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Dorian Hunter Crossover - Niemandskind
Dorian Hunter Crossover - Niemandskind
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eBook306 Seiten3 Stunden

Dorian Hunter Crossover - Niemandskind

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Über dieses E-Book

Die drei Fremden John Sinclair, Professor Zamorra und Dorian Hunter finden sich in einem Hotel am Fuße eines Vulkans wieder. Sie wissen weder, wo der Ort liegt, noch wie sie dorthin gekommen sind.
Nur eines scheint klar: Der Ausbruch des Vulkans steht unmittelbar vor, und ihnen bleiben nur wenige Stunden, das Rätsel um die geisterhaften Bewohner des Hotels zu lösen …
-
Das große, dreiteilige Crossover zwischen dem Geisterjäger John Sinclair, dem Meister des Übersinnlichen Professor Zamorra und dem Dämonenkiller Dorian Hunter – in einer umfassenden Buchausgabe inklusive Werkstattberichten und Autoreninterviews!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. Feb. 2024
ISBN9783955728304
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    Buchvorschau

    Dorian Hunter Crossover - Niemandskind - Ian Rolf Hill

    Erster Teil

    Niemandsland

    von Ian Rolf Hill

    Prolog

    Das Erwachen fühlte sich seltsam an.

    Weniger was das körperliche Empfinden betraf, das war normal. Zumindest soweit ich das beurteilen konnte. Die Ahnung, dass etwas nicht stimmte, beruhte mehr auf intuitiver Wahrnehmung, die sich prompt bestätigte, als ich die Augen aufschlug.

    Ich sah auf den ersten Blick, dass ich nicht in meinem eigenen Schlafzimmer lag!

    Nur – wie zum Teufel war ich hierhergekommen?

    Durch die hölzernen Lamellen der Fensterläden sickerte Sonnenlicht, sodass ich Einzelheiten erkennen konnte. Einen wuchtigen Kleiderschrank aus lackiertem Nussholz, einen Sekretär unter einer gerahmten Ölmalerei, davor ein gepolsterter Stuhl.

    Neben der Tür ein Spiegel, in dem ich mich selbst erblickte, wie ich in einem breiten Bett lag, das im Zentrum des Raumes stand. Und ich befand mich nicht allein darin.

    Deutlich zeichnete sich der Umriss eines zweiten Körpers unter der weißen Bettdecke ab. Ich fuhr herum. Meine Augen weiteten sich. Langes weizenblondes Haar, das den halb entblößten Rücken bedeckte.

    »Jane?«

    Kapitel 1

    »Mhm?«, drang es verschlafen durch die zerzauste Mähne.

    Eindeutig Jane Collins. Mir wurde heiß und gleich darauf eiskalt. Was hatte ich hier zu suchen? Wie kam ich hierher? Was hatten wir getan?

    Ich schaute mich um. Die Einrichtung sah verdächtig nach Hotel oder Pension aus. Wir lagen also nicht zu Hause bei Jane in Lady Sarah Goldwyns Villa in Mayfair, sondern … ja, wo?

    Ich spürte ein trockenes Kratzen im Hals. Überall verstreute Kissen, zerwühlte Bettdecken … Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich angenommen, dass Jane und ich uns ein Zimmer genommen hatten, um so richtig die Sau rauszulassen.

    Aber, verdammt noch mal, ich wusste es besser. Ich … war gestern nach einem langen Tag im Büro mit Glenda noch ein Bier trinken gegangen. Anschließend waren wir zu mir nach Hause gefahren, wo wir irgendwann gemeinsam eingeschlafen waren.

    Und jetzt lag ich irgendwo in einem Hotel neben Jane Collins!

    Was ging hier vor sich?

    Unwillkürlich tastete ich nach dem silbernen Kreuz, das für gewöhnlich an einer Kette vor der Brust hing. Es war verschwunden!

    Ich schlug die Decke zur Seite.

    Die Tatsache, dass ich nicht einen Faden am Leib trug, untermauerte meine Befürchtung, dass Jane und ich …

    »Was ist denn los?«, murmelte sie unwillig. »Was schreist du hier herum?«

    »Das Kreuz! Wo ist es?«

    »Da, wo du es hingelegt hast!« Jane klang eine Spur wacher – und genervter. »Auf dem Nachttisch. Du weißt, wie ich es hasse, wenn es mir im Gesicht hängt, wenn wir …«

    Ich spürte, dass ich rot wurde, wie ein Pennäler, der bei etwas Verbotenem erwischt wurde. Gleichzeitig atmete ich auf. Mein Talisman, vor zweitausendfünfhundert Jahren von dem Propheten Hesekiel in babylonischer Gefangenschaft geschmiedet, lag wahrhaftig auf dem Nachttisch.

