbedienung für den Fernseher.

    In den Spätnachrichten saß ein bekannter Politwissenschaftler im Studio und nahm zur aktuellen Situation in Österreich Stellung.

    »Nachdem wir die Pandemie, mitsamt dem damit verbundenen Chaos, überstanden haben, droht Österreich nun eine politische Schlammschlacht, mindestens bis zur Wahl im Februar. Angefangen bei der überraschenden Abspaltung einiger Mitglieder der FPÖ, welche als neugegründete »Neue Heimatpartei - Österreich Zuerst«, kurz NHÖ für ein noch strengeres Vorgehen im Asylrecht eintreten. Gleichzeitig sind die Mitglieder der neuen Partei ebenjene, die die Verwicklungen des Bundeskanzlers in unrechtmäßige Absprachen und strafrechtlich relevante Machenschaften aufgedeckt haben. Somit hat diese neue Partei auf Anhieb eine Schar Mitglieder hinter sich. Die tragischen Ereignisse vom 5. November haben der NHÖ zusätzlich Rückenwind verschafft.«

    Der Bezirksinspektor erinnerte sich noch sehr genau an das Fiasko des besagten Tages. Eine hangreifliche Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe Syrer und Afghanen in einem Wiener Gemeindebau eskalierte zu einer Schlägerei mit über 30 Personen. Die Polizei schritt mit einem Großaufgebot ein, woraufhin sich die Situation immer mehr zuspitzte. Zunächst kam es zu kleineren Übergriffen, bis ein Angreifer an die Dienstwaffe eines Polizisten gelangte. Daraufhin eskalierte die Situation auf beiden Seiten.

    Am Ende zählte man drei getötete Polizisten und unzählige Verletzte auf allen Seiten. Von den Sachbeschädigungen in der Wohnanlage und an mehreren Fahrzeugen hatte Thomas nur ungefähre Zahlen gehört.

    »Kurz darauf folgte der Bruch der schwarz-grünen Koalition, auch aufgrund des Bekanntwerdens der inzwischen erwiesenen illegalen Geschäfte von Bundeskanzler Kurt Schaller.

    Nun stehen wir vor einer Wahl, bei der die bislang stimmenstärkste Partei selbst sagt, dass der Spitzenkandidat nicht mehr Kanzler werden wird. Man hört aus unterschiedlichen Kreisen, dass Innenminister Michael Steinberger diesen Posten übernehmen soll. Wobei er sich natürlich mit viel Kritik konfrontiert sieht.

    Alle anderen Parteien sind immer noch völlig überrumpelt und haben nur zwei Monate Zeit, ihre Wähler zu mobilisieren. Wie zu erwarten, bekommen wir einen sehr schmutzigen, untergriffigen Wahlkampf, von allen Parteien.«

    Thomas nahm einen großen Schluck aus der Flasche.

    »So a Schas. Zuerst zwei Jahre lang nichts als das depperte Virus und jetzt nur Politikgerede«, fluchte er und schaltete von den Nachrichten zu einem Spielfilm. Sein Handy piepte, eine Nachricht seiner Tochter Anastasia, die mit ihrem Freund das Wochenende in Kärnten verbrachte. Thomas war froh, dass sie sich nicht an den Streitereien, die er mit seiner Ex-Frau hatte, beteiligte und den Kontakt mit ihm aufrecht hielt.

    Das beigefügte Foto zeigte seine Tochter mit ihrem Freund an einem rustikalen Tisch in einem Lokal, beide mit einem vollen Schnapsglas in der Hand.

    »Es ist so herrlich hier! Du solltest dir auch endlich einmal Urlaub nehmen. Bussi, Anastasia«

    Thomas machte es sich mit einem weiteren Bier auf der Couch bequem. An Urlaub wollte er nicht denken, ebenso wenig wie an den bevorstehenden Termin mit seinem Chef am folgenden Tag, von dem er nicht wusste, was ihn erwartete.

    2. Dezember

    »Das Wetter wird nun richtig winterlich«, sprach die Frauenstimme aus dem Radio und überließ dem Meteorologen das Wort.

    »Nachdem wir letzte Woche noch Temperaturen um die 10 Grad hatten, trifft nun der Winter mit voller Wucht ein.

