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Infam: Eine Zugfahrt
Infam: Eine Zugfahrt
Infam: Eine Zugfahrt
eBook650 Seiten8 Stunden

Infam: Eine Zugfahrt

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Über dieses E-Book

Roman eines älteren, ängstlichen und für diese Welt viel zu guten Mannes, der sich kopfschüttelnd seinem Schicksal ergibt. Das war einmal anders. Eine Reise mit der Bahn, die ihn vom hohen Norden bis in den Süden durch sein Land führte, lud ihn zur Reflexion, zu Träumerei und allerlei Betrachtungen über Skurrilitäten und Katastrophen in seinem Leben ein. Dabei konnte sich nicht nur Geschehenes sortieren, sondern auch fast mörderische Ideen entwickeln. Nach zwei gescheiterten Ehen versuchte er eine allerbeste Partnerschaft zu finden. Sie sollte sein Leben ergänzen und bereichern und ihrer beider Leben einem gemeinsamen und ungeahnten Höhepunkt zuführen, sollte die Kunst und das schöne Leben einbeziehen und der Sinnlichkeit und dem erotischen Knistern den seiner Meinung nach zuständigen Platz ermöglichen. Er hatte dazu alles Erdenkliche geplant und vorbereitet, wurde aber immer wieder irritiert und schließlich zutiefst gedemütigt.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum21. Nov. 2018
ISBN9783740720674
Infam: Eine Zugfahrt
Autor

Ingo Klöcker

Prof. hon., Prof. Dr.-Ing. Ingo Klöcker wurde 1937 in Stuttgart geboren, studierte dort Maschinenbau und anschließend an der mittlerweile legendären Hochschule für Gestaltung Ulm Industrial Design. Es folgten zwanzig Jahre Industrie vom Konstrukteur und Entwicklungs-Ingenieur bis zum Geschäftsführer Technik. Die Schwerpunkte waren Feinwerktechnik, Haushaltstechnik und Home-Care, Pkw- und Lkw-Konstruktion und Industrial Design von Schwermaschinen. Es folgten über zwanzig Jahre als Professor für Konstruktionstechnik, Werkstofftechnik, Industrial Design, Kreatives Arbeiten und Darstellungstechniken an der Technischen Hochschule Nürnberg. Sein, wie er sagt, zweites Leben ist die Kunst. Das umfangreiche Oeuvre seiner Materialbilder befindet sich in Museen, in Institutionen und bei Sammlern. Dafür erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Er schrieb viele Aufsätze für die Süddeutsche Zeitung, schreibt Bücher, gibt Seminare und betreibt Coaching zu den Themen kreatives Arbeiten in der Technik, Skizzieren und Freihandzeichnen.

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    Buchvorschau

    Infam - Ingo Klöcker

    Ein Wort gleicht der Biene,

    es hat Honig und Stachel zugleich.

    Talmud

    INHALT

    Theaterzettel

    Erinnerungen oder: Wie könnte man ins Thema hineinkommen?

    Was ihn nachdenklich machte

    Die Kieler Hörnbrücke am frühen Vormittag

    Winter-Einsiedelei und das Projekt F

    Wer bitte ist Kai Pflaume, oder: Umsteigen in Hamburg-Hauptbahnhof

    Post vom Pfarrer, aber nicht aus dem Himmel

    Der Himmel auf Erden

    Frühstück im Bett

    Die Falle der Schönheit

    Bücher und Geschichten schreiben

    Resilienz, Agonismus und Optimismus

    Muse

    Das Drama des ständigen Anmirseins

    Das Paradies – wie könnte das aussehen?

    Die Vertreibung aus dem Paradies

    Warum das Reale und das Legitime keine Chance haben, oder: Ein Abend im Taunus

    Sie zieht aus – Wohnung und Seele leeren sich

    Offenbarung und Vollendung des Werkes, oder: Die Schlussakte

    Anhang

    THEATERZETTEL

    Peter ------ Protagonist, Hauptfigur

    Karo ------- eine Sie, Peters (nicht reale) Traum-Person der Nacht, Alter Ego, sein zweites Ich, manchmal auch sein Korrektiv

    Alithia Forstmann - Antagonist (Gegenspieler), Peters Liebe, die er heiratet

    Jean ------- Peters frühe große Liebe, die ihn Dieter zuliebe sitzen ließ

    Dieter ----- Jeans Ehemann

    Beatriz Brand, Brita Frank, Karin, Elisabetha (Lisa) - Interessentinnen

    Dimitri J. - temporäre Zugbekanntschaft

    Li (Liesbeth) Dimitris Geliebte

    Lelia Zimmermann – nicht nur Brieffreundin in Japan und Myanmar

    Karl -------- Freund

    Manfred -- Klassenkamerad im Gymnasium

    Annmarie - Urlaubsliebe in Frankreich mit etwas längerer Halbwertszeit

    Wolfgang (Wolfi), Willibald (Willi), Winnifred (Fred) Wanderfreunde

    Oisl -------- Freund am Bodensee, der sich abwandte

    Hannes --- Chef eines Fitness-Studios

    Rufus ----- erfinderischer Freund über viele Jahre

    Gustav Grau (Prof.) - ehemaliger Kollege an der Hochschule

    Pierre Fries - ein ehemaliger Chef bei Demag

    Ludwig ---- Klassenkamerad in der Grundschule

    Moira ----- Ludwigs Frau

    Marliese (Liese) - Freundin

    Katharina Freien - Tante von Alithia

    Laszlo ----- Freund

    Die übrigen Personen, das sind der Chor und die Statisterie, sind leicht zuzuordnen.

    Es ist eine alltägliche Geschichte. Da Alltägliches nicht immer so ganz alltäglich ist, können es Geschichten eines Insiders sein. Alltägliches ist nicht banal, aber überall und immer anzutreffen, im Job zum Beispiel, beim Sex, im Leben an der Hochschule, sonstwo oder in Träumereien.

    ERINNERUNGEN oder: WIE KÖNNTE MAN INS THEMA HINEIN KOMMEN?

    „Wenn dich jemand danach fragen sollte, ich meine, so nach all den Dingen, die dir in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang widerfahren sind, was würdest du ihm sagen? Könntest du das in ein paar kurzen Worten zusammenfassen, in zwei, drei Sätzen vielleicht, prägnant und auf das Wesentliche reduziert? Was würdest du ihm sagen?"

    „Gar nichts würde ich ihm sagen. Wer könnte das denn sein, wer wollte das wissen? Nein, das geht niemanden was an. Das ist meines."

    „Vielleicht doch. Es könnte jemand sein, der dir wichtig ist und von dem du gerne möchtest, dass er es erfährt. Es könnte auch eine Sie … und es könntest sogar du selbst Versuch es."

    „Nein, ich versuche es nicht. Versteh doch bitte: Die zu berichtenden Ereignisse waren teilweise sehr persönlich. Was sage ich da: teilweise. Das ist Unsinn. Sie waren alle - und sind es immer noch - ausschließlich persönlich. Dadurch kann es leicht geschehen, dass ich in Zuweisungen verfalle, die, eben persönlich und damit auch subjektiv, vielleicht sogar nicht richtig und wahrscheinlich auch nicht fair sind. In derartigen Fällen gilt der Spruch, das weißt du: Bei einem ausgestreckten Zeigefinger zeigen immer drei andere Finger auf einen selbst, also auf mich, zurück. Das ist und das war meine Sache und sollte es auch bleiben."

