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Hannah: Das Loch in der Welt
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eBook176 Seiten2 Stunden

Hannah: Das Loch in der Welt

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Über dieses E-Book

Nach dem plötzlichen Tod ihrer Tochter ist für Tom und Zazou alles kaputt. Die Ideen einer Zukunft, einer Liebe. Draußen dreht sich die Welt weiter, wohin man schaut blauer Himmel. Und während Tom versucht, was übrig ist, zu reparieren, sucht Zazou die Zerstörung.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum22. Okt. 2019
ISBN9783750442580
Hannah: Das Loch in der Welt
Autor

Philipp Spielmann

Philipp Spielmann, geboren 1993 in Albstadt, aufgewachsen auf der Schwäbischen Alb. Mit achtzehn nach Stuttgart. Viel angefangen. Viel aufgehört. Jobs hier und da. Kleine und große Niederlagen. Nun Zuhause in Villingen-Schwenningen. Arbeit in der Stadtbibliothek.

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    Buchvorschau

    Hannah - Philipp Spielmann

    27

    ... 1 ...

    Als es noch heiß war, mussten sie das Stromaggregat mit Diesel füllen. Es hustete wie ein Höllenhund, ließ sie aber nie im Stich. Kinder standen Schlange, strichen sich getrockneten Sand von den Waden. Und wenn sie in die gefalteten Crêpes bissen, klebte der Puderzucker an ihren Lippen und die Wespen ließen sie nicht mehr in Ruhe, bis sie wieder zurück in den See sprangen und ihren Eltern nicht mehr auf die Nerven gingen.

    Aber der Sommer war vorbei. Ende September waren die Gräser verbrannt und nur ein Mann drehte noch tapfer seine Kreise im See. Ich hatte einen Spaten auf der Schulter und einen Schuhkarton mit einem toten Spatzen unter der Achsel. Am Morgen hatte ich das Kerlchen vor der Haustüre entdeckt. Es war der Morgen von Hannahs Beerdigung.

    Ich fand einen Laubbaum am Ufer und grub ein Loch bis mir der Schweiß im Gesicht stand. Ich wischte mir die Stirn mit dem Handrücken und sah mit zugekniffenen Augen zur Sonne.

    Was soll man einem toten Vöglein erzählen?

    Der Himmel war sein Zuhause. Ich weiß nicht, ob das, was nun auf das Vöglein wartete, besser war als Fliegen. Also beerdigte ich es im Schuhkarton und kippte das Loch wieder mit Erde zu. Vielleicht fand es Trost darin.

    Ich legte meine Kleidung ab und stieg ins kalte Wasser. Die Wasserpflanzen tanzten in der Strömung wie Bauchtänzerinnen mit grünem Haar.

    Ich schwamm zur Holzinsel, kletterte hinauf und sprang wieder herunter. Die umherwirbelnden Schleier kitzelten am Gesicht, schlossen sich um den Hals, und als sie nach mir riefen, tauchte ich auf. Ein Hirsch trabte aus dem Unterholz. Er wieherte und scheuchte das Wasser mit seinem Geweih.

    »Das ist kein wilder«, sagte der Mann. Er trieb auf dem Rücken neben mir.

    »Kein wilder?«, fragte ich.

    »Ist ausgebüxt. Ist unter Pferden aufgewachsen.« Der Mann starrte mich eisig an. »War sogar in der Zeitung. Oder sind Sie so einer, der sagt, Lokalteil ist Scheiße. Sagt mein Sohn immer. Gib mal Sport! Lokalteil ist Scheiße ...«

    Er schüttelte den Kopf. »Diese Jugend, nicht?«

    Ich wollte nicht antworten.

    »Wie das erst wird mit den ganzen Schwarzen hier. Man kann sich ja so schon nicht mehr aus dem Haus trauen. Haben Sie Kinder, macht Ihnen das keine Angst? Ich habe mein Messer immer im Sack.«

    Der Hirsch trabte davon. »Sollten wir ihn nicht einfangen?«

    »Ja! Gehnse ruhig. Fangen Sie den Hirsch ein. Ich dreh hier nur meine Runden.«

    Er trieb weiter und lachte.