    Die nächsten Tage werden richtig kalt, dazu ist mit starkem Wind zu rechnen. Die Wettermodelle deuten auf Schnee bis in die Niederungen hin. Es erwarten uns in ganz Österreich Temperaturen um minus 5 Grad, im Westen stark bewölkt. Der Osten des Landes wird stürmisch, Schneeschauer sind möglich.«

    Die folgenden Verkehrsinformationen interessierten Thomas nicht mehr. Er drehte das Radio auf seinem Schreibtisch ab und erhob sich von seinem Arbeitsplatz.

    »Dann schauen wir mal, was der Chef zu erzählen hat«, murmelte er und betrat das Büro seines Vorgesetzten, Oberst Erich Frimmel.

    »Kratochwil! Endlich wieder frisch rasiert, so gefallen Sie mir viel besser«, grüßte ihn der Mann. Während der Oberst seit jeher einen perfekt getrimmten Schnauzbart trug, hatte sich Thomas die letzten Monate gehen lassen und seinen Vollbart nur geringfügig gestutzt und gepflegt. Zu seinem heutigen Termin hatte er sich entschieden, ihn komplett abzurasieren.

    Mit strengem Blick deutete Erich Frimmel auf den Stuhl vor Thomas.

    »Nehmen Sie Platz. Wir haben zu reden.«

    Kaum hatte sich Thomas Kratochwil vor dem Schreibtisch hingesetzt, schob ihm sein Vorgesetzter einen Papierordner zu.

    »So, Kratochwil, die Schonzeit ist vorbei«, sagte er und klopfte mit einem Finger auf den Ordner.

    Thomas lehnte sich zurück und erwartete einen neuen Fall, nachdem er die bisherige Vorweihnachtszeit so gut wie nichts zu tun hatte.

    »Sie waren lang genug alleine unterwegs. Es wird Zeit ...«

    »Chef, bitte!«, unterbrach Thomas seinen Vorgesetzten.

    »Nein! Ich werde diese Diskussion nicht schon wieder führen. Hören Sie zu, Kratochwil! Ich habe Sie lange genug machen lassen. Seit diesem unsäglichen Vorfall mit Ihrer ehemaligen Kollegin vor knapp zwei Jahren sind Sie alleine unterwegs. Ja, Sie machen Ihre Arbeit gut, aber es gibt nun einmal Gründe, die eine Änderung verlangen.«

    »Welche Gründe?«, fragte Thomas sauer.

    »Da wäre zum einen die Frauenquote.«

    »Ernsthaft?« Thomas verdrehte die Augen.

    »Ja, ernsthaft. Wir stehen vor einem Wechsel an der Spitze des Polizeiapparates. Wenn da eine Frau nachkommt und sieht, wie es bei uns aussieht, setzen die Ihnen eine Chefin vor die Nase. Ich bin alt genug, um bei einer Abberufung in den Ruhestand zu gehen, aber Sie? Wollen Sie sich von einer Frau herumkommandieren lassen? Vielleicht noch eine, die frisch vom Studium kommt, irgendeinen Minister kennt und glaubt, alles besser machen zu müssen?«

    Thomas schwieg. Er hasste politische Intrigen und wollte sich so weit wie möglich davon distanzieren.

    »Aber es gibt noch einen Grund, einen etwas Persönlicheren«, fuhr der Oberst fort.

    Neugierig hob Thomas die Augenbrauen.

    »Die neue Kollegin, also Ihre neue Kollegin ... Nun, es gibt sozusagen den Wunsch, dass sie mit Ihnen zusammenarbeitet.«

    »Wie bitte? Warum?«, wunderte sich Thomas. Er galt weder als besonders umgänglich, noch als Vorbild für neue Kollegen.

    »Anweisung von oben«, sagte sein Chef mit leiser Stimme.

    Gleichzeitig wich er etwas von seinem Tisch zurück, als würde er jeden Moment einen Wutanfall des Bezirksinspektors erwarten.

    »Wie bitte?«, wiederholte Thomas lauter.

    Die Männer schwiegen sich einige Sekunden lang an, dann sprang Thomas von seinem Stuhl hoch.

    »Sagen Sie nicht, die Anweisung kommt vom Innenminister.«

    Erich Frimmel nickte.

    »Ich wurde gebeten ...«, weiter kam er nicht, da Thomas bereits aus dem Zimmer gestürmt war und die Tür hinter sich zugeworfen hatte.