    „Also mit Fairness brauchst du in diesen Fällen nicht zu kommen. Bei allem, was ich im vorliegenden Zusammenhang bisher beobachten konnte, war Fairness weit und breit kein Thema. Subtile, trotzdem üble und niederträchtige, Rempeleien waren eher die Mittel ihrer Wahl. Dazu kamen eine dezidierte Absicht, eine längere Planung und ein vorsätzliches Angehen. Ich habe den Verdacht, dass du nicht nur versuchst zu vergessen, vielleicht sogar schon einiges vergessen hast, sondern auch zu verdrängen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht … mehr … heiß. Deshalb möchte ich dich noch einmal ermuntern: versuch es bitte."

    „Ok … ich würde ihm sagen … "

    Sie hatte ihre unnachgiebige Miene aufgesetzt, die er nicht ausstehen konnte, von der er aber wusste, dass es kein Entrinnen gab, und unterbrach ihn:

    „Nicht so. Ein Exzert, kurz und bündig und ohne schwülstiges: ich würde ihm sagen, ohne Drumherum, mach′s kurz. Erinnere dich an deine Arbeiten, wenn du aufgezählt hast: erstens: strukturell, zweitens: technisch, drittens: psychologisch, viertens: Punkt."

    „Wir haben uns gemocht und dann geheiratet. Wir haben begonnen, eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Das waren schöne und spannende Zeiten, wie ich sie mir erträumt hatte. Völlig aus dem Zusammenhang gerissen, fragte sie einmal ganz spontan, wie es denn mit ihrer Versorgung aussehe. Als sie merkte, dass ich mich dafür nicht zuständig fühlte, mich dafür gar nicht zuständig fühlen konnte, weil ich selbst wenig hatte, und weil sie, als Beamtin, damit eigentlich gut ausgestattet sei, hatte sie ihre, nie überschwänglichen, Liebesbezeigungen langsam aber immer ein bisschen weiter zurückgefahren. Und eines Tages ist sie dann aus unserer Wohnung ausgezogen. Ihr Kommentar dazu: Sie könne nicht mehr mit mir zusammenleben. Anschließend erfuhr ich per Brief von einem Rechtsanwalt, dass ich eine satte Abfindung und - jeden Monat - mehrere Tausender zu löhnen hätte."

    „Das ist zu lang, viel zu lang. Du zitierst doch auch immer: Blaubeeren sind rot, wenn sie grün sind. Das ist kurz, und da steckt alles drin. Lass das ganze Drumherum weg. Dass da was schön und spannend war, mein Lieber, das will doch niemand wissen."

    Er wurde nervös und trommelte mit den drei mittleren Fingern seiner rechten Hand auf die Tischplatte. Die ganze Fragerei passte ihm nicht. Die Geschichte war gelaufen, sie war abgeschlossen, nicht ganz einfach, zugegeben, aber nun wollte er nichts mehr damit zu tun haben.

    „Drumherum, drumherum, was meinst du damit? Wenn ich was weglasse, dann … "

    „Nein, dann fehlt nichts, nichts was wichtig ist. Versuch es noch einmal, das geht."

    „Wir begannen, ein gemeinsames Leben aufzubauen. Zur Hochzeit schenkte ich ihr ein Haus. Als sie merkte, dass mehr von mir nicht zu haben war, reduzierte sie, wie sie meinte scheinbar unbemerkt, ihre eh spärlichen Liebeszuwendungen immer ein bisschen weiter, und ist, nach einer Schonfrist, oder müsste ich es als Übergangszeit bezeichnen?, aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Ihre Begründung: Sie könne nicht mehr mit mir zusammenleben. Kurz danach ließ sie mir vom Rechtsanwalt übermitteln, dass ich eine satte Abfindung und jeden Monat mehrere Tausender zu löhnen hätte. Der fügte gleich hinzu, dass das im deutschen Gesetz bei Trennung von der ausziehenden Person, egal aus welchem Grund, so rechtens sei."

    „Das ist immer noch zu lang und zu schwülstig. Sag doch einfach, dass sie dir, als sie gemerkt hat, dass nichts mehr zu holen ist, das Fell über die Ohren gezogen hat. Und damit du die Ernsthaftigkeit endlich kapieren würdest, hat sie das alles einen Rechtsanwalt schreiben lassen."

    „Nein, das wäre ja infam gewesen … nicht so. Natürlich hat sie mich nicht geliebt, und natürlich habe ich das nicht gemerkt oder viel zu spät oder erst durch dich gemerkt oder überhaupt … am Anfang sowieso nicht. Da war so viel los, und ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, musste mit mir selbst klarkommen. Ja, ich war verliebt, verstehst du, verliebt bis über beide Ohren, nachgerade begeistert von meiner Liebe. Wenn dir jemand sagt, dass es bei ihm ähnlich oder genauso oder noch mehr ist, sie dir das mehrmals beteuert, dann ist das so, du schwebst im dritten Himmel, freust dich riesig, und die Welt ist in Ordnung. Etwas anderes konnte ich gar nicht merken, wie auch? Ich bin ein ehrlicher und offener Mensch, der nicht sofort und überall nach Hinterhältigkeiten oder versteckten Fallen sucht. An eine neue Bekanntschaft, zumal eine, von der ich geträumt habe, die mehr sein und mehr werden sollte als eben nur eine Bekanntschaft, gehe ich nicht nur ohne Vorbehalte ran, ich hänge mich mit Haut und Haaren und mit Begeisterung da rein. Anders geht das doch gar nicht. Als es schließlich so offensichtlich zutage trat, dass sie anderes im Sinn hatte als Liebe, ich es merken musste und es ja dann auch gemerkt habe, nun, da kannst du mich tatsächlich fragen, warum, warum, warum ich … ja, ich weiß es nicht … warum ich nicht wenigstens von da an etwas unternommen habe. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Ich war innerlich so massiv in Unordnung geraten, war nicht mehr mit mir und der Welt eins … aber warum erzähle ich dir das alles? Du weißt es doch sowieso, warst ständig dabei und…mit deiner vielen Fragerei komme ich ins Stottern und ganz durcheinander, jetzt immer noch. Außerdem war da noch die Sache mit dem Anfang und dem Zauber, der in jedem Anfang steckt. Das hat zumindest einmal ein berühmter Mensch so gesagt und … "

    „Hermann Hesse hieß der."

    „… und hat noch mehr dazu gesagt, nein geschrieben. Ein ganzes Gedicht hat er darüber geschrieben. Und in diesem Gedicht, er nannte es „Stufen", kommt, in einem längeren Zusammenhang, folgende Passage vor:

    >… bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

    um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

    in andre, neue Bindungen zu geben.

    Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

    der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

    Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

    an keinem wie an einer Heimat hängen … <

    Ich war tapfer und ging ohne Trauer, wie auch sonst?, in die neue Bindung. Und dann der Zauber. Er spricht vom Zauber. Auf den war ich nicht nur gespannt, den wollte ich haben, unbedingt, wollte ihn erleben. Nach den ganzen Geschichten in der Zeit davor, dem Rauf und Runter, dem Drunter und Drüber, wollte ich Ruhe in mein Leben bringen, keine bequeme Ruhe wie Rumhocken eines Rentners, es sollte eine schöne und kreative Ruhe werden. Und das war ja dann auch alles zauberhaft, und ich war begeistert. Das habe ich vorhin doch schon gesagt. Ich wiederhole mich. Allerdings bin ich davon ausgegangen, dass nicht nur ich das so empfinde, sondern dass es auf Gegenseitigkeit beruht, sich so in ihr spiegelt, wie ich es bei mir empfand. Mit großen Schritten habe ich alle mir zur Verfügung stehenden Räume durchschritten, die eigenen realen und lokalen, dann die meiner Träume, die meditativen, die erst nur spärlich vorhandenen spirituellen und transzendenten, wir sind ja nicht alleine auf dieser Welt, da bahnte sich bei mir was an, und schließlich sogar die unendlichen, die, ja, ich sage das einfach einmal so, die galaktischen Räume. Nichts habe ich ausgelassen. Auch die Bindungen zur Heimat, zu allem, an dem noch Reste von Herzblut und Vergangenheit hingen, das wollte auch sie ganz dezidiert und hatte es mehrfach angesprochen, Fotos, Geschichten, Gegenstände, andere Frauen, an nichts mehr wollte ich hängen, alles musste gekappt werden. Und ich habe es auch alles gekappt. Also, wie du siehst, Hesse pur."

    „Als du dann merktest, dass deine Welt und ihre Welt, ich meine, als der Brief vom Rechtsanwalt kam und dir plötzlich klar war, dass ihr nicht nur in zwei verschiedenen Welten lebt und gelebt habt, sondern du über eine lange Strecke auch in übelster Weise hintergangen worden bist, warst du sauer … "

    „Enttäuscht, ich muss dich unterbrechen, ich war sehr überrascht, es kam plötzlich, sehr plötzlich, und deshalb wahnsinnig enttäuscht … "

    „Nenne es meinetwegen enttäuscht. Du warst stinksauer und richtig wütend und, mehr noch, du warst zutiefst verletzt, so tief, dass du sogar überlegtest, Hand an sie zu legen, du sprachst vom Umdieeckebringen."

    „Lass das und hör bitte auf damit."

    „Du hattest alles ganz schnell vorbereitet, gerade so, als ob du dich auskennst, und warst davon überzeugt, dass es sehr einfach sein müsste. Früher hast du zwar schon einmal erwähnt, kein Mensch zu sein, der sich von Affekten leiten lässt, der unüberlegte Spontaneität ablehnt, da war das Beispiel mit einer Schildkröte, dass du noch nicht einmal eine kleine Schildkröte hättest umbringen können, der sich alles gut überlegt und wenig von unvermitteltem Handeln hält … aber an besagten Tagen, als es über dich kam, du plötzlich gemerkt hast, dass alles Mühen umsonst und aller Verdacht, den du immer weit von dir gewiesen hast, doch richtig waren, mein lieber Freund, da war davon wenig zu merken. Es hatte dich in deinen Grundfesten erwischt."

    „Karo bitte, bitte … lass endlich gut sein und hör auf, bitte hör auf. Du quälst mich."

    „Ok, ich lass das. Aber wie und warum ist das überhaupt so gekommen, wie hat es denn angefangen? Hast du dazu noch Erinnerungen? Natürlich hast du noch Erinnerungen. Versuch bitte, darin zu graben, dich zu erinnern…wie war das damals, als es noch schön war … erinnere dich."

    WAS IHN NACHDENKLICH MACHTE

    „Mittlerweile weiß ich, dass nach einem größeren Wettkampf die Post-Race-Depression kommt. Das Tief gehört wohl einfach dazu. Ich habe so viele Stunden trainiert, alles auf dieses eine Ziel ausgerichtet. Wenn dann alles vorbei ist und ich zu Hause ankomme, steht die Frage im Raum: Und jetzt? Diesen Leere-Zustand muss man erst einmal aushalten können. Die Versuchung ist groß, sich direkt ins nächste Rennen zu stürzen und dem Hochgefühl des Wettkampfes, den schönen Glückshormonen, die da ausgeschüttet werden, hinterherzujagen ... ",(1)

    sagte die Ultra-Läuferin Anne-Marie Flammersfeld über das, was nach dem Wettkampf, nach dem Rennen, dem intensiven Erlebnis (nicht) ist.

    Wenn ganze Teile des Lebens zu einem Wettkampf geworden sind und diese Teile zu Ende gehen, zu Ende gehen müssen oder zu Ende gegangen wurden, ist auch dabei die Versuchung groß, sich direkt in einen nächsten Wettkampf, ein nächstes intensives Erleben zu stürzen. In einer etwas weniger vordergründigen Betrachtung ist diese Kausalität nicht so sehr auf eine Laune oder momentane Leere bezogen, als eher brutal fatal direkt vorgegeben, denn …

    „In der Auseinandersetzung mit seinen nächsten Bezugspersonen erschafft sich bereits das Kind seine Welt. Es entwickelt zugleich seine Vorlieben, Bedürfnisse und Ängste für seine spätere Liebe." Doch wann und auf welche Weise bilden sich diese Vorstellungen aus? Der Mann, der dazu die kühnsten Diagnosen wagte, ist John Money. Seiner Ansicht nach prägt sich das Muster für unser emotionales (Beute-)Schema im Alter zwischen fünf und acht Jahren aus. In dieser Zeit setzt sich das Mosaik all der Merkmale zusammen, die wir später bei einem Partner suchen werden, und zeichnen uns gleichzeitig eine Lovemap, eine Liebeskarte, einen Orientierungsplan für unser späteres Verlieben und Lieben. Nur die sexuelle Ausprägung ist mit acht Jahren noch nicht abgeschlossen, sie festigt sich aufgrund der Vorgaben unserer Liebeskarte erst in der Pubertät.

    „Der ehemalige Apostel der freien Geschlechterwahl war ins Lager der Biologen gewechselt, ergänzt durch einige Überlegungen zur Transzendenz des Egos. Geht es nach Money, so projizieren Liebende wechselseitig ein Idealbild aufeinander. Genau jenes nämlich, das sie als Liebenskarte in der Kindheit gespeichert haben: Wenn wir meinen, jemanden zu lieben, erliegen wir einer selbst gesponnenen Illusion. Wir lieben gar keinen anderen Menschen, sondern nur unsere eigene Projektion. Kein Wunder also, dass es mit dem Zauber nach einer Weile vorbei ist. Kein Mensch hält, was die Projektion verspricht. Die biologische Pointe daran ist die Idee, dass es mit unserer Willensfreiheit beim Verlieben nicht weit her ist. Denn wenn es stimmt, dass wir uns schon als Kinder unbewusst festlegen, haben wir als Erwachsene kaum noch eine Wahl. Oder wir verrennen uns bei unbedachtem Handeln unweigerlich in nicht auflösbare Fehlentscheidungen und in unentrinnbares Scheitern. Was uns als das ganz normale Chaos unserer Psyche, unserer Launen und unserer einander widerstrebenden Gefühle und Bedürfnisse erscheint, wäre in der Wirklichkeit nur Orientierungsarbeit beim Erkunden unserer Liebeskarte. Und was wir für die Freiheit unserer Wahl halten, ein Fahnden nach unserem instinktiv längst festgelegten Willen."(2)

    Die Lovemap Moneys hat nichts damit zu tun, wann und wo und mit wem man sich das erste Mal verliebt hat, man das Gefühl bekommen hat, sich das erste Mal verliebt zu haben, oder womöglich das erste Mal miteinander unter eine Bettdecke gekrochen ist. Manch einer zeichnet diese Ereignisse, zusammen mit der Herkunft, dem Geburtstag, dem Sternzeichen und seinem Aszendenten und anderen Merkmalen wie Grübchen am Po oder Warze auf der Schamlippe, die beiden Haarfarben, die echte und die veränderliche, und vielleicht noch eine Vorliebe für irgendwas sonst des Partners oder der Partnerin, in eine Landkarte, Weitreisende in eine Weltkarte, schreibt eine Nummer dazu und versteht das als Trophäensammlung. Das Tagebuch war gestern.

