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Kaleidoskop der Welten
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eBook429 Seiten5 Stunden

Kaleidoskop der Welten

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Über dieses E-Book

Myron Tany träumt davon, Raummann zu werden. Als seine Tante Hester Lajoie an eine Raumyacht kommt, setzt er alles daran, mit an Bord zu kommen. Doch das Arrangement dauert nicht sehr lange. Denn als er seiner Tante und einem aalglatten Abenteurer in die Quere kommt, setzt sie ihn kurzerhand auf einem Planeten aus.
Nun ist er wahrhaftig gezwungen, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als kurzfristig die Stelle eines Frachtaufsehers auf dem Trampfrachter Glicca frei wird, heuert er dort an. Kapitän des Schiffes ist der findige Adair Maloof. Seine Kollegen sind der Ingenieur und Spieler Fay Schwatzendale und Isel Wingo, der Chefsteward und Philosoph. Sie alle sind auf der Suche nach etwas und stoßen unvermeidlicherweise früher oder später auf ihr persönliches Lurulu, »ein besonderes Wort aus der Sprache der Mythen und Legenden«, wie Kapitän Maloof es bezeichnet.
Unterwegs machen Sie halt auf vielen Planeten, lernen verschiedene Menschen kennen und sinnieren häufig über Leben und Tod.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum23. Nov. 2019
ISBN9781619473898
Kaleidoskop der Welten
Autor

Jack Vance

Jack Vance (richtiger Name: John Holbrook Vance) wurde am 28. August 1916 in San Francisco geboren. Er war eines der fünf Kinder von Charles Albert und Edith (Hoefler) Vance. Vance wuchs in Kalifornien auf und besuchte dort die University of California in Berkeley, wo er Bergbau, Physik und Journalismus studierte. Während des 2. Weltkriegs befuhr er die See als Matrose der US-Handelsmarine. 1946 heiratete er Norma Ingold; 1961 wurde ihr Sohn John geboren. Er arbeitete in vielen Berufen und Aushilfsjobs, bevor er Ende der 1960er Jahre hauptberuflich Schriftsteller wurde. Seine erste Kurzgeschichte, »The World-Thinker« (»Der Welten-Denker«) erschien 1945. Sein erstes Buch, »The Dying Earth« (»Die sterbende Erde«), wurde 1950 veröffentlicht. Zu Vances Hobbys gehörten Reisen, Musik und Töpferei – Themen, die sich mehr oder weniger ausgeprägt in seinen Geschichten finden. Seine Autobiografie, »This Is Me, Jack Vance! (»Gestatten, Jack Vance!«), von 2009 war das letzte von ihm geschriebene Buch. Jack Vance starb am 26. Mai 2013 in Oakland.

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    Buchvorschau

    Kaleidoskop der Welten - Jack Vance

    Jack Vance

    Kaleidoskop der Welten

    Edition

    Andreas Irle

    Hunschlade 27

    51702 Bergneustadt

    2020

    Originaltitel: Ports of Call

    Copyright © 1998, 2005 by Jack Vance

    Originalausgabe: Ports of Call – Underwood: Grass Valley, CA, 1998

    Deutsche Erstausgabe: Kaleidoskop der Welten – Irle: Bergneustadt, 1999

    Copyright © dieser Ausgabe 2020 by Spatterlight Press

    Titelbild: Joe Bergeron

    Satz: Andreas Irle

    Übersetzung: Andreas Irle

    Lektorat: Thorsten Grube, Gunther Barnewald

    ISBN 978-1-61947-389-8

    V01 2020-03-13

    spatterlight.de

    Management: John Vance, Koen Vyverman

    Das Buch

    Myron Tany träumt davon, Raummann zu werden. Als seine Tante Hester Lajoie an eine Raumyacht kommt, setzt er alles daran, mit an Bord zu kommen. Doch das Arrangement dauert nicht sehr lange. Denn als er seiner Tante und einem aalglatten Abenteurer in die Quere kommt, setzt sie ihn kurzerhand auf einem Planeten aus.

    Nun ist er wahrhaftig gezwungen, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als kurzfristig die Stelle eines Frachtaufsehers auf dem Trampfrachter Glicca frei wird, heuert er dort an. Kapitän des Schiffes ist der findige Adair Maloof. Seine Kollegen sind der Ingenieur und Spieler Fay Schwatzendale und Isel Wingo, der Chefsteward und Philosoph. Sie alle sind auf der Suche nach etwas und stoßen unvermeidlicherweise früher oder später auf ihr persönliches Lurulu, »ein besonderes Wort aus der Sprache der Mythen und Legenden«, wie Kapitän Maloof es bezeichnet.

    Unterwegs machen Sie halt auf vielen Planeten, lernen verschiedene Menschen kennen und sinnieren häufig über Leben und Tod.

    Der Autor

    Jack Vance (richtiger Name: John Holbrook Vance) wurde am 28. August 1916 in San Francisco geboren. Er war eines der fünf Kinder von Charles Albert und Edith (Hoefler) Vance. Vance wuchs in Kalifornien auf und besuchte dort die University of California in Berkeley, wo er Bergbau, Physik und Journalismus studierte. Während des 2. Weltkriegs befuhr er die See als Matrose der US-Handelsmarine. 1946 heiratete er Norma Ingold; 1961 wurde ihr Sohn John geboren.

