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Eine Frage der Macht
Eine Frage der Macht
Eine Frage der Macht
eBook292 Seiten3 Stunden

Eine Frage der Macht

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Über dieses E-Book

Ein Schäfer mit Hut, Stab, Hund und Schnuckenherde. Der Schützenverein, Naturliebhaber und Dorfidylle. Die Lüneburger Heide wie aus dem Bilderbuch.
Jens Jahnke, Reporter beim Kreisblatt, schaut hinter die Kulissen.
Vier tote Wölfe, streng geschützt und doch erschossen. Naturschützer und Weidetierhalter bekriegen einander bis aufs Blut. Der Umgang mit dem Wolf entscheidet über Wahlen, Karrieren und zuletzt über Tod und Leben.
Jens Jahnke soll eigentlich nur einen Artikel über Himmelfahrt schreiben, ein christliches Fest, das niemand mehr versteht. Er gerät in ein tödliches Spiel um Macht und Kontrolle. Begleiten Sie den Reporter nach Himmelstal, einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide, das es in sich hat.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum31. Aug. 2021
ISBN9783753197470
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    Buchvorschau

    Eine Frage der Macht - Hermann Brünjes

    Prolog

    Eine Frage der Macht

    Ein Jens Jahnke-Krimi

    von Hermann Brünjes

    Gewidmet

    jenen Menschen in Dorf und Region,

    die nach Wegen und Lösungen suchen,

    um mit Wölfen und Schafen,

    aber auch in Parteien, Kommunen, Kirchen und Familien

    den Lebensraum zu teilen.

    Ihr seid mir Inspiration und Freude.

    Danke.

    1. Auflage 2021

    Verlag: neobooks/epubli

    Kontakt: hbruenjes@t-online.de

    Info: www.hermann-bruenjes.de

    Umschlag, Texte: © Hermann Brünjes

    Prolog

    Was sein muss, muss sein.

    Er spürt, wie sich von seiner feuchten Stirn eine Schweißperle löst und vorbei am rechten Augenlid über den Abzugsfinger gleitet. Er hält die Luft an. Jetzt nur nicht bewegen und kein Geräusch!

    Drüben an der Eiche bewegt sich etwas.

    Jetzt ist es wieder still. Sein Gegner lauscht vermutlich wie er selbst ins Dämmerlicht des Waldes, ist misstrauisch und wittert die Gefahr.

    Eine Mücke summt um sein Ohr. Blödes Vieh. Nicht ausgerechnet jetzt! Jetzt geht es um Alles oder Nichts. Dieser Schuss muss sitzen. Er oder ich – einen Kompromiss wird es nicht geben.

    Das Gewehr liegt sicher auf. Gern hätte er ein größeres Kaliber benutzt, etwa eine Mauser oder seine geliebte R8. Aber so passt es besser. Er hat sich gut vorbereitet. Der Hochsitz schützt ihn vor Enttarnung. Unbeweglich visiert er das Etwas neben der Eiche an. Sobald er freies Schussfeld hat, wird er ohne Skrupel abdrücken. Wenn er leben und in diesem großartigen Land auch in Zukunft frei atmen will, muss sterben, was sich dort drüben bewegt.

    Das gehobelte Holz, auf dem sein Arm liegt, duftet nach Harz und Kiefer. Wie versteinert starrt er suchend durch das Zielfernrohr. Es hat geregnet. Leichter Dunst steigt auf. Aber das Licht reicht für einen guten Schuss. Das Objektiv von Zeiss ist enorm lichtstark. Der Jäger wird zum Gejagten.

    Da! Wieder hat sich etwas bewegt. Er steht noch dort, genau neben dem Stamm der Eiche. Jäger, ob Tier oder Mensch, sind vorsichtig. Zu Recht!

    Er braucht Geduld. Dieses Wild ist schlau und gefährlicher als alles, was er je im Visier hatte.

    Jetzt scheint er in Adrenalin zu baden. Nicht nur Hände und Arme an der Waffe oder sein Auge sind angespannt wie ein Bogen kurz vor dem Loslassen des tödlichen Pfeils. Sein ganzer Körper fühlt sich an wie unter Strom.

    Wann endlich tritt er aus der Deckung?

    Die Mücke nervt weiter. Er ist versucht, sie zu erschlagen. Stichst du mich, so stirbst du! Er muss innerlich schmunzeln. Ja, genauso sehe ich das!