    John Moneys Lovemap ist unsichtbar und beschreibt ein wesentlich komplexeres Territorium. Sie hat den phantastischen Reiz, dass man als erwachsener Mensch einfach nichts dafür kann, nichts dafür zu können glaubt, wenn man sich im emotionalen Gestrüpp des Verliebtseins, ob im ersten oder später erneut ist fast belanglos, nicht zurechtfindet und dem mehr oder weniger zufällig gefundenen Weg oder Pfad weiter folgt. Selbst wenn man darüber nachdenkt, entspricht das, Money zufolge, dem Zufall. Vielleicht geht man auch ohne Weg einfach drauflos und denkt überhaupt nicht darüber nach. Wie sollte man auch? Wie sollte man über Emotionen nachdenken, wenn sie doch so wunderschön daherkommen? Ich kann ja nichts dafür. Ich bin geprägt von klein an, meine Alten haben dafür gesorgt, dass ich mich oder dass es mich so geprägt und ausgerichtet hat, und meine Lovemap so und nicht anders angelegt worden ist. Ich kenne sie noch nicht einmal.

    DIE KIELER HÖRNBRÜCKE AM FRÜHEN VORMITTAG

    Wie so oft auf seinen Reisen ist Peter auch heute sehr früh aufgewacht. Es war noch nicht ganz fünf Uhr. Den Wecker seines Smartphones hatte er auf halb sechs gestellt, aber die innere Uhr war anderer Meinung. Oder es waren die ungewohnten Geräusche, wenn eine Stadt sich die akustischen Augen reibt, aufwacht und sich dranmacht, den neuen Tag zu versuchen, wieder einmal und wie schon so oft. Vielleicht war es auch nur das andere gegenüber dem Zuhause, dass er nur flach schlief, sensibel für die ungewohnten Geräusche, vorsichtig und wachsam wie ein Hund, dessen Ohren immer eingeschaltet und immer auf Empfang gestellt sind. Dann für die Reise fertig machen, das Frühstück am überbordenden Buffet mit fein glänzenden und zwiebelig riechenden Bratkartoffeln, die ihn immer und überall, auch zu so unpassender Zeit wie bei einem Frühstück, anmachen können, mit Speckstreifen, Pfannkuchen und Ahornsirup, mit Nürnberger Bratwürstchen und Fleischklößchen, und sogar Weißwürste schwammen in einem der chromglänzenden rechteckigen Töpfe, alles Dinge, die sonst nicht auf seinem Tisch vorkommen, schon gar nicht zum Frühstück, die tabu sind neben Birchermüsli, frischem Obst und all dem anderen Gesunden. In der einen Hand hält er abwechselnd den Löffel oder die Gabel, während er mit der anderen Hand die Zeitung durchblättert. Unendliches Leid und Kaputtmachen sind auch an diesem Tag die Themen der großen Politik, nichts Neues also, und im ungewohnten Lokalteil, auch wie immer, Mord und Totschlag: Frau erschlug Mann mit Beil, und der schon wieder nicht zu verhindernde Abstieg des Fußballvereins. Der unfähige Trainer war schuld und müsste ausgetauscht werden, so die sofort angefügten Kommentare der allwissenden Fans. Wer auch sonst? Ein Witz von der sechsten Seite, er liebte Witze, vor allem ihrer Zeichnungen wegen, blieb bei ihm hängen: Sie meinte einer Freundin gegenüber, an ihrer Stelle hätte sie sich schon längst verlassen. Wie eine Klette zwängte der sich ins Gedächtnis … aber Peter konnte nicht ergründen, weshalb. Ansonsten drängte ihn nichts.

    Der Tag gestern war ein Erfolg. Alle haben mitgemacht, haben gelernt und bis zum Ende durchgehalten. Auf welche Art, das soll angeblich schon Aristoteles erkannt haben: Es gibt zwanzig Prozent gute Mitarbeiter, Mitmacher, Lernende, Mitbeteiligte, sechzig Prozent Schnitt, und den Rest, das sind die Mitzuschleppenden. Als Lehrer und Dozent unterliegt er sowohl dem berufsmäßigen Egoismus, dass die Schlechten unabhängig von ihm und seinem Angebot schlecht sind, das hat überhaupt nichts mit ihm zu tun, als auch dem unverbesserlichen Optimismus: Sie werden es schon schaffen im Leben. Dabei ist er durchaus anspruchsvoll und fordernd. Sie sind seine Kunden, aber trotzdem vergibt er ihnen nichts, will er ihnen nichts vergeben. Das zehnte, das hundertste Seminar, er zählt sie schon lange nicht mehr, und die Bewertung, auch Evaluation genannt, die sie jedes Mal über ihn machen müssen … könnte ihn eingebildet und hochnäsig werden lassen. Einer oder zwei, mehr waren es noch nie, die nicht folgen können und die die Schuld beim Trainer suchen, das gibt es immer, und das gibt es überall. Oft sind es die, bei denen der Chef im Vorfeld meinte: Geh da mal hin, es kann nicht schaden, die aber in Wirklichkeit keinen Bock haben. Aber wenn es der Chef doch so will, ok, warum ausschlagen und ihm widersprechen, dann waren es zwei gemütliche und kurzweilige Tage. Am Ende, wenn Peter einpackte, kamen einige und haben sich per Handschlag verabschiedet, ja doch, das sei gut und notwendig gewesen und könne man in Zukunft super gebrauchen. Gute Heimreise. Ein Dankeschön ist die Ausnahme. Normalerweise fährt er gleich anschließend nach Hause. Diese Reise war etwas länger. Sie war bis in den Süden der Republik hinunter und zu lang, um die Rückfahrt noch dranzuhängen. Es war bereits weit nach siebzehn Uhr, und da wollte er sich, mit vielen Stunden im Zug, weder in die Nacht hineinquälen, noch sich selbst etwas beweisen. Den Weg zum Hotel ging er gemütlich und in aller Ruhe zu Fuß.