    Ich schnappte ihn mir.

    Das Silber fühlte sich normal an. Kühl, wie zu erwarten. Es hatte sich weder erwärmt noch verfärbt, für mich ein erster Hinweis, dass hier keine schwarze Magie am Werk war.

    »Also ehrlich, John«, sagte Jane. »Manchmal benimmst du dich wirklich seltsam.«

    Ich stand auf. Meine Freundin hatte sich umgedreht und stützte sich auf den Ellenbogen ab. Die Bettdecke war ein Stück nach unten gerutscht, ihre Brüste lagen frei. Der Anblick brachte mich ins Schwitzen.

    »Was haben wir getan?«

    »Also wenn ich dir das erklären muss, dann …«

    Mit einer wütenden Geste schnitt ich ihr das Wort ab. »Hör auf! Was ist mit Chris?«

    Jane legte die Stirn in Falten. »Mit wem?«

    »Du weißt schon, wen ich meine!« Natürlich Chris Ainsworth, ihren Freund. Ich hielt nach meiner Kleidung Ausschau. Sie lag auf der Sitzfläche des Stuhls, sorgfältig zusammengelegt. Sogar das Schulterholster mit der Beretta befand sich darunter. Schon merkwürdig, normalerweise pflege ich meine Klamotten nicht so ordentlich zusammenzulegen. Jedenfalls nicht, wenn die Leidenschaft mich übermannte.

    »Der Geologe«, fügte ich hinzu, als ich Janes stirnrunzelnden Blick bemerkte. »Du weißt schon, der Sohn von Creepy Gregg.«

    »Nein, John, ich weiß nicht. Ich habe keine Ahnung, von wem du sprichst.«

    Mir lag eine Antwort auf der Zunge, doch ich schluckte sie herunter. Janes Kommentar hatte ehrlich geklungen. Nicht wie der einer Frau, die ihren Partner verleugnete, weil sie ihn mit ihrem Ex-Freund betrogen hatte.

    Mir kam ein schrecklicher Verdacht. Während ich mich ankleidete, beobachtete ich Jane durch den Spiegel. Sie musterte mich. Allerdings nicht lauernd, sondern eher … besorgt.

    Bevor ich die Knöpfe des Hemdes schloss, zog ich die Kette mit dem Kreuz über den Kopf und ging um das Bett herum, bis ich neben Jane stand.

    »Und was soll das jetzt werden?«

    »Ich möchte, dass du das Kreuz anfasst!«

    »Ernsthaft? Glaubst du, ich bin ein Dämon?«

    »Wenn nicht, hast du ja nichts zu befürchten.«

    Fassungslos starrte sie mich an. Fassungslos und gekränkt.

    Ich beobachtete, wie sie schluckte und – nach dem Kreuz angelte. Sie umklammerte es, als wollte sie es mir aus der Hand reißen. Kurz darauf ließ sie es wieder los.

    »So, zufrieden?« Sie warf sich zurück ins Kissen, zog die Decke über die Schultern und wandte mir den Rücken zu.

    Nein, ich war alles andere als zufrieden. Hier stimmte einiges nicht. Mal abgesehen von dem Umstand, dass ich in einer völlig fremden Umgebung zu mir gekommen war und statt Glenda Jane Collins neben mir lag. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

    Plötzlich wusste ich, was mich beim Anblick von Janes Brust so verstört hatte. Es war nicht das schlechte Gewissen, dass ich mit ihr fremdgegangen war. Es fehlte etwas Entscheidendes. Etwas, das für Jane und mich mittlerweile so normal geworden war, dass wir keinen Gedanken mehr daran verschwendeten, obwohl der Anblick schreckliche Erinnerungen barg.

    »Wo ist die Narbe?«

    »Was?«

    Jane wandte nicht mal den Kopf.

    »Die Narbe auf der Brust. Von der Herz-OP.«

    »Was denn für eine Herz-OP?«

    So langsam verlor ich die Geduld.

    »Verdammt noch mal, die Operation in San Francisco. Wo man dir ein künstliches Herz eingesetzt hat.« Der Eingriff war nötig geworden, weil Asmodis ihr das echte Herz hatte herausschneiden lassen. Ohne den Würfel des Unheils hätte Jane die Attacke damals nicht überlebt.

