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Wächter der Runen (Band 1)
Wächter der Runen (Band 1)
Wächter der Runen (Band 1)
eBook511 Seiten7 Stunden

Wächter der Runen (Band 1)

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Über dieses E-Book

Finn ist Kopfgeldjäger und sein nächster Auftrag lautet: Finde die Abtrünnige Ravanea und liefere sie dem Imperium lebend aus.
Für Finn eigentlich keine große Herausforderung, doch dann stößt er auf immer mehr Ungereimtheiten. Warum sucht das Imperium seit Jahren erfolglos nach ihr? Welches dunkle Geheimnis umgibt sie, dass der Herrscher alles daransetzt, sie lebend zu fangen?
Je mehr er über Ravanea in Erfahrung bringt, desto stärker regt sich in Finn etwas, das für jeden Kopfgeldjäger das Todesurteil bedeuten kann: Zweifel, ob er tatsächlich das Richtige tut.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Sept. 2018
ISBN9783906829951
Wächter der Runen (Band 1)

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    Buchvorschau

    Wächter der Runen (Band 1) - J. K. Bloom

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Landkarte

    Teil I

    1 - Finnigan

    2 - Ravanea

    3 - Finnigan

    4 - Ravanea

    5 - Finnigan

    6 - Ravanea

    7 - Finnigan

    8 - Ravanea

    9 - Finnigan

    10 - Ravanea

    11- Finnigan

    12 - Ravanea

    13 - Finnigan

    14 - Ravanea

    15 - Finnigan

    16 - Ravanea

    17 - Finnigan

    18 - Ravanea

    19 - Finnigan

    Teil II

    20 - Ravanea

    21 - Finnigan

    22 - Ravanea

    23 - Finnigan

    24 - Ravanea

    25 - Finnigan

    26 - Ravanea

    27 - Finnigan

    28 - Ravanea

    Teil III

    29 -Finnigan

    30 - Ravanea

    31 - Finnigan

    32 - Ravanea

    33 - Finnigan

    34 - Ravanea

    35 - Finnigan

    36 - Ravanea

    Dank

    J. K. Bloom

    Wächter der Runen

    Band 1

    Fantasy

    Wächter der Runen (Band 1)

    Finn ist Kopfgeldjäger und sein nächster Auftrag lautet: Finde die Abtrünnige Ravanea und liefere sie dem Imperium lebend aus.

    Für Finn eigentlich keine große Herausforderung, doch dann stößt er auf immer mehr Ungereimtheiten. Warum sucht das Imperium seit Jahren erfolglos nach ihr? Welches dunkle Geheimnis umgibt sie, dass der Herrscher alles daransetzt, sie lebend zu fangen?

    Je mehr er über Ravanea in Erfahrung bringt, desto stärker regt sich in Finn etwas, das für jeden Kopfgeldjäger das Todesurteil bedeuten kann: Zweifel, ob er tatsächlich das Richtige tut.

    Die Autorin

    J. K. Bloom schreibt schon, seit sie elf Jahre alt ist. Das Erschaffen neuer Welten ist ihre Leidenschaft, seitdem sie das erste Mal ein Gefühl für ihre Geschichten bekam. Sie ist selbst abenteuerlustig und reist sehr gern. Wenn sie ihre Nase nicht gerade zwischen die Seiten eines Buches steckt, schreibt sie, beschäftigt sich mit ihren zwei Katzen oder plant schon die nächste Reise an einen unbekannten Ort.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, September 2018

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2018

    Umschlaggestaltung: Kopainski Artwork | Alexander Kopainski

    Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König

    Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    Druck und Bindung: Smilkov Print Ltd.

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-906829-96-8

    ISBN (epub): 978-3-906829-95-1

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Für Mom,

    weil du immer ein Teil

    meiner Bücher sein wirst

    Teil I

    In Gefangenschaft

    1 - Finnigan

    Ein lautes Donnern, gefolgt von einer Böe, die an meiner Zimmertür rüttelt, lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Stirnrunzelnd betrachte ich die Regentropfen, die unaufhörlich gegen die Fensterscheiben prasseln, und widme mich wieder meinen Aufträgen. In letzter Zeit kommen sie wie Flugblätter in mein Arbeitszimmer hereingeweht, als gäbe es nur einen einzigen Kopfgeldjäger in ganz Goldwest.

    Erschöpft schiebe ich ein paar lose Seiten über den Schreibtisch und fahre mir über das Gesicht, während ich die Füße auf der Oberfläche ablege. Achtzehn Aufträge warten auf mich und sie alle müssen in kürzester Zeit erledigt werden. Die Bezahlung ist sehr gut und wenn ich alles abarbeiten würde, könnte ich mit dem Erlös endlich in die Hauptstadt Baltora ziehen. Die dortigen Anwesen sind kein Vergleich zu meinem jetzigen Haus – wo überall der Putz bröckelt, da es baufälliger als eine Ruine ist – und würden mein Ansehen erheblich steigern.

    Es mangelt mir nicht an Fähigkeiten, sondern an Geld. Die Hauptstadt lässt nur Bewohner in das Adelsviertel ziehen, die ein bestimmtes Vermögen erlangt haben. Mit diesen Aufträgen wäre das Ziel erreicht.

    »Finn?«, ruft jemand dumpf durch die Tür, woraufhin ich die Füße vom Tisch nehme. An der Stimme erkenne ich, dass es mein Partner Reovo ist.

    »Komm rein!«, antworte ich und Reovo betritt den Raum.

    Er ist kein Kopfgeldjäger, erledigt aber den Papierkram für mich und sucht nach neuen Aufträgen. Außerdem beliefert er mich mit hilfreichen Informationen, wenn der Gesuchte nicht aufzufinden ist – einige wissen sich verdammt gut zu verstecken. Doch mir ist noch keiner entwischt.