    Die TKMS liegen an der Werftstraße, einer geschichts- und traditionsträchtigen Verbindung auf der der Stadt gegenüberliegenden Seite des Wassers, von der man, ein paar hundert Meter nach dem Werkstor, rechts ab zur Hörnbrücke gelangt. TKMS ist die neue Bezeichnung der ehemaligen Howaldtswerke Deutsche Werft GmbH oder, wie der Taxifahrer ihn sofort korrigierte, als er das Ziel hörte, der HDW. Sie wollen zur HDW, da bring ich Sie hin. Diese andere Geschichte, dass der Laden zweitausendzwölf verkauft wurde, nein, nicht der Laden, das war kein Laden, wissen Sie, das war Kiel himself, die HDW, das war was, das war was Feines, das war eine der Kron-, wie sagt man dazu … ja genau, das war eine der Juwelen, eine der Kronjuwelen unserer Stadt. Ein bisschen ist sie das ja noch immer, die Werft … aber die neuen Herren von Thyssen-Krupp, bei denen ist alles geheim, und man weiß nicht so recht, jeder sagt was anderes ... wem soll man da noch Glauben schenken? Die machen jetzt Unterwasserfahrzeuge, konnte Peter ihn belehren. Er wusste zuvor auch nicht, wer da ein Seminar wozu von ihm wollte. Und mit der Auskunft „Marine Systeme konnte er genau so wenig anfangen wie der Taxi-Fahrer. Mit Unterwasserfahrzeugen, so reimte er sich das dann zusammen, konnten vielleicht Kriegsmaschinen gemeint sein, Kaputtmach-Geräte, U-Boote oder so etwas? Oder sie machen Forschungsschiffe … oder Tauchroboter? Das Seminar fand in einem Besprechungsraum in der Sicherheitszone eins statt. Eins ist die einfachste von vier Sicherheitszonen, eigentlich ist es noch gar keine, und liegt außerhalb der ineinander verschachtelten Bereiche. Technik ist für einen Ingenieur, für Peter ganz besonders, immer spannend und interessant. Und als er den Begriff Unterwasserfahrzeuge hörte, meldete sich seine Neugier. Die Leute zeigen ihm oft, was sie so machen, die schönen Produkte ihrer Arbeit und ihrer Firma. Heute würde er sich das nicht nur aus Höflichkeit ansehen, würde er sich richtig freuen, wenn er so ein Unterwasserding einmal zu Gesicht bekommen könnte, dieses total Technische, und dann, natürlich, von innen. Die Geschichte aus dem Film „Das Boot spukte noch in seinem Gehirn, die unwirtlichen Bilder vom unlösbar und schicksalhaft scheinenden Ineinander von Mensch und Maschine, von Wasser und Enge, Emotion und Unausweichlichkeit, vom Bösen da draußen und dem von drinnen … auch dem Bösen in einem selbst. Und immer wieder Menschen, Menschen dicht aneinander und dicht am Metall, am Stahl, am kalten Stahl und am heißen Stahl, am unerträglichen Lärm und an der unerträglichen Stille, wenn alle Systeme abgeschaltet, das Unsichtbare noch unsichtbarer werden musste. Vielleicht hätte er damit argumentieren können, um speziell eine kleine Führung für ihn, nur für ihn zu bekommen … speziell zur Veranschaulichung dessen, was sie im Seminar gemeinsam machen wollten? Oder, wenn das nicht zieht, einfach nur so, in einer der Pausen, er war ja fern aller Geheimnisträger und sonstigen Spionageaktivisten? Sorry, nein, Sie müssen verstehen, das geht leider nicht. Unser Sicherheitsdienst ist da sehr hartleibig und strikt. Für Israel sei noch ein Auftrag am Laufen, stand vor wenigen Tagen in der Zeitung … aber auch dazu war seinen Teilnehmern kein Kommentar, kein Wort zu entlocken. Irgendwo im Hafen liege so ein Unterwasser-Besucherschiff, da könne er ja heute Abend hingehen. Das sei extra dafür gedacht und gemacht, dass man mit eigenen Augen sehen könne, wie so etwas aussieht, und das sei auch abends geöffnet. Sie wollten ihn nicht verstehen.

    Die Hörnbrücke in Kiel. Foto aus dem Stadtprospekt.

    Die Hörnbrücke ist eine Fußgängerbrücke, auf der man von der Werftseite über den Hafen zum Bahnhofsplatz gelangen kann. Von dieser Brücke konnte Peter weit über das Wasser blicken, fast unglaublich weit, fast über die Kieler Förde hinaus bis zur Ostsee.

    Gleich vorne an der Brücke lag das Fährschiff für den lokalen Verkehr, irgendwohin weiter aus der Stadt oder auf die andere Seite hinüber. Links etwas dahinter, am Schwedenkai, ist Platz für die ganz großen Pötte, die Kreuzfahrtschiffe, und gegenüber, also rechts am Norwegenkai, der für die Fähren nach Oslo und für die Frachter, egal woher sie kommen oder wohin sie fahren. Er blieb einfach stehen, lehnte sich über die Absicherung und konnte, trotz müder Beine, lange, sehr lange, dem beschaulichen Tun auf dem Wasser zusehen.

    Die Zeit schien mit ihm stehen geblieben zu sein. Das Ziehen in den Beinen ist weniger geworden. Es geschah etwas, nicht nur das Wasser, alles, was darauf schwamm, bewegte sich ununterbrochen, und trotzdem eilte nichts. Im Wasser geht alles langsamer, sodass er folgen konnte, sehen konnte, verstehen konnte und seiner Phantasie Lauf lassen, ihr wenigstens ein bisschen Lauf lassen konnte. Nein, das war kein Fernweh. Wohin auch? Die Ferne und das Unstete hatte er hinter sich. Nahweh vielleicht? War es Nahweh … oder wie sollte er das bezeichnen? Nicht in die Ferne, er wollte heim, er wollte in die Nähe. Dann sah er, wie die Fähre ablegte und sich dazu ganz langsam von der Kaimauer löste. Alles hier ist größer, ein bisschen sehr viel größer, und trotzdem so leicht, dass es schwimmt und auf dem Wasser oben bleibt. Das ist wunderbar. Etwas Wind blies ihm um den Kopf. Etwas, nein, ein bisschen, nein, auch nicht: ein bisschen viel Wind, ein frischer und angenehmer und schöner und scheinbar aus der Ferne kommender Wind, und das alles zusammen, die Eindrücke für die Augen, das Fühlen auf der Haut und das Fehlen der Eile und des Sofort, das alles zusammen hatte sein ganzes mentales System fast von alleine heruntergefahren. Er stand auf der Brücke, blieb einfach stehen, und nichts musste mehr sein. Später entdeckte er am Ende der Brücke ein Nudelrestaurant. Und als er sah, dass es auch Plätze im Außenbereich gab, er sich dort nach draußen setzen konnte, hatte er fast denselben Blick und denselben Wind und dasselbe Gefühl wie zuvor auf der Brücke … und dazu nun auch noch seine Lieblingsnudeln, Spaghetti al Pesto. Die Sonne bemühte sich, noch knapp über den Häusern, dem Wind etwas entgegenzusetzen. Darauf war er mit einem dicken Pullover vorbereitetet. Die Welt war in Ordnung. Es war schön, einfach nur schön.