    Jetzt wandte sie doch den Kopf. Ihre Augen funkelten zornig. »Jetzt reicht es aber. Bist du betrunken?«

    »Du behauptest also, dass dir nie das Herz herausgeschnitten wurde und du immer noch dein eigenes besitzt?«

    »Stell dir vor, ja, das tue ich.«

    »Und was ist mit dem Geist des Rippers? Mit Wikka?« Sie schnellte hoch. Im ersten Moment fürchtete ich, sie wolle mich angreifen. Die Bettdecke rutschte von ihrem nackten Körper. Seidig glatte Haut. Jugendlich straff, wie bei einer Frau Mitte, Ende zwanzig. Und ihr Gesicht … nein, das war …

    Unmöglich?

    Die Stimme meines Unterbewusstseins klang fast ein wenig spöttisch. Kein Wunder, immerhin hatte ich das Wort unmöglich schon lange aus meinem Wortschatz gestrichen.

    Ich zuckte zusammen, als sich Janes Hand auf meine Stirn legte. Warm und wohltuend.

    »Hm, kein Fieber.«

    »Mir geht’s gut«, beharrte ich.

    »Den Eindruck habe ich nicht. Aber vielleicht solltest du dir einen ordentlichen Kaffee gönnen. Bei der Gelegenheit kannst du mir auch gleich einen mitbringen. Und wo wir schon mal dabei sind: Rührei, Toast und Marmelade wären auch ganz nett.«

    Sie ließ sich wieder in die Kissen fallen und wickelte sich in die Bettdecke ein. Deutlicher konnte sie mir nicht zu verstehen geben, dass das Gespräch für sie beendet war. Ich öffnete das Fenster und schob die Läden zur Seite. Kühle Morgenluft wehte mir entgegen, und ein gewaltiger Berg mit karstigen, dunkelgrauen Hängen ragte vor mir auf. An seinem Fuß erstreckte sich dichter Wald, der bis an das Haus heranreichte.

    »Wo zum Teufel sind wir hier?«

    »Hol dir endlich ’nen Kaffee«, drang es gedämpft unter der Decke hervor.

    Ich schloss das Fenster, die Läden ließ ich offen.

    Auf dem Weg zur Tür warf ich einen weiteren Blick in den Spiegel. Ich sah genauso aus, wie ich mich in Erinnerung hatte. Wenigstens war ich noch derselbe. Ein Mann in den besten Jahren, wie man so schön sagte.

    Ich öffnete die Tür und trat auf den Flur hinaus, der von Kerzen in altmodischen Wandhaltern erhellt wurde – als der Boden unter meinen Füßen erzitterte! Begleitet von einem dumpfen Rumoren, dessen Ursprung außerhalb des Hotels liegen musste. Die Wände schwankten, und die Luft im Flur schien zu kochen.

    Die Tür schräg gegenüber flog auf. Fing Feuer.

    Aus der Öffnung quoll eine glühende, zähflüssige Masse, glitt wie eine gewaltige Zunge auf den Flur hinaus. Dunkelgraue Beläge klebten auf der Oberfläche, die Luft darüber flimmerte.

    Lava!

    Kapitel 2

    Wieder bebte die Erde. Die Flurwände erzitterten, und irgendwo klirrte Glas. Flammen leckten über den Türrahmen, durch den die Lava in den Korridor quoll. Die mintgrüne Tapete mit dem Ornamentmuster fing ebenfalls Feuer und schälte sich von der Wand. Kerzen loderten auf und zerschmolzen. Die Hitze raubte mir die Luft zum Atmen.

    Heiße Dämpfe reizten meine Atemwege, die Lungen verkrampften sich. Ich hustete und vernahm einen gedämpften Schrei.

    Eine weitere Tür flog auf.

    Eine junge Frau, keine dreißig Jahre alt, taumelte auf den Flur. Dunkle, fast schwarze Haare wehten um ihr Haupt. Sie war in ein schlichtes weißes Gewand gehüllt, das mich im ersten Moment an ein Leichenhemd erinnerte.

    Vermutlich war sie von der Lava überrascht worden, die hinter ihr fast das gesamte Zimmer füllte.

