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Kollateralschaden
Kollateralschaden
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eBook327 Seiten3 Stunden

Kollateralschaden

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Über dieses E-Book

Eine Terrorgruppe bedroht ganz Wien und hält die Stadt in Atem. Ein Flugzeugabsturz und ein Anschlag auf ein Wiener Wahrzeichen stürzen die Stadt beinahe ins Chaos. Doch wie schnappt man Terroristen, die den Ermittlern immer einen Schritt voraus sind?

"Ihnen steht ein Spiel mit hohem Einsatz bevor, denn Sie stehen am Anfang einer Terrorwelle, die über Wien hereinbrechen wird. Der Einsatz dabei sind die Leben Ihre Bürger und Bürgerinnen, Herr Bundespräsident."
Mit diesem Anruf beginnt die Jagd auf einen terroristischen Erpresser, der die Hauptstadt Österreichs in Atem hält.
Die Ermittler Hans Martin Gross und seine Kollegin Gabriele Zauner müssen erkennen, dass ihr Gegner ihnen scheinbar immer einen Schritt voraus ist. Gleichzeitig müssen sie sich auch mit Widerstand in den eigenen Reihen beschäftigen.
Ganz andere Probleme hat der Berufsfahrer Ben. Seine Ehekrise wird aber zur kleinsten Sorge, als er in das perfide Spiel des Erpressers hineingezogen wird.

Jede Spur auf der Jagd nach den Terroristen verläuft im Sand. Doch eine unausgesprochene Regel des Spiels besagt, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Und nicht jeder verfolgt die offensichtlichen Ziele ...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Okt. 2014
ISBN9783738004120
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    Buchvorschau

    Kollateralschaden - Joachim Koller

    VORWORT

    Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Die geografischen Angaben entsprechen der Realität. Obwohl die im Buch erwähnten politischen Ämter tatsächlich existieren, dienten keine realen Politiker als Vorlage.

    Sollte sich jemand dennoch angesprochen fühlen, möchte ich erwähnen, dass während der Entstehung des Buches nahezu alle genannten Positionen umbesetzt wurden.

    Tag 1:

    Montag, 11 Uhr

    Bundespräsident Walter Schlinger war froh, in sein Amtszimmer zurückzukehren. Nach einer zweistündigen Unterredung mit den Vorsitzenden der österreichischen Regierungsparteien wollte er sich wenigstens für eine Stunde erholen. Das private Arbeitszimmer im Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg bot braune, massive Holzmöbel, Bücherregale mit Literatur zur österreichischen Geschichte und mehrere kleine Schränke. Hier sah man keine weiße, edle Ausstattung, mit Goldstuck verziert, wie die Räumlichkeiten, die der Öffentlichkeit bekannt waren. Nur die Wände waren ebenso in Rot gehalten.

    Da der nächste Termin erst für den späten Nachmittag geplant war, forderte er seinen Sekretär auf, vorerst keine Telefonate durchzustellen. Er wollte etwas abschalten und bei einem selbst zubereiteten Kaffee einige Berichte durchlesen. Diese stapelten sich schon wieder auf seinem Tisch.

    Vom Lederstuhl hinter dem wuchtigen Schreibtisch konnte er über den Heldenplatz blicken, der wenig besucht war. Der Herbst zeigte sich mit sommerlichen Temperaturen und nur einigen Wolken am Himmel von seiner schönen Seite. Für Ende September war es etwas zu warm, was den Bundespräsidenten an den Bericht einer Umweltorganisation erinnerte. Er wurde um eine Stellungnahme gebeten, bezüglich eines aktuellen Berichtes über österreichische Firmen, deren Emissionswerte weit über den normalen Richtwerten lagen. Insgesamt wurden zwölf Firmen aufgelistet, ein Machtwort des Staatsoberhauptes könnte vielleicht etwas bewirken.

    Der altmodische Klingelton seines Telefons riss ihn aus den Gedanken.

    »Habe ich nicht gesagt, dass ich für eine Stunde nicht erreichbar sein möchte?«, fluchte er. Sein Sekretär kam ins Zimmer gelaufen.

    »Ich verstehe das nicht, Herr Bundespräsident. Der Anruf ging direkt an sie durch, obwohl niemand die Durchwahl zu Ihnen hat«, verteidigte sich der junge Mann leicht schockiert. Das Telefon in seinem Amtsraum wurde nie direkt angerufen, selbst der Präsident kannte die Durchwahl nicht. Neugierig hob er den Hörer ab.