    Aber er hat sich unter Kontrolle. Er wird sich diesen Schuss nicht nehmen lassen. Auch diesmal wird er treffen und töten. »Homo homini lupus«, der Mensch ist des Menschen Wolf, hat Thomas Hobbes zum Umgang zwischen Staaten und Menschen gesagt und dabei ein altes römisches Zitat benutzt. Dass er sich gerade jetzt an seinen politischen Unterricht erinnert, ist schon seltsam. Doch es stimmt. Auch er ist ein Wolf.

    Wie lange brauchst du denn noch, um diese blöde Deckung zu verlassen? Im Anschluss habe ich noch viel zu erledigen. Ich kann nicht ewig hier hocken. Er spürt seinen linken Arm, auf dem der Schaft des Gewehres ruht, kaum noch. Aber er wird durchhalten. Das weiß er. Seine Ausbildung hat sich gelohnt, auch die Zeit bei der Bundeswehr und dann die vielen Schießübungen. Er ist ein Profi.

    Jäh werden seine Gedanken unterbrochen. Wie aus einem Reflex wird er ruhig, sein Gehirn macht Pause und sein Finger wird eins mit dem kleinen stählernen Abzug.

    Dann knallt es.

    Gleich darauf noch einmal.

    Jeder Knall scheint gegen seine Schulter zu schlagen. Als würde die leichte Waffe ihn freundschaftlich boxen.

    Und dann entspannt er sich. Was er sieht, macht ihn vielleicht nicht glücklich, aber zufrieden.

    Der Wolf, der ihn bedroht, ist tot.

    Mittwoch, 4. Mai

    Seine wurstigen Finger fuchteln vor unseren Nasen herum. Florian ist unübersehbar sauer.

    »Und ihr? Ihr säuselt Süßholz, streckt eure blassen Gesichter in die Maisonne und verpasst völlig den Anschluss ans wahre Leben!«

    Florian Heitmann ist unser Chef. Er hebt den Daumen und er senkt ihn. Jetzt sind beide unten. Aus seiner Sicht hat das ganze Team versagt. Die Lüneburger Zeitung war schon wieder mal schneller.

    »Wie kommen die an ihre Fotos und ihr wisst noch nicht mal, wie man Wolf buchstabiert? Wo seid ihr, wenn was passiert? Jens, ja, dich meine ich vor allem. Warst mal auf Zack. Bist vielleicht doch langsam zu alt. Jetzt laufen wir der Konkurrenz hinterher!«

    Was soll ich sagen? Ich war tatsächlich mal jünger.

    Vor uns liegt die aktuelle Ausgabe der Lüneburger Zeitung. »Der 4. Abschuss!« titelt sie stolz und darunter steht: »Wolfssterben im Süsing.« Ich frage mich wie alle am Tisch, wie die Kollegen der Nachbarstadt an diese Fotos kommen und an die Infos dazu. Vermutlich sind sie einfach besser in die Förster- und Jägerszene vernetzt als wir. Ärgerlich ist nur, dass die Fundorte der illegal geschossenen Wölfe allesamt in unserem Landkreis liegen.

    Mein Online-Kollege, der sonst auf alles eine Antwort hat, Sportredakteur Steini, der immer mitredet, auch ohne dass er etwas weiß, die zwei jungen und noch unerfahrenen Regionalredakteure und auch ich als gewissermaßen Reporter-Urgestein der Kreiszeitung senken unsere Blicke wie Schüler, die von ihrem Lehrer der völligen Ahnungslosigkeit überführt wurden.

    Nur unsere hübsche Kollegin aus Ostfriesland versucht eine Erklärung. Sie hat echt Mut, die hübsche Blonde aus dem Norden.

    »Chef. Die haben vermutlich bessere Kontakte als wir.«

    Elske schaut mit ihren funkelnden blauen Augen sogar ein bisschen frech ins zornrote Gesicht unseres Vorgesetzten. Und sie setzt noch eins drauf.

    »Und, Chef, mach mal halblang. Vielleicht müssen die Kollegen dort auch nicht zu jedem Feuerwehr- oder Schützentreffen, müssen sich die Abende nicht in langweiligen Sitzungen oder immer ähnlichen Konzerten vertreiben und auch nicht hundertmal ihre Abrechnungen nach unten korrigieren!«

    Der Hammer, was sie sich traut! Unsere Blicke richten sich zaghaft auf das Gesicht unseres Chefs. So mit ihm zu reden, traut sich nur Elske, unser überaus charmantes »Küken«!

