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Im Schatten der Schönen
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eBook374 Seiten4 Stunden

Im Schatten der Schönen

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Über dieses E-Book

Achim hat nicht alles richtig gemacht in seinem Leben. Geld und teure Autos sind gerade mal wieder ziemlich weit weg und Bürgermeister von Unna ist er auch nicht geworden. Ein ziemlich hoffnungsloser Fall also, wäre da nicht dieser jahrelange Kampf für so viele Frauen und gegen so viele Behörden. Immer wieder stiegen ihm die Fahnder aufs Dach, verhinderte kleinkarierter Amtseifer den Erfolg seiner vielen Ideen, wurde er Opfer halbseidener Annahmen und Berechnungen.
Und trotzdem hat Achim einen guten Kampf gekämpft. Hat Maßstäbe in einem Milieu gesetzt, die von echten Fachleuten, vor allem aber von den Frauen selbst als human und deshalb ungewöhnlich eingeschätzt werden. Und ganz am Ende hat Achim sogar vor Gericht etwas erreicht, das die ganze Branche revolutionieren könnte.
Trotzdem ist Achim Megger heute weitaus tiefer „ganz unten“, als einige Spitzenpolitiker sich das überhaupt vorstellen können. Was seine finanzielle Situation angeht, jedenfalls.
Gefühlt immerhin geht es ihm deutlich besser. Er ist sauber geblieben und er hat endlich dieses Buch geschrieben.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum14. Nov. 2014
ISBN9783738683486
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    Buchvorschau

    Im Schatten der Schönen - Achim Megger

    Fragen

    Vorwort

    Es ist nicht alles wahr in diesem Buch. Nicht, wenn man jede Zeile wörtlich verstehen möchte. Um Menschen zu schonen, mussten die meisten Namen geändert – in einem Fall, bei »Gaby«, auch Lebensgeschichten mehrerer Frauen zusammengebaut werden. Daraus zu schließen, dass es so brutal ja dann eigentlich doch nicht zugeht auf der Straße und in vielen üblen Schuppen, wäre allerdings völlig falsch. Eher ist das Gegenteil richtig: Was sich täglich abspielt in deutschen Schmuddelzimmern, auf dem Straßenstrich und in dessen Vorhöllen, das passt in gar kein Buch. Die ganze Wahrheit würde niemand glauben können, der nicht selbst professionell dabei gewesen ist.

    Und doch verbürge ich mich dafür, dass in diesem Buch wahrhaftig geschildert wird, wie es Menschen im Rotlicht-Milieu ergeht. Keine der vielen hier erzählten Einzelgeschichten ist ganz frei erfunden. Die Quelle, aus der die Geschichten fließen, ist ein ungeheurer Erfahrungsschatz. Ein Schatz, den ich durch eigene Erlebnisse und abertausend Gespräche mit Szene-Frauen erworben habe. Nicht unbedingt freiwillig, jedenfalls, was das eigene Erleben angeht. Und auch manches Gespräch hat mich lange belastet. Hätte jeden belastet, der sich einen Rest von Mitgefühl bewahrt hat.

    Worum es in diesem Buch geht? Um das Schicksal eines Gastronomen, seiner Familie und seiner Freunde – einerseits! Da ich mich selbst aber nicht wichtig genug nehme, um einen reinen Lebensbericht in Buchform zu bringen, war der Hauptgrund für das Verfassen dieses Buches ein anderer: Es musste einmal die Wahrheit gesagt werden über die Szene, die mit »Prostitution« eigentlich nur sehr unzureichend bezeichnet ist. Klar hatte ich immer wieder mit Prostituierten zu tun. Auch mit Zuhältern – aber meine Erfahrungen sagen, dass diese beiden Begriffe keineswegs Schubladen darstellen können, in denen dann unzählig vielfältige Einzelschicksale und Charakter-Typen verschwinden. Und meine Erfahrungen sagen auch, dass Prostitution und Zuhälterei keineswegs auf das Rotlicht-Milieu in unserer Gesellschaft beschränkt werden können. Es verkaufen sich viele mit Leib und Seele. Viel mehr als die paar, die sich dies auch eingestehen.