    Als er vor drei Tagen in Kiel am Hauptbahnhof ankam, einem Kopfbahnhof mit sechs Gleisen, ist ihm ein bisschen Ähnlichkeit zu Stuttgart eingefallen. Stuttgart kennt er, kennt er seit seiner Kindheit an allen Ecken und Enden und mit allen Facetten. Stuttgart ist einer seiner Maßstäbe, war er und ist er immer noch ein bisschen. Und es ist seine Welt. In Stuttgart erzählten sie immer, dass ein Kopfbahnhof unwirtschaftlich, unmodern, überholt, ein Hindernis für den rollenden Verkehr und die rollende und immer in Bewegung befindliche Menschheit sei, dass er schlicht und einfach einen Anachronismus darstelle und deshalb vollständig umgebaut, am besten ganz weg müsse. München, Frankfurt, nun musste er auch Kiel noch dazurechnen, haben alle einen als Kopfbahnhof ausgelegten Hauptbahnhof, einen, aus dem die Züge rückwärts wieder rausmüssen. Sollte man die alle abreisen und nach dem Vorschlag des glücklosen und daran auch gescheiterten Stuttgarter Politikers, Peter erinnerte sich an den Namen Stefan und dann mit M von der CDU, unter die Erde legen, unsichtbar verschwinden lassen? Alle diese Bahnhöfe haben wunderschöne Plätze vor den Gebäuden, die dann ebenfalls obsolet würden und der modernen Langeweilearchitektur weichen müssten. Die oberirdischen Zeugnisse eines Maulwurfes sehen ähnlich aus, alle gleich und alle gleich langweilig. An diesem Platz in Kiel, er heißt Bahnhofsplatz, wie auch sonst?, genau gegenüber des Ausgangs, befindet sich das Atlantic-Hotel, in dem Peter die drei Nächte wohnte. Das musste es sein, wenn schon, denn schon. Das hatte er ausgesucht. Vom Bahnhof aus einfach auf die gegenüberliegende Platzseite, und am nächsten Morgen bis nach TKMS, war alles zusammen nur ein etwas längerer Spaziergang. Wenn er dann noch die Stadt hätte sehen wollen, wären es ins Zentrum ebenfalls nur wenige Minuten zu Fuß gewesen. Die Planung einer so praktischen und bequemen Unterkunft ist ihm bisher nur in wenigen Fällen gelungen.

    Nun war er auf dem Rückweg. Zum Bahnhof musste er nur die wenigen Meter über den Platz gehen, und im noch leeren Zug konnte er es sich ungeniert bequem machen. Die neu gewonnene Ausgeglichenheit und mentale Ruhe, die ihm gestern vom Wasser an der Hörnbrücke beschert worden, hatte er mitgenommen. Er war nicht so ganz ausgeschlafen, aber hellwach, döste aber trotzdem vor sich hin. Warum sollte er etwas tun, etwas arbeiten, wie sonst immer auf Reisen, das Notebook auspacken und Dateien sortieren, die Reise abrechnen und den Bericht schreiben, oder seinem Aktionismus in irgendeiner Art und Weise mit den Fingerspitzen in die Tasten hinein frönen? In der Vergangenheit hatte er beim Sitzen und Warten oder Dösen stets das Gefühl, etwas zu versäumen oder zu vernachlässigen. Er meinte, dieses in Ordnung bringen oder jenes erledigen zu müssen. Seine Phantasie kannte hierzu keine Grenzen. Heute war er auf Reisen, und heute war Tun genug. Mehr wollte er nicht, wollte er nun und wollte er nun nicht mehr. Vielleicht konnte er gar nicht. Bis Hamburg war es auch unwichtig. Dort musste er umsteigen, was er allerdings nicht verschlafen durfte. Danach würde er wahrscheinlich wieder … danach käme eine lange Strecke, komfortabel zwar, im ICE, aber sehr lange, und das würde dauern … sodass es sich dann wieder lohnte, das Notebook aus der Tasche zu ziehen. Wahrscheinlich würde ihn sein altes Schema einholen, er wieder in seinen Aktionismus verfallen und die Keyboard-Tasten malträtieren. Aber bis dahin wollte er nur seinen Gedanken nachhängen, gelangweilt aus dem Fenster sehen und einfach nichts tun.

    Er schlief ein. Mit dem Anfahren des Zuges erhielt er die überraschende Nachricht, dass er ins Unterwasserfahrzeug hinein könne … alleine, wie er es sich gewünscht hatte, ohne Begleitung, ohne Aufpasser, mitten in der Hochsicherheitszone. Wenn er Fragen hätte, oder wenn er etwas wissen wolle … gerne:

    „Melden Sie sich einfach. Wir haben ihren Status überprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass von Ihnen keine Gefahr ausgeht. Das hat leider etwas gedauert. Wir können so etwas nicht alleine machen, sondern sind von anderen Stellen abhängig, unserem Safety-Department, das müssen sie verstehen. Sie sind Ingenieur, das war ihr Pre bei der Safety, achtsam und vorsichtig, schon von Berufs wegen, sodass von daher nichts Falsches oder Unangenehmes zu erwarten oder zu befürchten ist."

    Nun durfte er sich alles ansehen, auch genau, konnte Skizzen machen und überall dahinterblicken, alle Geheimnisse, die er nicht erkannte und von denen er auch nicht wusste, dass es sich um Geheimnisse handelte, konnte er genau betrachten und rätseln, worin im jeweiligen Fall das Geheimnisvolle darin oder daran denn nun bestünde. Die Elektronik sehr wahrscheinlich, aber von der sah er nicht nur nichts, sie ist in Schaltschränken versteckt, er hätte sie auch nicht verstanden. Elektronik, die kleine Schwester der Elektrotechnik, ist ihm immer ein Rätsel geblieben. Schon die Elektrotechnik, die E-Technik, zumindest deren theoretischer Hintergrund, bereitete ihm im Studium Probleme. Er hatte nie verstanden, was ein Schwingkreis ist, wie er funktioniert und wozu er gut sein könnte. Die Umsetzung war einfach, einen Generator, einen Kondensator oder einen Motor zu konstruieren und zu bauen, da fühlte er sich kompetent, und das konnte er. Und die Elektronik erschloss sich ihm ein kleines bisschen, als er darüber lehren musste. Was ist ein Elektron, dieses winzige Ding, mit dem man die wundersamen Funktionen, die unvorstellbaren Geschwindigkeiten und unbegreiflichen Mengen verarbeiten kann?