    Reovo fährt über seine im Nacken zusammengebundenen dunkelbraunen Haare, rückt seine Brille zurecht und kommt in gebeugter Haltung auf mich zu. Wie immer trägt er eine braune Jacke und polierte Lederschuhe.

    »Ich weiß, du bist im Moment mit den vielen Aufträgen beschäftigt, aber dennoch wollte ich dich fragen, ob ich morgen zu Hause bleiben dürfte.« Er verknotet die Finger ineinander, was er öfter macht, wenn er nervös ist. »Moreila ist mittlerweile im neunten Monat und bekommt wahrscheinlich in den nächsten drei Tagen unser Kind.«

    Ich lächle, so gut ich kann, denn gerade in diesem Chaos wäre seine Unterstützung äußerst hilfreich gewesen. Doch was bin ich für ein Freund, wenn ich ihm verweigere, bei der Geburt seines ersten Kindes anwesend zu sein? Also strecke ich meine Arme und Beine von mir und gähne. »Ich habe dir doch schon einmal gesagt, Reo, dass ich dir ein paar Tage freigebe, wenn es so weit ist. Ich schaffe das schon.«

    Er stößt erleichtert die Luft aus. »Vielen Dank, Finn!«

    »Kein Problem. Wisst ihr schon, wie ihr das Kind nennen wollt?«

    Das Gesetz schreibt vor, dass der Name des Vaters und der Mutter einen neuen bilden. Finnigan entstand aus Ganora und Finnicars. Manchmal bilden sich auf diese Weise schwer auszusprechende Namen, die nicht mehr geändert werden dürfen.

    »›Remore‹, wenn es ein Mädchen wird, und ›Ovor‹, wenn es ein Junge ist«, verkündet er stolz. »Meine Frau hat die Namen zusammengestellt.«

    »Das sind schöne Namen«, lobe ich, doch tippe daraufhin nervös auf den Schreibtisch. Ich blicke wieder zu den vielen Seiten vor mir. »Sag mir, Reovo, soll ich all diese Aufträge annehmen? Einerseits kann ich es kaum erwarten, Goldwest zu verlassen, andererseits erscheint es mir beinahe unmöglich, die Kopfgeldaufträge innerhalb einer Woche zu erledigen.« Ich schiebe mehrere Dokumente zu einem Stapel zusammen. Danach massiere ich mir die Schläfen. »Sie alle kommen aus unterschiedlichen Dörfern.«

    Reovo zuckt mit den Schultern. »Du weißt, dass du in die Hauptstadt ziehen darfst, wenn du diese Hürde genommen hast. Ist das Ziel erst einmal bewältigt, kannst du es ruhiger angehen lassen.«

    Meinen Kopf mit den Armen stützend, blicke ich erneut auf die einzelnen Blätter. Ich seufze leise und schließe kurz die Augen. Er hat recht. Wenn ich jetzt nicht die Zähne zusammenbeiße, wird mein Umzug nur in die Länge gezogen.

    Mit meinen Fingern fahre ich über die Runenplaketten am Hals, die durch ihre kleinen Löcher an einer silbernen Kette befestigt sind. Ich besitze eine Feuerrune, zwei Wasserrunen und ein paar Nutzrunen. Mit diesen magischen Hilfsmitteln handeln und leben wir. Neben dem Geld werten diese Plaketten den Status, das Ansehen und die Stärke einer Person auf. Sie sind überlebenswichtig und jemand, der keine besitzt, steht in der Hierarchie weit unten.

    »Ich mache es«, beschließe ich und sehe meinen Freund fest an. »Es wird hart, aber vielleicht kann ich Carora um Hilfe bitten. Sie müsste dich auch nur für eine kurze Zeit vertreten.«

    »Du willst deine Schwester um Hilfe bitten?« Reovo sieht mich ungläubig an. »Du weißt, was sie von deiner Arbeit hält. Außerdem habt ihr nicht gerade ein gutes Verhältnis.«

    Ich senke den Blick. »Ja, weiß ich.«

    Carora hasst mich für meine Arbeit als Kopfgeldjäger, da ich Menschen für Geld töte. Sie hätte es bevorzugt, wenn ich ein Vermögensverwalter, Erkunder oder Runenmeister geworden wäre. Auch wenn es grausam klingt, aber das Töten liegt mir einfach.

    »Sie würde es trotzdem für mich tun«, murmle ich und fahre mit dem Finger einen Riss auf meinem Schreibtisch entlang. »Unsere Eltern haben uns beigebracht, dass man sich gegenseitig hilft, ganz gleich, was kommt.«

    Reovo zieht die Augenbrauen hoch. »Wenn du denkst, es ist das Richtige … Ich hoffe, du überforderst dich nicht und verlierst dabei deine Kunden. Willst du es dir nicht noch einmal überlegen? Was ist mit deinen Kopfgeldjäger-Kollegen? Kann niemand dir ein paar Aufträge abnehmen?«

    Ich berühre nachdenklich mein Kinn. Es wäre eine Überlegung wert und wenn wir die Arbeit teilen würden, bekämen wir vielleicht in der Zeit neue Aufträge, sodass ich ohne Hast arbeiten könnte. »Gute Idee«, nicke ich schließlich. »Ich werde sie fragen.«

    Reovo macht auf dem Absatz kehrt und läuft zur Tür. »Viel Glück, Finn, und bis in drei Tagen.«

    »Ich wünsche euch alles Gute für die Geburt eures Kindes«, rufe ich ihm nach, bevor er den Raum verlässt und verschwunden ist.

    Mit meinen Fingern fahre ich erneut über die Runenplaketten und sehe zu den vielen Papieren auf dem Schreibtisch. Wahllos nehme ich einen Auftrag und sehe ihn mir an.