    Was ich Ihnen erzählen möchte, soll auch dies deutlich machen. Die Geschichte meines Lebens nutze ich daher auch für eine gesellschaftliche Aussage. Die müssen Sie am Ende natürlich nicht teilen – aber wenn ich Sie gar nicht nachdenklich gemacht hätte, wäre ich schon etwas enttäuscht.

    Übrigens wäre auch meine Mutter enttäuscht, die sich so sehr auf das Erscheinen dieses Buches gefreut hat und ohne deren Erlebnisse es den meinen deutlich an Substanz fehlte. Intensive Gespräche mit meiner Mutter waren ein wesentlicher Teil der Vorbereitung dieses Buchs. Eine längere Passage gibt praktisch wörtlich einen Erlebnisbericht wieder, den sie im Herbst 2012 gegeben hat. Das Gesamtergebnis konnte ich ihr leider nur noch in einer knappen Zusammenfassung erzählen. Ich hoffe, dass sie das ein wenig getröstet hat, als sie sich von ihrem überraschenden Schlaganfall Mitte Dezember 2013 nicht mehr erholen konnte und in eine hoffentlich bessere Welt hinüber dämmerte. Meine Trauer ist immer noch unendlich tief – aber mit dieser Veröffentlichung erfülle ich ein Versprechen. An einem weiteren arbeite ich übrigens noch: »Du musst lernen, den Menschen zu verzeihen«, waren so ziemlich die letzten Worte, die mir meine Mutter mitgegeben hat. Es wird nicht leicht sein, aber ich habe tolle Vorbilder.

    Und selbstverständlich widme ich dieses Buch meinen Eltern, denen ich so viel zu verdanken habe und die mich immer in der Spur gehalten haben, wenn es mal wirklich bedrohlich wurde. Ähnliches gilt natürlich für meine Freunde. Die echten Freunde – also alle die, die mich wirklich kennen!

    Noch eine Winzigkeit zu meiner Person: Ich bin tatsächlich derjenige, dessen reale Erlebnisse den roten Faden in diesem Buch abgeben. Ihnen sprachlich Ausdruck zu verleihen, hat ein anderes Ich geholfen: Mein Ko-Autor Werner Wiggermann.

    Was Sie nun selbst angeht, liebe Leserin/lieber Leser, so wünsche ich Ihnen viel Spaß und Stoff zum Nachdenken. Ab der nächsten Seite werde ich Sie dann übrigens ab und zu duzen. Nehmen Sie’s bitte nicht als Respektlosigkeit, sondern nur als das Angebot einer gedanklichen Nähe, das Sie natürlich jederzeit auch wieder ausschlagen können.

    Der Mensch muss doch Geld verdienen

    Ja klar, ich war der Mann, der alle Frauen liebte. Bin ich doch heute noch. Nach 34 Jahren Gastronomie-Erfahrung in unserem schönen, reichen und so hochtechnisierten Land. Da könnt ihr fragen, wen ihr wollt.

    Ich meine, ihr müsst schon halbwegs die Richtigen fragen. Die, die das Geschäft wirklich kennen und vor allem die, die darunter gelitten haben. Und natürlich müsst ihr die fragen, die vergleichen können. Ich kenne einige von denen. Wie sollte es anders sein? Ich habe lange mit ihnen gelebt. Und immer auch mitgelitten, das könnt ihr mir glauben!

    Ja es stimmt schon, ich habe manchmal auch etwas Geld verdient mit ihnen. Der Mensch muss doch Geld verdienen. Schon damit er überhaupt Steuern zahlen kann. Und das mit dem Geldverdienen, das kann er so oder so tun. Ganz egoistisch, ohne Rücksicht auf irgendwen – oder eben mit Achtung vor seinen Partnern. Partnerinnen und Partnern, muss es hier wohl wirklich heißen. Und ich meine tatsächlich immer, auf das Geschlecht kommt es hierbei gar nicht so an. Achtung oder nicht, das ist der entscheidende Gesichtspunkt.

