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Fantastische Queerwesen: und wie sie sich finden
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Fantastische Queerwesen: und wie sie sich finden
eBook201 Seiten2 Stunden

Fantastische Queerwesen: und wie sie sich finden

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Über dieses E-Book

Ein typischer Poetry Slam ist witzig, ernst, lyrisch, politisch, privat – vor allem aber bunt. Und so mischen auch immer mehr queere Menschen im Zentrum des Geschehens mit. 36 überwiegend junge, queere Slampoet*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz begeben sich auf eine unterhaltsame, abwechslungsreiche und höchst informative Entdeckungsreise durch LGBTIQ*-Lebenswelten und ein rundum diverses Universum.
Ihre Texte handeln nicht selten vom Finden: Wie sie sich selbst finden, wie sie andere finden, wie sie einander finden. Wer Vielfalt sucht, wird sie in diesem Buch finden.
SpracheDeutsch
HerausgeberSatyr Verlag
Erscheinungsdatum1. Juli 2019
ISBN9783947106356
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    Buchvorschau

    Fantastische Queerwesen - Satyr Verlag

    Hensel

    Kapitel 1:

    Herausfinden

    Wir finden alle immer wieder heraus: sei es etwas über uns selbst, über andere oder aus dem sprichwörtlichen Schrank. Wer und was wir sind, wird gerne von anderen »angenommen«, bevor wir uns dazu äußern können oder selbst überhaupt wissen, was los ist. Ein Coming-out ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen ist. Wie das aussehen kann, findest du im ersten Kapitel heraus.

    Spiel

    Leah Leaf

    WANN HAST DU ENTDECKT,

    dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt?

    Ich? Keine Ahnung. Ich wusste es wahrscheinlich schon mein ganzes Leben.

    Ich meine, natürlich habe ich dem Weihnachtsmann früher immer Briefe geschrieben. Und er hat auch immer geantwortet! Und er hatte auch schon immer dieselbe Handschrift wie mein Vater.

    Und natürlich habe ich dem Weihnachtsmann auch immer Milch und Kekse rausgestellt. Na ja, eigentlich habe ich das nur einmal gemacht. Danach waren es immer nur noch Malzbier und Lakritz, das mochte mein Vater einfach lieber.

    Ihr merkt, so richtig habe ich eigentlich nie an den Weihnachtsmann geglaubt. Für mich war das alles nur ein Spiel. Und ich spielte halt mit. Das taten doch alle. Oder?

    WANN HAST DU ENTDECKT,

    dass du gar nicht heterosexuell bist?

    Ich? Keine Ahnung. Ich wusste es wahrscheinlich schon mein ganzes Leben.

    Ich meine, natürlich habe ich früher immer mitgemacht, wenn in der Umkleidekabine über Jungs getratscht wurde.

    Und natürlich ist mir auch aufgefallen, dass in allen Filmen die Paare immer cis und hetero waren.

    Aber für mich war das alles nur ein Spiel. Und ich spielte halt mit.

    Das taten doch alle. Oder?

    Ich kann mich an keinen Moment in meinem Leben erinnern, in dem ich plötzlich und schmerzhaft festgestellt habe, dass ich bisexuell bin. Nein, so etwas gab es nicht. Aber nie vergessen werde ich den Moment, in dem ich plötzlich und schmerzhaft feststellen musste, dass andere es nicht sind. Ich möchte es euch erzählen:

    Achte Klasse, Klassenfahrt. Ich, naiv, pubertär, zusammen mit Gleichaltrigen in ähnlichem Zustand. Wir spielten mein damaliges Lieblingsspiel (das war, bevor ich Trinkspiele für mich entdeckte), nämlich »Wahl, Wahrheit oder Pflicht«. Und ich war an der Reihe.

    »Wahl, Wahrheit oder Pflicht an … Paul!

    »Okay, ähm … Wahrheit!«

    »Okay, ähm … ah, ich weiß! Paul, warst du jemals in einen anderen Jungen verliebt?«

    Spielstopp. Warum ich diese Frage stellte?

    Na, wir spielten doch »Wahl, Wahrheit oder Pflicht«, da stellt man solche Fragen. Als Antwort hatte ich nichts weiter erwartet als ein schüchternes »Ja«, und alle würden fragen, um wen es sich denn handele, oder eben ein schulterzuckendes »Nein«, und wir würden weiterspielen. Doch als Antwort bekam ich keines von beiden. Dies war seine Antwort:

    »Was?!«, begann er, und das überraschte mich.

    »Nein, niemals!«, fuhr er fort, und das schockierte mich.

    »Igitt«, fügte er noch hinzu, und das verletzte mich.

    Es verletzte mich und versetzte mich in eine andere Lage:

    Das mit der Sexualität wurde nun plötzlich zur Frage.

    Vorbei die Tage meiner Naivität,

    meines kindlichen Glaubens an Normalität.

    Sexualität – nun Teil der Identität?

    Beginn der Erkenntnis, irgendwie anders zu sein.