    »Ja bitte?«

    Ein dumpfes Klicken war zu hören, dann zwei Sekunden lang nur ein leises Rauschen. Er wollte den Hörer schon auflegen, als sich eine tiefe, monoton klingende Stimme meldete.

    »Ich grüße Sie, Herr Bundespräsident Schlinger. Bevor Sie auf die Idee kommen, etwas zu sagen, will ich Sie darüber informieren, dass dies eine Tonbandaufzeichnung ist. Wir beide werden noch früh genug in den Genuss eines persönlichen Gespräches kommen. Vorerst möchte ich dafür sorgen, dass ich Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit bekomme. Nennen Sie mich einfach Bulut, Mitglied der Karabulut. Ihnen steht ein Spiel mit hohem Einsatz bevor, denn Sie stehen am Anfang einer Terrorwelle, die über Wien hereinbrechen wird. Der Einsatz dabei sind die Leben Ihre Bürger und Bürgerinnen, Herr Bundespräsident. Schon heute um 17 Uhr wird die schwarze Wolke der Vergeltung zum ersten Mal zuschlagen. Ein Aufhalten ist nicht mehr möglich, aber ich kann Sie beruhigen, die Opferzahlen in dieser Runde werden recht gering sein. Der Anschlag soll nur verdeutlichen, wie ernst wir es meinen. Sorgen Sie dafür, dass um Punkt 17 Uhr ihr Verteidigungsminister und der Bundeskanzler bei meinem Anruf anwesend sind. Bemühen Sie sich nicht, das Telefonat zurückzuverfolgen, es kostet Sie nur unnötig Zeit. Da dieses Gespräch automatisch aufgezeichnet wird, können Sie alles nochmals genau nachhören und den erwähnten Personen vorspielen. Bitte unterschätzen Sie den Ernst der Lage nicht.«

    Die Verbindung wurde unterbrochen.

    Der Bundespräsident und sein junger Sekretär starrten mehrere Sekunden geschockt auf das Telefon.

    »Ich benötige sofort die Notfallpläne bei einem Anschlag auf österreichischem Boden«, meinte Walter Schlinger erschüttert, ohne den Blick vom Telefon zu nehmen.

    »Soll ich jemanden benachrichtigen?«

    »Sagen Sie alle Termine für heute ab. Sorgen Sie dafür, dass die erwähnten Leute umgehend zu mir kommen. Und informieren Sie die Innenministerin. Ich muss schleunigst telefonieren. «

    »Soll ich die Polizei ebenfalls verständigen?«, fragte der Sekretär, dessen Gesichtsfarbe immer blasser wurde.

    »Nein, ich weiß jemanden, der hierfür besser geeignet ist.«

    Der Bundespräsident war sich sicher, dass dieser Tag noch recht unangenehm werden würde.

    11 Uhr

    Der weiße Skoda Oktavia fuhr gemächlich über die Flughafenautobahn. Auf beiden Seiten klebten rote Streifen, auf den Türen das Logo des Roten Kreuz. Darunter stand in dicken, schwarzen Lettern »Blutspendedienst«.

    Es herrschte wenig Verkehr, nur einige Taxis, welche es eilig hatten, überholten den Wagen. Am Steuer saß Markus, ein neunzehnjähriger Zivildiener, der seit einer Woche seinen Dienst in der Blutspendezentrale verrichtete.

    »Der Job bei Euch ist echt ein Glückstreffer. Keine Patienten herumkutschieren, nur mit den Blutkonserven zu den Krankenhäusern fahren und Personal zu Blutspendeaktionen bringen«, stellte Markus fest.

    Neben ihm saß Ben, der schon über zehn Jahre diesen Beruf ausübte.

    »Es ist ein angenehmer Beruf, wenn man gerne im Auto sitzt und kein Problem damit hat, auch am Wochenende zu arbeiten. Außerdem hast Du bei uns keinen gewöhnlichen Acht-Stunden-Tag, sondern mindestens elf, aber dafür auch mehr freie Tage. Es hat seine Vorteile, trotzdem es ist nicht jedermanns Sache. Im Moment ist es für mich ideal, weil meine Tochter erst vier Jahre alt ist. So kann ich auch unter der Woche etwas mit ihr unternehmen«, erklärte er dem jungen Mann.

