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Kirschen zu Mitternacht: Historischer Roman
Kirschen zu Mitternacht: Historischer Roman
Kirschen zu Mitternacht: Historischer Roman
eBook664 Seiten8 Stunden

Kirschen zu Mitternacht: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Viktor Mautner Markhof versetzt seine LeserInnen zurück in das Jahr 1645:

Der schwedische Feldmarschall Lennart Torstensson belagert mit seinen Truppen die Stadt Brünn. Die Wahrscheinlichkeit einer längeren Belagerung standhalten zu können, ohne Verstärkung durch zusätzliche Truppen, schätzten viele als ziemlich gering ein. Dennoch – klein beigeben kam nicht in Frage.

… Alles drehte sich um die entscheidende Frage, wie viel Zeit Torstensson noch benötigte, um mit seinen unzähligen Dragonern, Musketieren und Geschützen vor Brünn aufzutauchen. Es entstand eine rege Diskussion über die Maßnahmen, die nun zu treffen waren.
Immerhin konnte die Stadt auf rund achthundert gemusterte und bewaffnete Bürger sowie Handwerksburschen zurückgreifen. Weitere hundertzwanzig Musketiere waren im Laufe des Tages, nach der Aufhebung der Blockade von Olmütz von dort kommend auf der Festung Spielberg eingetroffen und einquartiert worden.
Die Stadt verfügte überdies über einen Ring aus einer inneren und einer äußeren Stadtmauer mit zahlreichen Türmen, wenn auch nicht in bestem Zustand.
Den meisten erschien dies gegen die anrückende Übermacht von rund fünfzehn- bis zwanzigtausend schwedischen Soldaten kaum ausreichend Schutz zu gewährleisten. …

Mautner Markhofs detailgetreue Schilderung der Belagerung Brünns lässt den Leser in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges eintauchen.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Juni 2020
ISBN9783902975713
Kirschen zu Mitternacht: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Kirschen zu Mitternacht - Viktor Mautner Markhof

    Personenverzeichnis

    Auf dem Gutshof

    Der Deckel der riesigen Holztruhe wog viel schwerer, als Johann und Friedrich es sich vorgestellt hatten. Sie stemmten ihn mit all ihrer Kraft nach oben, bis die beiden Stützen knarrend einrasteten. Dann lauschten sie, ob jemand das Quietschen der gusseisernen Scharniere gehört hatte. Es war ihnen nämlich strengstens verboten auf dem Dachboden zu spielen, geschweige denn die alten Truhen oder Schränke zu öffnen. Alles blieb ruhig.

    Die beiden Brüder starrten neugierig in das Innere der Truhe. Was immer sich darin befand, es war mit einem grauen Tuch abgedeckt. Friedrich zögerte einen Augenblick, fasste dann all seinen Mut zusammen und zog es mit einem kräftigen Ruck zur Seite. Die graue Farbe entpuppte sich als dicke Staubschicht, die sich über Jahrzehnte hinweg angesammelt hatte. Eine riesige Staubwolke nebelte sie ein. Johann und Friedrich drehten sich rasch zur Seite, um wenigstens ihre Gesichter zu schützen, konnten jedoch einen plötzlichen, heftigen Hustenanfall nicht verhindern.

    Nachdem sich die Staubwolke gelegt und der Hustenreiz im Hals nachgelassen hatte, klopften sie ihre Kleider ab und wagten einen neuerlichen Blick in die Truhe. Sie war in der Mitte durch ein Brett in zwei ungleich große Abschnitte unter teilt. An der Rückwand befanden sich rechts wie links kleine Laden und dazwischen ein langes, schmales Fach mit einem aufklappbaren Deckel. Johann hob ihn mit zwei Fingern vorsichtig an. Es kamen – durch Lederriemen gesichert – ein Rapier, ein Degen und ein Dolch zum Vorschein. Er griff nach dem Rapier um es herauszuziehen. Friedrich hielt ihn am Arm zurück. Johann blickte seinen Zwillingsbruder überrascht an, ließ widerspruchslos vom Rapier ab und machte sich daran, die kleinen Laden der Reihe nach aufzuziehen. In der ersten entdeckte er Gewehr- und Pistolenkugeln, in der Nächsten ein verschlossenes Tintenfass mit eingetrockneter Tinte und einigen Schreibfedern, in einer anderen Siegelwachs, einen Feuerstein, Zunderpilz und vielerlei sonstiges Kleinzeug. Er schloss sie wieder.

    Im rechten vorderen Teil der Truhe lagen übereinander- gestapelt fein säuberlich zusammengelegte Kleidungsstücke. Mehrere Uniformröcke, die entsprechenden Hosen dazu, ein schwerer Umhang, darunter andere Wäschestücke. Die beiden beachteten sie nicht weiter, sie konzentrierten sich stattdessen auf die viel interessanter anmutenden Gegenstände im linken Teil der Truhe. Ebenfalls mit einem Lederriemen festgezurrt steckte an der Seitenwand ein eiserner Brustharnisch, der mit zahlreichen feinen Ziselierungen versehen war. Johann löste mit einem fragenden Blick auf Friedrich die Riemen, zog ihn heraus und drückte ihn gegen seine Brust. „Ein wenig zu groß für mich!", bemerkte er enttäuscht und legte ihn Friedrich an. Das Ergebnis war das Gleiche. Rasch steckten sie ihn an seinen Platz zurück. Friedrich wandte sich plötzlich mit einer ruckartigen Bewegung zur Tür um. Er glaubte ein Geräusch gehört zu haben. Es erwartete sie eine harte Strafe, wenn ihre Eltern oder der Großvater sie erwischten. Erleichtert stellte er fest, dass er sich getäuscht hatte. Im Treppenhaus blieb es ruhig.

    Sie kramten aufgeregt weiter. Neben Stiefeln und Schuhen, einigen Hüten, einem Essgeschirr, Pferdetaschen, Kerzen und anderen durchaus brauchbaren Gegenständen stießen sie am Boden der Truhe auf zwei schwere, mit Leder überzogene Kassetten. Die eine war gut zwei Fuß lang, einen Fuß breit, hingegen nicht allzu hoch, die andere deutlich kleiner, dafür höher. Neugier beflügelte ihren Mut. Friedrich beugte sich weit über den Truhenrand. Er zog die beiden Kassetten nacheinander heraus, stellte die höhere auf den Boden und legte die andere darauf. Mit einem geschickten Handgriff löste er die Verriegelungen der oberen Kassette und klappte gespannt den Deckel auf. Sie enthielt zwei an ihren Griffen reich verzierte Radschlosspistolen. Friedrich strich voll Bewunderung mit seinen Fingern über die fein geschnitzten Holzmuster. Diesmal war es Johann, der beim Anblick dieser Waffen unruhig zu werden schien. Er bat Friedrich, die Kassette wieder zu schließen. Es reichte vollkommen, wenn sie wussten, was sich darin befand.