    Lange hielt ich meine Liebe zu Mädchen geheim.

    Aber hey, ich bin bi, es darf auch gern was anderes sein!

    Und so hatte ich viele Beziehungen:

    Gute und schlechte und immer mit Jungs.

    Ernste und kindische und immer mit Jungs.

    Kurze und lange und immer mit Jungs.

    Denn wenn ich mit einem Mädchen flirte,

    denkt sie, ich bin einfach nur nett.

    Und wenn ich nett zu einem Jungen bin,

    dann denkt er direkt, ich flirte.

    Und dann geht alles so schnell, und dann geht alles so einfach,

    dabei hätte ich es doch viel lieber zweifach:

    bi.

    Und das soll nicht heißen, Geschlechtlichkeit sei binär.

    Nein, das ist wirklich Quatsch, da draußen gibt es so viel mehr

    als nur männlich und weiblich, ja freilich, das weiß ich,

    doch eigentlich mein ich

    homo- und heterosexuelle Tendenzen

    kann ich für mich persönlich innerlich nicht abgrenzen.

    Bi.

    Ja, ich gehör zu diesen Bi-Gestalten.

    Bin durchgehend zwiegespalten,

    doch das hat mich nie gehalten.

    Ich will das Präfix »bi« behalten.

    Und es stolz tragen

    und es laut sagen,

    mich nicht mehr verstecken, mit dem Gefühl zu versagen

    bei einem Spiel,

    wo wir doch alle nur mitspielen.

    Doch ich frage mich:

    Wem spielen wir etwas vor?

    Nicht jede* ist hetero.

    Und nicht jeder* ist cis.

    Nicht jede* hat das Geschlecht, das ihr zugeteilt worden ist.

    Nicht jeder* wacht glücklich auf.

    Nicht jede* schläft nachts gut ein.

    Nicht jeder* kann von sich behaupten, mit seinem Körper glücklich zu sein.

    Nicht jede* passt sich an.

    Weil nicht jeder* das kann.

    Und es glaubt auch nicht jede* an den Weihnachtsmann.

    Jede Art von Normativität ist nichts als ein Spiel,

    und wir alle spielen mit.

    Hören wir auf damit!

    Denn wem spielen wir was vor?

    Diesen Text anhören:

    https://satyr-verlag.de/audio/queerwesen1

    * Name geändert.

    Labelchaos

    Henrik von Dewitz*

    Lesbisch, schwul, bi, trans, asexuell, demisexuell, queer, genderfluid, allosexuell, polyamor, pan, ageschlechtlich …

    Hi, ich bin Henrik und genderqueer. Das heißt, mein Geschlechtsempfinden ist queer. Irgendwie anders. Wer es genauer wissen will, dem sage ich, ich bin cis-genderless oder eine transmaskuline non-binäre Person. Geht locker flockig von der Zunge, was?

    Ja, so ist das mit den Identitäten. – Selbst für mich ist es schwierig, alles und jede*n nachzuvollziehen. Aber hey, ich probier’s! Drum erzähle ich euch jetzt was von meinen Labels und was dahintersteht. Denn am Ende sind es nur Worte, die niemandem etwas nützen, außer mir.

    Ich weiß nicht, ob ihr das kennt, aber so in der Jugend, völlig orientierungslos: Hä?! Was ist Leben, wo hört mein Körper auf? Und sowieso: Ich check das nicht. Wenn mich die Erwachsenen nicht kapieren, wie soll ich mir da einen Reim drauf machen?

    Wenn die Welt simpel ist, dann kann ich sie verstehen Meine Identität lag irgendwo zwischen Fantasyromanen, Kartenspielen und Hetero-Porno – zumindest eine Zeit lang. Ich dachte, ich müsste mich mit der Kiste identifizieren, die mir bei Geburt zugewiesen wurde: Junge, Mann, Kerl, Luusbueb, Giel**.

    Ein richtiger Junge ist chaotisch, trägt sein Herz auf der Zunge und seine Worte in der Faust geballt. Richtige Jungs sind hetero und allo (das Gegenteil von asexuell). Bei einem richtigen Jungen ist das Geschlechtsorgan in der Hose ein denkendes Wesen, das ihn zu allerlei irrationalen Entscheidungen bringt. Jungs halt, die können ja auch nichts dafür, wenn die Mädels sich so aufreizend kleiden. Richtige Jungs haben Jungenfreundschaften, schauen zusammen Videos, wie der Schäferhund seine Besitzerin durchvögelt, und lachen dabei. Sie reden despektierlich über Feminität und markieren durch Sprüche oder Penisgröße ihr Revier. Jungs lachen über andere, und es ist ihnen alles egal – auch ihre Schulnoten. Wenn das bei dir nicht so war, na, dann gratuliere: Du bist wohl auf eine Mädchenschule gegangen. Auf der Mädchenschule ist alles simpel, gewissenhaft und streng. Mädchen sind sauber, außer wenn sie bluten, sie sind korrekt, außer wenn’s um die Liebe geht, und liebevoll im Umgang miteinander, zumindest vordergründig. Mädchen sehen schön aus, haben alle einen Sinn für Stil, außer Belinda, die ist voll das Mannsweib mit ihren Cargo-Shorts und Militärjacken. Dann du, zwischen all den Kleidern und der Ordnung. Du, der sich zu weich bewegt für einen richtigen Jungen. Du, der immer mit den Mädchen Gummitwist spielt. Du, der in der Pause Bücher liest, statt sich die Knie aufzuschlagen. Du, der im Tenor höher singt als Belinda im Alt. Du, der die Gerüchte um Robbie Williams Homosexualität meeegaspannend findet. Na ja, du bist halt schwul, und das wundert jetzt echt keinen. Du, der viel zu sehr Mädchen ist, um ein richtiger Junge zu sein.