    »Aber manchmal muss es ganz schön mühsam sein, den ganzen Tag nur zu sitzen, oder?«

    Ben lächelte und klopfte auf seinen großen Bauch.

    »Meine Statur kommt nicht von ungefähr. Wenn ich an meinen freien Tagen nicht etwas Sport machen würde und viel zu Fuß unterwegs wäre, dann würde der hier noch größer sein«, meinte er und deutete zuerst auf seinen Bauch und dann auf die Ausfahrt vor ihnen.

    »Dort müssen wir von der Autobahn abfahren, dann rechts zum Terminal C, der Frachtaufgabe.«

    Im Kofferraum hatten sie eine eineinhalb Meter große Transportbox, die mit Blutröhrchen gefüllt war. Diese mussten für eine Auswertung in ein Labor nach Frankfurt geflogen werden, eine Aufgabe, die ab morgen Markus übernehmen sollte.

    »Rentiert sich das wirklich? Ist es billiger, fast jeden Tag etwas nach Deutschland fliegen zu lassen, als die Untersuchungen selbst zu machen?«, fragte Markus nach.

    »Scheinbar, Genaueres erfährt man bei uns nicht.«

    Sie fuhren zu einer der freien Rampen, wo ein Lagerarbeiter schon aufgeregt auf sie wartete.

    »Endlich! Der Flug startet zwar erst gegen 17 Uhr, aber heute ist hier die Hölle los«, begrüßte er die beiden Männer aufgebracht.

    »Wieso denn das?«, wollte Ben wissen, während er sich aus dem Wagen schälte und sein T-Shirt richtete.

    »Ich weiß nur, dass ein Pilot ausgefallen ist, aber der Flug trotz allem stattfinden muss, egal ob der Typ noch auffindbar ist. Aber bis zum Abflug werden die hoffentlich alles im Griff haben.«

    Schnell wurde die Transportbox ins Innere der Halle verfrachtet, und nachdem Ben die Bestätigung unterschrieben hatte, machten sie sich auf den Weg zurück nach Wien. Für die beiden Männer war es noch ein langer Dienst, bis 20 Uhr würden sie alle Ausfahrten gemeinsam unternehmen. Ben überließ dem jungen Mann wieder das Steuer, um unterdessen mit seiner Frau zu telefonieren. Sie hatte den Tag frei und verbrachte den Nachmittag mit ihrer Tochter im Schwimmbad.

    11: 30 Uhr

    Das kahle Büro bot gerade einmal genug Platz für zwei Personen samt Schreibtischen und einigen Aktenschränke. Mehr benötigte Hans Martin Gross auch nicht, um seinem Beruf nachzugehen. Zusammen mit seiner, um zehn Jahre jüngeren, Sekretärin teilte er sich das Zimmer. Eine kleine Metalltafel an der Bürotür verriet seine Tätigkeit:

    Terrorismusbekämpfung und Vorbeugung

    Abteilungsleiter: H.M. Gross

    Sekretariat: Gabriele Zauner

    »Was machst Du gerade, Gabriele?«

    »Nichts Dienstliches, Chef«, gestand sie mit einem Lächeln. Seit acht Jahren war die 35-jährige Frau Hans Martins rechte Hand und wirkte auf den ersten Blick wie das typische Klischee einer Sekretärin. Eine schlanke Figur, sehr elegant gekleidet, schulterlange, dichte, strohblonde Haare und immer freundlich. Es gab nicht wenige Kollegen im Haus, die hinter vorgehaltener Hand spekulierten, ob sie die Anstellung ihrem Aussehen nach und anderen Qualitäten zu verdanken hatte. Doch niemand traute sich, solche Vermutungen ihrem Chef persönlich zu sagen. Hans Martin Gross war weder auffallend groß, noch besonders muskulös gebaut. Aber er war bekannt dafür, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen und seine Meinung teils auch sehr autoritär zu vertreten. Sein dunkelbrauner Schnauzbart galt als sein Markenzeichen. Er sah weitaus älter als fünfzig aus, die vielen Jahre im Außendienst hatten ihn gezeichnet. Nur wenige wussten genau, welchen Aufgaben Hans Martin früher nachging. Aber seine Bestellung zum Leiter der Antiterrorabteilung war derart einstimmig von oberster Hand bestimmt worden, dass viele überzeugt waren, dass er weit mehr als nur ein normaler Polizist gewesen war. Selbst Gabriele wusste nur von einigen Einsätzen, bei denen er undercover tätig war und deren Erfolg nie publik gemacht wurde.