    Friedrich verstaute die Kassette mit den Pistolen wieder an ihrem Platz. Danach hob er die zweite Kassette an, um sie auf den Rand der Truhe zu stellen. Dabei entglitt sie seinen schwitzenden Händen. Mit einer blitzschnellen Bewegung fing er sie gerade noch auf. Dabei klappte jedoch ihr Deckel auf und ein Stapel herausfallender Papierbögen verteilte sich über den Dachboden. Beide Brüder fluchten – Friedrich über sein Missgeschick, Johann über Friedrich. Dieser stellte zitternd die leere Kassette ab und bückte sich, um einige Papierbögen aufzuheben. Als er sie näher betrachtete, bemerkte er, dass sie auf allen vier Seiten beschrieben waren. Am oberen Rand des vorderen Blattes standen immer ein Titel, daneben ein Wochentag und ein Datum. Darunter folgte ein Text. Er versuchte die Schrift auf dem ersten Bogen zu entziffern, legte ihn nach ein paar Zeilen zur Seite und fuhr auf dem nächsten fort. Alle Texte folgten demselben Schema, so ähnlich wie ein Tagebuch oder die Vorlagen zu einer Geschichte.

    Johann hatte inzwischen dasselbe festgestellt. Er setzte sich im Fersensitz auf den Boden und machte sich daran, die Blätter nach ihrem Datum zu ordnen. Friedrich kniete sich neben ihn und half ihm. Nachdem sie die richtige Reihenfolge wieder hergestellt hatten, blickten sie auf einen dicken Stapel voll beschriebener Papierbögen. Friedrich nahm das oberste Blatt zur Hand. Darauf prangte groß das Wort „Prolog". Er begann laut zu lesen. Johann rückte näher zu seinem Bruder und folgte dem Text mit seinen Augen.

    Sie mussten sich erst an den Charakter der Handschrift gewöhnen. Kaum hatten sie die ersten Zeilen geschafft, als sie ein deutlich zu vernehmendes Geräusch im Treppenhaus neuerlich aufschrecken ließ. Sie hielten den Atem an und starrten zur Tür. Auf der Türschwelle erschien eine der zahlreichen Katzen, die sich offenbar auf der Jagd nach Mäusen befand. Johann und Friedrich atmeten tief durch und blickten einander erleichtert an. Dabei kam ihnen wie so oft gleichzeitig dieselbe Idee. Sie sprangen auf, legten die staubige Decke zurück in die Truhe und schlossen den schweren Deckel. Danach verstauten sie den Papierstapel in der Kassette und schlichen mit ihr zum Kinderzimmer. Das Geheimversteck befand sich unter der zweiten Bodendiele vor dem Fenster. Johann hob sie an, um zu überprüfen, ob der Hohlraum darunter groß genug war. Sie hatten Glück, die Kassette passte genau hinein. Friedrich entnahm ihr die ersten zehn Bögen und ließ sie dann im Versteck verschwinden. Johann drückte die Diele wieder an ihren Platz zurück. Danach legten sie sich nebeneinander auf den Boden und begannen von Neuem zu lesen.

    Prolog

    Nervöses Schweigen herrschte im großen Saal des Rathauses der Stadt Brünn. Wir schrieben Sonntag, den 12. März des Jahres 1645. Ein Kurier war kurz vor Mittag eingetroffen und hatte Bürgermeister Johann Krauss ein dringendes Schreiben überbracht. Kurz darauf wurden in aller Eile Kreishauptmann Sigmund Ferdinand Sack von Bohuniowitz, der Kanzler des obersten Tribunals Johann Mencel von Kolsdorff, sämtliche Mitglieder des inneren und äußeren Rates, der Stadtrichter, die Stadtschreiber und einige Vertreter des Adels zu einer dringenden Zusammenkunft einberufen. Johann Krauss hielt das eben verlesene Schreiben des Landeshauptmannes von Mähren, Christoph Paul Graf von Lichtenstein-Kastelkorn, ungläubig in der Hand. Er blickte mit bleicher Miene in die noch fahleren Gesichter der rund dreißig anwesenden Stadtobersten. Die im Laufe der Woche nach und nach in die Stadt gedrungenen Gerüchte wurden durch diese Nachricht zur niederschmetternden Gewissheit: Torstensson hatte Hatzfeld tatsächlich vor nur wenigen Tagen, nämlich am 6. März, in einer Schlacht bei Jankau vernichtend geschlagen. Die kaiserlichen Truppen verloren knapp ein Viertel ihrer achtzehntausend Soldaten auf dem Schlachtfeld, ein weiteres Viertel wurde gefangen genommen, darunter auch General Hatzfeld selbst. Die restliche Armee war teilweise versprengt, teilweise nach Prag und Pilsen geflohen und nicht mehr voll einsatzfähig. Sämtliche Geschütze gingen in Feindeshand über. Niemand konnte nunmehr Torstensson mit seiner riesigen Armee ernsthaft daran hindern, plündernd und brandschatzend Richtung Wien zu ziehen und alles, was sich ihm in den Weg stellte, zu vernichten.

    Es handelte sich genau um jenen schwedischen Feldmarschall Lennart Torstensson, der eineinhalb Jahre zuvor bereits einmal Mähren verwüstet und die Stadt Brünn mit einer Belagerung in Angst und Schrecken versetzt hatte. Die schwedischen Soldaten steckten damals, gleich nach ihrer Ankunft, alle Vorstädte in Brand. Noch am ersten Tag nahmen sie den für Brünn vorgesehenen Kommandanten Obrist de Villa Lobos mit einigen hundert Reitern gefangen. Die restlichen vierhundert Soldaten unter Obrist von Schönkirch und Rittmeister Püchler retteten sich gerade noch in die Stadt. Danach bombardierte die schwedische Artillerie die Stadt fortwährend mit ihren Geschützen und die Infanterie drang in ihren Laufgräben nach und nach bis knapp an die Stadtmauer vor. Auch die beiden Klöster der Franziskaner-Nonnen und der Bernadiner an der Südseite der Stadt gingen in Flammen auf. Manche behaupteten, einige Brünner hätten selbst das Feuer gelegt, um die Schweden von der Stadt fern zu halten. Wie auch immer – das Feuer griff damals auf die Kirche am Petersberg über und zerstörte die drei schönen Altäre, beide Orgeln, den Turm, sechs Glocken, die zweifache Uhr sowie die wertvolle Büchersammlung. Acht Tage lang wehrte sich Brünn tapfer mit Unterstützung des an Villa Lobos´ Stelle getretenen neuen Kommandanten Schönkirch und des umsichtigen Kreishauptmannes Sack, während General Gallas seelenruhig mit einer den Schweden zahlenmäßig weit überlegenen kaiserlichen Armee zwei Meilen entfernt in Seelowitz lagerte und nicht eingriff. Die Brünner hielten durch, bis neben weiteren zweihundert Soldaten, endlich ein kleiner Entsatz mit vierhundert Kürassieren und dreihundert Fußsoldaten zur Unterstützung einlangte. An demselben Tag erhielt Torstensson ein Schreiben, in dem er unerwartet durch den schwedischen Kanzler Oxenstierna zurückbeordert wurde, um die Kämpfe Schwedens gegen Dänemark zu unterstützen. Er zog zur großen Freude aller Brünner ab, ohne die wehrhafte Stadt eingenommen zu haben.