    Also war ich halt schwul. Ein schwuler Mann zu sein, bedeutete für mich, mit den Mädchen befreundet sein zu können, ohne dass sie sich unwohl fühlten. Als schwuler Mann durfte ich küssen, wen ich wollte. Schwuler Mann zu sein, war die Erklärung meines Ichs, meiner Feminität, meiner künstlerischen Ader, meines Faibles für Sprachen und Design. Schwulsein gab mir einen Orientierungspunkt für eine Identität.

    Bis ich irgendwann nicht mehr ich selbst war, sondern ein schwuler Mann. Ich zwängte mich in die Normkiste hinein – schließlich war ich froh, dass sie nur ein wenig juckte und mich nur ein wenig unwohl fühlen ließ. Immerhin schon mal besser als diese »Richtige Jungs«-Kiste.

    Irgendwann begriff ich, dass ich auch kein schwuler Mann bin. Dass ich mich selbst nicht in eine Kiste zwängen muss, die mir nicht gefällt. Ich bin einfach nur Mensch. Queerer Mensch. Irgendwie anders. In der Menschkiste, da schränkt dich keiner ein. Drum noch mal:

    Hi, ich bin Henrik und genderqueer. Das heißt, mein Geschlechtsempfinden ist queer. Irgendwie anders. Wer es genauer wissen will, dem sage ich, ich bin cis-genderless oder eine transmaskuline non-binäre Person.

    Ja, ich identifizier mich nicht mit meinem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht, also bin ich trans. Aber ich identifizier mich auch nicht mit dem anderen binären Geschlecht, also bin ich non-binär. Irgendwo dazwischen oder drum rum oder dahinter, wer weiß. Ich sehe aber aus wie ein Mann. Ich kleide und verhalte mich so, wie es meine Mitmenschen von einem Mann erwarten würden. Deswegen bin ich trans-maskulin.

    Aber mir ist es auch irgendwie egal, wenn Menschen mich als Mann lesen, schließlich profitiere ich ja auch von den vielen Privilegien. Ich meine, »Heeeey, mehr Lohn« – klar, nehm ich doch gern! Kaum sexuelle Belästigung, mehr Redezeit, mehr ernst genommen.

    Ich weiß auch gar nicht, wie ich sonst leben soll, ich mein, klar kann ich als Mensch einkaufen und als Mensch S-Bahn fahren. Aber als Mensch Kleider kaufen gehen? Ein öffentliches Klo benutzen? Als Mensch Sex haben?

    Wie soll ich eine Kategorie von Menschsein definieren, für mich und für andere? Wie kann ich anderen beschreiben, wer ich bin, wenn ich es mir selbst nicht mal vorstellen kann?

    Also bin ich in der Zwischenzeit cis-genderless. Ich bin irgendwie cis-gender, weil mich alle als Mann lesen und ich dem auch nichts entgegensetze. Aber ich bin auch genderless, kann dafür einstehen, dass ich mit korrekten Pronomen angesprochen werde, und mit non-binären Freundesmenschen die Welt neu definieren. Denn wozu in einer Welt leben, die du nicht verstehst. Wozu dich rechtfertigen, welche Kiste du willst. Warum nicht einfach authentisch leben, denn du weißt ja, wie du dich fühlst. Du musst dich nicht rechtfertigen mit irgendwelchen Worten. Sei einfach du selbst. Denn Labels sind nur für die da, die sie brauchen.

    * Mit Dank an Sascha Rijkeboer und Jonin Herzig.

    ** Berndeutsch: Knabe, Bub, junger Mann.

    Eine Coming-of-Age-Story

    Felix Kempter

    »Eigentlich«, sage ich zu Leo, während wir die Einkaufsstraße runterlaufen, »eigentlich würde ich gerne mal in eine Schwulenbar gehen. Ich war, seitdem ich erkannt habe, dass ich auch auf Männer stehe, noch nie in einer, aber habe schon öfters drüber nachgedacht.«

    »Nee, da passt du nicht rein, Felix. Du bist ja nicht richtig schwul, du hattest auch noch nie Sex

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