    Hans Martin Gross hatte nur eine Schwäche, was mit ein Grund war, warum Gabriele einen sicheren Job bei ihm hatte. Er hatte sich nie mit Computern anfreunden können, Gabriele hingegen erwies sich als Expertin auf dem Gebiet. Mit den Möglichkeiten der Abteilung war sie in der Lage, an nahezu alle Informationen zu gelangen, die sie suchte. Egal, ob am Computer, der vor ihr am Schreibtisch stand, oder ihrem privaten Tablet-PC, jedes Anliegen von Hans Martin wurde prompt von ihr erledigt.

    »Nichts Dienstliches? Ist es wenigstens legal, Gabriele?«

    »Da mir niemand auf die Finger schaut, wird auch niemand nachfragen.«

    Hans Martin wusste, dass seine junge Kollegin immer wieder aufs Neue versuchte, ihre Fähigkeiten zu verbessern und in alle möglichen, gut gesicherten Netze einzudringen. Fast immer mit Erfolg.

    »Chef, wenn wir mehr zu tun hätten, käme ich nicht in Versuchung ...«

    »Wenn wir mehr zu tun hätten, würde es in Österreich nicht so ruhig zugehen. In diesem Job ist ein Tag ohne Arbeit ein guter Tag.«

    In letzter Zeit waren es viele ruhige Tage gewesen. Erst vor einem Monat hatte Hans Martin einen Bericht auf dem Tisch liegen, der besagte, dass die Terrorgefahr für Österreich sehr gering war.

    Hans Martin griff nach seinen Zigaretten, im selben Moment räusperte sich Gabriele.

    »Ich weiß, werte Frau Kollegin«, jammerte er theatralisch, »Ich werde vor die Tür gehen.«

    »Danke. Du weißt, dass ich den Qualm nicht aushalte.«

    »Immer diese Nichtraucher«, stöhnte Hans Martin mit einem Grinsen.

    Sein Telefon läutete. Die Nummer auf dem Display ließ ihn erstaunt seine dichten Augenbrauen heben und die Zigarettenpause vergessen.

    »Der hat sich schon lange nicht mehr gemeldet.«

    »Wer denn, Chef?«

    »Der Bundespräsident«, meinte er und hob ab.

    »Gross.«

    »Ich grüße Dich, Hans Martin«, meldete sich Walter Schlinger persönlich. Die beiden Männer kannten sich schon seit der Zeit, als Hans Martin Undercovereinsätze im Außendienst hatte und Walter Schlinger als Innenminister seine Aufträge absegnete.

    »Lange nichts mehr von Dir gehört, Walter. Als Bundespräsident hast Du wohl mehr zu tun, als damals im Innenministerium.«

    »Ja und leider ist es kein Höflichkeitsanruf. Wir haben eine ... Situation.«

    Binnen eines Augenblicks versteifte Hans Martin. Er schaltete den Lautsprecher des Telefons ein und deutete Gabriele, die Bürotür zu schließen. Sie blickte ihn erstaunt an, folgte aber sofort seiner Geste.

    »Eine vertrauliche Situation?«

    »Ja, streng vertraulich. Noch ist nicht sicher, ob es eine ernsthafte Bedrohung gibt, aber ich muss einige Vorkehrungen treffen.« Die Besorgnis in seiner Stimme war nicht zu überhören.

    »Was ist passiert?«

    »Ein Anruf mit einer Terrordrohung für heute, 17 Uhr.«

    »Es gibt im Moment nicht das geringste Anzeichen für einen geplanten Anschlag. Woher kommen Deine Informationen?«

    »Ich wurde direkt angerufen. Sagt Dir der Name Karabulut etwas?«

    Hans Martin verneinte, Gabriele tippte auf ihrem Computer.