    Sie warf sich mir an die Brust, krallte ihre Finger in meine Kleidung. »Bitte – bitte retten Sie meine Tochter!«

    Ich schob sie zur Seite und stürmte in das Zimmer. Glühende Hitze schlug mir entgegen. Ich hielt die Luft an. Meine Augen tränten. Ich riss die Arme vors Gesicht, duckte mich und betrat den Raum, in dem nur der Türbereich noch nicht von Lava bedeckt war. Die Luft flimmerte und waberte. Auf dem Bett, das gerade im Feuer versank, kniete ein Mädchen in einem weißen Kleid mit roten Blüten. Die dunkelblonden Haare waren zu Zöpfen geflochten, die mit ebenfalls roten Schleifen verziert waren.

    Ich konnte nichts mehr für das Mädchen tun. Eine Welle aus Lava schwappte auf mich zu. Ein Sekretär, der von der glühenden Masse mitgerissen wurde, brannte lichterloh. Ebenso wie die Wände und ein Bild, das über dem Bett hing.

    Das Mädchen schrie, als es von den Lavamassen verschluckt wurde. Das Kleid fing Feuer, die Haare verschmorten, die Haut …

    Da brach die Tür zum Bad aus den Angeln. Lava quoll wie geschmolzener Käse aus der Öffnung und klatschte mir vor die Füße.

    Ich wirbelte herum und hechtete zurück in den Flur, um wenigstens die Mutter zu retten. Doch sie war verschwunden. Dafür flogen weitere Türen auf. Der gesamte Korridor füllte sich mit Lava, die Luft brannte.

    Himmel, Jane! Mit drei Sätzen war ich an unserer Zimmertür, die nicht wieder ins Schloss gefallen war, und riss sie auf.

    »Jane! Raus hier! Wir …«

    Der Rest des Satzes blieb mir im Hals stecken.

    Das Bett war leer, Jane war verschwunden!

    Ich öffnete die Badezimmertür. Das Bad war ebenfalls leer. Keine Spur von Jane. Aber auch keine Lava!

    Ich wankte rückwärts und versuchte, Ordnung in das Chaos meiner Gedanken zu bringen. Vergebens.

    »Jane!«, brüllte ich und stürmte zurück in den Flur.

    Frühmorgendliche Stille empfing mich. Sämtliche Türen waren geschlossen, die scheußliche mintgrüne Tapete unversehrt. Ebenso wie der weiche dunkelgrüne Teppichboden, der meine Schritte dämpfte.

    Keine Lava, kein Feuer, keine Hitze.

    Auch das Beben und Rumoren hatten aufgehört.

    Da begann selbst ich an meinem Verstand zu zweifeln.

    Ich tastete nach dem Kreuz, das ich mir wieder um den Hals gehängt hatte, nachdem ich Jane damit getestet hatte. Das Silber hatte sich leicht erwärmt.

    Was war die Ursache? Schwarze Magie oder Lava?

    Ein hartes Lachen entglitt meiner Kehle. Als ob die Lava in irgendeiner Weise normal gewesen wäre. Da meine Umgebung unversehrt war, musste es sich um eine Halluzination handeln. Insofern war ich über die Erwärmung des Kreuzes durchaus erleichtert. Immerhin war dessen Reaktion der Beweis dafür, dass hier finstere Mächte am Werk waren und ich eben nicht langsam dem Wahnsinn anheimfiel.

    Der nächste Gedanke war, das Handy zu checken. Ich eilte zurück ins Zimmer, doch sosehr ich auch suchte, ich fand es nicht. Ebenso wenig wie irgendein Gepäckstück.

    Von dem zerwühlten Bettzeug abgesehen, machte unsere Suite einen unbewohnten Eindruck.

    An Zufälligkeiten wollte ich in diesem Zusammenhang nicht glauben, hinter diesem Wahnsinn steckte Methode. Blieb die Frage, wer für den Spuk verantwortlich war. Und wo Jane jetzt steckte.

    Mein erster Gedanke war, in den anderen Zimmern nach ihr zu suchen, aber die waren alle verschlossen. Auch auf mein Klopfen und Rufen reagierte niemand. Schließlich gab ich es auf.

    Ich dachte wieder an die unbekannte Frau, die mich angefleht hatte, ihr Kind zu retten. Am Ende des Flurs führte eine steile Treppe nach unten. Sie wurde ebenfalls von Kerzenlicht erhellt. Hölzerne, mit Teppichboden ausgelegte Stufen wurden von golden glänzenden Sprossen gehalten. An den Wänden hingen Ölgemälde. Mir fiel auf, dass sie stets dasselbe Motiv aufwiesen: ein mehrstöckiges, rechteckiges Anwesen vor einem hohen Berg. Über dem Eingang prangte ein Schild mit der Aufschrift Hotel. Im Hintergrund verschmolzen Himmel und Erde zu verwaschenem Grau.