    Er arbeitete in vielen Berufen und Aushilfsjobs, bevor er Ende der 1960er Jahre hauptberuflich Schriftsteller wurde. Seine erste Kurzgeschichte, »The World-Thinker« (»Der Welten-Denker«) erschien 1945. Sein erstes Buch, »The Dying Earth« (»Die sterbende Erde«), wurde 1950 veröffentlicht.

    Zu Vances Hobbys gehörten Reisen, Musik und Töpferei – Themen, die sich mehr oder weniger ausgeprägt in seinen Geschichten finden. Seine Autobiografie, »This Is Me, Jack Vance! (»Gestatten, Jack Vance!«), von 2009 war das letzte von ihm geschriebene Buch. Jack Vance starb am 26. Mai 2013 in Oakland.

    Informationen über ihn und sein Werk finden Sie hier:

    www.editionandreasirle.de

    Einführung

    Während der ersten Expansion des Gaeanischen Reiches, als jeder abenteuerlustige Jugendliche sich danach sehnte, Lokator zu werden, waren Tausende von Welten an weit entfernten Orten erforscht worden. Die günstigsten dieser Welten erregten die Aufmerksamkeit von Zuwanderern; es schien kein Ende nehmen zu wollen mit den Sekten, Splittergruppen, Gesellschaften, Kulten oder einfachen Gruppen von Freidenkern, die tapfer als Pioniere auszogen, um ihr Leben auf eigenen Welten zu leben. Zuweilen überlebten sie oder gediehen sogar; häufiger besiegte die fremde Umwelt die gaeanische Seele; die Siedlungen verfielen, die Leute gingen fort – nicht ohne manches Mal einzelne kleine Orte der Menschheit zu hinterlassen, welche sich in der ein oder anderen Weise mit ihrer Umgebung arrangierten. Einige dieser Welten, selten besucht und weitab von öffent­licher Aufmerksamkeit, boten Stoff für Thom Hartmanns fesselndes Werk Verlorene Welten und vergessene Völker.

    Gaeanische Philosophen erkannten, dass eine Vielzahl sozialer Kräfte zwischen den Welten herrschten, die in verschiedene Systeme klassifiziert werden konnten: isolationistische oder kollektivistische; zentrifugale oder zentripetale; homogenisierende oder differenzierende.

    Bedingt durch das Fehlen einer zentralen Regierung, hielt die IPCC, ursprünglich die Interwelten Polizei Coordinierungs Compagnie, die Ordnung aufrecht, eine Organisation, welche sich der Legalität, der Ordnung, der Zügelung des Verbrechens, einschließlich der damit einhergehenden Bestrafung von Kriminellen, Piraten und verschiedenen Soziopathen, verschrieben hatte – ein Unterfangen, welches sie mit überzeugender Effizienz betrieb. Am Ende wurde die IPCC de facto zur Verwaltungsdienststelle, die den reibungslosen Ablauf des gaeanischen Reiches kontrollierte und überall ein Bewusstsein der Gaeanischen Identität zur Geltung brachte.

    Beiläufige Bemerkung: Die Einheit der gaeanischen Währung, der Sol, besitzt ungefähr den Wert von zehn gegenwärtigen Dollar.

    Kapitel I

    1

    Als Junge hatte sich Myron Tany auf die Lehre der Raumerforschung gestürzt. In seiner Vorstellung durchwanderte er die fernen Orte des Gaeanischen Reiches, war überwältigt von den Heldentaten der Sternduster und Lokatoren, den Piraten und Sklavenhändlern, der IPCC und ihren tapferen Agenten.

    Im Gegensatz dazu schien sein Zuhause in der Nähe des beschaulichen Dorfes Lilling auf der angenehmen Welt Vermazen alles Bequeme, Friedliche und Einschläfernde zu umfassen. Trotz Myrons Tagträumen, betonten seine Eltern beharrlich die Sachlichkeiten. »Wenn du Finanzanalytiker werden willst wie dein Vater, ist deine Ausbildung am wichtigsten«, bekam Myron zu hören. »Nachdem dein Kurs am Institut abgeschlos­sen ist, hast du eine Weile Zeit, um mit den Flügeln zu flattern, bevor du einen Posten an der Börse annimmst.«

    Myron, sanft und gehorsam von Temperament, drängte die berauschenden Bilder in seinen Hinterkopf und schrieb sich am College der Definierbaren Qualitäten am Varley-Institut bei Salou Sain, auf der anderen Seite des Kontinents, ein. Seine Eltern, denen seine flüchtige Veranlagung bewusst war, schickten ihn mit einer Reihe strenger Mahnungen auf den Weg. Er müsse sich mit ganzem Fleiß auf seine Studien konzentrieren. Schulische Leistungen seien höchst wichtig, wenn man sich auf eine Karriere vorbereite.