    Ich konnte mit den Zehen den Boden spüren und ging die letzten Meter zum Ufer. Dort war es sandig und ich kramte die Zigaretten und das Feuer aus der Hosentasche, setzte mich hin und wartete auf eine kühle Brise, die mir die Wangen streichelte, etwas ins Ohr flüstern würde, irgendetwas mit Hoffnung. Ich steckte mir eine Zigarette an, klickte das Feuerzeug. Ich legte den Kopf in den Nacken, der Himmel war blau und ich nahm einen tiefen Zug und blies schöne Rauchringe, die der Sonne entgegenflogen. Dann steckte ich den Kopf zwischen die Knie und presste die Augen zu. Ich versuchte, mir Zazou vorzustellen ... wie sie mich anlächelte, mir im Haar fingerte, wie nach uns die Sintflut kommen würde. Ich ließ den Rauch in der Lunge und sah zum Wald. Ich war Baum. Ich war Wolke. Hirsch. Ich beobachtete eine Spinne zwischen zwei Grashalmen weben. Und atmete aus.

    ... 2 ...

    Nach Hannahs Beerdigung lud man uns zu Hause ab wie ein Kipplaster eine Ladung Kies. Zazou ging in die Küche und nahm sich eine Scheibe Toast. Aber der Toaster war kaputt. Seit Tagen rastete er nicht mehr ein. Seit Tagen gab es nur noch weichen Toast. Wir warfen uns Blicke zu, wir sagten nichts. Also kramte ich einen Schraubenzieher aus der Schublade, holte die Kabeltrommel unter der Spüle hervor, ging ins Wohnzimmer und machte mich daran, alles zu reparieren.

    Zazou setzte sich neben mich aufs Sofa. Sie schaltete den Fernseher an. Ich hielt den Toaster über Kopf und stocherte mit dem Schraubenzieher darin herum. Ein Krümelregen fiel auf meinen Schoß.

    Ich drückte den Schieber nach unten und wartete. Dann nannte Zazou mich Wolfgang, obwohl ich Tom heiße. Es kam ganz plötzlich.

    »Du hast mich Wolfgang genannt«, sagte ich seelenruhig.

    Zazou guckte mich nur an.

    »Du hast mich gerade ...«

    Zazou sprang auf und begann am Polster des Sofas zu riechen. Dort wo sie gerade noch gesessen hatte, fuhr sie mit der Nase hoch und herunter, nach links und rechts.

    »Was machst du denn da?«, fragte ich.

    Zazou antwortete nicht. Zazou stürmte in die Küche, kam wieder und hatte in der einen Hand ein Messer, in der anderen eine Schere. Ich tapste zum Fenster, um nachzusehen, was draußen so los war. Vielleicht fliehen. An den See und ein Loch graben, mich hineinstellen und schreien.

    »Wolfgang!«, schrie da wer.

    Ich wirbelte herum. Zazou drückte sich ein Stück Sofa an die Brust. Fusseln hingen ihr im Gesicht.

    »Wir müssen das Scheißding loswerden.«

    Der Toast kam herausgeschossen. Verkohlt.

    »Hilfst du mir?«

    Ich nickte nur.

    Wir machten alle paar Meter eine Pause, stellten das Sofa hin und standen eine Weile da und guckten uns an. Wer sind wir jetzt? Was wollen wir nun tun?

    Im Treppenhaus trafen wir Birgit aus dem Erdgeschoss. Eine Rothaarige von achtzig Kilo.

    »Ich habe Spaghetti gekocht, soll ich was vorbeibringen?«

    Wir schüttelten müde den Kopf und stellten das Sofa unter die Straßenlaterne. Es sah nach Regen aus. Ich überlegte, mich noch einmal zu setzen, ein letztes Mal darin zu versumpfen. Die Natur würde es heute Nacht töten. Mit ihrem Regen, ihrer Kälte. Ich mochte es sehr gerne.