    Jeder der anwesenden Honoratioren erinnerte sich noch genau an diese kritischen Tage im September des Jahres 1643 und wusste die neue überaus gefährliche Lage nur zu gut einzuschätzen. Zahlreiche Adelige und reiche Bürger, die es sich leisten konnten, beschlossen umgehend die Stadt zu verlassen. Alles drehte sich um die entscheidende Frage, wie viel Zeit Torstensson noch benötigte, um mit seinen unzähligen Dragonern, Musketieren und Geschützen vor Brünn aufzutauchen. Es entstand eine rege Diskussion über die Maßnahmen, die nun zu treffen waren. Immerhin konnte die Stadt auf rund achthundert gemusterte und bewaffnete Bürger sowie Handwerksburschen zurückgreifen. Weitere hundertzwanzig Musketiere waren im Laufe des Tages, nach der Aufhebung der Blockade von Olmütz von dort kommend auf der Festung Spielberg eingetroffen und einquartiert worden. Die Stadt verfügte überdies über einen Ring aus einer inneren und einer äußeren Stadtmauer mit zahlreichen Türmen, wenn auch nicht in bestem Zustand. Den meisten erschien dies gegen die anrückende Übermacht von rund fünfzehn- bis zwanzigtausend schwedischen Soldaten kaum ausreichend Schutz zu gewährleisten. Außerdem war der Posten des Stadtkommandanten vakant, denn als Schönkirch vor Kurzem die Stadt wieder verließ, wurde kein Nachfolger bestellt. Die Wahrscheinlichkeit einer längeren Belagerung standhalten zu können, ohne Verstärkung durch zusätzliche Truppen, schätzten viele als ziemlich gering ein. Dennoch – klein beigeben kam auch diesmal nicht in Frage. So erklärten sich die Stadträte bereit, die Stadt mit Gottes Hilfe und allen Mitteln bis auf den letzten Mann verteidigen zu wollen. Sie beschlossen ihre Entscheidung umgehend dem Landeshauptmann in einem Antwortschreiben mitzuteilen. Gleichzeitig baten sie um Klarheit über die Entsendung eines neuen Kommandanten und um zusätzliche militärische Unterstützung.

    In Brünn wusste man zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ein Teil der schwedischen Armee unter Generalmajor Wittenberg bereits die kaum zwei Tagesmärsche entfernte Stadt Iglau belagerte. Auch hatte ein aus einigen hundert Reitern bestehender Teil, inzwischen das ähnlich weit entfernte, südwestlich von Brünn gelegene Znaim erreicht. Die Iglauer Bürger sahen sich nicht imstande, ihre Stadt gegen den übermächtigen Feind zu verteidigen. Sie übergaben sie nach nur zwei Tagen Belagerung kampflos am Montag, dem 13. März um die Mittagszeit. Den Verteidigern von Znaim gelang es zwar, mit einem Ausfall die plötzlich aufgetauchten schwedischen Reiter zurückzudrängen, doch sollte dieser Erfolg nur von kurzfristiger Dauer sein. Beim Anblick der am 14. März anrückenden feindlichen Hauptmacht, ergab sich die Stadt ebenfalls nach nur wenigen Stunden Belagerung.

    Aufbruch nach Brünn

    (Mittwoch, 15. März 1645)

    Der Himmel zeigte sich leicht bedeckt und die Sonne trat immer wieder hinter den Wolken hervor. An höher gelegenen Orten fegte ein kalter Wind über das sanfte Hügelland. Der Winter war in diesem Jahr ziemlich hart gewesen. Die seit Anfang März leicht ansteigenden Temperaturen hatten in den Niederungen Schnee und Eis stellenweise zum Schmelzen gebracht und die Straßen vielfach in morastige Kanäle verwandelt.

    Wir schrieben Mittwoch, den 15. März des Jahres 1645. Ich war mit einer Truppe von ungefähr dreihundert Soldaten seit den frühen Morgenstunden unterwegs. Wir wurden durch einen Obristen mit dem ausgefallenen Namen Raduit De Souches angeführt. Der Generalstab hatte ihm die Verteidigung der Stadt Brünn als neues Kommando übertragen. Der seit zweieinhalb Jahren in den Diensten der kaiserlichen Armee stehende Franzose und Hugenotte aus La Rochelle zögerte erst, diese fast aussichtslose Aufgabe anzunehmen. Doch die Generäle, allen voran Graf Waldstein, leisteten die ihrem Rang entsprechende Überzeugungsarbeit. Eine offizielle schriftliche Ernennung durch den Kaiser stand zwar noch aus, galt aber nur noch als Formsache.

    Als dem Obristen direkt unterstellter Leutnant hatte ich das Glück neben einigen anderen Offizieren und Unteroffizieren auf einem Pferd unterwegs zu sein. Die Mehrheit der Soldaten gehörte jedoch zu einer Infanterieeinheit. Sie marschierten seit Stunden in scharfem Tempo zu Fuß. Kurz nach Aufbruch überbrachte uns ein Bote die unerfreuliche Nachricht, dass die Stadt Iglau sich vor zwei Tagen ergeben hatte und Streifscharen der Schweden in weiten Teilen von Südmähren und dem nördlichen Niederösterreich umherzogen. Wir mussten uns beeilen, Brünn zu erreichen, bevor die schwedischen Truppen dort einlangten.

    Wieder einmal überquerten wir eine der zahlreichen Anhöhen der böhmisch-mährischen Hügellandschaft und endlich ließ sich in der Ferne die mächtige Festung Spielberg erkennen. Sie lag auf einer Erhebung unmittelbar neben der Stadt Brünn. Auch die Türme einiger Kirchen sowie jenen des Rathauses konnten wir ausmachen. Selbst die Reste des Turmes und des Daches der Domkirche St. Peter, die seit dem Brand während der letzten Belagerung nicht mehr aufgebaut worden waren, bildeten wegen ihrer erhöhten Lage auf dem Petersberg einen markanten, weithin sichtbaren Orientierungspunkt. Meiner Schätzung nach benötigten wir für die letzte Meile bis zu den Stadttoren noch ein bis zwei Stunden.

    Wenig später durchquerten wir ein kleines Dorf. Es bestand aus einigen Gehöften und einer kleinen Kapelle. Kommandant De Souches ordnete eine kurze Rast an und saß schwungvoll ab. Ein Soldat übernahm das Pferd und schlug die Zügel um den obersten Balken eines Holzzaunes, der einen Obstgarten umgab. Die anderen Reiter und ich selbst folgten seinem Beispiel. Während sich die Offiziere in der Mitte der Häuser versammelten, traten die Bauern sowie manche ihrer Frauen, begleitet von neugierigen Kindern und einigen Knechten, verunsichert auf die Straße. Sie starrten wortlos auf die große Anzahl an Soldaten, die sich erschöpft rechts und links ins feuchte Gras des Straßenrandes fallen ließen. De Souches ordnete an, die kleine Gruppe von Bauern, die es ohnedies nicht wagte, sich allzu sehr zu nähern, von den Offizieren fernzuhalten. Da sie nicht wussten, wen genau sie vor sich hatten, entfernten sich manche von ihnen mit ehrfurchtsvollen Verbeugungen, die anderen traten nur einige Schritte zurück und beobachteten weiter. De Souches nützte die Gelegenheit, um sich einen Überblick über den Zustand seiner Truppe zu verschaffen. Wie ich bereits mehrfach feststellen konnte, legte er großen Wert auf eine gute körperliche Verfassung seiner Soldaten.