    Myron stimmte zu, sein Bestes zu geben, fand sich jedoch von Unschlüssigkeit befallen, als es an der Zeit war, einen Studienplan aufzustellen. Trotz bester Absichten, konnte er die Bilder von majestätischen Raumern, welche durch die Leere glitten, von Städten, die nach fremden Gerüchen dufteten, von mit war­men Winden durchwehten Tavernen, in denen dunkelhäutige Mädchen in violetten Röcken schäumenden Grog in geschnitzten Holzbechern servierten, nicht verdrängen.

    Am Ende legte sich Myron auf eine Reihe von Kursen fest, die seiner Ansicht nach einen Kompromiss darstellten. Die Liste umfasste statistische Mathematik, Wirtschaftsmuster des Gaeanischen Reiches, allgemeine Kosmologie, Gaeanische Anthropologie. Das Programm, so versicherte er seinen Eltern, war als »Ökonomische Fluxion« bekannt und bildete eine solide Grundlage, auf der eine gute Allgemeinbildung fußen mochte. Myrons Eltern waren nicht überzeugt. Sie wussten, dass Myrons geziemendes Verhalten, obwohl zuweilen etwas geistesabwesend, eine Spur Unnachgiebigkeit barg, gegen die sich kein Argument durchsetzen konnte. Sie würden nichts mehr sagen; er musste seine Fehler selbst machen.

    Myron konnte die Vorahnungen, welche durch die bedrückenden Prophezeiungen seines Vaters in ihm ausgelöst worden waren, nicht abtun. Folglich nahm er die Arbeit noch energischer in Angriff denn je und wurde nicht lange danach mit hohen Ehren immatrikuliert.

    Sein Vater deutete an, dass Myron sich, trotz der sonderlichen Sehnsüchte und des unkonventionellen Stu­dienverlaufs, immer noch für einen Platz in den unteren Rängen der Börse qualifizieren mochte, von dem aus er eine Karriere starten könne. Nun aber störte ein unvorhergesehener Faktor den Fluss von Myrons Leben. Der störende Einfluss war Myrons Großtante, Dame Hester Lajoie, die großen Wohlstand von ihrem ersten Gatten geerbt hatte. Dame Hester unterhielt ihre großartige Residenz, Sarbiter-Haus, an der Dingle-Terrasse, am südlichen Rand von Salou Sain. Dame Hester bemerkte während Myrons letztem Semester am Varley-Institut, dass dieser nicht länger ein schlanker Grünschnabel mit einem vagen und – wie sie es nannte – verträumten Ausdruck war, sondern sich zu einem ausgesprochen gut aussehenden jungen Mann, immer noch schlank, aber von guten körperlichen Proportionen, mit glattem blondem Haar und meerblauen Augen gewandelt hatte.

    Dame Hester genoss die Gegenwart von adrett aussehenden Männern: Sie stellte sich vor, sie wirkten wie Spiegelfolie oder, vielleicht besser gesagt, wie ein Rahmen für das kostbare Prachtstück, das sie selbst war. Aus welchem Grund auch immer, während Myrons letztem Semester wohnte er zusammen mit seiner Großtante im Sarbiter-Haus: eine Bildung als solches, wie sich herausstellte. Es war Myron nicht erlaubt, sie als »Großtante« anzusprechen, auch »Tante Hester« sagte ihr nicht zu. Sie zog »Werte Dame« vor oder den Spitznamen »Schutzel«, den er wählte.

    Dame Hester passte in keine bekannten Muster oder Kategorien des gaeanischen Frauenbildes. Sie war groß und hager, obwohl sie auf dem Wort »schlank« beharrte. Sie ging mit ausgreifenden Schritten und vorwärts geschobenem Kopf wie ein raubgieriges Tier auf Beutezug. Die wilde Masse mahagoniroten Haars umrahmte ein hohlwangiges Gesicht. Die schwarzen Augen waren von kleinen Hautfalten und -runzeln umgeben wie Papageienaugen, und die lange hohe Sattelnase endete in einem bemerkenswerten Haken. Es war ein ein­drucksvolles Gesicht, mit zuckendem und sich verziehendem Mund, blitzenden Papageienaugen und einem Ausdruck, der sich im Fluss der Gefühle veränderte. Ihre ungestümen Stimmungen, Launen, Schrullen und Marotten waren berüchtigt. Eines Tages, bei einem Gartenfest, drängte ein Herr Dame Hester unschuldig dazu, ihre Memoiren zu schreiben. Die Inbrunst ihrer Entgegnung schockierte und bestürzte ihn. »Grotesk! Ungehobelt! Dumm! Eine garstige Vorstellung! Wie kann ich meine Memoiren schreiben, wenn ich kaum angefangen habe zu leben?«

    Der Herr verbeugte sich. »Ich erkenne meinen Fehler; er soll sich nicht wiederholen!«

    Eine Stunde später hatte der Herr seine Gelassenheit soweit wiederhergestellt, dass es ihm möglich war, den Vorfall einem Freund zu schildern, der, wie er herausfand, ebenfalls den Zorn von Dame Hester erregt hatte. Nachdem er über seine Schulter geschaut hatte, murmelte der Freund: »Ich vermute, die Frau hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen!«

    »Falsch!«, murmelte das jüngere Opfer. »Sie selbst ist der Teufel!«

    »Hmm«, entgegnete der Freund. »Du könntest recht haben; wir müssen darauf achten, sie nicht zu verärgern.«

    »Das ist unmöglich!«

    »Nun denn, lass uns die Sache über einem weiteren Gläschen dieses vorzüglichen Malzes bedenken.«

    Tatsächlich war Dame Hester nicht immer dezent. Sie hielt sich für ein Geschöpf von sinnlichem Charme, für das die Zeit keine Bedeutung hatte. Unleugbar bot sie, bekleidet mit einer bemerkenswerten Garderobe in Magenta, Pflaumenblau, Lindgrün, Zinnoberrot und Schwarz, einen hinreißenden Anblick, wenn sie in der Haut Monde umherwirbelte.