    Das Schlimmste am Kopfgeldjägerdasein sind die zu jagenden Personen, da sie meistens schwer zu finden sind. Nur selten erhalte ich ein Schreiben, in dem der Aufenthaltsort und der Grund für das Kopfgeld angegeben sind. Meistens muss ich erst die Hinweise des letzten Aufenthalts sammeln und anschließend einer dann hoffentlich vorhandenen Spur folgen. Dies kann manchmal Tage dauern, doch wenn ich die Verbrecher in meinem Visier habe, lässt der Tod nicht lange auf sich warten.

    Ich bin nicht stolz darauf, Menschen zu töten, doch da es sich oft um wirklich boshafte Personen handelt, die selbst schon über viele Leichen gegangen sind, weiß ich, dass ich damit auf indirekte Weise Leben rette. Viele meiner Opfer waren Mitglieder in Verbrecherbanden, Abtrünnige, Rebellen oder Clan-Anführer. Sie hätten mit dem Töten nicht aufgehört, bevor sie selbst starben.

    Bisher ist mir noch niemand entwischt, weshalb ich sehr gefragt bin.

    Trotz der späten Stunde lese ich mir die Hinweise im Auftrag durch. Am unteren Rand des Schreibens hat ein Offizier des Imperiums unterschrieben, um der Jagd auf den Mann stattzugeben. Das ist für mich als Kopfgeldjäger äußerst wichtig, da ich sonst als Mörder angeklagt werden kann. Ich nehme auch keine Aufträge an, auf denen nicht vermerkt wurde, dass das Imperium davon in Kenntnis gesetzt ist.

    Ich setze mich gerader hin und versuche, mir ein Bild von der gesuchten Person zu machen. Anscheinend handelt es sich um einen Rebellen, der mehrere Male ein Dorf angegriffen hat, aus dem er verstoßen wurde. Er will Rache nehmen und der Dorfvorsteher hat mich dazu beauftragt, dies für ihn zu tun. Er schreibt sogar, dass alle Bewohner gespendet haben, um mich bezahlen zu können.

    Warum bringt sich das Imperium in solchen Fällen nicht ein? Ist es ihm egal, dass seine Leute angegriffen werden?

    Die Frage kann ich mir eigentlich selbst beantworten, denn in den letzten Jahren habe ich bemerkt, dass das Imperium sein Volk vernachlässigt und sich nur noch um die, in seinen Augen, wichtigen Dinge kümmert – Machtergreifung. Es würde sich nicht an mich wenden, wenn es nicht wirklich dringend wäre.

    Ich seufze. Wenigstens ist der Ablauf nichts Neues für mich. Ein bekannter Täter, ein paar Hintergrundinformationen und die Suche nach der Zielperson.

    Meine Finger fahren über die Unterschrift des Dorfvorstehers, wobei mir auffällt, dass das Pergament ziemlich alt ist. Der Gesuchte soll sich zurzeit irgendwo außerhalb von Goldwest aufhalten. Durch seine zur Neige gehenden Vorräte haben schon einige Zeugen beobachtet, wie er Waren in der Stadt kaufte.

    Wo liegt dieser Ort? Ob ich mich jetzt schon auf die Suche nach neuen Hinweisen machen soll?

    Natürlich muss ich das! Achtzehn Aufträge erledigen sich nicht von allein.

    Lustlos erhebe ich mich vom Stuhl, stopfe den Auftrag in meine Ledertasche und nehme mir meine Dolche und den Bogen, dessen Köcher ich mir über die Schulter schlinge.

    Mit hochgezogener Kapuze gehe ich die wenigen Stufen meines am Hang stehenden Hauses hinunter, schiebe die Hände in die Taschen meiner Jacke und laufe die dunkle Straße hinab. Der Mond kämpft sich durch den wolkenüberzogenen Nachthimmel, aus dem es immer noch in Strömen regnet. Fröstelnd ziehe ich die Kapuze ins Gesicht und versuche, so gut es geht, die Windböe zu ignorieren, die unsanft gegen meinen Körper peitscht. Erleuchtet wird mein Weg von grellen Blitzen, die ab und an am Himmel aufleuchten.

    Mein Ziel ist die Schenke, welche sich in der Nähe des Marktplatzes befindet. An Orten, an denen sich viele Menschen aufhalten, bekommt man am schnellsten Informationen, zumal die Betroffenen meistens betrunken sind und damit gesprächiger werden.

    Ich sehe zu einer beleuchteten Nebenstraße und erkenne unter dem Lichtschein der Laternen einige imperiale Soldaten, die in klappernden Metallrüstungen ihre Route ablaufen. Für sie ist es ein Hauptgewinn, in dieser Stadt arbeiten zu dürfen und nicht in einer Bettlerstadt wie beispielsweise Massott, die im Süden unseres Landes nicht weit von Goldwest entfernt liegt. Im dort befindlichen Untergrund leben die Schwächsten unserer Hierarchie. Man erzählt sich, dass allein die Luft schon krank machen würde. Für die Soldaten wäre ein solcher Ort die reinste Qual.

    Wie halten diese Menschen nur den Gestank aus? Wie dreckig muss diese Stadt sein?

    Zum Glück hatte ich noch keinen Auftrag, der mich in dieses Loch führte.

    »Du elender Versager!«, schreit auf einmal jemand nicht allzu weit entfernt. Eine üppige Frau in abgenutzter Bauernkleidung steht in der Tür ihres Hauses und zieht ein wütendes Gesicht, das jedoch nicht mir, sondern einem schmächtigen Mann gilt. »Du bist zu nichts zu gebrauchen.« Sie richtet ihre weiße Haube auf dem Kopf und stemmt die Arme in die Hüfte.

    »Aber Liebling …«, fleht der kleine Kerl, der nur mit einem längeren Leinenhemd bekleidet ist. »Ich werde bald eine neue Arbeit finden.«

    »Hau endlich ab!«, brüllt sie und wirft ihm seine restliche Kleidung hinterher, ehe die Tür laut krachend zufliegt.