    Kurz darauf verlangte er Wasser und ordnete an, Obst, Gemüse oder andere Nahrungsmittel herbeizuschaffen. Die verschreckten Bauern rückten erst nach einigem Zögern mit einem Teil ihrer Vorräte heraus, obwohl sie sich nur zu gut im Klaren darüber waren, dass es keinen Sinn hatte, sich zu wehren. In den letzten Jahren zogen immer wieder Truppen durch ihren kleinen Ort. Die Versorgung der Armeen mit Lebensmitteln aus der Region, in der sie sich gerade befanden, gehörte spätestens seit Wallenstein zum großen Leid der Landbevölkerung. Was die Bauern nicht freiwillig herausrückten, holten sich die Soldaten mit Gewalt. Dabei spielte es meist keine Rolle, ob es sich um feindliche Truppen oder die eigenen kaiserlichen handelte. Nach dem Winter traf dies viele Bauern besonders hart, da ein Großteil der Vorräte bereits aufgebraucht war. Noch verheerender wirkten sich in der Nähe aufgeschlagene Winterlager von erschöpften und ausgehungerten Truppen aus, für deren Verpflegung ebenfalls die Lagerbestände der umliegenden Höfe herangezogen wurden. Das Wenige im Frühjahr noch Vorhandene musste reichen, bis sich in den warmen Monaten die nächste Ernte einbringen ließ. Eine Bezahlung oder Entschädigung konnten sie sich meist nicht erwarten. Wenigstens sorgte De Souches dafür, dass sich seine Soldaten gegenüber der eigenen Bevölkerung anständig verhielten.

    Der Anblick dieser in schmutzüberzogenen, zerlumpten und stinkenden Kleidern vor uns stehenden Bauern war zwar nichts Außergewöhnliches, aber dennoch niederschmetternd. Ich empfand Mitleid mit ihnen und fühlte mich verpflichtet, diese armen Leute zu warnen. In wenigen Tagen würden sie durch die herannahenden schwedischen Truppen brutal überfallen und vollständig ausgeraubt werden, erklärte ich ihnen. Die ohnedies schon verängstigten Frauen und Männer schlugen entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. Furcht überzog ihre, von der schweren Arbeit gezeichneten Gesichter. Der Schock über diese Nachricht saß tiefer, als ich vermutet hätte. Einige Frauen knieten nieder und begannen zu beten. Ein alter Bauer namens Jakob berichtete uns, dass die schwedischen Söldner bereits zweimal, erst vor drei und zuletzt vor zwei Jahren, ihre gesamten Vorräte geplündert, ihr Hab und Gut in Brand gesetzt und zerstört, Frauen vergewaltigt und jene Männer, die ihre Frauen schützen wollten, getötet hatten. Unter großen Anstrengungen und Entbehrungen gelang es ihnen seitdem, zumindest einen Teil ihrer Häuser, die Ställe für das Vieh und die Scheunen für das Futter wieder aufzubauen. Nun drohte alles umsonst gewesen zu sein und sie mussten neuerlich um ihr Leben bangen.

    Ein kleiner Junge mit schwarzem Wuschelkopf – ich schätzte sein Alter auf etwa zehn oder elf Jahre – schmiegte sich an den alten Bauern und fixierte mich mit seinen großen, braunen Kulleraugen. Der Bauer legte seine Hände schützend auf die Schultern des Jungen. Ich betrachtete ihn.

    „Das ist mein Enkel", erklärte der Alte stolz.

    Ich selbst wuchs mit sieben Geschwistern auf dem Gut meines Vaters auf. Mein Bruder war der Erstgeborene und sollte das Gut übernehmen. Als Zweitgeborenem wurde für mich die militärische Karriere bestimmt, mein kleiner Bruder sollte die geistliche Laufbahn einschlagen. Vier meiner Geschwister waren jünger als ich und es machte mir immer großen Spaß mit ihnen zu spielen. Durch die Ländereien meines Vaters hatte ich viel mit Bauern und der Landbevölkerung zu tun. Ihr Stand zählte zu den am wenigsten angesehenen, doch im Gegensatz zu zahlreichen anderen Gutsbesitzern legte mein Vater immer großen Wert darauf, mit ihnen respektvoll umzugehen. Ich folgte bereitwillig diesem Vorbild und beugte mich daher langsam zu dem schüchtern auf mich blickenden Jungen hinunter.

    „Wie ist Dein Name?", fragte ich vorsichtig.

    Er befreite sich aus der Umklammerung seines Großvaters und kam mir einen Schritt entgegen. Dann forderte er mich durch ein Zeichen seiner Hand auf, meinen Kopf noch ein Stück weiter zu senken und flüsterte mir „Christoph!" ins Ohr. Im Anschluss daran drückte er seinen Zeigefinger auf die Lippen, um mir zu deuten, dass ich es nicht weitererzählen sollte. Als Antwort und Zeugnis meiner großen Verschwiegenheit legte ich den linken Zeigefinger ebenfalls auf meine Lippen und hob mit ernstem Gesichtsausdruck die rechte Hand. Ein Aufleuchten in seinen Augen zeigte mir, dass er verstanden hatte. Ich wandte mich wieder an Jakob.

    „Wo sind seine Eltern?"

    Jakob schluckte, bevor er antwortete.

    „Als die Schweden uns vor zwei Jahren überfielen, rettete ich dem Jungen und mir nur durch einen Zufall im letzten Augenblick das Leben. Wir kamen gerade vom Pilze suchen aus dem Wald. Das Brandschatzen und Morden der schwedischen Söldner hatte schon begonnen. Hufschläge galoppierender Pferde und laute Schreie drangen bis zu uns am Waldrand vor. Ich ahnte sofort, was in unserem kleinen Ort vor sich ging, packte Christoph blitzschnell am Arm und rannte mit ihm tief in den Wald zurück. Dort versteckten wir uns in einer kleinen Höhle bis zum nächsten Tag. Als wir zurückkehrten, bot sich uns ein grausamer Anblick. Er hielt einen Moment inne und rang um seine Fassung. „Ich möchte das in Anwesenheit des Jungen jetzt nicht näher schildern. Seine Mutter war meine Tochter!

    Es standen ihm die Tränen in den Augen und es versagte ihm die Stimme. Vater und Mutter des Jungen überlebten den Überfall offenbar nicht. Diese traurige Geschichte erinnerte mich an jenes menschenunwürdige Massaker durch die kaiserlichen Truppen unter Tilly und Pappenheim in Magdeburg vor einigen Jahren. Rund zwanzigtausend Bürger, darunter viele Frauen und Kinder wurden auf grausamste Art ausgeraubt, vergewaltigt und ermordet. Ich war damals selbst noch ein Kind und kannte diese fürchterliche Geschichte nur aus Erzählungen meiner Eltern. Aber trotz des Schocks bei den Verantwortlichen über das Geschehene, hatte sich in diesem Krieg seitdem nicht viel geändert. Es trat eine unangenehme Stille ein, denn auch alle anderen Bauernfamilien hatten an diesem Tag nahe Angehörige verloren. Einige bekreuzigten sich und blickten starr zu Boden. Ich wechselte das Thema und versuchte aufmunternd zu wirken.

    „Warum zieht Ihr nicht mit uns nach Brünn und helft bei der Verteidigung der Stadt?"

    Eine Antwort erhielt ich nicht mehr, denn De Souches befahl mit einem lauten Kommando den Weitermarsch. Ich beeilte mich, auf mein Pferd aufzusitzen. Er konnte nämlich ziemlich aufbrausend reagieren, wenn seinen Befehlen nicht unmittelbar Folge geleistet wurde.