    Wahrscheinlich nicht nur in meinem Gewerbe, sondern eigentlich überhaupt, wo Menschen miteinander zu tun haben. Was ich erlebt habe und weiter erlebe, ist doch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Aber eines, an dem man unglaublich viel erkennen kann. Ich spreche von einem Gebiet, das doch irgendwie die Keimzelle, der Anfang von allem ist: Ohne menschliche Triebe gäbe es nämlich gar nichts. Ohne sie wären wir in der Evolutionsgeschichte längst auf dem Abstellgleis. Auf die Gefühle, die hier die maßgebliche Rolle spielen, baut doch alles auf. Nur wegen dieser Gefühle leben wir.

    Attraktive Menschen steuern sehr oft diese Gefühle, haben manchmal sogar eine Wirkung, die den kalten Verstand für eine Weile ausschaltet. Und das ist auch gut so! Denn nur mit unseren Gefühlen sind wir vollständige Menschen. Höhen und Tiefen sind hier unglaublich intensiv und liegen dicht beieinander. Deshalb kannst du als Erotik-Fachmann eben Dinge erkennen, die andere nie blicken werden.

    Deshalb ist das so wichtig, was ich zu sagen habe.

    Und jetzt hört mir mal zu, jetzt muss endlich alles raus. Vor allem dies: Die Frauen müssen einfach viel respektvoller behandelt werden! Hier, ich meine in unserem sonst so schönen Land, geht inzwischen ja so vieles vor die Hunde.

    Ich weiß doch, wie das läuft. Nach 34 Jahren in der Gastronomie. Ja, Gastronomie, das ist mein Metier! Alles andere sind Hirngespinste von diesen verklemmten Typen, weißt du, was ich meine?

    Hör mal, ich weiß bald nicht mehr, wie das alles noch weitergehen soll. Echt, manchmal glaub ich wirklich, ich bin im ganz falschen Film.

    Und da erlebe ich Dinge, die kannst du nicht einfach so wegstecken. Auch wenn du nach außen einen total abgebrühten Eindruck machst. Nur mal ein kleines Beispiel zum besseren Verständnis:

    Anfang August 2013 stand plötzlich Dana in unserem Club in Unna-Königsborn auf der Matte. Eine kleine, zarte und früher einmal wirklich sehr attraktive Polin. Immer noch in den besten Jahren, ist man versucht hinzuzufügen – wenn man auf den Personalausweis schaut. Danas Gesicht kann aber längst die Spuren dessen nicht mehr leugnen, was Drogen, Gewalt und tausende Billigfreier dieser Frau angetan haben. Zudem passten an diesem Tag die roten Augen überhaupt nicht zum früher geheimnisvollen Ausdruck dieser verfallenden Blondine. Sie hatte einfach ein paar Tage lang überhaupt nicht geschlafen und stand dicht vor dem völligen Zusammenbruch.

    Als ich Dana vor acht Jahren kennenlernte, war noch nichts von diesem Verfall zu sehen gewesen. Sie gehörte damals zu den beliebtesten Frauen, die in meinem Club verkehrten. Weil ihr Gesamtauftritt einfach passte: Feine Gesichtszüge, gute Figur mit eher zarten aber doch sehr viel versprechenden Rundungen, geschmackvolle Kleidung, perfekte Bewegungen und ein verheißungsvolles aber nie zu offensives Lächeln. Sie zog die Männer reihenweise auf elegante Weise in ihren Bann – und die betrachteten es als echte Auszeichnung, Dana ein ebenso prickelndes wie Umsatz stärkendes Getränk zu spendieren.

    Ja, ich gebe es zu: Ich habe Dana einiges zu verdanken. Ihre vielleicht einzige echte Schwäche war die schon damals auffällige Anziehungskraft, die Spielautomaten auf sie ausübten. Etwas zu oft begab sie sich offenbar auf die Suche nach dem klingelnden kleinen Glück – und erzählte hin und wieder von erlebten und sicher bald kommenden Glückssträhnen. Wahrscheinlich hätte ich sie mal ernsthaft darauf ansprechen müssen. Weil sie die Situation aber noch im Griff zu haben schien und weil ein bisschen Gewinn-Träumerei ja auch gar nichts Besonderes sein muss, ließ ich es.

    Und natürlich, weil sie einfach wohltuenden Glanz um sich herum verbreitete. Aber nicht nur wegen ihrer sehr hilfreichen Wirkung auf den Clubumsatz mochte ich Dana. Da war so etwas Behütenswertes in ihrer Erscheinung, das mich immer anspricht. Deshalb ging es mir auch ein bisschen unprofessionell nahe, als sie eines Tages verschwand.

