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Mancinis Tochter: Kieler Kommissarin fährt auf Frauen ab
Mancinis Tochter: Kieler Kommissarin fährt auf Frauen ab
Mancinis Tochter: Kieler Kommissarin fährt auf Frauen ab
eBook282 Seiten3 Stunden

Mancinis Tochter: Kieler Kommissarin fährt auf Frauen ab

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Über dieses E-Book

Zwischen Torten, Tapas und Campari rollt im sommerlichen Biergarten einer netten Szenekneipe ein alter Fall wieder auf.
Die ehrgeizige Kommissarin Cornelia Mancini beginnt in Kiel mit ihren Ermittlungen, obwohl sie hier schon einmal Schiffbruch erlitten hatte. Mit ihrer ehemaligen Kollegin Ulla Rieken und einer neuen Mannschaft setzt sie die Segel, damit das Verbrechen endlich gesühnt werden kann. Ulla gesteht in einer schwachen Stunde, dass sie damals Beweismittel unter den Teppich gekehrt hat.
Nichts ahnend, zickt Mancinis Tochter herum, die mit einer Freundin Indien bereisen will, um das Leben der Landbevölkerung kennenzulernen. Mancini, mit Erziehungsfragen völlig überfordert, hofft, das Ruder irgendwie rumzureißen.
Sie sucht Zerstreuung in ihrem Stammlokal und flirtet mit der Wirtin. Die Traumfrau startet ein überraschendes Manöver und landet bei Mancini einen Volltreffer. Endlich schwimmt Mancini auf der Erfolgswelle. Wären da nicht die nervigen Pläne der Tochter und der undurchsichtige Fall ...
Der Auftakt zu weiteren Kriminalfällen um die Kieler Kommissarin und ihr Umfeld.




SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum10. Okt. 2019
ISBN9783966338356
Mancinis Tochter: Kieler Kommissarin fährt auf Frauen ab

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    Buchvorschau

    Mancinis Tochter - Julyanna B. Hagen

    1994

    April 1994

    „Jetzt weiß ich, was wir brauchen, ich hole es sofort! Merita knuddelte ihren jungen Mops, der mit seinen glänzenden Kulleraugen abwechselnd zu den neuen Rudelführerinnen schaute. „Du bist mein Glücksstern! Sie brach für ihn ein Häppchen von der Pizzaschnecke ab und schaute in Sabines erwartungsvolles Gesicht.

    „Du hast einen Plan? Dann lass mal hören!" Sabine war gespannt wie ein Flitzebogen. Merita sprang vom Küchentisch auf, an dem sie ihr Mittagsbrot gegessen hatten, um aus dem Wohnzimmer einen Ballen Stoff zu holen. Der hauchfeine Chiffon, den sie mit der anderen Ware bei einer Auktion erstanden hatten, eignete sich für Abendgarderobe, duftige Sommerkleider oder leichte Schals. Sie rollte einen Meter von der Ware ab und breitete ihn auf dem Tisch aus.

    „Das ist der Edelste von allen!" Sabine betastete den weichen, geschmeidigen Stoff und stellte sich vor, wie er sich auf Ihrer Haut anfühlte.

    „Die neidischen Blicke aller werden wir auf uns ziehen, wenn die Kollektion stimmt!"

    „Das ist ein langer Weg!"

    „Sabine, vertrau mir! Wir benötigen nur ein paar gängige Schnittmuster, kopieren es und schwups ist das Dingen gelaufen! Technische Voraussetzung ist eine Maschine, die unseren Anforderungen genügt. Wir nehmen eine elektrische Nähmaschine aus dem Handwerkerkontor."

    „Da hast du dir aber etwas vorgenommen! Sie sind da zwar preiswert, aber für uns finanzschwachen Studentinnen unerschwinglich!"

    „Stimmt! Lass dich überraschen. Das läuft schon!" Merita lächelte vielsagend.