    Dame Hester hatte kürzlich einen Richtspruch wegen Verleumdung gegen Gower Hatchkey gewonnen, einem wohlhabenden Mitglied der Gadroon-Gesellschaft. Als Satisfaktion infolge des Richtspruchs hatte sie die Raumyacht Glodwyn akzeptiert.

    Zu Anfang hatte Dame Hester die Glodwyn lediglich als Beweis dafür angesehen, dass jeder, der beliebte, sie als »kahlen alten Drachen mit roter Vogelscheuchenperücke« zu bezeichnen, teuer für dieses Privileg bezahlen musste. Sie zeigte keinerlei Interesse an dem Schiff. Statt ihre Freunde zu einer Kreuzfahrt einzuladen, verbot sie ihnen vielmehr, auch nur einen Fuß an Bord des Schiffes zu setzen. »Erstaunlich!«, erzählte sie Myron mit einem sardonischen Kichern. »Plötzlich habe ich Dutzende von neuen Freunden, alle mit strahlenden Augen und quietschfidel. Sie erklären, dass sie es nicht versäumen wollten, mir auf einer ausgedehnten Kreuzfahrt Gesellschaft zu leisten, gleichwohl wie ungelegen es für sie persönlich auch käme.«

    »Noch würde ich es!«, entgegnete Myron sehnsüchtig. »Es ist eine aufregende Aussicht.«

    Dame Hester beachtete ihn nicht. Sie fuhr fort. »Sie werden schon abspringen, sobald sie feststellen, dass ich überhaupt keine Kreuzfahrten plane.«

    Myron blickte sie ungläubig an. »Keine Kreuzfahrten – niemals?«

    »Selbstverständlich nicht!«, schnappte Dame Hester. »Raumflug ist ein seltsamer und unnatürlicher Ehrgeiz! Ich für meinen Teil habe weder Zeit noch Neigung, in einem übergroßen Sarg durch den Raum zu rasen. Das ist reiner Wahnsinn und eine Demütigung von Körper und Seele. Wahrscheinlich sollte ich das Schiff zum Kauf anbieten.«

    Myron hatte darauf nichts zu erwidern.

    Dame Hester musterte ihn genau; Papageienaugen blitzten. »Ich sehe, du bist perplex. Du hältst mich für ängstlich und orthodox. Das stimmt nicht! Ich achte nicht auf Konventionen. Und weshalb nicht? Weil ein jugendlicher Geist den Jahren trotzt! Also tust du mich als exzentrischen Wildfang ab! Was denn? Es ist der Preis, den ich für den Schwung der Jugend bezahle und für das Geheimnis meiner blühenden Schönheit!«

    »Ah ja, natürlich«, meinte Myron. Gedankenvoll fügte er hinzu: »Dennoch ist es eine traurige Verschwendung eines schönen Schiffes.«

    Die Bemerkung verwirrte Dame Hester. »Myron, denk doch praktisch! Weshalb sollte ich durch den leeren Raum ziehen oder durch schmutzige Hintergassen stapfen, um fremde Gerüche zu prüfen? Ich habe schon keine Zeit für meine normalen Beschäftigungen hier zu Hause. In genau diesem Augenblick habe ich ein Dutzend Einladungen in Aussicht, die ich nicht ignorieren kann. Ich bin überall gefragt! Die Golliwog-Gala steht bevor, in deren Komitee ich bin. Wenn ich abkömmlich wäre, würde ich eine Woche in Lulchions Bergzuflucht verbringen. Die frische Luft ist wie Balsam für meine Nerven. Du musst dir im Klaren darüber sein, dass ich konstant auf dem Quivive bin!«

    »Daran besteht kein Zweifel«, sagte Myron.

    2

    Eines Morgens wusste Dame Hester nichts mit sich anzufangen und entschied aus einer plötzlichen Laune heraus, die Glodwyn zu inspizieren. Sie rief Myron, und gemeinsam fuhren sie in ihrem großen schwarzen Schwebewagen zum Raumhafen und darum herum zum Einlagerungsplatz. Auf halbem Wege entlang einer Reihe verschiedener Raumschiffe fanden sie die Glodwyn: ein Schiff von mittlerer Größe, in goldenen und grünen Farbtönen emailliert, mit pflaumenrot hervorgehobenen Trimm- und Sensoraufbauten. Dame Hester war vorteilhaft beeindruckt von der glänzenden Außenfläche, der Größe und Solidität des Schiffes und dessen innerer Einrichtung, welche sie unerwartet luxuriös fand. »Es ist ein ansehnliches Boot«, erklärte sie Myron. »Der Salon ist recht geräumig und die Ausstattung scheint von guter Qualität. Auch über das Dekor kann ich mich nicht beklagen; es ist kurios, aber von gutem Geschmack. Ich bin überrascht, dass irgendetwas, das im Zusammenhang mit einem unverfroren brutalen Kerl wie Gower Hatchkey steht, etwas anderes sein kann als verlottert. Seine Bemerkungen hinsichtlich meiner Person waren wahrhaftig jenseits der Grenze!«