    Florian Heitmann starrt sie an. Man sieht es in ihm arbeiten. Über den dichten Augenbraunen pulsieren die Adern. Seine fleischigen Hände liegen wie eingefroren auf dem Tisch. Er erinnert mich an einen Feuerwerkskörper vom Vorjahr. Gerade entzündet, wartet man gespannt darauf, ob und wann er explodiert.

    Doch genau das passiert nicht.

    Florian entspannt sich plötzlich. Er nickt Elske versöhnlich zu und lehnt sich zurück.

    »Elske, du hast natürlich recht. Über die Sache mit den Aufträgen reden wir später – aber du hast recht mit der Vernetzung der Konkurrenz. Wir sind stark in Sachen Vereine und Veranstaltungen. Die sind stark, was die Vernetzung in Berufsgruppen und so was angeht. Kein Wunder. Ihre Redaktion ist ja auch mehr als doppelt so groß als unsere.«

    Wir alle atmen auf. Man kann unseren Chef als cholerisch bezeichnen, ihn für unfair halten oder auch seine Leitungsqualitäten anzweifeln, für eine positive Überraschung ist er jedoch immer gut! Und nun kann die wöchentliche Sitzung sogar noch konstruktiv werden. Genau genommen hat der Chef ja sogar recht. Wir haben in Sachen »Wolf« den Anschluss verpasst. Nach vielen Berichten über tote Schafe auf der Weide, Demos der Weidebesitzer und hunderten zum Teil extrem bissigen Leserbriefen ist uns der Stoff während der letzten Wochen schlicht ausgegangen. Die Nachbarn im Norden waren, was diese illegalen Abschüsse der letzten Monate angeht, wirklich schneller. Sie haben offenbar auch gute Kontakte zur Polizei. Die Kripo ermittelt. Wolfsberater und Experten analysieren die Kadaver. Man versucht, so gut es geht, Spuren der Wilderer zu finden... alles bisher umsonst. Aber auch wenn etwas umsonst ist, kann man fast täglich darüber berichten.

    »Wir sortieren also mal, was für den Mai noch so anliegt.«

    Florian Heitmann ist wieder bei der Sache. Was er besonders gut kann, außer die Zeitung leiten und in Politik, Verbänden und bei Anzeigenkunden gut Wetter zu machen, ist das Delegieren von Arbeit. Manche finden das doof, ich finde es prima. Was sonst ist die Aufgabe eines guten Chefredakteurs und Leiters? Er oder sie soll den Laden inhaltlich und wirtschaftlich am Laufen halten, ihn nach außen vertreten und sein Team motivieren und es machen lassen.

    »Wir haben neben den Veranstaltungen vor allem drei Themen: Den Wahlkampf und das ganze Machtgerangel um die Herrschaft im Land einschließlich des Europatages am Neunten. Den Wolf. Und Muttertag am Achten.«

    »Den Volkslauf Anfang Juni müssen wir auch schon in Blick nehmen. Da hängt viel Arbeit dran!« Was Steini unter »viel« Arbeit versteht, ist allerdings unklar. Meistens wirkt der Sportkollege ziemlich entspannt.

    »Richtig, Kollege Stein. Das ist natürlich einzig deine Sache! Jetzt, wo diese Coronakacke endlich vorbei ist, kann auch dein Sportlerherz wieder unbeschwert schlagen!«

    Florian lacht und wendet sich an die beiden jungen Kollegen ihm gegenüber am Tisch. »Und ihr zwei, ihr übernehmt die kulturellen, kirchlichen und sonstigen Veranstaltungen in eurer Region. Ihr könnt da gerne noch freie Mitarbeiter einspannen.«

    Die beiden Regionalredakteure lachen nicht, nicken aber. Florian visiert nun Elske und mich an.

    »Und ihr? Klar, ihr macht den Rest. Ihr kümmert euch um die aktuellen Themen.«

    Elske runzelt die Stirn.

    »Was heißt das denn, Chef? Ich bin eigentlich Öffentlichkeitsbeauftragte und Pressesprecherin dieser Zeitung, aber doch nicht Reporterin oder Redakteurin.«

    Florian Heitmann wedelt wieder mit den Fingern.

    »Und wenn, Kollegin. Du bist einfach zu gut fürs Büro. Und einer muss ja unserem lieben Jens auf die Finger schauen!«

    Damit meint er mich. Was mich nicht stört, ist doch mein Verhältnis zu Elske hervorragend. Mit ihr im Team macht die Arbeit doppelt Spaß. Ihr scheint es ähnlich zu gehen.