    Sabine, von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet, herzte ihre WG-Partnerin.

    Sie studierten Sozialarbeit, allerdings war Merita blutige Anfängerin. Sie klemmte sich an Sabines Fersen, weil sie von dem Wissen der mittlerweile routinierten Studentin profitieren wollte. Sie waren entschlossen, ihre spätere Arbeit in der Entwicklungshilfe zu verrichten. Die kommenden Semesterferien waren verplant, den indischen Subkontinent zu bereisen, um die Situation der dort lebenden Landbevölkerung kennen zu lernen.

    Sabine hatte ihrer Freundin geraten, die Haare zu färben. Blond war zu auffällig in dem Land, wo mehrheitlich fast nur Menschen mit dunkler Haut oder Haarfarbe lebten.

    Merita kreischte und zerzauste ihre Haare. „Henna ist voll öde."

    Sabine rannte ins Badezimmer. „Was hast du? – Wieso? Echt super! Das passt zu deinen braunen Augen."

    „Super?, wiederholte Merita kratzbürstig. „Wenn man schon auf dich hört!

    „Nee, echt! Blond ist in Indien gefährlich", bemerkte Sabine.

    „Das Schönheitsideal! Vielleicht angele ich mir einen reichen Maharadscha!"

    „Probier es jetzt erst mal aus und später entscheidest du, ob es noch eine Spur dunkler geht."

    Merita zog einen Flunsch und schnappte sich gefrustet den Föhn.

    Ihre Mittagszeit in der bescheidenen Dachwohnung war vorüber. Sie düsten auf ihren Fahrrädern zu einer angesagten Szenekneipe und verrichteten bis zweiundzwanzig Uhr ihre Schicht in deren Spülküche.

    Nachdem sie den größten Ansturm bewältigt hatten, schnappten sie vor der Tür frische Luft. Sie spazierten Seite an Seite und waren gleich wieder über ihre Indienreise im Gespräch:

    „… und deine Mutter ist echt großzügig? Ja? Sie lässt dich schon nicht hängen. … Sind alle Lesben so gönnerhaft?" Sabine reckte den Hals und schnupperte dem Aroma von Zigarettenqualm hinterher. Sie richtete ihren Blick auf den smarten Typen mit dem Glimmstängel.

    „Du, meinte Merita breit. Sie zog eine Grimasse und deutete an, dass der Raucher ein arroganter Vogel sei. „Sie fährt voll auf Frauen ab, sprach sie ruhig weiter. „Ihre Wohltätigkeit ist aber doch nur begrenzt, ganz egal warum. Ich werde es ihr trotzdem mal unter die Nase reiben, dass sie nicht nur mit ihren Liebhaberinnen ausgeht. Sie soll gefälligst an mich denken. Es wäre doch schade, wenn ihre Tochter verhungert."

    „So habe ich das nicht gemeint", schränkte Sabine ihre laxen Worte ein.

    „Komm, bleib locker. Sie ist vom anderen Ufer und tierisch sprunghaft. Ich kann schon froh sein, dass sie das nicht vererbt hat. Meine dunkle Augenfarbe habe ich vom Vater. Ein Italiener. Bei ihr sind die Augen blau. Merita legte erschrocken die Hand vor den Mund und tat, als würde sie ihr Gelächter unterdrücken. „Mal fällt sie mit ihrer Kontrollliebe über mich her, fügte sie hastig hinzu, „und dann erinnert sie sich im letzten Moment, dass sie ja eine Tochter hat." Merita schaute auf ihre Fußspitzen. Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken, ihre Mutter könnte Wind davon bekommen, wie respektlos sie über sie redete.

    „Dieses Unter-die-Lupe-Nehmen und zu sagen, wo es langgeht, kenne ich, bestätigte Sabine. „Wir fetzen uns oft und weil es zu peinlich war, bin ich weg von Zuhause. Aber deine Mutter mag ich … Sie hat das gewisse Etwas!