    Verhaltener Empfang

    (Mittwoch, 15. März 1645)

    Nach einer halben Stunde erreichten wir einen Vorort von Brünn. Viele schaulustige Männer, Frauen und Kinder säumten den Straßenrand und betrachteten die vorbeiziehenden Soldaten mit gemischten Gefühlen. Der Kommandant winkte mich zu sich und erteilte mir den Auftrag in Begleitung von zwei Unteroffizieren in die Stadt vorauszureiten, um unsere Ankunft vorzubereiten. Der Einzug sollte durch das Brünnertor auf der Westseite der Stadt erfolgen.

    Wir machten uns auf den Weg. Zu Dritt trabten wir nebeneinander zum westlich der Stadt gelegenen Königinnenkloster. Dort bogen wir in die ostwärts führende Bäckergasse ein, die am St. Anna Kloster und der Allerheiligenkirche vorbei leicht ansteigend zum Stadttor hinauf führte. Auf dem Hügel links oberhalb von uns erhoben sich die gewaltigen Mauern der Festung Spielberg und in ihrer Mitte der noch höher aufragende Hungerturm. Unmittelbar davor reihte sich an den südwärts gerichteten Hängen ein Weingarten an den anderen. Die Wachen der Festung und auf den Stadtmauern hatten die herannahende Truppe und meine kleine Abordnung bereits aus der Ferne erspäht. So wunderte es uns nicht, dass wir am Stadttor von einigen Soldaten in Empfang genommen wurden, die den Auftrag hatten, uns ins Rathaus zu begleiten.

    Wir ritten die Fischmarktgasse abwärts. Sie führte an der vor drei Jahren eingestürzten und noch nicht wieder aufgebauten St. Michaelskirche des Dominikanerklosters vorbei. An deren Ende öffnete sich zur linken Hand der Blick auf den Fischmarkt. Rechter Hand befand sich die Rückseite des Rathauses. Wir folgten geradeaus einer noch engeren Gasse und bogen dann nach rechts ab. Vor uns erhob sich nun der mächtige, aus der Gebäudefront herausragende rund zweihundert Fuß hohe Turm des Rathauses. Das große, reich verzierte Eingangsportal stand offen. Ich betrachtete erst kurz die darauf befindliche Allegorie der Gerechtigkeit sowie das seltsam zur Seite geneigte mittlere Türmchen und wollte dann die Einfahrt durchqueren, in deren Mitte ein riesiges Krokodil von der Decke hing. Mein Pferd scheute beim Anblick des weit aufgerissenen, mit scharfen Zähnen besetzten Mauls und warf mich beinahe aus dem Sattel. Der uns begleitende Soldat lachte laut und meinte, dass dies bloß der Brünner Drache sei. Es dauerte einen Moment, bis sich mein Pferd wieder beruhigte . Schließlich gelangte ich in den kleinen Innenhof und saß ab. Während sich die beiden Unteroffiziere um die Pferde kümmerten, wurde ich über eine Stiege in den ersten Stock geführt. In einen mit dunklem Holz getäfelten Raum saßen zwei Herren an einem Tisch.

    „Leutnant Alexander von Rossberg!", stellte ich mich vor.

    Die beiden Honoratioren der Stadt erhoben sich und begrüßten mich hoch erfreut, weniger meines Ranges oder meiner Persönlichkeit wegen, sondern vielmehr aufgrund der Tatsache, dass einige hundert Mann Verstärkung in Kürze in der Stadt eintreffen würden. Der eine stellte sich als Kreishauptmann Sigmund Ferdinand Sack von Bohuniowitz vor und der andere als Bürgermeister Johann Krauss. Ich setzte sie darüber in Kenntnis, dass die anrückende Truppe vom neuen Stadtkommandanten, Herrn Obristen Raduit de Souches, angeführt würde und dieser mich beauftragt hätte, für den reibungslosen Einzug und die adäquate Unterbringung der Soldaten, der Offiziere und seiner selbst zu sorgen. Darüber hinaus sollten auch alle für die Übernahme des Stadtkommandos notwendigen Vorbereitungen getroffen werden. Ich wies mit Nachdruck darauf hin, dass die Zeit drängte. Schließlich lagen noch keine zuverlässigen Informationen über die letzten Bewegungen der schwedischen Truppen vor, ausgenommen jener, dass Iglau bereits kapituliert hatte und der Vermutung, dass Znaim wohl bald folgen würde. Der Bürgermeister und der Kreishauptmann starrten mich überrascht an. Ihr Informationsstand hinkte ganz offensichtlich um zwei Tage nach. Sie hatten außer dem Bericht über die verlorene Schlacht bei Jankau nur im Laufe des Tages ein Schreiben des Bürgermeisters von Znaim erhalten. Darin berichtete dieser noch über die Ereignisse des zwölften März und ging zuversichtlich davon aus, seine Stadt erfolgreich verteidigen zu können.

    Bürgermeister Krauss versuchte angesichts der sich überschlagenden Ereignisse, Ruhe zu bewahren. Er konnte alles gebrauchen, nur keine Panik. Es reichte vollkommen, dass sich nach der Zusammenkunft vor wenigen Stunden einige der einflussreichsten Bürger daran gemacht hatten, überstürzt die Stadt zu verlassen. Alleine dadurch wurde bereits entsprechende Unruhe unter den Stadtbewohnern ausgelöst. Manche von ihnen meinten auf ihre Güter auf dem Land oder in ihre nahegelegenen Burgen flüchten zu müssen, in der irrigen Annahme, sie wären dort sicherer vor dem herannahenden Feind. Doch die Schweden plünderten Schlösser und Burgen auf dieselbe Art und Weise, wie sie mit den Ortschaften verfuhren. Der Bürgermeister rief den Stadtschreiber und besprach mit ihm einige Anweisungen zur organisatorischen Abwicklung des Eintreffens der Truppe. Während sich der Stadtschreiber mit meinen beiden Unteroffizieren in Verbindung setzte, begleiteten mich der Bürgermeister und der Kreishauptmann zurück zum Brünnertor, um dort gemeinsam auf die Ankunft des neuen Stadtkommandanten zu warten. Beim Durchschreiten der Einfahrt blieben wir vor einem Wagenrad stehen, das an der Wand angebracht war. Der Bürgermeister zeigte auf das hölzerne Rad. Mit einem breiten Grinsen bemerkt er, dass es vor einigen Jahren seinem Ratskollegen Gabriel Schram, der damals gerade Bürgermeister war, eine verlorene Wette bescherte. Ein Wagnermeister aus Eisgrub hatte nämlich behauptet, um Mitternacht einen Baum in Eisgrub fällen, daraus ein Rad fertigen und bis zur nächsten Mitternacht nach Brünn rollen zu können. Schram wollte dies nicht glauben und wettete dagegen, doch der Wagner schaffte es. Die verlorene Wette kostete Schram einen Gulden und fünfzehn Kreuzer.

    Vor dem Tor blieb der Bürgermeister abermals stehen und zeigte auf die verdrehte Fiale, die mir schon zuvor aufgefallen war. Er erzählte, dass der Brünner Baumeister Anton Pilgram damals mit seiner Bezahlung ziemlich unzufrieden war. Als ihm die Stadt nach seinem Protest dennoch nicht mehr zahlen wollte, revanchierte er sich mit dem schiefen Türmchen.