    Wir bauten das Zelt im Wohnzimmer auf und krochen hinein. Zazou lag da wie eine ägyptische Göttin auf Heroin, obwohl ich nicht weiß, ob es blonde ägyptische Göttinnen gibt, Zazou hat auch noch nie Heroin genommen. So schaute sie jedenfalls aus ... in ihrem Schlafsack, mit ihren leeren Augen.

    »Werden wir noch dreiundachtzig?«, flüsterte sie.

    »Wir werden locker dreiundachtzig«, sagte ich und griff nach ihrer Hand, legte den Kopf auf die Seite und versuchte zu lächeln. Mehr konnte ich nicht für sie tun.

    ... 3 ...

    Ich stand in einer Einfahrt und hielt ein Geschenk in den Händen. Ich betrachtete kleine Elefanten mit Regenschirm im Rüssel und fuhr mit dem Finger am Geschenkpapier entlang. Zazous beste Freundin hatte uns zu ihrer Babyparty eingeladen. Frau Doktor Wunderlich hielt das für eine gute Idee. Sie war unsere Therapeutin. Der Fels in der Brandung. Die Kirsche im zerschmolzenen Mon Chéri ... es standen viele Autos vor dem Haus mit Baby-Stickern, damit die Todesfahrer bremsen.

    Ich stellte mich an die Hauswand und schielte durch ein Fenster. Dahinter tummelten sich diese Menschen. Saskia mit ihrem Mann Michael, der einem die ganze Zeit gegen den Arm boxen würde. Tom, wie ... Rechts-links-Kombination ... läuft's so? Und alle waren sie schwanger und guckten dich an, du warst der Teufel, du warst verflucht. Ich legte das Geschenk auf die Fußmatte, klingelte und rannte los.

    Zazou parkte drei Häuser weiter.

    Sie stieß mir die Beifahrertüre auf wie nach einem Bankraub. Ich hüpfte hinein. Das Thermometer zeigte siebzehn Grad. Ich wand mich aus dem Wintermantel und pustete mir unter den Pullover. Eine Frau schlingerte auf einem Fahrrad vor uns, ihr Mantel wehte im Wind. Zazou drückte auf die Hupe und murmelte etwas durch die Zähne. Ich verstand es nicht, ich nickte nur.

    Zazou parkte in der Innenstadt. Sie wollte das neue Sofa nicht im Auto lassen. Ein rotes Sofa guckte aus unserem Kofferraum. Das hatten wir von einem Kerl aus den Kleinanzeigen. Ich ging erstmal zum Parkticketautomaten, um ein Parkticket zu holen.

    »Niemand würde die Diebe schief angucken.«

    Ich kramte im Geldbeutel. »Hast du fünfzig Cent?«

    Zazou presste die Lippen zusammen.

    »Wieso soll uns jemand das Sofa klauen?«

    Zazou verschränkte die Arme. »Die Welt ist schrecklich.«

    Ich seufzte.

    Wir schleppten das Sofa den Gehweg entlang und ließen uns die Finger zerquetschen. Wir führen mit ihm Aufzug, setzten uns und das war wie im Wartezimmer gen Himmel und ich stellte mir vor, oben schwängen die Türen auf und jemand zwinkert uns zu. Vielleicht ein Engel, vielleicht Gott ... vielleicht ein Freund, ich weiß es nicht.

    Ich knallte gegen den Garderobenständer. Die Sekretärin von Frau Doktor Wunderlich lugte über die Theke. Zazou stellte ihn wieder hin und zwängte sich Strähnen hinter die Ohren.

    »Da waren so viele Leute ... es ist ganz neu.«

    »Es ist gebraucht«, sagte ich.