    »Klingt türkisch. Was hat er gesagt?«

    »Dass es um 17 Uhr einen Anschlag gibt und er sich danach nochmals meldet. Keine Hinweise, worum es geht oder wo es passieren soll.«

    Gabriele mischte sich ein.

    »Karabulut ist türkisch und bedeutet schwarze, dunkle Wolke oder Regenwolke. Es ist keine Gruppierung mit diesem Namen bekannt. Es sind auch keine Hinweise auf Probleme mit einer türkischen Gruppierung ...«

    »Wer spricht da?«, warf der Bundespräsident überrascht ein.

    »Gabriele Zauner, Sekretärin und Kollegin von Herrn Gross. Keine Sorge, ich bin absolut verschwiegen.«

    »Dann kommen Sie beide umgehend zu mir. Ich werde ein Treffen mit einigen Ministern um 14 Uhr organisieren. Bislang darf nichts an die Medien weitergegeben werden, wobei wir ja selbst noch nicht wissen, ob es nicht doch ein Scherzanruf war.«

    Das Gespräch war schnell beendet. Hans Martin nahm seine beige Jacke und forderte Gabriele auf, die notwendigen Unterlagen mitzunehmen. Sie deutete auf ihr Tablet.

    »Alles abgespeichert. Wir können fahren, Chef. Obwohl ich eigentlich Hunger habe.«

    Hans Martin sah kurz auf die Uhr, die über der Tür hing.

    »Bis 14 Uhr haben wir noch etwas Zeit. Komm, ich lade Dich ein.«

    13 Uhr

    Vor ihrem Bereitschaftszimmer in der Zentrale des Blutspendedienstes standen Ben und Markus im Innenhof. Markus wollte Ben eine Zigarette anbieten, doch dieser winkte ab.

    »Nein danke, ich bin gerade dabei, aufzuhören.«

    »Okay, dann rauche ich auch nachher.« Markus wollte gerade weitersprechen, als Bens Handy läutete. Er sah, dass es seine Frau war, und entfernte sich einige Schritte von dem jungen Mann, um ungestört sprechen zu können.

    »Hallo, Schatz, wie geht´s?«

    »Hallo, ganz gut. Wir sind zurück vom Schwimmbad und die Kleine ist wieder einmal hundemüde. Was gibt es bei Dir?«

    »Nichts Neues, ein ganz normaler, ruhiger Arbeitstag.«

    »Warum warst Du denn bei unserem letzten Gespräch so kurz angebunden?«, bohrte seine Frau nach. Ben stöhnte auf, er wusste, was nun kommen würde.

    »Weil ich nicht alleine unterwegs war, mein Schatz?«

    »Wieso nicht? Wer ist mit Dir gefahren?«, kam sofort die misstrauische Frage.

    Seit einiger Zeit war seine Frau Katharina extrem eifersüchtig und vermutete immer wieder aufs Neue, dass er sie betrog oder Geheimnisse vor ihr hatte.

    Mehrmals erklärte er ihr, mit wem er unterwegs war und dass sie sich keine Gedanken machen bräuchte. Er versicherte ihr, dass er nur sie liebe und immer noch glücklich mit ihr war. An ihrer Stimme erkannte er aber, dass sie immer noch skeptisch war.

    Als ihr Telefonat beendet war, kehrte er zu Markus zurück, dem auffiel, dass sich seine Stimmung verschlechtert hatte.

    »Wenn Du einmal verheiratet bist, wird es Dir genauso ergehen, das verspreche ich Dir.« Mehr wollte er zu diesem Thema nicht sagen. In diesem Moment kam sein Chef, Georg Faltinger, zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern vorbei. Die beiden elfjährigen Zwillingsburschen grüßten Ben und Markus.

    »Schönen Tag noch, wir sehen uns morgen wieder«, verabschiedete sich Bens Vorgesetzter von ihnen und verschwand mit seiner Familie in der Garage des Hauses.

    »Mal schauen, was der Tag noch so bringt, ich warte immer noch darauf, bei einer Blaulichtfahrt mitzufahren«, meinte Markus und entschied dann, doch eine Zigarette zu rauchen.

    13:45 Uhr

    Gabriele und Hans Martin konnten sich im nahegelegen Restaurant bei ihrem Mittagessen Zeit lassen.

    Ihnen stand danach nur ein kurzer Spaziergang über den Michaelaplatz bevor, um zur Hofburg zu gelangen.