    Myron nickte gedankenvoll. »Irgendwann werde ich ausrechnen, was ihn seine Feststellung pro Silbe gekostet hat. Eine wirklich exorbitante Summe, wenn man es recht bedenkt. Letzten Endes vermittelt eine Silbe als solche keinen Sinn. Hätte Hatchkey seinen Kommentar in einzelne Silben unterteilt und die Liste dann dem Richter von unten nach oben vorgelesen, hätte dieser kein Vergehen festgestellt, und Hatchkey wäre mit einer Verwarnung davongekommen.«

    Dame Hester wurde störrisch. »Lass uns das Thema nicht weiterverfolgen. Deine Ideen sind absurd. Komm, es ist an der Zeit zu gehen. Ich werde das Schiff Dauncy gegenüber erwähnen, er ist in dieser Hinsicht sehr bewandert.«

    Myron enthielt sich eines Kommentars.

    Dauncy Covarth war zu einem häufigen Besucher im Sarbiter-Haus geworden. Er war ein derb-herzlicher Mann, aufrecht und schneidig, mit einem adretten Schnurrbart und sandbraunem Haar, das er kurz geschnitten, im sogenannten »Regimentsstil«, trug. Myron konnte den Grad der Intimität zwischen Dame Hester und Covarth nicht einschätzen, aber im Augenblick schien er ihr bevorzugter Busenfreund zu sein. Mit zynischem Missfallen bemerkte Myron, wie Dame Hester, unter dem Zauber von Dauncys Galanterien, albern lächelte und schwärmte wie ein vernarrtes Schulmädchen.

    Einige Tage nach ihrem Besuch am Raumhafen ließ Dame Hester eine beiläufige Bemerkung in dem Sinne fallen, dass sie möglicherweise irgendwann, nachdem sich ihr gesellschaftlicher Kalender etwas entspannt hätte, eine kurze Kreuzfahrt an Bord der Glodwyn in Erwägung ziehen würde. Vielleicht zu der nahe gelegenen Welt Derard, wo dem Vernehmen nach ein Zyklus beschaulicher Festivals sehr unterhaltsam sein sollte, mit Bauerntänzen, bei denen hoch ausgetreten wurde, und Banketts an Feuergruben unter freiem Himmel, wo ganze Wildeber an Spießen brutzelten und Weinfässer mit sechs Zapfhähnen jeden Tisch zierten. Myron stimmte dem Vorhaben zu, doch Dame Hester beachtete ihn kaum. »Ja, Myron, mir ist deine Begeisterung bewusst; im Herzen bist du ein Erzvagabund! Aber das ist keine Überraschung! Auf einmal finde ich mich inmitten eines großen Gefolges von Freunden wieder, von denen sich jeder als natürlicher Raumfahrer mit angeborener Abenteuerlust bezeichnet, sobald die Glodwyn erwähnt wird. Und jeder erwartet, zu luxuriösen Ferien an Bord der Yacht eingeladen zu werden. Ich habe allen versichert, dass es keine gelangweilten Müßiggänger an Bord der Glodwyn geben wird, falls ich eine Kreuzfahrt unternehmen sollte.«

    »Eine vernünftige Idee!«, erklärte Myron. »Ich bin besonders gut qualifiziert; wie du weißt, studiere ich am College für Kosmologie.«

    »Nun!« Dame Hester wedelte verächtlich mit den Fingern. »Das ist alles Klassenarbeit und Keksschieberei, jedenfalls von keinem praktischen Nutzen.«

    »Nicht doch!«, rief Myron. »Ich habe Raumdynamik in allen Phasen studiert, gaeanische Wirtschaft, die mathematische Grundlage des transdimensionalen Antriebs. Mir sind das Handbuch der Planeten und die Gaeanische Kosmografie bekannt. Kurz: Ich bin kein weiterer Dilettant! Ich bin begierig darauf, mein Wissen einem nützlichen Zweck zuzuführen.«

    »Das ist anständig und korrekt«, versicherte Dame Hester. »Vielleicht wirst du irgendwann die Möglichkeit dazu haben.« Sie sprach etwas abwesend. »Ganz nebenbei, da deine Studien so erschöpfend waren: Was weißt du über die Welt Kodaira?«

    »›Kodaira‹? Dazu kann ich nichts Definitives sagen. Eigentlich überhaupt nichts.«

    »Soviel zu deiner teuren Ausbildung«, befand Dame Hester mit einem Naserümpfen.