    Sie kicherten. Merita puffte Sabine in die Seite und damit war die Mutterverleumdungskrise abgehakt.

    „Da, schau! Unsere Ablösung!" Sabine zeigte auf den Radfahrer, der im Affenzahn um die Hecke bog, um zum Fahrradunterstand zu kommen. Plötzlich prasselten schwere Regentropfen auf die Köpfe der heiteren Gäste.

    Der warme Aprilschauer scheuchte die Besucher aus dem Biergarten und die Schnellsten unter ihnen fanden auf den Hockern an der Bar einen freien Platz. Eingekeilt zwischen dem Tresen und dem ausgelassenen Getümmel der Partygäste, lernten sie Michael kennen. Merita hatte ein Auge auf den athletischen Typ mit braunen Haaren und der winzigen Zahnlücke geworfen. Plötzlich war sie von ihren Leuten umgeben und es ergab sich keine Gelegenheit, ihn noch mal anzuquatschen.

    „Na ja, meinte sie auf dem Rückweg, „vielleicht sehe ich meinen Medizinstudenten mal wieder! Sie ratschte die Klingel, verschaffte sich Platz auf dem Radweg und summte eine fetzige Melodie.

    „Ich hab seine Adresse! Sabine grinste frech und titschte Merita an die Schulter. Ungestüm peste sie an ihr vorbei. „Ich rufe ihn mal an und werde ihn für dich warm halten!

    „Ach ja, und ich tröste mich zukünftig mit Anton!"

    „Wieso? Nur weil deine Mutter lesbisch ist? Werd’ mal nicht komisch, tönte Sabine und kurvte um eine Gruppe Fußgänger herum. „Ich hab’ schon gesehen, dass du ihn anbaggern wolltest.

    Merita trat ordentlich in die Kette und blieb an Sabines Hinterrad. „Wir könnten uns bei ihm melden, wenn du schon seine Telefonnummer hast." Sabine kicherte und legte einen Zahn zu.

    Zuhause angekommen schleppte sie ihr Fahrrad in den Keller und rannte die Treppe bis zu ihrer Dachwohnung hoch. Sofort griff sie zum Telefonhörer und prompt hatte sie Meritas Intimus am anderen Ende.

    „Merita lässt anfragen, ob wir was unternehmen: Bootstour auf der Leine, Museum oder bei dem Wetter lieber ins Freibad!"

    Merita stoppte atemlos in der Tür und spitzte die Ohren, was ihre Kumpanin mit ihm beredete. Neugierig und ärgerlich zugleich, ob Sabine ihr die Eroberung ausspannte, stemmte sie die Hände in die Hüfte. „Was wird das denn?", fauchte sie zeitgleich mit Sabines herzlicher Verabschiedung.

    „Der Fisch ist an der Angel! Für dich, lachte Sabine frech. „Ohne lange zu überlegen, schlug er eine wilde Badestelle am Mittellandkanal vor. Sie liegt unweit seiner Wohnung und er kommt bequem mit dem Fahrrad dahin.

    Die Freundinnen sprangen sich an und herzten sich ungestüm.

    Für Merita vergingen die Besuchstage von Michi wie im Flug. Morgens und mittags mit Anton spazieren, am Nachmittag im Freibad und abends auf irgendeiner Studentenparty. Die Nächte waren kurz und Merita fiel es schwer, sich in aller Herrgottsfrühe von dem kleinen Mops, ihrer Freundin und dem Lover zu verabschieden.

    „Ich sag dir später, wie es in Kiel war, und du verrätst mir, ob es sich für mich lohnt, wenn ich mich in den Boyfriend verliebe!"

    „Zur Not hast du ja Anton! Sabine winkte Merita mit der Hundepfote zu. „Er ist treu und wartet auf sein neues Frauchen! Hin und weg von den Eindrücken in Hannover tauchte Merita in ein prickelndes Gefühlswirrwarr ab, während der Zug in die Landeshauptstadt Kiel einrollte.