    Obwohl ich es bisher noch nicht von außen gesehen hatte, war ich mir sicher, dass sämtliche Gemälde das Haus zeigten, in dem ich mich gerade aufhielt.

    Ein Klingeln unter mir im Flur riss mich aus meinen Gedanken.

    »Hallo? Ist hier denn niemand?«

    Rasch ließ ich die letzten Stufen hinter mir. An der Rezeption stand ein hochgewachsener Gast mit markanten Gesichtszügen, der mir vage bekannt vorkam. Er trug einen weißen Anzug, darunter ein leuchtend rotes Hemd. Die Haut war gebräunt, das Haar dunkelblond. Vor ihm auf einem Tresen aus Teakholz stand eine Tischglocke. Mein Blick schweifte weiter zu einem altmodischen Schlüsselbrett sowie einem antiken Telefon mit Wählscheibe, bei dem das Mikrofon noch in den Apparat verbaut war und nur die Muschel für das Ohr abgenommen werden konnte.

    An der Decke gleißte ein riesiger Kronleuchter. In seinen Fassungen steckten mindestens fünfzig Kerzen. Das gesamte Ambiente wirkte museal und unwirklich, wie eine Filmkulisse.

    »Das wurde aber auch langsam Zeit«, mokierte sich der Mann im Anzug. Wieder fragte ich mich, woher ich ihn kannte. Oder täuschte mich meine Erinnerung?

    »Sobald Sie damit fertig sind, mich anzustarren, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir eine Auskunft erteilen könnten.«

    »Tut mir leid, aber ich bin hier ebenfalls nur Gast und …«

    »Ja, ja, ja!« Aus dem Hinterzimmer drang eine brüchige Stimme. »Ich komme ja schon! Ein alter Mann ist doch kein D-Zug.« Im schmalen Durchgang neben dem Schlüsselbrett erschien ein Greis mit krummem Rücken. Er schlurfte heran und blieb vor dem aufgeschlagenen Gästebuch stehen.

    Er trug eine weinrote Livree mit goldenen Knöpfen. Schlohweißes Haar klebte auf der altersfleckigen Haut.

    Er musterte uns aus wässerigen Augen. Zuerst mich, dann den Mann im weißen Anzug.

    »Name?«

    »Zamorra.«

    »Ist das alles?«

    »Professor Zamorra.«

    »Aha.« Der Greis senkte den Kopf, um das Gästebuch zu studieren.

    Ich dachte über den fremdartig klingenden Namen nach, aber so sehr ich auch in meiner Erinnerung kramte, mir fiel nicht ein, wo ich ihn schon einmal gehört hatte.

    »Entschuldigung, Sir?«

    Zunächst reagierte der Greis nicht auf meine Worte, dann hob er endlich den Kopf – langsam, wie eine Marionette, deren Haupt an einem dünnen Faden hing.

    »Ja?«

    »Es geht um meine … Begleiterin, Miss Collins.«

    »Collins, Collins«, murmelte der Greis.

    »Jane Collins. Zimmer Nummer …« Ich stockte. Ich hatte keine Ahnung, unter welcher Nummer ich eingecheckt hatte. Ah, doch. »Neunzehndreiundsiebzig.« Was für eine seltsame Nummer für ein Hotelzimmer – jedenfalls, wenn es sich um ein kleines Etablissement wie dieses handelte. Ich war sicher, dass das Gebäude höchstens drei, vier Stockwerke besaß.

    »Neunzehnhundertdreiundsiebzig? Sind Sie sicher?«

    »Wieso? Gibt es ein Problem?«

    »Ja, das könnte man so sagen. Das Zimmer wurde von einem gewissen John Sinclair gebucht.«

    »Das passt doch.«

    »Ach ja? Dann muss ich Sie darauf hinweisen, Mr Sinclair, dass Sie Ihre Begleiterin anzumelden haben. Wir dulden in unserem Haus keine leichten Mädchen oder anderweitige frivole Arrangements.«

    »Jane Collins ist eine … Freundin. Sie ist übrigens Privatdetektivin.«

    »Warum erzählen Sie mir das? Wenn Sie sie anmelden möchten, benötige ich ihren Ausweis und keine Detektiv-Lizenz!«

    »Zunächst einmal möchte ich wissen, wo ich Miss Collins finden kann.«

    »Ah, Sie wissen also selbst nicht, wo sie sich aufhält?«

    »Würde ich dann danach fragen?«

    »Pardon, aber wie ich bereits sagte, ich kenne keine Frau mit diesem Namen. Vielleicht hatte sie ja genug von Ihrer Gesellschaft und ist abgereist.«

    »Das glaube ich kaum, aber …«

    »Fehlt denn etwas auf dem Zimmer?«

    »Wie bitte? – Nein.«

    »Dann haben Sie das Mädchen offenbar anständig für seine Dienste bezahlt.« Er grinste anzüglich.