    »Okay, Chef, dann arbeite ich also ab sofort mit Jens zusammen. An was denkst du?«

    Dass ich nicht zu Wort komme, macht mir nichts aus – jedenfalls nicht, solange alles in meinem Sinn läuft.

    »Ihr macht die Berichterstattung über den Europatag und alles, was mit den Wahlen zusammenhängt.«

    »Okay. Sollen wir auch Interviews machen? Mit den Kandidaten und so...?«

    »Klar. Was ihr wollt, Hauptsache, ihr kitzelt denen ihre wahren Motive und Absichten raus. Was wollen sie wirklich? Warum greifen sie tatsächlich nach der Macht und streben auf Deubel komm raus einen politischen Schleudersitzjob an?« Florian lacht jetzt schelmisch. »Ihr müsst keine Skandale aufdecken, dürft es aber natürlich gerne, wenn es sich ergibt!«

    Typisch Florian. Er war vor seiner Zeit bei der Kreiszeitung Redakteur der BILD in Hamburg. Es ist uns bis heute nicht gelungen, unserem Chef gewisse Tendenzen der Boulevardpresse auszutreiben.

    Ich habe noch ein Anliegen, weiß jedoch nicht, wie ich es vorbringe. Schade, dass ich darüber nicht schon vor der Sitzung mit Elske gesprochen habe. Sie hätte es vermutlich besser als ich einbringen können. Aber okay, ich hoffe, es gelingt mir, mein Anliegen vorsichtig zu formulieren.

    »Chef, im Mai gibt es wieder einen kirchlichen Feiertag!«

    Es war wohl doch nicht vorsichtig genug.

    Er runzelt skeptisch die buschigen Augenbraunen. Allein das Wort »kirchlich« ist für meinen Chef ein Reizwort. Wie ich vor Jahren während eines feuchtfröhlichen Betriebsfestes herausbekommen habe, hat Florian Heitmann vor seiner Journalistenkarriere ein paar Semester Theologie studiert. Dann gab es einen Bruch in seiner Biografie. Die Hintergründe dazu kennt vermutlich nur er selbst. Seitdem stänkert er herum, wann immer es um Kirche, Glauben und Theologie geht. War also doch nicht so schlau mit dem »kirchlich«.

    »Jens, das muss doch nun nicht auch noch sein! Weihnachten, Ostern und Pfingsten hast du nun durch – und nun auch noch Himmelfahrt?«

    Ich wusste es. Florian weiß genau, welche Feiertage im Kirchenjahr wann dran sind.

    »Ja, warum denn nicht? Meine vorigen Reportagen waren für unsere Zeitung doch recht erfolgreich, oder?«

    Elske nickt aufmunternd und auch die anderen am Tisch scheinen dieser Meinung zu sein. Und wirklich, meine über die letzten Jahre verteilten Reportagen über die kirchlichen Feste passten jeweils supergut zu den Themen der Zeit, waren hochaktuell und brachten teilweise sogar sensationelle Auflagen. Es waren wohl die besten und aufregendsten Recherchen, die ich je gemacht habe.

    Daran erinnert sich nun vermutlich auch der Chef.

    »Okay, Jens. Ich gebe zu, dass du ein gewisses Talent hast, aus kirchlichen Festen Skandale und Kriminalgeschichten zu generieren. Bei Himmelfahrt allerdings weiß ich nicht, wie das gehen sollte!«

    Nun springt Elske in die Bresche. Sie hat im Gegensatz zu mir eine geradezu fromme Vergangenheit. In Ostfriesland war sie Gruppenleiterin im EC, bei den »Entschiedenen Christen«.

    »Oh, Chef, das würde ich nicht sagen. An Himmelfahrt geht es um nichts anderes als bei den Wahlen und im Wahlkampf.«

    Wieder Stirnrunzeln, jetzt nicht nur beim Chef, sondern rundum, auch bei mir. Wieso das?

    »Für mich ist Himmelfahrt vor allem Vatertag

    Steini spricht wieder schneller, als er denken kann.

    »Da ziehen wir mit dem Bollerwagen durch die Heide und geben uns die Kante! Freu’ mich riesig drauf. Musste wegen Corona zwei Jahre ausfallen!«

    Elske nickt.