    Diese Frage kann er beantworten. Aber wenn es weitergeht, die Theorie oder gar die Mathematik zu der Theorie anstehen, muss er abschalten und voller Bewunderung zusehen. Auch hier wieder fühlt er sich beim praktischen Teil, der sogenannten Hardware, dem, was man sehen, was man dimensionieren und bauen kann, angesprochen und kompetent. Zu verstehen, zu begreifen, im Wortsinne greifen können, mit der Hand anzufassen, war ihm immer wichtig. Er hasste es, zusehen zu müssen, ohne die Zusammenhänge erkennen zu können, warum und wie geht das so? Vielleicht war die Tauchtiefe das Geheimnis? Wie sie das machen, das Tauchen und wieder Auftauchen, kann man im ruhenden Zustand sowieso nicht sehen. Es sei wie beim Flugzeug, beim Fliegen unter Wasser, mehr oder weniger tief. Aber wie genau das geht? Was soll‘s? Es war ihm zu viel, und er musste auch auf die Uhr sehen. Allzu viel Zeit haben sie ihm nicht eingeräumt. Dann war da noch die Maschine bzw. der Antrieb … unübersehbar. Sehr wahrscheinlich wurde sie mit Wasserstoff angetrieben oder vielleicht über einen Atomreaktor? Ganz unwahrscheinlich erschien ihm, dass sie das mit einem Ionenstrahl, einer noch anderen, ganz neuen und total unbekannten Art, oder wie auch immer, gemacht haben. Er konnte kein Geheimnis finden und somit auch nichts in dieser Hinsicht genießen. Geheimnisträger zu sein, anderen voraus zu sein, vertrauenswürdig zu sein, oder anderen gegenüber etwas zu wissen, vielleicht wäre das ja bereits Genuss? Geheimnis hin oder her, er freute sich, dass er alles sehen und den neuen Status des unbedarften Geheimnisträgers in vollen Zügen genießen durfte, als er mit Vehemenz seiner Illusion entrissen wurde. Nun wollte doch jemand was von ihm, jemand vom Safety?

    „Nein, nein, keine Legitimation. Den Fahrschein. Ihren Fahrschein bitte … Sie steigen in Hamburg um und haben zehn Minuten Zeit dafür. Das müsste reichen. Wir sind pünktlich. Gute Fahrt."

    Peter blickte sich um. Außer ihm war niemand sonst im Abteil. Er fährt gerne erster Klasse, wenn die Fahrt jemand anders bezahlt sowieso, da fühlt er sich nicht so beengt. Der Zug hielt. Neumünster konnte er auf dem Bahnsteig lesen. Und beim Vergleich mit seinem Fahrplanausdruck war das bereits der übernächste Halt nach Kiel. Der Regionalzug hält etwa alle zehn Minuten. Die Türen ploppten, eine ganz in der Nähe, dann eine zweite, und der Bahnsteig begann, erst ganz langsam, dann immer schneller, nach hinten zu verschwinden.

    WINTER-EINSIEDELEI UND DAS PROJEKT F

    Das andere Ploppen der Türen, das jeweils nach dem nächsten Halt des Zuges kommen müsste, ist ihm in den Erinnerungen, die ihn ergriffen, abhandengekommen. Sie waren mächtig, übermächtig, und haben ihn gegenüber allen Eindrücken von außen abgeschottet. Auch Karo, sein zweites Ich, sein Korrektiv oder Alter Ego, sein manchmal von ihm selbst bis ins Nirwana verdammte Nachtgespenst, hatte ihn in diesem Zugabteil in Ruhe gelassen. So verdichteten sich die Nebel des Bewusstseins und klärten gleichzeitig die der Vergangenheit, des Gewesenen und die auch dieser ganz speziellen Ereignisse früherer Tage. Natürlich gehört auch zu dieser, wie zu so vielen Geschichten, fast möchte man meinen: wie zu allen Geschichten über das Leben eines Mannes, eine Frau. Oder vielleicht doch nicht? Ist es dann überhaupt noch eine Geschichte mit einer Frau, wenn, zumindest zu Beginn, gar keine Frau vorkommt, wenn das Nichtvorhandensein einer Frau oder des weiblichen Wesens vielmehr Auslöser der Geschichte war? Wenn der Protagonist lediglich eine Frau haben wollte, eine Frau suchte, Sehnsucht nach Weiblichem hatte, nach einem Gegenüber und nach Nähe? Aber lassen wir das erst einmal offen.

    Warum hatte er denn Sehnsucht? Peter hatte sich eine Auszeit genommen, wie man das so schön nennt, eine Zeit, in der es aus ist, was immer das Aus auch gewesen sein mag. Oder eine Zeit, in der es eben nur eine gewisse Zeit aus ist, dann aber wieder, wie zuvor, weitergeht. Im Februar, wenn es schön kalt ist und kaum jemand freiwillig aus dem Haus zu bekommen ist, hatte er sich in einem gottverlassenen Ort auf der Schwäbischen Alb einquartiert. Nicht dort, wo die Städter aus Reutlingen und Tübingen hingehen, an den nördlichen Albtrauf, den hohen Rand des schräg liegenden Mittelgebirges, wo man sich für sie eingerichtet hat, sondern am hinteren, dem südlichen und flacheren Ende der Alb, das Donautal ist schon erahnbar, und wo wenig oder gar nichts los ist. Das war in einem kleinen Häuschen, auf schwäbisch würde man es als Häusle bezeichnen, im Prospekt stand, dass es eines von mehreren Ferienhäusern ist, ganz aus Holz gebaut und nur für die gelegentliche Nutzung errichtet. Es steht im Wesentlichen leer, hat etwa sechzig Quadratmeter Wohnfläche und allen Komfort, den man sich vorstellt, fast allen Komfort, ein Telefon gab es ... damals … nicht. Aber sonst alles: Behaglichkeit, Wärme mit Heizung und Kamin, Gemütlichkeit ohne Ende, Wasser, Strom, Fernseher … und Platz. All die anderen Menschen, die sich sonst in diese Ferienhaussiedlung hingezogen fühlen, sind im Februar nicht da. Es ist ihnen zu kalt und zu ungemütlich, eher noch zu unwirtlich. Sie kommen zunächst um Ostern herum, an Fasching einige und im Sommer.

    Er wollte allein sein, wollte etwas tun, was nur er wollte, er wollte schreiben, Geschichten schreiben, den Kopf leerschreiben, und er wollte sich viel in der Natur bewegen. Aber zunächst wollte er alleine sein. Er war eigentlich immer allein, war viel und oft und fast immer zu zweit allein. Er wollte wissen, wenn schon, denn schon, wie es ist, wenn er richtig alleine ist. Es war immer im Februar und manchmal, wenn er Glück hatte, bis in den März hinein. Immer im Februar hatte er sich dorthin verkrochen, hatte er sich die zitierte Auszeit genommen, hatte er ein Stück Zeit von einigen Wochen, vier oder fünf, ein einziges Mal sind ihm nur drei Wochen gelungen, aus seiner üblichen Zeit herausgeschnitten. Das war die ersten Male nicht einfach. Er brauchte Argumente, Erklärungen und musste Termine organisieren. Aber schon nach dem zweiten Mal ging das einfacher: ach so, ja klar, wie letztes Jahr. Immer im Februar ist es dort kalt, so sehr kalt, dass sich kaum jemand aus dem Haus wagt, man sagt, es sei saukalt, es sei kälter als irgendwo sonst in unserem Land. Vielleicht sagt man das auch von anderen Landstrichen, aber dort sagt man es so. Peter sagt, es sei schön kalt, klar kalt, sauber kalt, unendlich durchsichtig kalt und sehr, sehr eindeutig. Immer im Februar ist dort niemand, sind dort nur ganz wenige Menschen, ist kaum jemand unterwegs, trifft man fast niemanden, ist er, nein, war er dort allein. Er war zwar auch in den anderen Monaten allein, wenn er, wie man sagt, zu Hause war. Aber es war ein Allein zu zweit. Und, so ganz nebenbei, war es auch noch ein Allein unter Menschen, manchmal unter zahllosen Menschen, ein Allein in vielen Aktivitäten und in noch mehr Machen, in unglaublich vielem Tun mit unglaublich wenig Ertrag, noch weniger Befriedigung und oft überhaupt keinem Sinn und keiner Freude. Das sammelte sich, staute sich auf, wurde mehr und mehr, und schwappte schließlich immer mal wieder über den Rand. Das Schwappen, besonders aber das Überschwappen, das immer wieder aufgewischt, immer wieder argumentiert, erstritten, bestritten, beigelegt und befriedet werden musste, generierte die Idee, sich zu vereinzeln. Er meinte, dass wenn es denn ein ganz alleine Allein wäre, dass es dann nicht so anstrengend, dass es einfacher, bekömmlicher, erbaulicher, ruhiger, produktiver und viel, viel schöner sein müsste.