    »Sekretariat des Innenministers, was kann ich für Sie tun?«

    Die Stimme des jungen Sekretärs triefte vor Arroganz und erinnerte Thomas wieder daran, warum er sich nicht gerne mit Politikern herumschlug.

    »Geben Sie mir Steinberger, sofort.«

    »Der Herr Innenminister ist im Moment nicht zu sprechen.«

    »Schon klar. Ist er da? Wenn ja, verbinden Sie mich mit ihm. Er wird sowieso schon darauf warten.«

    »Haben Sie einen Termin?«

    »Nein, aber ...«

    »Sie benötigen einen Termin mit dem Herrn Innenminister und ...«

    »Hearst, pudel di ned auf und stell mi durch. Sag dem Herrn Innenminister, sein Lieblingskieberer ist in der Leitung.«

    »So geht das aber nicht«, kam die trotzige Antwort des Sekretärs.

    »Doch, und jetzt flott«, keifte Thomas zornig, »Sonst kannst du dir morgen einen neuen Job suchen, haben wir uns verstanden?«

    Thomas wurde in die Warteschleife gelegt, nach zehn Sekunden knackte es in der Leitung.

    »Kratochwil, ich begrüße Sie«, sagte der Innenminister freundlich, »Eigentlich habe ich Ihren Anruf schon früher erwartet.«

    »Ich war noch eine rauchen.«

    »Kratochwil, Sie leben immer noch so ungesund«, tadelte ihn Michael Steinberger.

    »Wer ist sie?«, überging Thomas die Meldung. Ihm war klar, dass der Innenminister genau wusste, weshalb er sich bei ihm meldete.

    »Barbara ist meine Nichte, aber ...«

    »Wie komme ich zu der Ehre, den Babysitter für Ihre Nichte zu spielen?«, fragte Thomas, bemüht darum, nicht zu aggressiv zu klingen.

    »Moment!«, wurde der Innenminister ernst, »Zuerst möchte ich darauf hinweisen, dass wir von einer 35-jährigen Frau sprechen, die ihre Ausbildung abgeschlossen hat und eine Zuweisung zu einem Kriminalbeamten hat. Es erwartet Sie also eine vollwertige Kollegin. Ich vertraue darauf, dass Sie ihr Potential erkennen werden.«

    Thomas erkannte aus der Stimme des Ministers, dass dies nicht der einzige Grund war.

    »Und weiter? Was möchten Sie mir noch sagen, Herr Minister?«

    Nach kurzem Schweigen und einem hörbaren Schmunzeln fuhr Steinberger fort.

    »Sie und ich, wir brauchen keine Spielchen. Ja, es gibt noch einen Grund, welcher relativ einfach erklärt ist. Es hätte natürlich genug Postenkommandanten gegeben, die Barbara gerne aufgenommen hätten. Immerhin werde ich als zukünftiger Bundeskanzler gehandelt und da kommen viele Speichellecker aus ihren Löchern. Um dem vorzubeugen und weil meine Nichte keine Protektion benötigt, habe ich an Sie gedacht, Kratochwil. Außerdem, unter uns im Vertrauen, habe ich die Information erhalten, dass meine mögliche Nachfolgerin sehr auf Gleichberechtigung bedacht ist. Demnach sichere ich nicht nur Ihren Job, sondern auch den von Oberst Frimmel.«

    Thomas strich sich mit der freien Hand über sein Gesicht.

    »Das heißt, ich bekomme Ihre Nichte als Anhängsel, weil ich Ihnen nicht in den Arsch krieche?«

    »So kann man es auch ausdrücken.«

    Als Thomas zurück in das Büro seines Vorgesetzten kam, war dieser gerade am Telefonieren. Er schnappte sich den Ordner, der noch immer auf dem Tisch lag, und blätterte die Personalakte seiner zukünftigen Kollegin durch.

    »Ernsthaft?«, wunderte er sich, gerade als Oberst Frimmel sein Telefonat beendete.

    »Was stört sie, Kratochwil? Ich muss Ihnen eine Frau an die Seite stellen.«

    »Manderl oder Weiberl, das ist mir Powidl. Aber wer nennt sein Kind bitte Barbara Chantal?«

    »Sie sollten über solchen Kleinigkeiten stehen«, antwortete der Oberst, wobei er selbst ein Lächeln unterdrückte.