    »Stimmt. Weil wir mit Himmelfahrt nichts anfangen können und Muttertag uns zu einseitig erscheint, haben wir einen Vatertag draus gemacht. Aber das ist tiefsinniger, als ihr glaubt.«

    Der Chef nickt. Ich sag´s ja, er weiß Bescheid. Aber er will mit der Sitzung weiterkommen und unterbricht Elske jetzt.

    »Ist schon gut, Kollegin. Wir wollen hier jetzt nicht in Theologie und Zeitgeschichte einsteigen. Ihr macht also auch was über Himmelfahrt – aber nur, wenn ihr es mit aktuellen Themen verbindet und nicht einfach nur frommes Geschwafel! Einverstanden?«

    Wir nicken.

    »Einverstanden!« sagen wir gleichzeitig.

    Ich bin schon gespannt, wie Elske einen Zusammenhang zwischen den Wahlen und Himmelfahrt herstellt. Meine Erfahrung mit diesem Feiertag geht eher in Richtung Steini: Bollerwagen und Besäufnis. Oder mir fällt ein, dass der Flugplatz nahe unserer Kreisstadt dann immer ein riesiges Fest feiert. Himmel und Fliegen passt ja auch gut!

    Es wartet viel Arbeit auf uns.

    »Ein Thema übernehmt ihr noch!«

    Noch mehr Arbeit. Aber ich ahne schon, womit Florian jetzt kommt.

    »Ihr steigt tiefer in die Wolfsthematik ein als bisher! Ich will wissen, wer der Wilderer ist, der unsere Wölfe killt. Überlasst das also nicht der Polizei oder den Lüneburger Kollegen. Die Abschüsse sind alle in unserem Revier passiert. Also sind sie unser Thema! Und achtet darauf: Nicht Partei ergreifen, nur recherchieren und sachlich berichten!«

    In Elske regt sich Widerstand.

    »Aber die Wölfe sind streng geschützt!«

    Steini murmelt etwas wie »Auch die Schafe wollen leben! Also abschießen!« vor sich hin. Florian geht dazwischen.

    »Genau deshalb! Das Thema polarisiert hier bei uns wie kaum ein anderes. Wir brauchen sachliche Information, keine Stimmungsmache – egal in welche Richtung! Okay?«

    Elske und ich nicken auch diesmal wieder synchron.

    *

    »Am Sonntag kommen die Kinder!«

    Maren strahlt. Ihre Tochter mit Enkel und ihren Sohn Benni hat sie seit Weihnachten nicht gesehen.

    »Bruno ist nun schon sieben! Ich bin echt gespannt auf ihn. Mir kommt es vor, als habe ich in den fast zwei Jahren Coronabeschränkungen völlig den Anschluss an seine Entwicklung verpasst. Nicht mal bei seiner Einschulung war ich.«

    Für mich ist Maren mit ihren 58 Jahren eine tolle, begehrenswerte Frau. Tatsächlich aber ist sie Oma. Und sie ist es gerne. Sie liebt Kinder und findet es schade, dass ich keines und sie nur ein Enkelkind hat. »Mit deinen 63 hättest du längst einige Enkel haben können!« hat sie mir mal ins Stammbuch geschrieben. »Aber du hast ja nicht einmal Kinder!«

    Mir gefällt ihr Humor.

    Ich erzähle, was in der Redaktion los war. Sie lacht.

    »Typisch Chef. Verteilt die Arbeit. Was macht er eigentlich, wenn die Sitzung vorbei ist? Sitzt vermutlich im Sessel und trinkt heimlich seinen Simpel-Dimple?«

    Maren hat von diesem offenen Geheimnis gewissermaßen zwangsweise von mir erfahren. Wann immer einer seiner Leute ihn glücklich gemacht hat, schenkt Florian Heitmann von seinem hinter Akten versteckten Whisky ein. Wer privilegiert ist, seinen Spruch »Jedem Simpel einen Dimple« zu hören, muss damit rechnen, ganz furchtbar zu versacken. Maren musste mich leider während unseres zweijährigen Zusammenlebens in Himmelstal schon zweimal spät abends und völlig fahruntüchtig aus der Redaktion abholen.

    Ich sehe mich trotzdem genötigt, Florian zu verteidigen.

    »Er leitet. Der Chef sorgt dafür, dass die Einnahmen und die Positionierung des Blattes in Politik und Öffentlichkeit stimmen und die Anzeigenkunden bei der Stange bleiben.«

    Maren schmunzelt wissend.