    Wir gingen zu Fuß und nahmen den Weg über den nach Westen ansteigenden Krautmarkt, auch Oberer Markt genannt. Der Platz wurde von Bürgerhäusern umgeben. An der höher gelegenen westlichen Seite dominierte das Palais des vor wenigen Jahren verstorbenen Olmützer Bischofs und früheren mährischen Landeshauptmannes Kardinal Franz von Dietrichstein. An der Südseite beherrschte das prächtige Redoutegebäude den Platz. Es war sechzig Jahre zuvor anstelle des Hauses der Herren von Lichtenstein errichtet worden. In der Mitte erhob sich ein Brunnen, der über die älteste Wasserleitung der Stadt mit Wasser aus der Schwarzawa versorgt wurde. Im unteren Teil des Marktes befand sich die Fleischzeile, in der Mitte die Brotzeile und im oberen Drittel die Hühnerzeile. Der Bürgermeister erzählte mir stolz, dass auf diesem Markt auch Wolle, wertvolles Tuch, Pelze, Leder, Blei, Kupfer, je nach Jahreszeit diverse Gemüsesorten und Obst sowie vieles andere mehr angeboten wurden. Höflichkeitshalber verlieh ich meiner Bewunderung für diesen Markt besonderen Ausdruck und lobte den Bürgermeister für die beeindruckende Entwicklung der Stadt. Auf dem leichten Anstieg durch die Brünnergasse bis zum Brünnertor erhielt ich in der Folge einen detaillierten Vortrag über die Stadtgeschichte.

    Als wir am Tor ankamen, marschierten die Soldaten bereits die Bäckergasse entlang. De Souches trabte allen voran auf uns zu, saß schwungvoll ab und trat vor die beiden Honoratioren der Stadt. Ich stellte die drei Herren einander vor. Es folgte eine eher unterkühlte Begrüßung. Jetzt, wo De Souches vor ihm stand, mit seinem typischen arroganten französischen Gehabe, seinem Schnauzbart und seiner Haartracht wie König Ludwig XIII. fühlte sich der Bürgermeister nicht wohl bei der Idee, dass der neue Stadtkommandant ein Hugenotte, also Protestant französischer Prägung sein sollte. Schließlich stand die kaiserliche Stadt Brünn voll und ganz hinter ihrem katholischen Kaiser. Selbst wenn die protestantischen Strömungen seit der zweiten Hälfte des vorangegangenen Jahrhunderts immer wieder die Stadt beherrscht hatten und mitunter zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Bürgern führten, war diese und allen voran der Stadtrat jetzt wieder katholisch. Gezwungenermaßen, denn genauso wie die Böhmischen Stände im Jahr 1619, huldigten seinerzeit auch die Mährischen Stände Anfang 1620 dem neuen König, Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, nachdem sie Kaiser Ferdinand II. als böhmischen König für abgesetzt erklärt hatten. Freilich nur für ein paar Monate. Mit dem Sieg in der Schlacht am Weißen Berg stellten die Habsburger gewaltsam die alte Ordnung wieder her. Brünn und Mähren waren davon ebenso betroffen, wie Prag und Böhmen. Dank der Fürsprache Kardinal Dietrichsteins wurden damals die vierundzwanzig zum Tode verurteilten mährischen Abtrünnigen mit nur einer einzigen Ausnahme zu Kerkerstrafen begnadigt und entgingen somit demselben Schicksal, wie ihre in Prag hingerichteten Glaubensbrüder. Die Stadt musste dem Kaiser als Strafe eine ziemlich bedeutsame Summe Geldes zahlen und verlor den direkten Einfluss auf die Festung Spielberg, die vom Kaiser konfisziert wurde. Alles nur wegen eines seit Jahrzehnten andauernden sinnlosen Religionsstreits zwischen Katholiken und Protestanten, dachte sich der Bürgermeister. Zusätzlich kämpften Frankreich und die Habsburger um die Vormachtstellung in Europa. Jetzt sollte die wieder mehrheitlich katholische Stadt gegen die heranrückenden protestantischen Schweden verteidigt werden und ausgerechnet einem französischen Protestanten wurde das Kommando dafür übertragen. Was sich der Generalstab bei dieser Entscheidung wohl gedacht hatte? Das konnte in einer kleinen Stadt wie Brünn, in der jeder jeden kannte und die Gerüchteküche ununterbrochen brodelte, nur recht und schlecht funktionieren.

    Bürgermeister Krauss übersah in seiner Enttäuschung, dass Soldaten oft nur für diejenige Seite kämpften, die sie bezahlte oder bei der sie erfolgreich anheuern konnten. De Souches wollte oder durfte im Jahr 1628 nach dem Fall von La Rochelle nicht in französische Dienste treten, verließ wie viele andere Hugenotten Frankreich und begab sich mangels brauchbarer Alternativen in schwedische Dienste. Er forderte immer wieder durch offene Kritik heftige Konflikte mit seinen Vorgesetzten heraus, wenn sie seiner Meinung nach falsche Entscheidungen trafen. Ein ebensolcher Vorfall mit General Torsten Stahlhansen brachte ihm schließlich eine Gefängnisstrafe und ein Militärgerichtsverfahren mit unsicherem Ausgang ein. Er entzog sich ihm rechtzeitig durch Flucht. Erzherzog Leopold Wilhelm, der Bruder Kaiser Ferdinand III., stimmte wenig später seiner Aufnahme in die kaiserliche Armee zu. De Souches hatte nämlich den Ruf eines hervorragenden Militärstrategen, er kannte die Kriegsführung der Schweden bis ins Detail und besaß wertvolles Wissen hinsichtlich Festungsbau, Verteidigungsanlagen und Belagerungsstrategien.

    Kreishauptmann Sack betrachtete De Souches mit ebenso großem Interesse. Ihn quälten aber vollkommen andere Gedanken. Das Stadtkommando lag interimsmäßig in seinen Händen. Er musste es wohl oder übel an diesen seltsamen Franzosen, nunmehr Obristen in der kaiserlichen Armee, übergeben. Eigentlich ungerecht. War er es doch, der im September vor zwei Jahren gemeinsam mit Kommandant Schönkirch die Stellung gegen die Schweden hielt. Er war es auch, der damals die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln und allen notwendigen Materialien organisierte. Nicht zuletzt kannte er diese kleine Stadt, alle ihre Stärken und Schwächen wie seine eigene Westentasche. Wie sollte er sich dieser Situation angemessen verhalten?

    De Souches kümmerte es wenig, was die Leute von ihm dachten. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen und wollte keine Zeit verlieren, da er wusste, wie rasch Torstensson seine Truppen vorwärtstrieb. Nachdem er mit den beiden Vertretern der Stadt die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatte, kam er direkt zur Sache.

    „Meine Herren! Die Soldaten müssen so rasch wie möglich in den für sie vorgesehenen Quartieren untergebracht werden. Die offizielle Übergabe der Schlüssel der Stadt erfolgt in zwei Stunden. Herr Kreishauptmann, Ihr trefft bitte die entsprechenden Vorbereitungen dafür! Außerdem erwarte ich, dass alle Kommandanten der unter Waffen stehenden Einheiten, sowie alle Vertreter der Stadt und sonstige Honoratioren dazu eingeladen werden."

    Bürgermeister und Kreishauptmann fühlten sich durch die forsche Vorgehensweise De Souches’ ein wenig überrumpelt und stöhnten, denn sie mussten nun bereits zum zweiten Mal an diesem Tag eine Versammlung einberufen. Dieser Franzose sollte sich nicht wichtiger machen, als er war, dachte sich der Bürgermeister, schließlich lag die offizielle Ernennungsurkunde durch den Kaiser noch gar nicht vor. Er reagierte als Erster.