    ⁛ ⁛ ⁛ ⁛

    Die Hauptkommissarin Cornelia Mancini, oder Conny, wie sie sich selbst gerne nannte, schlenderte am Bahnsteig hin und her und freute sich mit Merita über den positiven Verlauf des Erstsemesters an der Fachhochschule.

    Sie hatte ein entspanntes Gefühl, wenn sie sich die Zukunft ihrer Tochter ausmalte, und auch ihr eigenes Leben entwickelte sich momentan günstig. Sie trat in zwei Wochen ihren neuen Job als Hauptkommissarin beim Kieler Landeskriminalamt an. Die schleswig-holsteinische Behörde und deren Mitarbeiter kannte sie aus ihrer Zeit als junge Beamtin. Conny hatte bislang keine passende Bleibe an ihrer neuen Wirkungsstätte gefunden und wohnte vorübergehend in einer Pension am Westensee.

    Für Merita hatte sie ein Zimmer im angeschlossenen Hotel angemietet. Nachmittags trafen sie sich in der weitläufigen Ferienanlage und spazierten eingehakt durch den Park. Die Sonne verbarg sich größtenteils hinter Wolken und es war etwas frisch. Conny schnürte ihr Halstuch enger und zupfte die Jackenärmel über die Handgelenke.

    „Merita, ich muss dir etwas sagen", begann sie abwartend und schaute sie prüfend an.

    „Hörst du das Plätschern?" Merita zeigte in die Richtung. Hinter einer Wegbiegung entdeckten sie einen Brunnen aus rotem Lavastein, der mit saftigem Moos überzogen war.

    „Hübsch!", reagierte Conny und verkündete in einem Atemzug, dass ihre Finnlandreise mit den Kollegen geplatzt sei.

    „Ach!", rutschte es Merita über die Lippen. Sie rieb sich die Wangen und steckte dann hastig ihre Hände in die Hosentaschen. Conny hakte sich wieder bei ihr ein.

    „Wir haben jetzt mehr Zeit füreinander!" Sie setzten sich auf eine Bank und schauten über die gepflegte Gartenlandschaft.

    „Erst war ich total sauer, meinte Conny, „jetzt sehe ich das Gute daran: Wir nutzen die Gelegenheit zum Reden. Das ist mir wichtig!

    Merita zog ihre Hände aus den Taschen und rieb sich die Oberarme. Conny schaute darauf und überlegte, ob Merita sich unter Zwang fühlte. Es sollte ja nur eine einwöchige Stippvisite der Tochter werden.

    „Ja, schön, brachte Merita gelangweilt rüber. Sie machte ein schiefes Gesicht und lauschte dem Glucksen am Brunnenstein. „Mit Sabine möchte ich unseren Traum verwirklichen. Wir wollen nach Indien.

    „Dafür habe ich kein Verständnis, grätschte Conny dazwischen. Indien war das Reizwort. Unvorstellbar für zwei junge Frauen. Conny sprang auf und war geladen. „Das schmink dir ab. Weißt du überhaupt, auf was du dich einlässt und wie gefährlich das ist? Von oben herab schaute sie auf Merita. „Kannst du dir vorstellen, was da auf dich zukommt? Indien! Da gibt es Lepra und Krankheiten, da hast du hier noch nichts von gehört."

    „Du und deine Besorgnis! Merita schaute zu ihr hoch. Sie wischte die Bedenken der Mutter weg: „Wir wissen jede Menge über Indien. Wir wollen es mit eigenen Augen sehen! Du, ich habe jetzt einen Mops. Ich hole ihn später von Sabine ab. Das ist meine Planung und dann studiere ich und fertig und außerdem bin ich kein Notnagel für euer Finnlanddebakel.

    Merita sprang auf und stellte sich Conny gegenüber. Sie schaute ihrer Mutter in die Augen und bohrte ihr dann den Zeigefinger in die Brust. „Ich habe einen Plan und du?"