    »Es gibt Tausende von Welten, einige bewohnt, andere nicht. Ich kann mich nicht an alle entsinnen. Selbst wenn ich es könnte, würde ich mir nicht die Mühe machen, da sich die Informationen jedes Jahr ändern. Daher auch die vielen Auflagen des Handbuchs

    Myron ging zum Bücherregal und fand eine relativ neue Ausgabe des Standardwerkes. Er schaute im Register nach. »Nichts unter diesem Namen zu finden.«

    »Eigenartig.«

    Myron zuckte mit den Schultern. »Zuweilen hat eine Welt mehrere Namen, die nicht alle im Handbuch aufgeführt sind. Warum interessierst du dich dafür?«

    Dame Hester deutete auf das Magazin, in dem sie gelesen hatte. »Dieses Journal wird hier in Salou Sain zusammengestellt und veröffentlicht. Es besitzt eine breite Leserschaft in der oberen Schicht der Intellektuellen und muss als prestigeträchtiges Magazin betrachtet werden. Dies ist die aktuelle Ausgabe. Ich habe gerade zwei Artikel gelesen. Beide beschäftigten sich mit einem wichtigen Thema. Die Artikel sind von unterschiedlicher Gewichtung, der erste recht schnodderig. Der zweite Artikel wurde von jemandem unter einem Pseudonym geschrieben und ist von weitaus größerer Tragweite als der erste, obwohl beide zum Nachdenken anregen.«

    Dame Hester nahm das Journal an sich. Der Titel, erkannte Myron, war Innovative Heilsamkeit.

    »Der erste Artikel«, meinte Dame Hester, »heißt ›Der Jungbrunnen: Fakt oder Fantasie?‹ Es tut mir leid, sagen zu müssen, dass der Verfasser mit einem ernsthaften Thema reißerisch umgegangen ist. Dennoch bietet er Informationsstücke, die ansonsten übersehen werden könnten. Sein Thema ist die Wiederverjüngung und Revitalisierung von alterndem Gewebe, eine Angelegenheit die alle betrifft.«

    »Wie wahr«, beschied Myron. »Was hast du erfahren?«

    Dame Hester blickte auf das Journal hinab. »Viel von dem Material ist nichts wert und dazu verdorben, da der Verfasser den unglücklichen Versuch unternimmt zu necken. Zunächst gibt es einen geschichtlichen Überblick, anschließend eine Diskussion über Glaubensheiler, religiöse Manie und, natürlich, betrügerische Anhänger. Der Verfasser beendet den Artikel mit einer schelmischen Anekdote über die Gemeinschaft der Ewigen Hoffnung. Er berichtet, dass die Behandlung so teuer ist und so in die Länge gezogen wird, dass viele der Patienten an fortgeschrittenem Alter sterben, bevor sie wiederverjüngt werden können. Die Vorstellung ist ergreifend und, noch einmal: Witzeleien sind völlig unangebracht.«

    »Was ist mit dem zweiten Artikel?«

    »Er ist anders, sowohl vom Ton als auch vom Inhalt, und gewiss weitaus folgerichtiger. Unglücklicherweise werden klare Einzelheiten sorgfältig zurückgehalten. Die Verfasserin, die das Pseudonym ›Serena‹ benutzt, ist offenbar eine Frau und wohnt ganz hier in der Nähe. Sie beschreibt einige sehr frühe Forschungen auf einer fernen Welt, die sie ›Kodaira‹ nennt. Der Tenor der Arbeit ist gänzlich therapeutisch. Das Ziel ist, die Auswirkungen des Alterns zu beheben oder umzukehren, ohne dabei an den Genen herumzupfuschen. Das Vorwort des Heraus­gebers zum Artikel ist inspirierend. Hier steht: ›Kodaira ist als die Welt der lachenden Freude und als der Ort der wiederauflebenden Jugend bekannt. Die Quelle dieses wunderbaren Ambientes ist der einzigartige Brunnen, der als Exxil-Wasser bekannt ist, an dem ein Wissenschaftler namens Doktor Maximus (Name geändert) zunächst die bemerkenswerte Kraft des Wassers studierte und schließlich die Wissenschaft der Metachronik entwickelte. Die Verfasserin kennt die Welt Kodaira bestens und verwendet das Pseudonym ›Se­rena‹, um ihre Privatsphäre zu schützen. Ursprünglich selbst Wissenschaftlerin, wohnt Serena nun in der Umgebung von Salou Sain, wo sie ihre Zeit dem Schreiben von Artikeln aufgrund ihrer Erfahrung als vergleichende Botanikerin widmet. Die redaktionellen Mitarbeiter betrachten den folgenden Artikel als einen der wichtigsten, die jemals auf Vermazen veröffentlicht wurden‹.«

    Dame Hester blickte zur Seite, um sich zu vergewissern, dass Myron aufmerksam war. Sie fragte: »Was hältst du davon?«

    »Ich denke, ich verstehe jetzt, warum du Interesse an der Welt Kodaira hast.«

    Dame Hester sprach mit gedämpftem Ärger: »Manchmal, Myron, ist deine Teilnahmslosigkeit schrecklich ermüdend.«

    »Verzeihung.«

    Dame Hester warf das Journal nach ihm. »Lies selbst.«

    Myron hob das Journal höflich auf und widmete seine Aufmerksamkeit dem Artikel. Er war überschrieben mit: ›Für wenige Auserwählte: Regeneration‹. Myron begann zu lesen; zunächst langsam, dann mit steigendem Interesse. Serena beschrieb Doktor ›Maximus‹: Er ist ein rastloser kleiner Mann mit enormer Begeisterung, der eher von Ort zu Ort springt, als dass er geht. Er kann Vorurteile, Dummheit und Heuchelei nicht ertragen und weist sowohl gesellschaftliche Anerkennung als auch gesellschaftlichen Tadel, aber vor allem die bloße Bürde der Gesellschaft zurück. Dies ist ein Grund, weshalb er seine Arbeit auf der fernen Welt, die wir Kodaira nennen wollen, fortführt. Der zweite und wichtigere Grund ist der Brunnen, der als Exxil-Wasser bekannt ist.