    Er bleibt regungslos auf dem Fußabtreter sitzen.

    Ich werfe ihm einen mitleidigen Blick zu, ehe ich meinen Weg fortsetze. Das Schicksal, das den Mann soeben ereilt hat, ist hier in Goldwest nichts Ungewöhnliches. Frauen finden einfach leichter eine Arbeit als Männer, denn im Westen der Stadt gibt es ein beliebtes Schneiderviertel, in dem die teuersten und aufwendigsten Kleider von ganz Amatea hergestellt werden. Eine solche Feinarbeit ist nichts für einen Mann.

    Ich steuere die Schenke an, in der ich schon öfter nach Informationen gefragt habe. Durch den Auftrag kenne ich auch den Namen des Gesuchten: Tobis Kass. Vielleicht hat ihn schon einmal jemand aufgeschnappt und weiß, wo er sich zurzeit aufhalten könnte.

    Ich blicke auf das durch den Wind schaukelnde Schild über der Tür. ›Der Unhold‹. Vor mir torkeln zwei Soldaten in das Gasthaus, nehmen ihre Helme ab und scheinen den Feierabend zusammen ausklingen zu lassen. Aus den Fenstern dringt Licht und ich höre lautes Gelächter – ein Zeichen dafür, dass die Schenke wieder am Brodeln ist.

    Ich folge den Soldaten unauffällig, bis ich die Bar erreiche und mich auf einen freien Platz setze. Der Geruch von Alkohol und Schweiß lässt mich die Nase rümpfen. Der Raum ist so voll, dass die Fenster von innen beschlagen. Die Taverne hat ihre besten Jahre längst hinter sich. Die Tische und Stühle weisen Kerben und abgebrochene Ecken auf, der Dielenboden ist von den nassen Schuhen beschmutzt und abgetreten. Die wenigen Kerzen auf den Tischen und Theken erhellen den Raum nur mäßig.

    Neben mir unterhalten sich zwei muskulöse Kerle, die ihre Bierkrüge lachend gegeneinanderstoßen. Ich drehe ihnen desinteressiert den Rücken zu und schiebe die nasse Kapuze von meinem Kopf.

    Heute Abend schenkt der Wirt, der mich bereits ziemlich gut kennt, höchstpersönlich aus. »Finn!«, ruft er und bleibt mir gegenüber stehen. »Mensch, Junge, du warst ja eine Ewigkeit nicht mehr hier. Biste wieder auf der Suche nach Hinweisen?«

    Olef ist fast fünfzig Jahre alt, lebt und liebt seine Schenke und ist umgänglich, wenn man nicht auf Ärger aus ist. Er hat keine Haare mehr auf dem Kopf, kleine braune Augen und einen südländischen Hautton. Seine Familie stammt von den Königsinseln, die ebenfalls vor dreißig Jahren ein Teil des Imperiums wurden.

    »Du weißt, dass meine Arbeit nie ein Ende findet«, sage ich grinsend. »Willst du den Auftrag sehen?«

    Er zuckt belanglos mit den Schultern. »Wenn’s etwas nützt … Du weißt, dass ich dir nicht immer helfen kann.«

    Ich nicke und gebe ihm das Schreiben.

    Seine Augen fliegen regelrecht über die Zeilen. Als er damit fertig ist, drückt er mir das Papier zurück in die Hand. »Tobis, hm? Seltsamer Name. Leider muss ich dich enttäuschen, mein Guter. Habe niemanden von ihm sprechen hören, aber wenn er außerhalb von Goldwest herkommt, ist es schwierig, Hinweise zu kriegen.«

    Ich stimme ihm zu, denn niemand in der Stadt kennt die außerhalb lebenden Menschen. Die meisten Dörfer sind so klein und unscheinbar in den Wäldern, dass man die Bewohner für Fremde hielt und in den größeren Städten auch so behandelte. Von da an beschlossen die Dorfbewohner, unter sich zu bleiben.

    »Ja, das habe ich mir schon gedacht. Mist!«, ärgere ich mich und schieße meine Hoffnung, hier auf Hinweise zu stoßen, in den Wind.

    »Aber he!« Der Wirt deutet mit dem Kopf unauffällig in die hintere Ecke des Raumes. Seine Stimme wird leiser und er beugt sich zu mir. »Kurz nachdem du hier aufgetaucht bist, hat eine Dame, die jetzt hinten in der Ecke sitzt, ein Auge auf dich geworfen.«

    Mein Blick wandert unauffällig nach links und tatsächlich beobachtet mich eine junge Frau in beeindruckender blutroter Lederrüstung. Ihr langes aschblondes Haar hat sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, was sie streng und edel zugleich wirken lässt. Nach ihrer Statur und der Ausrüstung zu urteilen, arbeitet sie für das Imperium. Auf ihren Schultern leuchtet weiß die berüchtigte Lotusblüte auf. Sie ist das Wappenzeichen des Imperiums und beinahe in jeder Großstadt auf Bannern, an imperialen Gebäuden oder auf Flaggen zu sehen.

    Ich nicke dankend, erhebe mich und gehe auf die gut aussehende Dame zu. Sie lässt mich keine Sekunde aus den Augen. Selbst als ich mich zwischen zwei Trunkenbolden hindurchzwänge, spüre ich ihren alles durchbohrenden Blick.

    Argwöhnisch setze ich mich ihr gegenüber an den Tisch und schaue sie stirnrunzelnd an. Ich mag das Imperium nicht, genauso wenig, wie es an der Arbeit eines Kopfgeldjägers Gefallen findet. Aber wenn es selbst keinen Trupp für das Aufspüren eines Verbrechers entbehren kann, segnet es eben die Kopfgeldaufträge ab, um nicht in einen Konflikt mit den Bürgern zu geraten.