    Conny wich zurück, weil sie befürchtete, Meritas Arm wegzuschlagen. Sie lächelte mühevoll. „Ehrlich, ich wollte sehen, wie es dir geht, fügte sie dann betont abgeklärt hinzu. Sie zuckte die Achseln und legte Gelassenheit an den Tag. „Außerdem möchte ich dir etwas erklären, lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung. „Ich bin bereit, über die damaligen Umstände zu sprechen." Jetzt hatte sie unvorbereitet ein Fass aufgemacht und rätselte, wie Merita darauf reagierte. Sie setzten sich wieder auf die Bank.

    Conny schaute Merita von der Seite an. Die Haare hatte sie hellbraun gefärbt. Es stach etwas rötlich durch. Es war die Haarfarbe des Vaters. Conny hielt sich zurück, denn die Stimmung war gereizt, um das anzusprechen. Oder? Merita deutete es womöglich, als wäre ihr das entgangen? Conny strich über ihren Jackenstoff und fragte sich, woher die Anspannung rührte.

    „Deine Haare sind schön!" Sie mühte sich, neutral zu klingen. Merita saß gleichgültig da.

    „Das Fuchsbraun deines Vaters!"

    „Lenk mal nicht vom Thema ab. Ich bin zwar blond …", fiel ihr Merita ins Wort.

    „So wie ich", versuchte es Conny mit Humor.

    „Das ist auch das einzige Verbindende!"

    „Komm schon, Merita, lass uns vernünftig sein. Ich will mich nicht für die Vergangenheit rechtfertigen, aber ich kann dir die Ursachen und Gründe plausibel machen." Sie wippte ein paar Mal auf dem Holz hin und her und stützte ihre Hände neben sich auf die Sitzfläche ab. Gelassen blinzelte sie in den Himmel.

    „So umschreibst du das. Merita klang zynisch. „Du willst zugeben, du hast mich einfach bei deinem Lover gelassen, ohne dich um mich zu kümmern! Da bin ich doch emotional verkommen! Mir macht es nichts aus, jetzt zu fahren! Merita schnappte nach Luft und für einen kurzen Augenblick schloss sie die Augen. Es blitzten Szenen mit ihrem kleinen Freund Anton und der neuen Eroberung Michi auf. „Du hast dich überhaupt nicht geändert. Du benutzt alle Leute! Ich bin doch nur deine Tochter, wenn es dir jetzt grade gefällt."

    Diese Salve von Vorwürfen konnte Conny kaum wegstecken. Sie rätselte, wieso es so oft zwischen ihnen knallte.

    „Warum bezeichnest du deinen Vater als Lover? Ich will doch nur sagen: Es tut mir leid und ich habe dazugelernt. Wir könnten darüber reden, was damals los war und wie ich mich gefühlt hatte! Merita, ich habe viel verloren. Ich bin mit dem Konvoi nach Russland gefahren, um die Fahrer zu schützen. Das war mein Job. Sollte ich dich da mitnehmen?"

    „Nein!"

    „Na, siehst du!"

    „Da haben wir es wieder: Deine Sprechweise und die besserwisserische Betonung. Du hast immer für alles eine Erklärung!"

    „Ich kann dir Rede und Antwort stehen. Wenn du es willst."

    Conny schwieg zunächst und schaute auf ihre Fußspitzen. „Es war kein Zuckerschlecken, meinte sie ruhig. „Bei einem Überfall war ich als Polizistin total überfordert und habe nachts reflexartig einen jungen Mann erschossen. Mensch, es tut mir leid. Ich bereue es. Ich hätte niemals in dieses Land fahren sollen. Jetzt büße ich dafür, weil ich als Polizistin kaltgestellt wurde. Es war nicht klar, ob ich meinen Beamtenstatus behielt.

    „Das ist jetzt überhaupt nicht das Thema!", hackte Merita dazwischen.