    „Herr Kommandant, so rasch kann keine Zusammenkunft einberufen werden! Wir benötigen mehr Zeit dafür."

    De Souches blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

    „Diese Zeit haben wir nicht, also kümmert Euch darum! Es herrscht schließlich Krieg!"

    De Souches ließ den Bürgermeister nicht weiter zu Wort kommen, sondern bestand darauf, sofort in sein Quartier in der Stadt eingewiesen zu werden. Ich kümmerte mich um das Meine. Einige der Offiziere wurden in Bürgerhäusern untergebracht. Was mich betraf, so stellte mir ein wohlhabender Ratsherr gegen geringe Bezahlung ein kleines Zimmer zur Verfügung.

    Ich begab mich unverzüglich zu der mir genannten Adresse. Vor mir erhob sich ein zweistöckiges Haus mit großem Einfahrtstor. Ich klopfte. Ein Knecht öffnete und nachdem ich meinen Namen genannt hatte, ließ er mich eintreten. Durch eine schmale Einfahrt gelangte ich in einen länglichen Innenhof. Ich blieb stehen und blickte mich um. An der dem Tor gegenüberliegenden Seite befand sich der Pferdestall, daneben ein Abstellplatz für Karren und Kutschen, rechts und links jeweils Eingänge in die Räume im Erdgeschoß sowie eine steinerne Treppe, über die man in den ersten Stock auf einen Arkadengang gelangte. Der Knecht nahm wortlos mein Pferd und führte es in den Stall. Ich blickte ihm neugierig nach und wartete.

    Auf der Treppe erschien eine Dienstmagd und forderte mich auf, ihr zu folgen. Sie geleitete mich in einen geräumigen, mit gediegenen Möbeln eingerichteten Salon. Die Fenster zeigten zur Straße, rechts von mir befand sich ein offener Kamin, in dem ein Feuer brannte. Der Hausherr, Ratsherr Walter Hornig, erhob sich von seinem bequemen Stuhl, als ich eintrat. Er hatte mich schon erwartet und begrüßte mich freundlich. Dann stellte er mir seine Frau Therese vor, die es jedoch vorzog, sitzen zu bleiben. Er bot mir einen Stuhl an und schenkte mir ein Glas Wein ein. Danach begann er, sich über die aktuelle Lage zu erkundigen. Es entwickelte sich ein angeregtes und für mich durchaus interessantes Gespräch über die Möglichkeiten, die bevorstehende Belagerung durch die Schweden abwehren zu können. Ich selbst konnte nämlich mit keinen Erfahrungen in dieser Hinsicht aufwarten, doch der Ratsherr erzählte ausführlich über die wenigen Tage im Belagerungszustand vor zwei Jahren.

    Wir wurden durch einen jungen, hochgewachsenen Mann unterbrochen, der den Salon über dieselbe Tür betrat, durch die ich eingelassen worden war. Ich schätzte sein Alter auf etwa neunzehn, vielleicht zwanzig Jahre. Ich erhob mich. Er musterte mich ausführlich und mit ein wenig herablassender Miene von oben bis unten, bevor er mich begrüßte.

    „Aha, Ihr seid also der Leutnant, der bei uns wohnen darf. Willkommen. Ich bin Michael Hornig, Sohn des Hauses!"

    Mir behagte seine unnötig arrogante Art überhaupt nicht. Sie passte nur zu gut in die Kategorie der eingebildeten Söhne reicher Patrizier. Diese Überheblichkeit wird ihm spätestens, wenn die Schweden vor den Toren der Stadt stehen, noch vergehen, dachte ich mir.

    „Leutnant Alexander von Rossberg!", erwiderte ich knapp und versuchte seinen mangelnden Respekt mir gegenüber vorerst zu ignorieren. Michael wandte sich ohne eine weitere Bemerkung um, füllte Wein in einen Becher und setzte sich auf einen der bequemen Stühle.

    Der Ratsherr, der sich ebenfalls erhoben hatte und dem die ungezogene Art seines Sohnes einem kaiserlichen Offizier und Vertreter des niedrigen Adels gegenüber sichtlich unangenehm war, nützte die Unterbrechung, um mich auf mein Zimmer zu führen. Es lag am Ende des Arkadengangs über den Stallungen und hatte ein Fenster zum Garten, der sich an der Rückseite des Gebäudes befand. Ich konnte es zum Glück direkt über den Gang erreichen, ohne andere Räumlichkeiten durchqueren zu müssen. Mit Wohlwollen stellte ich fest, dass der Knecht mein Gepäck bereits ins Zimmer gebracht hatte. Ich bedanke mich beim Ratsherrn für die freundliche Aufnahme und zog mich zurück.

    Eine seltsame Schlüsselübergabe

    (Mittwoch, 15. März 1645)

    Die Zusammenkunft fand im großen Sitzungssaal oberhalb des Kreuzganges des Dominikanerklosters statt. Mir wurde die Ehre zuteil, De Souches begleiten zu dürfen. Als wir in den Saal eintraten, blickten wir in einen großen, fast leeren Raum. Es kam in mir ein Gefühl von Unbehagen auf. Am anderen Ende erkannte ich Kreishauptmann Sack und Bürgermeister Krauss vor einem Fenster stehend. Weitere zehn bis fünfzehn Personen unterhielten sich unweit davon in einer Ecke des Saales. Der Bürgermeister hatte es scheinbar vorgezogen, für diese zwar rein symbolische, aber in ihren Auswirkungen für die Stadt doch bedeutsame Amtshandlung nur den inneren Rat der Stadt und den Kanzler einzuberufen. Walter Hornig befand sich jedenfalls nicht unter ihnen, er bekleidete die Funktion eines Mitgliedes des äußeren Rates. Vorsichtig blickte ich auf De Souche. Ich erwartete, dass er diese Unverschämtheit nicht akzeptieren und seinem Ärger darüber lautstark Luft machen würde. Doch zu meiner großen Überraschung ging er mit weit ausgestreckten Armen auf Sack zu und begrüßte ihn freundlich, danach wandte er sich ebenso freundlich an Krauss und ließ sich anschließend allen anderen Anwesenden vorstellen. Ich überlegte unsicher, ob ich am Saaleingang verharren sollte, doch der Kreishauptmann winkte mich zu sich und band mich in die Vorstellungsrunde mit ein. In dieser Provinzstadt ging es doch ein wenig lockerer zu als im kaiserlichen Wien. Dort hätte man mich wahrscheinlich draußen am Gang warten lassen.