    Mir wird ein wenig mulmig, als ich ihre Runen am Hals entdecke. Sie besitzt sechs, und vier davon sind Feuerrunen. Beängstigend. Jedenfalls scheint sie kein gewöhnlicher Soldat zu sein.

    »Bei den Ahnen, deine Herkunft ist nicht zu übersehen, Finnigan Bassett«, beginnt sie.

    Ihre respektlose Art, zu reden, erschreckt mich etwas. Wer hat ihr überhaupt von mir erzählt? War das eine Anspielung auf mein Adelsgeschlecht? Redet sie immer so herablassend? Was fällt ihr eigentlich ein? Als wäre die Kombination aus Adel und Kopfgeldjäger eine Unverschämtheit. Dringt mein Erfolg nun auch bis zu Baltora durch?

    »Wie bitte?« Die Falte zwischen meinen Augenbrauen wird tiefer und meine Stimmung schlechter.

    Sie legt den Kopf schief und stützt ihn mit der Hand ab. »War das unerwartet? Ich dachte, du wüsstest, dass das Adelsgeschlecht äußerlich unverkennbar ist.«

    Ich finde erst nach einigen Augenblicken meine Stimme wieder. Die Dame scheint pfiffig und direkt zu sein. Welche Position bezieht sie in der Hierarchie des Imperiums?

    »Wer bist du?«

    »Kora Jenkin«, sagt sie und grinst selbstgefällig. »Kommandantin des vierten Heeres der imperialen Streitkraft.«

    Mir verschlägt es beinahe die Sprache. Was hat eine so hohe Persönlichkeit an einem solchen Ort zu suchen? Sollte sie nicht im Palast von Baltora sein und ihrer täglichen Arbeit nachgehen? Solche Leute befinden sich für gewöhnlich an der Seite des Imperators.

    »Weshalb bist du hier?«, will ich wissen, nachdem ich tief durchgeatmet habe.

    »Wegen dir«, antwortet sie, woraufhin ich versuche, meine Überraschung nicht nach außen dringen zu lassen. Sie beugt sich näher nach vorn, doch ich gebe nicht klein bei. Mein Gefühl verrät mir, dass sie gekommen ist, um meine Hilfe zu erfragen. »Eigentlich wollte ich dich an deinem Haus abfangen, aber da warst du bereits auf dem Weg hierher. Also bin ich dir gefolgt.« Sie macht eine kleine Pause, bevor sie weiterspricht. »Ich wurde beauftragt, dir ein Angebot zu machen, das du nicht ablehnen kannst.«

    Ich ziehe die Augenbrauen noch stärker zusammen und verschränke die Arme vor der Brust. »Ich soll dem Imperium einen Dienst erweisen? Tut mir leid, aber damit will ich nichts zu tun haben.«

    Das Imperium bezahlt zwar gut, doch das, was es verlangt, erfordert immer viel Können und Geschick. Außerdem merkt sich das Imperium einen Namen gut, wenn man am Auftrag scheitert. Ein schlechtes Licht kann ich für meinen künftigen Umzug nach Baltora nicht gebrauchen.

    Gerade als ich aufstehen und damit das Gespräch beenden will, wirft sie noch etwas ein: »Erledigst du diesen einen Auftrag, wirst du dein Anwesen in der Hauptstadt bekommen – und noch mehr.«

    Sie weiß also von meinem erhofften Umzug nach Baltora und nutzt ihn zu ihrem Vorteil aus. Vielleicht hätte ich weniger damit prahlen sollen, was ich vorhabe.

    Ich balle unter dem Tisch meine Hand zu einer Faust und würde am liebsten ablehnen, doch ein einziger Auftrag – statt der achtzehn, die ich noch vor mir habe – ist geradezu verlockend.

    Wenn ich mich für diese eine Aufgabe entscheide, muss ich alle anderen Anfragen ablehnen oder sie verschieben. Je nach Dringlichkeit könnte es bei dem einen oder anderen Auftraggeber zu Unmut kommen, was meinen Ruf schädigen würde, wenn es sich herumspricht. Ich bin nicht dafür bekannt, unzuverlässig zu sein, also müsste sich der Auftrag des Imperiums wirklich lohnen, sodass er den Schaden, den er anrichtet, wiedergutmacht.

    Wenn ich mich dagegen entscheide, werde ich es mit Sicherheit bereuen. Lehne ich ab, könnte Kora es mir heimzahlen wollen. Vermutlich hat das Imperium sie deshalb geschickt, damit ich weiß, dass der Auftrag ernst ist. Und offensichtlich auch wichtig.

    Die Neugierde packt mich. »Um was geht es überhaupt?«

    Kora grinst verschmitzt und scheint sich darüber zu freuen, dass ich Interesse zeige – wenn auch ungewollt. »Es geht um eine Abtrünnige. Sie ist uns vor zwei Jahren entwischt.«

    Was? So lange schon? Ich muss lachen. »Ist das ein Scherz?«

    Ihr Blick wird ernster.

    »Mal ehrlich, Abtrünnige sind doch leicht wieder einzufangen. Wenn ihr sie nirgendwo gefunden habt, ist sie vielleicht längst tot.«

    Kora verzieht das Gesicht. »Eher unwahrscheinlich.« Ihre Miene wird hart. »Wäre es ein leichtes Spiel, würde sich das Imperium bestimmt nicht für die Dienste eines Kopfgeldjägers interessieren.« Mir dreht sich der Magen um, während sie weiterspricht. »Ich habe selbst nach diesem Biest gesucht, doch leider ohne Erfolg. Man hat bereits zwei Leichen gefunden …« Sie zieht höhnisch einen Mundwinkel nach oben. »… von Kopfgeldjägern.«

    Ich schlucke. Offensichtlich handelt es sich um eine ungewöhnlich findige Abtrünnige. »Interessant. Doch weshalb macht das Imperium sich nach zwei Jahren noch die Mühe, sie wiederzufinden?«

    »Das geht dich nichts an, Jäger.« Ihre Stimme klingt drohend. »Du musst allerdings eines beachten: Sie darf nicht getötet werden. Sie muss am Leben bleiben – um jeden Preis.«

    Meine Augen weiten sich. Ist das Imperium noch ganz bei Trost? Ich soll als Kopfgeldjäger jemanden suchen, finden und dann lebendig aushändigen? Weshalb sucht es sich keinen anderen Freiwilligen, der eine solch anspruchsvolle Aufgabe übernimmt? Jedenfalls scheint die Gesuchte eine besondere Person zu sein. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?