    Er probierte es aus.

    Den Vormittag hatte er den Kopfanstrengungen gewidmet, der Aufarbeitung von Manuskripten, dem schreibenden Nachdenken und Nachfühlen, dem Sortieren und Gliedern von Texten und dem Kreieren von Ideen. Er hatte schon als Student beobachtet, dass sein Denken am Vormittag, noch besser am frühen Vormittag, manchmal fängt er damit schon um vier Uhr an, am leichtesten geht. Wenn er etwas ausarbeiten muss, dann geschieht es am Vormittag. Das Frühstück kommt später, oft viel später. Das Denken geht bei Peter nicht von alleine, da bewundert er die anderen. Für ihn ist es bewusstes Tun, aber es geht vormittags wesentlich einfacher und effizienter als danach. Dazu hatte er den Computer dabei, viel Papier mit Skizzen und Notizen, das sich wunderbar, übersichtlich, strukturiert und geordnet auf dem Boden ausbreiten und den vielen Platz damit belegen ließ, ohne dass ein Mensch oder der Hund, den ein Mensch begleitete, darüberliefe und alles durcheinanderbrächte. Er konnte das tun, was er tun wollte. Rücksichtslos. Rücksichtslos? Es war ja niemand da, von wegen der Rücksicht. Am Nachmittag war die knackige Kälte dran. Gut angezogen und auf jedes Wetter vorbereitet, erwanderte er sich die ganze Umgebung in dem Umkreis, den er im Schnee oder auf gefrorenem Grund und Boden schaffte. Wenn der Blick weit ging und ihm ein Ziel über mehrere Tage ins Auge stach, wenn ihn die Lust und die Laune dazu animierte, dieses Ziel zu erkunden, machte er sich auch schon mal am Vormittag auf den Weg. Ansonsten wollte er sich keine Vorgaben auferlegen, startete einmal in diese und ein anderes Mal in die entgegengesetzte Richtung, hielt sich auf den Wegen oder ging querfeldein, und wenn er einen sonnenbeschienen Holzstapel fand, konnte er darauf auch stundenlang sitzen bleiben. Das geschah alle vier oder fünf herausgeschnittenen Wochen lang jeden Tag aufs Neue nun schon seit vielen Jahren. Aus dem recht schnell geglückten Alleinsein sublimierte sich mehr und mehr sowohl ein intensiveres Näherrücken an die Natur, als auch ein konzentriertes und kreatives Tun, ganz besonders das Tun des Schreibens. Irgendjemand hatte einmal gesagt, dass man beim Gehen in der frischen Luft, und frisch ist sie dort, es gibt kein Heizkraftwerk am Horizont, keine Autobahn oder irgendeinen Stau mit Wolken aus Stickoxiden, vor denen man das Fenster schließen müsste, die Luft ist so klar, dass man sie und ihre Klarheit regelrecht spüren und riechen und auch mit allen anderen Sinnen aufnehmen kann. Also, jemand hat einmal gesagt, dass man beim Gehen in der frischen Luft, besser noch beim strammen Gehen, beim Wandern, also nicht beim nur mal eben so Dahinspazieren, dass man dann viel besser denken und Ideen entwickeln, kreativer sein kann, als auf dem Stühlchen in der einlullend warmen Stube. Peter konnte das bestätigen. Er hatte zusätzlich den Eindruck, dass die kühle Frische die Beweglichkeit der Gedanken vergrößert, sie klarer und schneller nach neuen Anknüpfungen suchen und auch fündig werden lässt, und dass sie beim Gehen auf geheimnisvolle Art und Weise mit mehr Luft oder mehr Nahrung oder vielleicht mit mehr Begeisterung versorgt werden. Er beobachtete, dass er leichter nun an auch in ungewohnte Richtungen denken konnte … war begeistert und fühlte sich unglaublich wohl.

    Seit einiger Zeit hatten sich in Peters Denke ein paar Phantasiegebilde, Einfälle, vielleicht auch Luftschlösser eingenistet, die nicht nur neu waren, sondern sich auch zunehmend in den Vordergrund drängten. Es ist möglich, dass sie sich auch nur neu formiert haben. Bei genauer Betrachtung waren sie nicht neu, es gab sie schon länger … in zurückliegender Zeit … die verdrängt schienen, manchmal dachte er auch, dass sie regelrecht verschüttet waren. Er sprach von gedanklicher Archäologie, von Denkarchäologie, vom Freilegen, vom Säubern, Interpretieren, Ein- und Zusammenfügen einer altneuen Denke. Mit der mehrmaligen Wiederholung wurde sie zusätzlich klarer: Warum bin ich hier? Warum bin ich, wenn ich nicht hier bin, auch zu zweit alleine? Diese Denke verfing sich, immer häufiger, in sich selbst, bewegte sich im Kreise, drehte sich, mal langsam und dann wieder schneller, und konnte sogar ganz verschwinden. Sie entstand dann aber wieder neu, dann noch einmal und wieder und wieder … bis es in der krachend kalten, hellen und unendlich klaren Luft, die Sonne war oft mit im Spiel und stand gleißend über dem weißen Schnee, knack gemacht hatte. Der Kreis ließ sich nicht mehr schließen. Wieso ist das bisher immer wieder im Kreise herumgegangen, wieso nicht einmal ein bisschen anders, wieso nicht ganz anders, ganz, ganz anders, grundsätzlich und auf immer anders? Wieso, weshalb, warum…nun war der Knack da. Er wurde zum Start, wie er das in seinem Job genannt hätte, eines neuen Projektes.

    Das Auto benutzte er nur, wenn es nicht mehr anders zu machen war. Es gab Zeiten, da stand es die ganzen vier oder fünf Wochen einsam auf dem einsamen Parkplatz, schneite zu, fror ein oder stand, wenn die Sonne schien, einfach nur da. Manchmal musste er es mühsam aus dem Schnee wieder hervorholen und aktivieren. Der nächste größere Ort, an dem er eine Möglichkeit vermutete, anspruchsvollere überregionale Zeitungen zu bekommen, die „Süddeutsche vielleicht oder „DIE ZEIT, ist Riedlingen. Das liegt an einer Bundesstraße, und dort müsste sich eine größere Tankstelle mit Shop befinden. Es müsste eine größere sein, die auch großstädtische Zeitungen hat. Kleine Tankstellen gibt es mehrere, die nur Benzin haben und vielleicht noch Riegel und Kaugummi. Auf diese Art entwickelt Peter Vorstellungen und Bilder, wenn er nach etwas sucht. Er meint oder denkt sich,

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