    »Schon klar. Wann werde ich Frau Barbara Chantal Gugawitsch kennenlernen?«

    »Morgen. Besprechung um 13 Uhr in meinem Büro. Ich habe eine gute Möglichkeit für sie beide, um sich kennenzulernen. Eine harmlose Sache, aber mehr dazu morgen.«

    Auf dem Weg durch die Dienststelle entdeckte er seinen Freund aus der EDV-Abteilung.

    »Mann eh, wie siehst du denn aus?«, fragte Dieter Brehme mit deutlich hörbarem deutschen Dialekt. Der 20 Jahre jüngere Kollege und Freund von Thomas war mit ihm erst vor wenigen Tagen durch einige Lokale gezogen.

    »Ich habe gehört, dass du wieder einen Partner bekommst«, fuhr er fort.

    »Es wurde mir gerade mitgeteilt. Morgen werde ich die Dame kennenlernen.«

    Dieter sah sich um und beugte sich dann zu Thomas vor.

    »Vielleicht ist es ja diese Schönheit da drüben.« Er deutete auf eine Frau, die an einem leeren Schreibtisch saß und mehrere Akten durchblätterte.

    »Keine Ahnung, woher der blonde Lockenkopf kommt. Ich habe nur mitbekommen, dass sie einige alte Fallakten vom Oberst bekommen hat und diese studieren soll«, sagte Dieter und stieß Thomas an.

    »Wie gesagt, morgen werde ich es erfahren«, brummte Thomas.

    »Ist dir aufgefallen, wie eng ihr Hemd ist? Sie hat ordentlich Holz vor der Hütte und ein sehr ... nettes Gesicht.«

    »Die Quasteln sind mir wurscht. Hauptsache ich kriege eine Kollegin, die gscheit haklt und mir nicht in den Rücken fällt.«

    Dieter musste über den Satz nachdenken und in Gedanken die Wiener Ausdrücke übersetzen, dann nickte er Thomas zu.

    »Das verstehe ich. Heute schon etwas vor?«

    »Ja, ich fahre noch nach Hirtenberg. Ein Bekannter kommt heute aus dem Knast raus.«

    »Dann die nächsten Tage. Da kannst du mir ja deine neue Kollegin vorstellen.« Dieter blickte nochmals zu der unbekannten Frau, von der er hoffte, sie näher kennenzulernen.

    Pünktlich um 15 Uhr öffnete sich die Tür der Justizanstalt im niederösterreichischen Hirtenberg. Dort, wo normalerweise das Personal, Anwälte und Besucher ein und aus gingen, verließ ein Mann nach fünf Jahren Haft das Gebäude.

    »Bleib sauber, Ibo. Hoffentlich sehen wir uns nicht so schnell wieder«, verabschiedete ihn der Justizbeamte am Tor.

    »Ich werde nicht wiederkommen. Heute beginnt ein neues Leben, ein anständiges«, meinte der Mann gut gelaunt und strich sich seine schwarzen, gelockten Haare zur Seite. Sein Mantel, der schon vor fünf Jahren weder neu noch modisch war, bot nur wenig Schutz vor dem heftigen Schneegestöber. Der eisige Wind trieb die Schneeflocken waagrecht über die, im Moment dicht befahrene, Hauptstraße.

    Kaum hatte er das Gittertor hinter sich geschlossen, verschwand sein Lächeln. Unsicher und fröstelnd sah er die Straße entlang und beobachtete die vorbeifahrenden Fahrzeuge.

    »Ibo!«, rief eine Stimme hinter ihm, »Brauchst du ein Taxi zum Flughafen?«

    Ibrahim Bočakčić, der sich selbst nur Ibo nannte, zuckte zusammen und wirbelte herum. Die Person zu der Stimme erkannte er auch nach den Jahren im Gefängnis sofort wieder.