    »Also?«, hakt sie nach und lehnt sich mit hochgezogenen Augenbrauen in ihrem Stuhl zurück.

    Ich senke den Blick und starre auf den verdreckten Tisch zwischen uns. Eigentlich habe ich gar keine andere Wahl. Wenn ich nach Baltora kommen will, muss ich dem Imperium beweisen, dass es auf mich zählen kann. Eine Ablehnung würde nur Misstrauen und vielleicht auch eine Abneigung gegen mich erwecken, die ich in der Hauptstadt auf keinen Fall gebrauchen kann.

    »Nun gut.«

    Als ich den Blick wieder hebe, grinst sie zufrieden. »Richtige Entscheidung«, meint sie anerkennend und holt ein Pergamentstück aus ihrer Lederrüstung. Auf dem Tisch klappt sie die Karte unseres Landes Amatea auf. Sie tippt auf den südlichen Teil. Darauf sind sowohl Goldwest als auch zwei weitere Städte eingekreist: Silvereast und Massott. »Wir haben einige der Orte abgesucht, abgesehen von den kleineren Teilen der Städte. Wir glauben, dass sie sich in einem der Armenviertel versteckt, womit sich die Aufgabe als schwierig erweist, da diese Gebiete voll von Bettlern und Dieben sind.«

    Mein Blick gleitet über die Karte, dann zu ihrem Gesicht. »Gibt es irgendetwas, das ich über sie wissen müsste? Hat sie Familie?«

    Kora schüttelt den Kopf. »Ihr Name ist Ravanea Cahem und den Gerüchten zufolge verschwanden ihre Eltern vor zweieinhalb Jahren. Ihr Bruder lebt in Massott, doch er scheint nichts über den Verbleib seiner Schwester zu wissen. Wir haben bereits gründlich nachgehakt

    Ein Schauer läuft mir über den Rücken. »Habt ihr in Massott schon überall nachgesehen?«, frage ich neugierig.

    »Nein. Dass sie an den Ort zurückkehren würde, an dem ihre Familie einst lebte, haben wir ausgenommen. Wenn sie tatsächlich so schlau ist, wie wir denken, wird sie einen anderen Ort gewählt haben.«

    Ich überlege und beginne in meinen Gedanken bereits, an dem Fall zu arbeiten. Eine Abtrünnige ohne Freunde, Rückzugsort und vermutlich Eigentum würde eigentlich nicht in eine Stadt zurückkehren, in der man sie kennt. Ich gehe davon aus, dass sie sehr klug ist. Sie hat das Imperium glauben lassen, sie sei an einem anderen Ort, um sich dann heimlich im Untergrund ihrer Heimatstadt versteckt zu halten. Im Dreck zu leben, wo niemand sie unter dem Schmutz erkennen wird. Aber was ist, wenn sie genau das beabsichtigt hat? Sie möchte das Imperium glauben lassen, dass sie zu klug für Massott ist. Vielleicht ist das genau die Antwort.

    Ich deute mit dem Finger auf die Stadt, die auf der Karte als kleiner Kreis dargestellt ist. »Sie ist dort. Ganz sicher.«

    Kora sieht mich fragend an.

    »Wo wurden denn die Leichen gefunden?«, will ich wissen, ohne meine Gedankengänge zu erläutern.

    Sie zieht eine Schreibfeder aus ihrem Mantel und markiert zwei kleine Punkte auf der Karte. Beide befinden sich im Radius der eingekreisten Städte, allerdings keiner davon in der Nähe von Massott.

    Ich borge mir ihre Feder aus. »Wo wurde die erste Leiche gefunden?«

    Kora tippt auf einen Wald mit einem Fluss, den ich nur zu gut kenne. »Man hat ihn am Ufer gefunden.«

    Ich denke kurz nach, doch dann wird es mir augenblicklich klar. »In Massott verlaufen die Kanäle so, dass einige in den Fluss münden und die Strömung nach Westen fließt.«

    Kora scheint für den ersten Moment beeindruckt, doch dann stellt sie meine Theorie infrage. »Das ist kein Beweis. Sie hätte ihn genauso gut an dieser Stelle in den Fluss werfen können.«

    »Wenn ich einen Toten in den Fluss werfen würde, würde ich es tun, damit der Körper weit vom Geschehen weggespült wird.« Ich zeige auf Massott. »Die zweite Leiche?«

    »Weiter östlich, am Wegesrand der Hauptstraße in Richtung Silvereast.«

    Nervös tippe ich auf die Karte und überlege, wie sie die Leiche dort loswerden konnte. Die Straße wird meistens nur von Händlern oder Kaufleuten befahren. Sie ist sehr beliebt und es wäre sicher ein Zeuge gefunden worden, der etwas Derartiges beobachtet hätte. Allerdings fällt mir wieder ein, dass mir ein Gast aus der Schenke mal erzählte, dass es einige Händler gibt, die neben ihren Waren gesetzeswidrige Geschäfte betreiben. Zwar handelt es sich dabei um die sichere Überfahrt von Rebellen, doch warum sollten sie keine Leichen wegschaffen können? Wenn die Bezahlung stimmt, wieso nicht? Es klingt jedenfalls einfacher, einen Toten zu schmuggeln, als lebendige Personen.