    Ich verspürte den Drang, das Männchen am Schlafittchen über den Tresen zu ziehen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Zamorra, der unserem Gespräch interessiert lauschte.

    Was für eine Art Professor war dieser Schönling eigentlich?

    »Es fehlt nichts. Außer Jane. Wieso sollte sie ohne mich abgereist sein?«

    Die Miene des Greises verschloss sich. »Die Motive unserer Gäste gehen uns nichts an. Aber möglicherweise ist sie einfach klüger als Sie. Inzwischen dürfte es für eine Abreise nämlich zu spät sein.«

    »Zu spät?«, echote Zamorra. »Wovon zum Henker reden Sie?«

    Der Greis starrte Zamorra an, als nähme er ihn zum ersten Mal bewusst wahr.

    »Zamorra war der Name, ja? Sind Sie Franzose?«

    »Sie haben richtig geraten.«

    »Vielleicht ist Ihnen der Berg hinter dem Hotel aufgefallen, Monsieur le professeur. Es handelt sich um einen Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Natürlich wird die Lava das gesamte Hotel verschlingen. Ich würde Ihnen darum ein Zimmer im Erdgeschoss empfehlen.«

    Wie aufs Stichwort fing die Erde erneut an zu beben. Die Schlüssel an der Wand klimperten.

    Ich wich instinktiv einen Schritt zurück, in Erinnerung an die Lava, die aus den Zimmertüren geschwappt war. Doch hier flackerte nur das Licht. Der prunkvolle Kristalllüster an der holzgetäfelten Decke klirrte und schepperte. Eine Kerze fiel zu Boden und erlosch.

    Zamorra hob eine Braue. »Gibt es in der Umgebung vielleicht noch ein anderes Hotel, das Sie …«

    Er unterbrach sich, als der Spuk so rasch endete, wie er begonnen hatte.

    Mein Kreuz hatte sich nicht erwärmt.

    »Tja, der Vulkan«, entgegnete der Greis lächelnd. »Er ist einfach unberechenbar.«

    »… noch ein anderes Hotel, das Sie empfehlen könnten?«, vervollständigte Zamorra seinen Satz. »Eines, das weniger gefährdet ist?«

    Die Antwort schien dem Greis Vergnügen zu bereiten. »Hier gibt es kein anderes Hotel. Nirgends. Wir sind das einzige.«

    Zamorra sah zunächst aus, als würde er die Geduld verlieren, aber dann verzichtete er auf eine Antwort. Auf einmal wirkte er, als würde er einer inneren Stimme lauschen. Oder als hätte er etwas wahrgenommen, das seine volle Aufmerksamkeit beanspruchte.

    Der Greis pflückte einen Schlüssel vom Haken. »Zimmer neunzehnhundertvierundsiebzig. Den Gang runter, vierte Tür rechts. Frühstück von sieben bis neun Uhr und keine Minute später. Sofern wir den morgigen Tag noch erleben. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe zu tun.«

    Ehe einer von uns einen Einwand hätte erheben konnte, verschwand der Greis im Durchgang zum Hinterzimmer.

    Professor Zamorra taxierte mich. »John Sinclair.« Er schien meinem Namen nachzulauschen. »Ich schätze, wir werden uns wohl noch häufiger über den Weg laufen.«

    »Sie kommen also aus Frankreich?«

    »Ich besitze ein kleines Schloss an der Loire, in der Nähe von Lyon.«

    Ein kleines Schloss. Wie schön. »Und wie sind Sie hierhergekommen?«

    »Warum interessiert Sie das?«

    Ich hob die Schultern. »Frankreich ist weit weg, und Sie haben keinen Koffer dabei.«

    »Frankreich ist weit weg …« Wieder schien er über die Worte nachzudenken, und ich fragte mich selbst, woher ich die Gewissheit genommen hatte. »Nun,

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