    Zazou trat mir auf den Schuh. Der Sekretärin war das alles scheißegal. Wir hockten uns ins Wartezimmer. Zazou versteckte sich im Schneidersitz hinter einer Zeitung. Ich popelte an der Tapete und überlegte, zu Hause neu zu tapezieren, die Wände zu streichen, vielleicht in Rot. Eine graue Dame tauchte neben mir auf. Sie runzelte die Stirn. Mit einem Lächeln wog sie eine Brille in den Händen, als wäre sie gerade erst von einem Traum erwacht ... einen über fliegende Teppiche, Himmelbetten mit Baldachin und Aras, die in einem Palast flattern und den ganzen Tag schreien.

    »Gefällt Ihnen die Tapete, Tom?«

    Frau Doktor Wunderlich packte meine Hand und ich hatte furchtbare Angst, wie eine Mumie im Raum zu stehen. An jedem Finger klebt ein Stück Tapete und du fuchtelst herum und flippst aus, weil das darf alles nicht wahr sein ... solange bis du nur noch ein Häufchen Elend bist und ganz leise »Hilfe« murmelst.

    »Sie können jetzt loslassen, Tom«, flüsterte Frau Doktor Wunderlich.

    Wir hielten uns noch immer an den Händen ... ich blickte an mir herab und wusste nicht, welche davon meine war.

    Ich hockte mich neben Zazou auf die Couch und war verloren. Hier im Therapiezimmer waren wir uns fremd. Wir kannten uns nicht mehr. Ein paar Wochen ging das schon so. Das Reden. Die Fragen. Der Schmerz. Frau Doktor Wunderlich schlug im Sessel ein Bein übers andere und so läutete die Glocke zur ersten Runde.

    »Wie war die Party?«, fragte sie.

    »Ich hab gestern geträumt, ich bin eine Biene«, sagte Zazou. »Die haben mir was vorgetanzt, ich hab nicht verstanden, was die von mir wollen.«

    Ich starrte weiter meine Hände an. Die gehörten mir nicht.

    »Die haben mich aufgegessen«, hauchte Zazou, »die halten mich alle für eine Mörderin.«

    »Niemand hält Sie für eine ...«

    Verändern sich die Linien auf den Handflächen?

    »Babyparty.«

    Frau Doktor Wunderlich nickte. »Ihrer besten Freundin.«

    Ich vergrub die Hände unter meinen Schenkeln. Frau Doktor Wunderlich drängte uns immer, Sachen zu tun, auf die wir keine Lust hatten. Je früher, desto besser! Das war ihr Motto.

    Zazou warf ihr einen giftigen Blick entgegen.

    »Wir haben uns ein neues Sofa gekauft.«

    »Sie haben sich lieber ein Sofa ...«

    »Saskia und ich sind Konkurrenten.«

    »In welchem Spiel?«

    »Es ist kein Spiel!« Zazou presste ihre Handtasche an die Brust. »Ich will Tom ins Ohr beißen. Ich will – er soll mich hassen. Mich anschreien.«

    Sie sah zu mir herüber. Was hatte ich jetzt damit zu tun?

    »Er versteht es gar nicht. Er weiß nicht, was passiert, er ist noch in der Schockphase ...«

    Eine Taube saß auf der Fensterbank und plusterte sich auf.

    »... er repariert andauernd Sachen in der Wohnung ...«

    Ich wollte ein Ohr an das Glas halten, ihrem Gurren lauschen.

    »Das Zeug ist nichtmal kaputt!«

    Ich wollte die Taube einfangen, mich an ihren Füßen festhalten und flieg, kleine Taube, flieg!

    »Was sagen Sie dazu, Tom, wie fühlen Sie sich dabei?«

    Ich wollte nicht antworten. Es war wie früher in der Schule. Elternsprechtag: Vater neben mir und die Lehrerin erzählte erst wie nett sie mich fand und überhaupt witzig und ehe ich mich noch zufrieden in der heilen Welt suhlte,

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