    »Wann war das? Ich meine, an welchem Wochentag?«, frage ich weiter.

    »Ich glaube, an einem Mittwoch«, antwortet sie mir.

    »Wie lange war er schon tot?«

    »Zwei bis drei Tage, schätze ich.«

    Dann zähle ich eins und eins zusammen und das Geschehen spielt sich klar vor meinem geistigen Auge ab. Vater sagte immer, dass das Unscheinbare meistens der Punkt sei, den wir alle als Nichtwahrheit betrachten. Deshalb übersehen wir Hinweise und blicken meistens am Ziel vorbei.

    »Sie hat jemandem Geld dafür gegeben, eine Leiche wegzuschaffen, damit dieser sie auf der Hauptstraße unauffällig beseitigt«, erkläre ich der blonden Kommandantin, die mich aufmerksam mustert. »Sonntags wechseln die Händler meistens ihren Standort, um woanders ihr Glück zu versuchen. Ich weiß, dass es Händler gibt, die neben ihrer Tätigkeit auch gesetzeswidrige Lieferungen übernehmen – wenn du verstehst.«

    »Davon habe ich gehört, doch ich dachte, meine Männer hätten so etwas unter Kontrolle«, seufzt sie und klingt enttäuscht. Sie lehnt sich zurück. »Ich muss wohl öfter mal aus Baltora raus«, murmelt sie vor sich hin. Dann zeichnet sich Begeisterung auf ihrem Gesicht ab. »Aber du scheinst tatsächlich fähig für diese Arbeit zu sein.« Ihre Augen wandern noch einmal über meinen ganzen Körper, als würde sie in mir etwas erkennen. »Du weißt, was du zu tun hast, Jäger.«

    »Das weiß ich«, bestätige ich.

    Wenn ich weiteren Hinweisen nachgehe, sollte die Abtrünnige bald zu finden sein.

    Zumindest habe ich den Suchkreis eingeschränkt. Massott. Doch auch in dieser Stadt gleicht mein Vorhaben der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

    »Wenn du in Baltora bist, verlange nach mir, damit wir den Rest gemeinsam abwickeln können.« Kora erhebt sich und lässt mir die Karte da. Bevor sie verschwindet, sagt sie noch: »Morgen bringe ich einige weitere Unterlagen vorbei. Der Auftrag muss schließlich schriftlich festgehalten werden.« Sie schenkt mir ihr selbstsicheres Grinsen und verabschiedet sich mit einem »Viel Glück«.

    Ich bleibe sitzen und denke über den Auftrag nach.

    Weshalb ausgerechnet diese Abtrünnige? Verbirgt sie etwas? Weshalb ist sie so wichtig für das Imperium? Im Normalfall werden die Abtrünnigen von den Sicarias, den Meuchelmördern, gejagt und getötet. Dahinter steckt mehr und Kora weiß davon.

    Eines ist gewiss: Es erwartet mich einiges an Arbeit.

    Vielleicht kann ich ein paar meiner Aufträge an Pacho, meinen Kopfgeldjägerfreund, abgeben. Er freut sich bestimmt über neue Arbeit. Ich sollte ihn gleich aufsuchen und fragen.

    2 - Ravanea

    Mein Blick fliegt über die Dächer der modrigen alten Häuser unseres Bezirkes. Weit hinter diesem Gebiet ragt der adlige Teil von Massott hervor, mit seinen hohen Mauern, den Gärten, die einem Paradies gleichen, und den Turmspitzen, die das Schloss kennzeichnen.

    Ich beneide den Adel nicht. Er macht sich zwar keine Sorgen um Hungersnöte, Krankheiten oder den Tod, aber dafür giert er nach Macht und Ansehen, welches er sich auf jede hinterhältige Art erkauft.

    Ich weiß das, denn ich bin vor einigen Jahren eine Gefangene des Imperiums gewesen und nun vor ihm auf der Flucht. In seinen Augen bin ich eine Abtrünnige, die der Regierung den Rücken gekehrt hat und nun gejagt wird.

    Doch hier, im tiefsten Dreck Amateas, sucht kein imperialer Soldat nach mir. Das Einzige, wovor ich im Moment Angst haben sollte, sind die Auftragsmörder, die mich verfolgen. Ich weiß, dass das Imperium sie auf mich ansetzt, weil es selbst nicht mehr weiterweiß. Zwei haben bereits ihr Leben gelassen, weswegen auch das Kopfgeld stieg. Je länger ich gesucht werde, desto verlockender ist der Auftrag für meine Feinde.

    Seit zwei Jahren verstecke ich mich hier und habe alle Hinweise darauf hindeuten lassen, dass ich überall, nur nicht in Massott bin. Zusätzlich haben sich meine Haare und Augen durch Nutzrunen verändert, wodurch ich mein strahlendes Blond in ein schmutziges Schwarz färbte und meine Iris dunkelbraun wandelte, um mich besser dem Dreck im Untergrund von Massott anzupassen. Bisher bin ich niemandem aufgefallen – bis auf den beiden Auftragsmördern, die meine wahre Identität erkannten und im Kampf gegen mich getötet wurden. Mein Versteck ist gewahrt geblieben und das darf sich auch niemals ändern.

    Ich schaue auf mein Dekolleté hinunter und begutachte die drei Runenplaketten, die für uns Menschen überlebenswichtig sind und aus einem seltenen Metall bestehen. Diese dünnen Plättchen haben verschiedene Zeichen eingraviert, wovon einige schon Jahrhunderte alt sind. Jede Rune verleiht dem Besitzer eine besondere Fähigkeit, wenn er sie erweckt.

    Es existieren drei verschiedene Typen, die sich in der Art ihrer Anwendung unterscheiden.