    Serena fuhr fort, das zu beschreiben, was sie »den echten Jungbrunnen« nannte. Das Wasser steigt aus einer vulkanischen Quelle tief aus dem Inneren der Welt auf, wo es auf eine Vielzahl komplexer Mineralien trifft. Es sickert durch einen dichten Dschungel, nimmt die Heilkraft von Kräutern, Schimmel und im Verfall begriffenen Humus auf. Schließlich fließt es, hellgrün und schwach sprudelnd, in das Exxil-Becken. Doktor Maximus’ Interesse als ausgebildeter Biologe wurde durch die einzigartigen molchähnlichen Geschöpfe geweckt, die den Schlamm um den Teich herum bewohnen. Er bemerkte ihre Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit, die jene ähnlicher Individuen andernorts bei Weitem übertrifft. Nachdem er Tests und Analysen durchgeführt hatte, verwarf er alle Vorsicht und trank das Wasser. Die Ergebnisse waren ermutigend. Zu guter Letzt entwickelte er eine therapeutische Kur, welche anfangs von Freiwilligen getestet wurde. Schließlich baute Doktor Maximus die Klinik des Neuen Zeitalters auf und begann, Patienten zu behandeln, die das nicht unbeträchtliche Honorar bezahlen konnten.

    Serena kam mit ihrem Mann nach Kodaira, um botanische Forschungen anzustellen. Sie stieß zufällig auf die Klinik und bewarb sich für eine regenerative Therapie. Sie unterzog sich der Kur. Die Ergebnisse fielen zu ihrer vollen Zufriedenheit aus.

    Doktor Maxiums fuhr inzwischen mit seiner Forschung in der Hoffnung fort, das Programm zu verbessern und den grundsätzlichen Prozess, welcher der Therapie zugrunde lag, zu entdecken. Im Augenblick glaubt er, dass eine Vielzahl von Faktoren zu einer synergetischen Wirkung zusammenkommen. Er will die aktiven Faktoren optimieren und die mitunter lästigen Aspekte der Kur minimieren. Er ist sich bewusst darüber, dass die Therapie jetzt noch nicht perfekt ist und vermutet, dass dies, wegen der Komplexität der daran beteiligten Systeme, auch möglicherweise niemals der Fall sein wird. Währenddessen beharrt er darauf, dass die Lage der Klinik ein Geheimnis bleibt, um einen heillosen Ansturm der Lahmen, Krummen und Todgeweihten zu verhindern. Ebenso weigert er sich, darüber zu theoretisieren, ob seine Arbeit der Gesellschaft letztlich nützt oder schadet.

    Myron legte das Journal beiseite. Dame Hester fragte scharf: »Kannst du nicht reden? Was meinst du?«

    »Interessant, aber vage und geheimnisvoll. Auch sehr teuer.«

    Dame Hester starrte ihn ungläubig an. »›Teuer‹? Wofür ist Geld sonst gut? Doktor Maximus verkauft Jugend und Leben und Vitalität! Wie bestimmt man einen Preis für solche Waren?«

    Myron dachte nach. »Ich nehme an, dass Doktor Maximus nimmt, was ihm der Handel bietet.«

    Dame Hester gab einen Laut der Entrüstung von sich und widmete sich wieder der Lektüre. Nach einiger Zeit blickte sie auf. »Morgen kannst du deine teure Ausbildung einem praktischen Zweck zuführen. Begib dich früh zur Kosmologischen Bibliothek und bediene dich systematisch ihrer Mittel. Konsultiere alle Register, verfolge jede Auskunft, lass deiner Intuition freien Lauf. Zeige nur einmal in deinem Leben wenigstens ein Quäntchen Beharrlichkeit. Liefere Ergebnisse! Finde Kodaira!«

    3

    Zwei Tage vergingen. Myron hatte, entsprechend den Anweisungen seiner Großtante, die umfangreichen Informationsbestände der Kosmologischen Bibliothek durchforscht. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass »Kodaira« ein zu diesem Anlass provisorisch gewählter Name war und informierte Dame Hester dahingehend. Sie nahm seine Einschätzung ohne Überraschung hin. »Es ist, wie ich vermutet habe. Nun, wie dem auch sei. Morgen gehen wir zu Sir Regis Glaxens Gartenfest. Dauncy Covarth war selbstverständlich freundlicherweise einverstanden, meine Begleitung zu sein, aber es könnten dort Personen zugegen sein, von denen ich will, dass du sie kennenlernst.«