    „Du möchtest wissen, warum du bei deinem Vater bleiben musstest. Wolltest du denn mit? Das war unmöglich!" Conny schüttelte den Kopf. Sie selbst merkte, wie überheblich sie wirkte. Sie schlug die Beine übereinander und beobachtete ihre Tochter von der Seite.

    „Ich hab damals vorwiegend die Brötchen verdient", fügte sie betont affig hinzu. Merita sollte am Ton erkennen, dass die Leistungen des Kindsvaters kaum etwas wert waren.

    „Heute ist er ja der große Macher in der Raumfahrt, aber als du noch mein kleiner Spatz warst, war ich die Alleinunterhalterin der Familie und für die Konvoibegleitung gab es ein schönes Sümmchen. Das wollen wir mal nicht außer Acht lassen. – Ich war jung und dein Vater sollte meines Erachtens auch mal zurückstecken. Ja, indem du sein Klotz am Bein warst!"

    Merita sprang hoch, baute sich für Millisekunden breitbeinig auf und gab ihrer Mutter eine Backpfeife. „Ich war nur ein Klotz am Bein! So war das für dich! Vielen Dank!" Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte weg.

    Erstarrt schaute Conny ihr nach. „Mensch, bin ich eine blöde Kuh! Ich hab es gewusst." Sie schnaubte. Stocksauer marschierte sie um den Gartenteich. Wie konnte mir das entgleiten? Sie packt doch gleich ihre Sachen und ist weg! Conny stemmte die Hände in die Taille und gab sich einen Ruck, um Merita im Hotelzimmer abzufangen.

    „Siehst du, ich packe meine Sachen, erklärte Merita. „Dein Getue geht mir auf den Zeiger, und, fügte sie kleinlaut an, „die Backpfeife war grässlich. Es tut mir leid."

    „Lass uns wieder lieb sein", meinte Conny einlenkend. Merita setzte sich resigniert aufs Bett. Mit einer Hand hielt sie ihren Rucksack fest, mit der anderen streichelte sie Connys Oberarm. Sie saßen einen Moment zusammen und entschieden sich, zum Wildpark zu fahren, um dort zu wandern. Später kehrten sie in ein schickes Restaurant ein.

    Das rote Backsteinhaus lag auf einer Anhöhe, eingerahmt zwischen Kiefern und Tannen am Stadtrand von Rendsburg.

    „Da, schau! Das habe ich für uns aufgetan!", rief Conny. Sie zeigte auf die Hausfassade. Der warme Lichtschein aus den Fenstern leuchtete bis zum Parkplatz und wirkte verlockend.

    Sie erreichten den Eingang des Speiselokals über eine hölzerne Terrasse und schauten einen Moment auf den blinkenden Nord-Ostsee-Kanal.

    Conny ging voran, hielt ihr die Tür auf und taxierte Merita. Sie trug einen selbstgenähten weißen Bolero. Er war schick und mit Spitze abgesetzt.

    „Deine Nähkünste … alle Achtung!" Ein kleines Kompliment, sorgt ja immer für gute Stimmung. Conny lächelte in sich hinein.

    „Denk daran, Mutter, keine rhetorischen Tricks heute. Wir wollen reden."

    Der Kellner servierte ihnen Appetithäppchen und brachte Conny Wein. Merita trank stilles Wasser.

    „Mein Anton ist schwarz und hat mopsige Kulleraugen!, schwärmte Merita. „Du würdest ihn auch bildschön finden. Er ist wahnsinnig knuffig. Sabines Bruder hatte den Hund erworben, aber keiner konnte sich um ihn kümmern. Conny schloss für einen winzigen Moment die Augen. Ihr schwante, das würde der Einstieg in die Lebensgeschichte.

    „Ich wollte immer einen so knuddeligen Kerl haben. Vor der Oberstufe hattest du es mir versprochen. Na ja!" Merita strich durch die Luft und lächelte ihre Mutter an.