    »Inspektor Thomas Kratochwil! Der Mann, der mich geschnappt hat und dem ich die letzten fünf Jahre hier verdanke.«

    »Und das nur, weil du mit einem Linienflug abhauen wolltest, bezahlt mit der eigenen Kreditkarte«, meinte Thomas und reichte ihm die Hand, »Du siehst gut aus, die Haft hat dir nicht geschadet.«

    »Danke, Inspektor. Ich hatte viel Zeit für Sport und Bildung. Letzte Woche hatte ich meinen fünfzigsten Geburtstag. Ein guter Zeitpunkt, um ein neues Leben anzufangen, findest du nicht?«

    »Ich werde dir nicht widersprechen.«

    »Was verschafft mir die Ehre, von dir persönlich in Empfang genommen zu werden?«, fragte Ibo.

    Thomas deutete auf das Gebäude neben der Justizanstalt, eine Bäckerei mit Café.

    »Komm mit, ich zahl dir einen Kaffee«, sagte Thomas mit einem verschmitzten Lächeln.

    Sie saßen an einem kleinen weißen Tisch neben dem Fenster. Der Schneesturm war intensiver geworden, dicke Flocken wirbelten an der Scheibe vorbei, eine feine Schicht Schnee legte sich über den Gehsteig und die parkenden Autos.

    Neben einem Kaffee hatte Thomas für beide jeweils ein kleines Baguette mit Schinken, Käse und Ei bestellt.

    »... und so habe ich eine Ausbildung als Koch abgeschlossen. Ich habe auch schon Bewerbungen verschickt.

    Keine Bars oder sowas, echte Restaurants. Ich meine es ernst, Inspektor. Ich will den Rest meines Lebens sauber und ehrlich verbringen.«

    »Gute Einstellung, Ibo. Ich habe mich zwischendurch nach dir erkundigt und die Beamten haben mir bestätigt, was für ein braver Junge du warst.«

    »Deshalb hast du dir gedacht, du holst deinen alten Freund persönlich ab?«

    Thomas schüttelte den Kopf.

    »Freunde ist wohl ziemlich übertrieben. Aber ich muss zugeben, die Jagd nach dir war eines der Highlights meiner Karriere. Was du abgeliefert hast, war ja direkt filmreif.«

    Ibo lehnte sich breit grinsend zurück.

    »Erinnerst du dich an die Jagd durch die stillgelegte Fabrik?«

    Thomas nippte an seinem Kaffee und musste bei der Erinnerung daran ebenfalls grinsen.

    »Zwölf Mann stürmen hinein, sichern jede Tür, durchkämmen jeden Raum und was macht der liebe Ibo?

    Versteckt sich im Freien, schnappt sich einen Polizeiwagen und rast mit Blaulicht davon«, rief sich Thomas den aufregenden Tag von damals wieder in Erinnerung.

    Im Fernsehen war das Video des Polizeihubschraubers damals in jeder Sendung zu sehen. Ein Polizeiwagen, der von einem weiteren Polizeiwagen verfolgt wurde, die Szenerie ähnelte einem Actionstreifen aus dem Kino.

    Thomas erinnerte sich noch genau daran, wie es Anrufe gegeben hatte, ob es sich um einen echter Polizeieinsatz handelte, oder Dreharbeiten zu einem Film.

    »Es war aufregend und auch ich hatte etwas Spaß an der Sache. Habe ich jemals erzählt, was ich nach meiner Flucht vorhatte?«

    Thomas schüttelte den Kopf.

    »Wenn du mich nicht auf dem Flughafen geschnappt hättest, wäre ich zuerst in meiner Heimatstadt Sarajevo gelandet. Du hättest sogar eine Ansichtskarte bekommen, natürlich erst, nachdem ich weitergezogen wäre. Ein Komplize hat damals alles vorbereitet, um mich in Visoko, nahe der Stadt, zu treffen und mich mit einem Notgroschen zu versorgen. Da ich nie dort angekommen bin, wird er inzwischen ein glückliches Leben mit meinem Geld führen.«

    »Geld, das wir nie gefunden haben, nehme ich an«, meinte Thomas.

    »Noch besser, Geld, wovon ihr nie etwas gewusst habt. Ein Teil davon ist immer noch ... Aber wie gesagt, das ist Schnee von gestern.«

    Thomas erkundigte sich, wie seine nächsten Pläne aussahen. Ibo erzählte, dass er schon vor Wochen eine Wohnung zugesichert bekommen hatte und dass in den folgenden Tagen mehrere Vorstellungsgespräche auf ihn warteten.