    Die Feuerrune brennt man sich in die Haut und je besser das Material der Runenplakette ist, desto länger hält die Magie an. Mit der Zeit verschwindet das Zeichen auf der Haut und verliert damit seine Wirkung – wie eine Wunde, die heilt.

    Die zweite Art ist die Wasserrune. Sie funktioniert wie ein Trank. Die Plättchen sind etwas kleiner, um sie in ein Gefäß zu legen und mit heißem Wasser zu erwecken. Sie leuchten auf und die Magie fließt in die Flüssigkeit, sodass man sie nach dem Abkühlen trinken kann und die Fähigkeit in den Körper übergeht. Allerdings wird die Wirkung umso geringer, je größer die Körpermasse ist. Ein einfacher voller Trinkbecher ist für eine durchschnittliche Person ideal.

    Der Runenmeister entscheidet, ob er eine Feuer- oder Wasserrune schmiedet.

    Zu guter Letzt gibt es die sogenannten Nutzrunen, die so unglaublich vielfältig in ihrer Wirkung sind, dass man die unterschiedlichen Arten gar nicht aufzählen kann. Sie werden für alles Mögliche angefertigt, wie zum Beispiel Räumlichkeiten erhellen, Apparate erwecken, Schusswaffen entwickeln, Pflanzen schneller zum Wachsen bringen und noch viel mehr. Nutzrunen sind die komplizierteren Fälle und nur etwas für wahre Runenmeister, die in ihren Werkstätten die Runen schmieden.

    Die Nutzrunen, die Energie speichern, setzt man einfach an die entsprechend vorgefertigte Stelle des zu beeinflussenden Gegenstandes. In allen anderen Fällen muss man sie nur in die Nähe des Zielobjektes halten. Dennoch existiert keine Nutzrune für den direkten Kampf. Sie reagieren lediglich auf Gegenstände oder nur oberflächlich auf Lebewesen und können keinen Tieren oder Menschen schaden.

    Die Runen gelten als Trophäe. Man hängt sie sich um den Hals, damit jeder erkennt, wie reich man ist. Mittlerweile flößen sie auch Respekt ein und ängstigen diejenigen, die keine besitzen. Hier in Massott gibt es – abgesehen vom Imperium – selten Menschen mit Runen.

    Sitzend blicke ich zwischen meinen schaukelnden Beinen hindurch, die ich über den Rand eines alten Daches baumeln lasse. Ich entdecke einen Jungen mit einem wilden Lockenkopf, der immer wieder die Straße hinauf und hinunter läuft. Dann fixiert er einen Marktstand, an dem wertvolle Schatullen verkauft werden. Darin kann man Runen aufbewahren, wenn man zu viele besitzt und sie am Hals zu schwer werden. Oder man kauft ein solches Aufbewahrungsmittel, um sie sicher verwahren zu können. Mit einer Nutzrune, die als Schlüssel dient, kann man es abschließen.

    Ich halte meinen Kopf mit dem Arm, dessen Ellenbogen ich auf dem Oberschenkel abstütze. Der Lockenkopf versucht, sein Interesse für den Stand durch unauffälliges Gehen und Beobachten zu verschleiern, doch eine Bettlerdame, die unscheinbar am Boden sitzt, bemerkt sein Umherschleichen. Sie würde ihn verraten, denn in Massott kennt der Untergrund keine Solidarität. Er würde sofort erfasst werden, wenn er jetzt einen falschen Schritt macht und zuschlägt. Die Bestrafung für Diebstahl endet oft mit grausamer Folter, sodass der Sträfling an seinen Wunden verblutet.

    Die imperialen Soldaten, die in dieser Stadt arbeiten müssen, sind meistens degradierte Frontkämpfer. Für sie ist es eine Strafe, hier zu sein, und sie lassen ihren Frust an den Opfern aus, die ihnen unglücklicherweise in die Hände fallen.

    Die Arme des Jungen sind angespannt. Eine Hand steckt in der Tasche seiner alten, zerrissenen Hose und er scheint darin etwas zu verbergen. Ich versuche zu erkennen, was es ist, doch dafür ist die Distanz zu groß.

    Eine kleine Frau mit dunklen Haaren, deren Gesicht unter einer Kapuze verdeckt ist, nähert sich dem Stand und zeigt mit dem Finger auf eine Schatulle. Der Verkäufer widmet sich ganz seiner Kundin, weswegen der Junge seine Chance wittert.

    Mir wird etwas mulmig dabei, denn ich kann sehen, wie sich vom anderen Ende der Straße imperiale Soldaten nähern. Der Junge kann sie nicht erkennen, da sein Blickwinkel dafür nicht ausreicht – er wird es vermasseln und in die Arme der Soldaten laufen.

    Ich atme tief durch und drehe meine Hand mit der Innenseite nach oben. Das Blut fließt durch meine Adern, pulsiert unter meiner Haut und mir wird augenblicklich wärmer. In meinem Kopf stelle ich mir das Feuer vor, wie es sich bewegt, welche Farbe es besitzt und wie es sich anfühlen wird. Als meine kleine Flamme im Kopf Gestalt annimmt, halte ich sie fest und erwecke meine eingebrannte Feuerrune mit der Fähigkeit für Elementarmagie. Ich habe sie mir knapp unter dem Schlüsselbein eingebrannt, weswegen meine Haut an dieser Stelle nun leicht prickelt. Doch ihre Wirkung ist nicht mehr so stark wie vor einer Woche. Für mein Vorhaben reicht es jedoch aus.

    Ich beäuge die Hand des Jungen und schnippe mit Daumen und Zeigefinger. Meine Magie saust als unsichtbares Geschoss zu ihm hinunter und löst eine Flamme in der Nähe seiner Finger aus. Er schreckt zurück, sogar so sehr, dass er stolpert und auf seinem Hintern landet. Ihm

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