    »Toll. Also Telefon, Sektempfänge und kaltes Büffet.«

    »So ähnlich. Aber wie gesagt, das kann er gut. Unser Blatt ist bisher durch alle Krisen unbeschadet hindurchgekommen.«

    »Und du kannst also euren Leserinnen und Lesern nun wieder einen kirchlichen Feiertag nahebringen. Die hübsche Ostfriesin und der clevere Reporter als Himmelfahrtskommando.«

    Sie lacht. Ich berichte ihr vom Strategiegespräch mit Elske, das wir gleich nach der Sitzung geführt haben.

    Meine Kollegin hat mir den Zusammenhang von Himmelfahrt und Wahlkampf plausibel gemacht. Es klang einfach, birgt aber vermutlich doch dicke Fragezeichen. »Jens«, hat sie lachend erklärt, »Himmelfahrt bedeutet, dass Jesus Christus die Macht übernommen hat. Erst tot, dann auferstanden, dann im Himmel bei Gott, also auf dem Herrscherthron über alle Welt. Jesus ist der Chef von allem, könnte man auch sagen. Er hat ›alle Macht im Himmel und auf Erden‹ – vermutlich kennst ja sogar du als ehemaliger Religionsbanause das Zitat aus Matthäus! Also, was verbindet den Wahlkampf mit Himmelfahrt? Das Thema Macht!«

    Als ich Maren davon erzähle, strahlen ihre braunen Augen ähnlich wie die von Elske heute Nachmittag.

    »Jens. Deine Kollegin trifft den Nagel auf den Kopf! Immerzu geht es um Macht. Klar, es geht auch um Geld und Ansehen, und manchmal vielleicht sogar um Verantwortung oder Liebe. Aber die Kernfrage in all dem ist oft genug: Wer hat die Macht? Wer bestimmt? Wer kann machen, was er will? Wer setzt sich am Ende durch? Und deine hübsche blonde Lieblingskollegin trifft den Kern: Jesus Christus ist der Chef. Die Politiker, und eigentlich wir alle, tun allerdings gerne so, als wären wir nicht nur unser eigener, sondern auch Chef der anderen.«

    Höre ich da einen leisen Ton von Eifersucht auf Elske aus Marens Worten? Nein. Ich weiß, dass Maren viel von meiner Kollegin hält. Die beiden Frauen sind sich mehrfach begegnet und haben sich immer super verstanden. Hoffentlich bleibt es so. Vielleicht spürt Maren aber doch, dass ich Elske sehr sympathisch finde. Hätte ich sie als junger Mann getroffen... Aber nun gibt es wahrlich keinen Grund zur Eifersucht. Ich liebe Maren und nur sie! Aber Frauen...

    »Jens, ich kann dir sogar sagen, was die Wölfe mit Himmelfahrt zu tun haben!«

    Sie schiebt sich keck ihre braune Haarsträhne aus dem Gesicht. Seltsam, wie gewisse Gesten irgendwie erotisch wirken.

    »Na, da bin ich aber gespannt.«

    »Nun, der Wolf ist doch ein Symbol für Stärke, Klugheit und, wenn man so will, auch für Macht.«

    »Aber doch wohl eher für die Macht des Bösen!«

    »Ja, meistens wird es so gesehen. Fressen und gefressen werden. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Wolf als Metapher für Aggression und existenzielle Bedrohung.«

    »Vermutlich ist es genau dies, was die Wolfsgegner motiviert, ihn zu bekämpfen, oder?«

    Maren schüttelt mit dem Kopf.

    »Ich glaube nicht, jedenfalls nicht nur. Zumindest die Schäfer kämpfen teilweise ums Überleben. Was jedenfalls auch in diesem Fall eine Rolle spielt: Sie kämpfen. Es geht also wieder um Macht. Wer setzt sich durch? Wer ist der Stärkere? Da hast du wieder die Verbindung.«

    Mir ist schon fast ein bisschen unheimlich zumute. Heute Morgen dachte ich noch, Himmelfahrt sei ein freundlich frühlingshaftes und etwas geheimnisvoll-skurriles kircheninternes Thema – jetzt, am Abend desselben Tages, ist es mit Wahlkampf, Wolfsabschüssen und Machtkämpfen verbunden. Ich bin gespannt, was sich noch ergibt.

    Donnerstag, 5. Mai

    Ich rufe Schorse an. Mein alter Freund Georg Martens ist Hauptkommissar bei der Lüneburger Kripo. Leider hat er keine Ahnung, was es mit den illegalen Abschüssen auf sich hat.

    »Mensch Jens«, meint er lachend, »wenn wir von der

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