    »Warum mich? Sollen sie doch deinen Busenfreund Dauncy kennenlernen.«

    »Kein Wort mehr, wenn ich bitten darf. Stell sicher, dass du angemessen gekleidet bist; es wird ein besonderes Ereignis sein.«

    »Nun gut, wie du willst«, murrte Myron. »Verstehen kann ich es trotzdem nicht.«

    »Das wirst du schon noch. Es ist wahrhaftig wichtig, und es könnte sein, dass ich deiner regen und aufmerksamen Intelligenz bedarf.«

    Myron hatte dem nichts hinzuzufügen, und am folgenden Tag begleitete er Dauncy Covarth und Dame Hester zu Sir Regis Glaxens Gartenfest. Dame Hester hatte beschlossen, in einem aufregenden Ensemble zu erscheinen, das aus einer flammendorangefarbenen, tief ausgeschnittenen Bluse und einem fülligen lindgrünen, auf der linken Seite geschlitzten Rock bestand. Der Schlitz offenbarte von Zeit zu Zeit ein ansehnliches Stück des linken Beins, das mit gelben Seidenstrümpfen bekleidet war. Das Bein war lang und dürr, das Knie knubbelig, doch Dame Hester hielt es für gewiss, dass Pulsschläge sich erhöhten und Hormone rasten, wann immer der Schlitz einen flüchtigen Blick auf das dürre Körperteil zuließ.

    Sir Regis Glaxens Festivität war aufgrund des perfekten, satten Grüns der Bäume und Blumen, der Linienführung des Rasens, der Opulenz des Buffets und der glanzvollen Gäste wie immer etwas Besonderes. Dame Hesters Maßstäbe jedoch waren außerordentlich starr. Als sie den Garten betraten, hielt sie inne und taxierte die Gesellschaft mit einem schnellen Rundumblick ihrer scharfen schwarzen Augen. Es war, so entschied sie, ein gemischter Haufen, der eine Anzahl von Personen umfasste, mit denen sie nicht in Kontakt zu treten bereit war. Unterdessen waren die Personen, welche sie besonders zu sprechen wünschte, nicht in Sicht. Ihren Ärger bezähmend, erlaubte sie Dauncy Covarth, sie an einen Tisch am Rande des Rasens, im Schatten eines großen, blühenden Hyssopbaums zu führen. Dauncy ließ sie mit korrekter Galanterie Platz nehmen. Myron hielt die Zurschaustellung, welche ein Zusammenschlagen der Hacken beinhaltete, für etwas übertrieben. Dame Hester jedoch nahm die Aufmerksamkeit selbstzufrieden zur Kenntnis. Ein Kellner trat heran, und mit einem Ausdruck klugen Sachverstands bestellte Dauncy Pongolapunsch für alle.

    Sir Regis Glaxen erschien: ein rundgesichtiger Herr mittleren Alters, pummelig, rosig und heiter. Er beugte sich vor und küsste Dame Hesters Wange. »Du wirst es nicht glauben«, erzählte er ihr. »Ich konnte dein Gesicht nicht sehen, weil ein Hyssopzweig im Weg war. Was ich sah, war ein reizendes gelbes Bein, und sogleich sagte ich mir: ›Meiner Treu! Dieses Bein erkenne ich mit Sicherheit! Es gehört Hester Lajoie, der atemberaubendsten aller Frauen!‹ Die gelben Strümpfe sagten mir alles, was ich wissen musste. In meiner Eile, dir Gesellschaft zu leisten, stolperte ich über eine Petunie, habe mir aber nichts getan – und hier bin ich nun.«

    »Ah, Schmeicheleien!« rief Dame Hester. »Ich höre sie gerne, auch wenn es durchsichtige Lügen sind. Ich möchte, dass sie nie enden.«

    »Dies ist ein verzauberter Garten, wo nichts beginnt und nichts endet«, erklärte Sir Regis entschieden. »Eschatologie ist eine gefährliche Lehre!«

    Dame Hester zog die Brauen zusammen. »Ich kann das Wort kaum buchstabieren, geschweige denn einen Kommentar über ihre Launen abgeben.«

    Sir Regis setzte sich. »Es gibt keine Vergangenheit und keine Zukunft, lediglich das flimmernde Funkeln des Augenblicks, der die Gegenwart ist. Sage mir eines, meine teure Hester! Hast du jemals daran gedacht, die genaue Dauer eines Augenblicks zu messen? Ich habe es versucht, aber nun weiß ich weniger denn je. Ist es ein Zehntel einer Sekunde? Eine volle Sekunde? Oder der hundertste Teil einer Sekunde? Je mehr man darüber nachdenkt, desto verwirrter wird man. Die Vorstellung ist flüchtig und nicht zu fassen!«

    »Ja, das ist alles sehr interessant. Ich werde darüber nachdenken, oder vielleicht lasse ich Myron eine Berechnung anstellen. Inzwischen kannst du mir erzählen, wer heute noch anwesend sein wird.«

    Sir Regis schaute sich mit reuevoller Skepsis im Garten um. »Ich weiß es nicht sicher. Mitunter denke ich, dass ich den halben Pöbel von Salou Sain bewirte, von dem niemand eingeladen war. Dennoch sind sie recht häufig amüsant und trinken meinen besten Wein mit

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