    Trotz des wenig einladenden Wetters waren unzählige Touristen unterwegs um die historische Altstadt Wiens zu erkunden. Die Fiaker standen bereit, um mit der zahlenden Kundschaft durch die Gassen des ersten Bezirks zu fahren. Es sah nach keinem guten Tag für die Fahrer aus, wie ihre Mienen verrieten.

    »Ich war noch nie beim Bundespräsidenten, die Räume kenne ich nur von seinen Fernsehansprachen zum Jahreswechsel und Nationalfeiertag», meinte Gabriele mit etwas Ehrfurcht.

    »Ich kenne Walter Schlinger schon lange, er ist ein ehrlicher, besonnener Mann. Obwohl wir in unmittelbarer Nähe zur Präsidentschaftskanzlei der Hofburg sitzen, habe ich ihn auch schon eine Ewigkeit nicht mehr persönlich getroffen.»

    Gabrieles Handy läutete. Sie sah kurz nach, wer der Anrufer war und drückte ihn dann weg.

    »Scheinbar nichts Wichtiges, oder?«, fragte Hans Martin nach.

    »Wie man es nimmt. Mein Freund, mit dem ich eigentlich verabredet war. Ich werde ihn später zurückrufen.«

    »Du hast gar nicht erwähnt, dass es einen Neuen gibt?«

    »Das läuft erst seit knapp drei Monaten, Chef.«

    »Und hast Du ihn schon überprüft?«, wollte Hans Martin wissen.

    Gabriele verkniff sich ein Schmunzeln.

    »Oliver Gradwohl, 38 Jahre, keine Vorstrafen, nichts Aktenkundiges und Nichtraucher.«

    »Was Dir ja besonders wichtig ist.«

    »Genau, Chef. Dafür ist er aber eifersüchtig und klammert etwas. Zum Beispiel ist es ihm ein Dorn im Auge, auch wenn er es noch nicht ausgesprochen hat, dass ich ganz alleine mit einem Mann im Büro sitze.«

    Hans Martin lachte kurz auf und schüttelte belustigt den Kopf.

    »Der kennt mich noch nicht. Sonst würde er nicht auf die Idee kommen, dass ich ... Also wirklich, Gabriele.«

    »Ich habe es ihm gesagt und damit muss er leben«, gab sich Gabriele selbstbewusst.

    Hans Martin sah in Gabriele nicht die hübsche, junge Frau, wie viele andere im Büro. Vielmehr war sie ihm mit der Zeit sehr ans Herz gewachsen, fast wie eine Tochter, auf die er aufpasste. Kurz, nachdem Gabriele bei ihm angefangen hatte, kam ihr Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Hans Martin hatte sich damals um sie gekümmert und versucht, sie zu trösten. Was nicht leicht war, für einen Mann, der nur äußerst selten Gefühle zuließ.

    »Du weißt, wie ich über Dich denke, Gabriele. Wenn es Dir mit dem Mann ernst ist, stell ihn mir vor und ich kläre das mit ihm.«

    »Ja, Papa«, antwortete sie grinsend.

    Vor dem drei Meter hohen Eingangstor zum Trakt der Hofburg, der dem Bundespräsidenten zugedacht war, standen zwei Polizeibeamte. Sie waren über Hans Martins Erscheinen informiert und ließen ihn sofort ins Gebäude, als er sich vorstellte.

    16:55 Uhr

    Das Amtszimmer des Bundespräsidenten war prominent besucht. Neben Walter Schlinger waren der Verteidigungsminister, die Innenministerin, der Bundeskanzler sowie Hans Martin Gross und Gabriele Zauner anwesend. Sie hatten alle mehrmals die Aufzeichnung angehört und waren vom Ernst der Lage überzeugt.

    »Sollte nicht auch Generalmajor Lechtaler bei diesem Treffen dabei sein?«, meinte Manfred Leininger, seines Zeichens Verteidigungsminister. Der groß gewachsene, glatzköpfige Mann blickte mit ernster Miene in die Runde.