    Nachdem sie die Häppchen verspeist hatten, lenkte Merita das Thema wieder auf den Knackpunkt ihrer Mutter-Tochter-Beziehung. In der letzten Augustwoche vor vier Jahren schwang sich Conny in einen LKW, um als Sicherheitsbeamtin einen Treck zu schützen. Für Merita unvorstellbar.

    „Du hast mir die Story bislang nur halbherzig erzählt. Wie war es 1990?" Sie klang ruhig und vernünftig.

    Conny erhob ihren Blick. Sie spürte, das Gespräch nahm einen entspannten Verlauf. „Es war nicht richtig! Ich bin jetzt einundvierzig Jahre und sehe das ein. Ich war beruflich oft unterwegs. Für diese Aktion musste ich einen LKW-Führerschein machen. Die Zeit damals war anstrengend und neu für mich. Im Notfall hätte ich fahren müssen."

    „Aber es ist dumm gelaufen!"

    Nachdenklich schaute sich Conny im Restaurant um. Es waren nur wenige Gäste da. Das Servicepersonal stand lustlos rum. Sie lauschten der Popmusik, die auf der Terrasse gespielt wurde. Conny wirbelten die zahlreichen unverarbeiteten Bilder durch den Kopf.

    Sie hob das Weinglas und musterte ihre Tochter. War sie schmaler geworden? Isst sie überhaupt genug? Ich bin ihre Mutter und weiß es nicht. Sie rieb sich nachdenklich das Kinn.

    Merita aß in der Mensa und sie hatte das Semesterticket, mit dem sie die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen konnte. Conny beglich die Rechnungen dafür. So knapp bei Kasse war ihre Tochter nicht.

    Vorsichtig schob sie eine Gräte zum Tellerrand und schaute auf ihr Welsfilet. Unauffällig verglich sie ihre Menge mit Meritas mickriger Portion. Da lagen nur eine Handvoll Kartoffelgnocchi, die mit rote Beete garniert waren.

    „Möchtest du von meinem Wels probieren!", fragte Conny.

    Merita lächelte ihre Mutter an. „Nein danke!, antwortete sie. „Ich vertrag das im Moment nicht.

    „Warum hast du nichts gesagt, wir hätten nicht in ein Fischrestaurant gehen müssen."

    „Das ist schon ok, ich probiere aus, wie es ist, wenn man sich vegetarisch ernährt, das ist alles! – Es war bestimmt schlimm für dich", knüpfte Merita an das ursprüngliche Thema an. Ihre Mutter hatte bei einem Raubüberfall einen Angreifer erschossen. Über den genauen Tathergang hatte sie bisher geschwiegen.

    „Schätzchen! Keiner hat es geahnt. Die blöde Sache hat mich aus dem Konzept geworfen." Conny schluckte ihren letzten Bissen herunter und legte ihr Besteck aus der Hand. Sie erklärte, wie sie zum Bauernopfer wurde.

    „Die BRD war in Erklärungsnöten und die Sowjets wollten Satisfaktion. Da passte es ja später, meinem Wunsch nachzukommen und mich von Niedersachsen nach Schleswig-Holstein zu versetzen! Ich war abgetaucht und fertig."

    „In der Schule gab’s nur Stress. Nerviges Anmachen, warum du abgehauen bist. Andauernde Gespräche mit dem öden Schulleiter und der Hexe von Beratungslehrerin. Wie ich mich alleine beim Vater fühle. Denn ihr wart geschieden und der Schule war der lange Sorgerechtsstreit um eure Tochter bekannt. Um so ein’ Kram ging es."

    Conny schluckte. Sie nickte zustimmend. Die alten Geschichten brachen über sie herein.

    „Ja, Mutter, kein Mensch wusste, was los war. Merita wischte mit der Hand über den Tisch. „Und in Russland? War es Notwehr?, fragte sie.

    „Ich habe

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