    Ein älterer Amtsdiener betrat mit einer Schatulle den Saal, ging auf den Kreishauptmann zu und stellte sich neben ihn. Die Anwesenden Stadträte, der Kanzler und der Bürgermeister bildeten spontan einen Kreis, in den ich mich wie alle anderen einreihte. Der Kreishauptmann und De Souches standen sich in der Mitte gegenüber. Der Diener öffnete die Schatulle und hielt sie vor sich. In ihr kam ein goldener Schlüssel auf einem roten Samtpolster zum Vorschein. Der Kreishauptmann hob den Schlüssel mit zwei Händen feierlich aus der Schatulle und überreichte ihn De Souches. Er begleitete diesen offiziellen Akt mit einigen salbungsvollen Worten, die jedoch nichts anderes bedeuteten, als die Übergabe des Stadtkommandos und somit der Verantwortung auf De Souches. In einem Nachsatz ließ er die Bemerkung fallen, dass er von nun an in der Stadt nicht mehr gebraucht würde und sich daher nach einer anderen Aufgabe im Dienste des Kaisers umsehen werde. De Souches antwortete wegen seiner dafür nicht ausreichenden Deutschkenntnisse weit weniger salbungsvoll. Er versprach mit allen in seiner Macht stehenden Mitteln und Gottes Hilfe die Stadt gegen die Schweden zu verteidigen. Gleichzeitig verwies er aber mit einigen kritischen Worten und unter Anspielung auf die geringe Anzahl anwesender Stadtvertreter darauf, dass die Stadt und ihre Einwohner auf Basis dessen, worüber er sich bisher ein Bild machen konnte, ernsthaft bedroht seien. Er wolle jedenfalls mit den notwendigen Arbeiten zur Verbesserung der Verteidigungsbereitschaft am nächsten Morgen beginnen und erwarte von allen Seiten eine entsprechende Unterstützung.

    Der Bürgermeister und die Stadträte interessierten sich in diesem Moment kaum für die Worte, die De Souches zu sagen hatte, sondern vielmehr für die überraschende Absicht Sacks, die Stadt verlassen zu wollen. Die kurze Zeremonie war noch nicht beendet, als sich die Stadträte bereits auf den Kreishauptmann stürzten und ihn drängten, in der Stadt zu bleiben.

    Ich beobachtete aus einiger Entfernung die aufgeregt mit Sack diskutierenden obersten Vertreter dieser Stadt. Neben mir stand De Souches, ein wenig erstaunt über diese Reaktion und noch immer mit dem Schlüssel in der Hand. Er nützte den Tumult, um ihn auf den Samtpolster zurückzulegen und beauftragte mich, die Aufbewahrung des Stadtsymbols sicherzustellen. Ich hatte keine Ahnung, wie und wo oder durch wen die Schatulle verwahrt wurde, also wies ich den Diener an, wie üblich zu verfahren. Er durchschaute mich sofort, aber da er seit vielen Jahren in den Diensten der Stadt stand und nicht zum ersten Mal an einer Schlüsselübergabe teilnahm, lächelte er mich verschmitzt an und zog sich zurück.

    Es war schon spät. De Souches plante, am nächsten Tag kurz nach Sonnenaufgang, die Verteidigungsanlagen der Stadt genauer zu inspizieren. Er verabschiedete sich zu erst von den noch immer heftig diskutierenden Stadträten, anschließend vom Bürgermeister und zuletzt vom Kreishauptmann. Danach verließ er die Versammlung. Ich folgte ihm.

    Auf dem Weg zu seinem Quartier hatte ich endlich Gelegenheit, eine Frage anzubringen, die mir brennend auf der Zunge lag.

    „Herr Kommandant, erlaubt Ihr mir eine Frage?"

    „Nur zu, Leutnant!"

    „Warum habt Ihr auf den Affront seitens des Bürgermeisters nicht mit wesentlich deutlicheren Worten reagiert?"

    De Souches hielt kurz an und blickte mir in die Augen.

    „Ich weiß, ich gelte als aufbrausend. Aber welchen Vorteil hätte mir das heute Abend gebracht? Keinen. Ich bin Militarist, nicht Politiker. Ein Gegenangriff ohne taktischen oder strategischen Nutzen, ist vergeudete Kraftanstrengung. Ich habe kein Interesse an einem Konflikt mit dem Bürgermeister oder dem Kreishauptmann. In dieser gefährlichen Zeit zählt nur die Zusammenarbeit und ich stehe ziemlich gelassen über dieser provinziellen Kleinkariertheit. Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren."

    „Ich empfand das keineswegs kleinkariert oder unwesentlich, sondern vielmehr unverschämt."

    „Mag sein! Aber die Leute werden sich schon beruhigen, wenn sie einmal festgestellt haben, dass es dem Ausländer, nicht um Katholik oder Hugenotte, nicht um Frankreich, Mähren oder Österreich geht, sondern einzig um das Überleben dieser Stadt gegen eine Streitmacht über deren Größe und Stärke sie sich noch wundern werden."

    De Souches verabschiedete sich von mir vor dem Palais, in dem er untergebracht war, und wünschte mir eine gute Nacht. Ich begab mich zurück zum Hornig’schen Haus. Kurz bevor ich das Tor erreichte begegnete ich Michael in hübscher weiblicher Begleitung. Die beiden schlenderten langsam auf das nebenan liegende Haus zu. Ich verneigte mich höflich, doch Michael reagierte nicht darauf. Die junge Dame blinzelte zwar kurz zu mir, wandte jedoch ihr Gesicht sofort ab, als sich unsere Blicke kreuzten und sie bemerkte, dass Michael meinen Gruß ignorierte. Vielleicht war es ihm unangenehm, mit dieser Dame gesehen zu werden. Ich schüttelte erstaunt meinen Kopf, betrat das Hornig’sche Haus und verschwand zielstrebig in meinem Zimmer.

    Ein erster Eindruck

    (Donnerstag, 16. März 1645)

    Am nächsten Morgen begab ich mich um Viertel vor sechs zum Brünnertor. Es war noch finster. Als ich den Platz vor dem Tor erreichte, warteten dort bereits einige Offiziere und Unteroffiziere. De Souches traf wenige Minuten später ein. Punkt sechs Uhr verließ unser kleiner Trupp die Stadt. Wir ritten die Stadtmauer ein Stück Richtung Norden entlang. Auf dem Hügel links von uns erhob sich die Festung, von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne eindrucksvoll beleuchtet. Rechts von uns befand sich die äußere Mauer. De Souches hielt an, blickte zum Spielberg hinauf und erkundigte sich bei einem der Offiziere, der dort schon früher einmal untergebracht war, nach der Versorgung der Burg mit Wasser und Verpflegung. Dieser meinte, dass es zwar einen uralten Brunnen aus der Zeit der Gründung der Burg gäbe, dieser aber nicht ergiebig genug sei, um eine größere Anzahl an stationierten Soldaten zu versorgen. Es müsse an heißen Tagen Wasser aus der Stadt in Eimern oder Fässern hinaufgeschafft werden. Danach fragte er einen anderen Offizier, wie lange die Burg seiner Ansicht nach, ohne Zufuhr von Wasser aus der Stadt, verteidigt werden könne. Je nach Menge der Wasservorräte wahrscheinlich nur eine, maximal zwei Wochen, bei anhaltendem Regen durchaus länger lautete die wenig überraschende Antwort des Offiziers. Dann wandte er sich an mich.

    „Leutnant von Rossberg, wie würdet Ihr diesen Missstand beheben?"

    Mein erster Gedanke konzentrierte sich auf eine Wasserleitung. Ich schätzte die Entfernung von der Stadtmauer zur Burg und kam auf etwa achthundert Fuß. Allerdings war mir nicht klar, wie man es technisch anstellte, das Wasser den steilen Berg hinauf zu befördern. Ganz abgesehen davon bestand die große Gefahr, dass der Feind die Leitung irgendwann entdeckte und zerstörte. Also ließ ich von dieser Idee wieder ab und wählte eine einfachere Lösung.

    „Ich würde eine größere oder eine zweite Zisterne anlegen."

    De Souches nickte zögernd mit dem Kopf.

    „Klingt

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