    »Generalmajor Lechtaler ist auf Urlaub, noch dazu im Ausland. Außerdem betrifft die Angelegenheit weniger meine Sicherheit, als die der Bevölkerung«, antwortete Bundespräsident Schlinger, »Deshalb habe ich Herrn Gross zu uns gebeten. Wir kennen uns seit Jahren und er …«

    »Lechtaler ist nicht nur für Sicherheitsfragen zuständig, sondern auch ihr Verbindungsmann zum Bundesheer. Durch seinen Urlaub muss ich diese Position übernehmen.«

    Hans Martin mischte sich ein.

    »Im Moment müssen wir abwarten, was diese Terrorgruppe genau verlangt, wenn es überhaupt eine ist. Normalerweise spricht jemand, der einen Anschlag plant nicht von einem Spiel mit Runden und Einsätzen. Und meine Anwesenheit hier begründet sich vielleicht durch meine Funktion als Abteilungsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung«, stellte er klar.

    Manfred Leininger musterte Hans Martin abschätzig und schüttelte dann den Kopf.

    »Soweit ich informiert bin, sind sie für die Büroarbeit zuständig, hier geht es um eine ernsthafte Bedrohung durch eine ausländische Gruppierung. Da werden …«

    Das Telefon läutete und ließ ihn verstummen, gleichzeitig sprangen die Anwesenden von ihren Sitzen. Das Telefon war inzwischen an einen Lautsprecher und eine weitere Apparatur angeschlossen. Diese sollte den Anruf zurückverfolgen, in der Hoffnung, dem Spuk ein schnelles Ende zu bereiten. Nach dem dritten Klingeln hob Hans Martin ab und legte den Hörer in die vorbereitete Ausbuchtung des Lautsprechers.

    »Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Nachmittag«, meldete sich die inzwischen bekannte Stimme höflich.

    »Bevor wir uns weiter unterhalten, möchte ich Sie bitten, den Fernseher einzuschalten. Die Nachrichten, wenn Sie so freundlich wären.«

    Manfred Leininger beugte sich zum Telefon vor.

    »Bevor wir auch nur irgendetwas machen, was Sie verlangen, werden Sie uns verraten ...«

    »Herr Leininger, es ist außerordentlich unklug, um nicht zu sagen dämlich, mich zu unterbrechen. Es stehen harte Entscheidungen vor Ihnen und den anderen anwesenden Personen, deshalb sollten Sie mir besonders gut zuhören. Glauben Sie nicht, nur weil Ihnen das Bundesheer untersteht, dass ich Sie ernst nehme. Sie sind ein Wehrdienstverweigerer, der nur aufgrund der richtigen Freunde in diese Position geschoben wurde.«

    »Das ist nicht richtig!«, protestierte Leininger, »Ich habe niemals verweigert, meine damalige Gesundheit hat den Dienst an der Waffe nicht möglich gemacht.«

    Inzwischen war der Fernseher eingeschaltet, gerade lief ein Bericht über einen Protestmarsch gegen die Regierung in Spanien.

    »Genug mit den lächerlichen Streitereien, wir haben weitaus größere Probleme, genauer gesagt, Sie.« Die Stimme blieb weiterhin höflich, aber sehr bestimmend.

    Es folgten mehrere Sekunden des Schweigens.

    »Ich werde mich in ein paar Minuten wieder melden, bis dahin verfolgen Sie die Nachrichten. Ich gebe Ihnen einen kleinen Hinweis: Es wird Feuer regnen.«

    Die Verbindung war unterbrochen. Gabriele tippte wie wild auf ihrer Tastatur herum, die die Handhabung des Tablet-PC erleichterte.

    »Er ist in Wien, in einem der inneren Bezirke. Für eine genauere Angabe war das Gespräch zu kurz. Die Nummer gehört zu einem Wertkartenhandy. Keine Möglichkeit den Käufer ausfindig zu machen, die SIM-Karte stammt aus dem Fachhandel, wo sie haufenweise verschenkt werden«, fasste sie zusammen.

    »Das alles haben Sie in der kurzen Zeit herausgefunden?«, wunderte sich Ingrid Böhm, die Innenministerin.

    »Ich bin gut«, war Gabrieles Kommentar, bevor sie ihre langen, blonden Haare wieder fest zusammenband und weiter auf dem PC tippte.

    17 Uhr

    Ben und Markus waren auf dem Rückweg von einer Blutlieferung ins burgenländische Kittsee, östlich von Wien. Die Hinfahrt war für den jungen Zivildiener ein Highlight gewesen, denn er kam in

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