    »Außerdem werde ich versuchen, Kontakt zu meiner Tochter aufzunehmen. Ihre Mutter ist vor zwei Jahren verstorben und sie hat keinen meiner Briefe beantwortet.

    Wer will schon einen Verbrecher als Vater?«

    »Das klingt alles sehr gut überlegt. Solltest du Hilfe brauchen ...«, Thomas schob ihm seine Visitenkarte hinüber, »... dann ruf mich an. Aber bleib sauber.«

    »Versprochen, Inspektor«, meinte er und sah auf die Karte.

    »Was ich immer schon wissen wollte, wofür steht eigentlich das ‚J‘ in deinem Namen?«

    »Jaroslav. Aber niemand nennt mich so.«

    3. Dezember

    Fünf Minuten vor 13 Uhr betrat Thomas ohne anzuklopfen das Büro seines Vorgesetzten. Oberst Frimmel saß telefonierend an seinem Schreibtisch, winkte ihn zu sich und zeigte auf einen freien Stuhl vor seinem Tisch.

    »Ja, zwei Beamte in Zivil. Sie werden sich unter die Zuhörer mischen ... Nein, keine Einmischung, außer, sie bekommen Befehle ... Ja, ich werde ihm einen Ohrstecker aushändigen.

    Der Bezirksinspektor ist gerade anwesend, ich werde ihn instruieren. ... Danke, auf Wiederhören.«

    Thomas wollte etwas sagen, als hinter ihm die Tür aufging.

    »Guten Tag, meine Herren«, begrüßte sie eine Frauenstimme.

    Thomas wandte den Kopf und musste schmunzeln. Vor ihm stand jene Frau, von der Dieter gestern geschwärmt hatte. Er erhob sich und reichte ihr die Hand.

    »Ich nehme an, wir sind hier, um uns kennen zu lernen.«

    »Bezirksinspektorin Barbara Gugawitsch, Ihre neue Kollegin«, antwortete die Frau und schüttelte ihm die Hand, während Thomas sie kurz musterte. Als Erstes fielen ihm die dichten, rotblonden Locken und ihr blasser Teint auf. Im Gegensatz zu seinem Freund Dieter wanderte sein Blick nicht hinab. Vielmehr stellte er beruhigt fest, dass sie trotz des Altersunterschiedes auf den ersten Blick selbstbewusst wirkte. Da er ihre Personalakte bereits überflogen hatte, wusste Thomas, dass Barbara Gugawitsch schon mehrere berufliche Erfolge für sich verbuchen konnte.

    »Ich mache es kurz«, sagte der Oberst, »Ihr seid morgen im Einsatz, etwas Einfaches für den Anfang. Ihr werdet morgen Nachmittag bei der Kundgebung der NHÖ zugegen sein und die Kollegen der WEGA in Zivil unterstützen.«

    Gleichzeitig stöhnten Barbara und Thomas auf.

    »Schön, dass ihr euch schon so einig seid. Wo liegt das Problem?«, fragte der Oberst.

    »Sie kennen meine Meinung über Politiker«, antwortete Thomas missmutig.

    »Diese ... Partei, wenn man sie so nennen will, widerspricht allen meinen Ansichten«, sagte Barbara angewidert.

    »Es tut mir leid, dass ich nicht auf ihre persönlichen Befindlichkeiten eingehe, wäre Ihnen ein gemütliches Candlelight-Dinner lieber?«

    Er wartete nicht auf eine Antwort und erhob sich.

    »Morgen Punkt 12 Uhr, Treffpunkt mit der Einsatzleitung der WEGA vor dem Bahnhof Heiligenstadt in Döbling.

    Noch Fragen?«

    »Wie sieht es denn mit Ihrer politischen Meinung aus?«, wollte Barbara wissen, als sie das Büro des Obersts verlassen hatten und ins Freie gingen.

    Thomas verzog das Gesicht und rauchte sich eine Zigarette an.

    »Was hat Ihnen ihr Onkel erzählt?«

    »Dass Sie beide sich kennen und, ich zitiere, Kratochwil vielleicht eigensinnig und nicht der sympathischste Kerl ist, aber garantiert kein Stiefellecker. Ich habe also keine Sonderbehandlung zu erwarten.«

    »Ich tu es nicht gerne, aber ich stimme Steinberger in diesem Punkt vollkommen zu.«

    Nach einigen Zügen an seiner Zigarette sprach Thomas weiter.

    »Politik ist für mich beinahe gleichbedeutend mit Kriminalität. Ich weiß, dass ich keine Freunde in egal welcher Partei habe und damit kann ich gut leben. Mein Vertrauen in unsere Politik ist nicht gerade berauschend.«

    »Okay, das ist eine direkte und ehrliche Meinung. Und abseits von Parteipolitik? Sie werden ja trotzdem eine Meinung haben, zum Beispiel zu dem hier«, Barbara deutete auf einen Plakataufsteller, wie sie zurzeit haufenweise in der Stadt verteilt standen. Dieser zeigte die Klubobfrau Anna Pauline Braunstein mit ernster Miene und verschränkten Armen. Darunter war zu lesen: Die Neue Heimatpartei - Österreich zuerst Grenzen dicht, Regierung weg - das versprechen wir!

    Thomas strich sich über sein Kinn.

    »Das übliche Geschwätz von Politikern, die im Wahlkampf um jede Stimme betteln. Sie wissen, wo die Kundgebung morgen stattfindet?«

    Barbara nickte.

    »Im Innenhof des Karl-Marx-Hof in Döbling. Genau dort, wo es zu diesem Polizeidesaster kam. Das hat dieser Partei einen gewaltigen Aufschwung beschert, neben der Korruptionsgeschichte rund um den Bundeskanzler.«

    »Dafür soll Ihr Onkel nun der nächste Bundeskanzler werden«, sagte Thomas, während er bei einem Mistkübel stand und rauchte.

    »Ich habe vom Oberst Ihre letzten Fälle zur Durchsicht bekommen. Vor Corona hatten Sie einige große Momente.

    Aber was war in den letzten zwei Jahren los?«, überging sie seine Bemerkung.

    »Ich brauchte etwas Ruhe.« Mehr wollte er nicht preisgeben.

    Der gemeinsame Spaziergang endete bei einem nahe gelegenen Würstelstand. Der ovale, silberne Container, der am Anfang der Fußgängerzone stand, wurde regelmäßig von Thomas besucht.

    »Nichts gegen die ganzen Kebab-Buden und Nudelläden, aber ein gscheites Hot Dog mit Käsekrainer, Senf und Ketchup dazu und ein 16er-Blech, das hilft beim Denken, beim Munterwerden, als Abendessen ...«

    »Munterwerden? Sie meinen damit nicht wirklich, bei Ihnen gibt es Bier und Käsekrainer zum Frühstück?«

    Thomas grinste.

    »Meine Art des Wiener Frühstücks. Aber nur an speziellen Tagen.«

    Der Verkäufer in dem kleinen Stand sah den Bezirksinspektor kommen und rief ihm ein erfreutes »Hallo, da kommt mein liebster Kunde!« entgegen.

    Inzwischen wurde Thomas nicht mehr gefragt, welchen Hot Dog er wünschte.

    »War es bereits ein heftiger Tag, oder brauchst du noch kein Bier?«

    »Es ist noch zu früh für Alkohol, gib uns zwei Hot Dogs und dazu Almdudler.«

    Barbara Gugawitsch musste zugeben, dass die Wurst gut schmeckte, auch wenn sie sich ansonsten nicht für Fleisch begeisterte.

    »Interessant, aber ich bin immer offen für neue Gewohnheiten«, meinte sie und prostete ihm mit der Flasche zu.

    Obwohl er ihre Personalakte bereits gelesen hatte, erkundigte sich Thomas nach ihrem Werdegang, schon alleine, um sich ein besseres Bild machen zu können. Ihr Lebenslauf zeigte, dass sie scheinbar ohne familiäre oder politische Hilfe zu beruflichen Erfolgen gekommen war.

    Nachdem sie ihm von ihren bisherigen Stationen bei diversen Dienststellen berichtet hatte, war sie ebenfalls neugierig.

    »Genau wie Sie habe auch ich Ihre Personalakte durchgesehen. Was mich aber ehrlich gesagt etwas stutzig machte, war die Andeutung des Obersts, dass es mit mir als Kollegin für Sie auch privat keine Probleme geben sollte.

    Können Sie mir erklären, was er damit meinte?«

    Thomas musste sich ein Grinsen verkneifen.

    »Er

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