    Es war wie so oft. Sie hatte einen dieser Typen kennengelernt, die den Mädchen, ihren späteren Opfern, immer wieder Flausen in den Kopf setzen. Von ganz anderen Möglichkeiten, von der Großstadt, vom schnellen und leicht verdienten Geld. Ja, vielleicht war sie sogar ein bisschen verliebt in den Macker. Auch diese Masche haben die Lockvögel drauf. Und viele Mädchen können sich in solchen Situationen emotional überhaupt nicht wehren.

    Ich selbst kann meistens gar nichts tun. Auch dann nicht, wenn ich die Gefahr sofort erkenne. Schließlich leben wir in einem freien Land: Jeder kann kommen und gehen, wann und wohin er mag. Mit der kleinen Einschränkung, dass diese Freiheit für Milieu-Frauen sehr schnell an harte Grenzen stößt. Dann jedenfalls, wenn sie nicht in so anständigen Clubs wie meinem verkehren.

    Den entscheidenden Unterschied bekam Dana bald zu spüren. Mit dem Beitrag zum gemeinsamen Erfolg, den sie bei mir erzielt hatte, waren ihre neuen Geschäftspartner schon nach wenigen Tagen nicht mehr zufrieden. Man sagte ihr, was und wie viel sie zu tun hatte. Ganz gleich, ob sie sich ekelte, ob sie gesundheitliche und auch Schmerzgrenzen überschreiten musste oder einfach erschöpft war. Und als ihre Kraft zu versiegen drohte, half ihr Zuhälter mit Drogen weiter. Zur emotionalen kam also rasch die körperliche Abhängigkeit.

    Ein Weiteres trug die inzwischen krankhaft weiterentwickelte Spielleidenschaft zu Danas Niedergang bei. Eine Abwärtsspirale mit mehreren Stellschrauben, an denen gewissenlose Zuhälter stets zu drehen verstehen. Was für Dana einmal selbst bestimmte Dienstleistung gewesen war, geriet nun zur täglichen Folter. 30 und mehr Männern musste sie jeden Tag zu Willen sein. Kein Ausweg in Sicht. Kein eigenes Geld, keine Hoffnung, kein Leben!

    Mit einer kleinen List – die unappetitlichen Einzelheiten erspare ich dir an dieser Stelle – schaffte es Dana dann im Sommer, für einen Tag eine winzige Auszeit zu bekommen. Sie kam nach Königsborn und erzählte mir einen Auszug aus den Grausamkeiten der vergangenen Jahre. Ich kann dir sagen, ich habe schon einiges erlebt und gehört. Aber wenn du es so hautnah von einem Menschen geschildert bekommst, der dir einmal nahe gestanden hat, dann bist du erst mal fix und fertig.

    Genauso ging es übrigens auch Karina und Marika, die Dana ebenfalls zuhörten.

    »Wir müssen ihr helfen, Achim«, sagten ihre Blicke bald. Ja klar, aber wie soll ich das machen? Dana wieder in den Club lassen – das brächte mehr Ärger, als wir verkraften könnten. Ich kenne diese Typen, die Dana jetzt als ihr Eigentum betrachten! Die stellen mir nicht nur die Bude auf den Kopf, wenn ich jemand gegen ihre Interessen in Schutz nehme. Die machen auch vor anderen Frauen nicht halt, die bei mir verkehren. Glaub mir, ich riskiere mehr als meine eigene Gesundheit, wenn ich denen in die Quere komme!

    Also riet ich Dana zuerst einmal, zur Polizei zu gehen, aber das wollte sie auf gar keinen Fall.

    Was also tun? Ich könnte Dana unter neuem Namen in eine neue Umgebung vermitteln. Vielleicht nach Polen bringen. Dazu müsste sie aber erst einmal selbst ausreißen und irgendwie an ihren Pass kommen.

    Inzwischen besteht leider kaum noch Hoffnung. Auch meinen Tipp, sich bei der Mitternachtsmission in Dortmund zu melden – die helfen eigentlich immer ziemlich effektiv – schlug sie in den Wind. Dana ist jetzt in ihren alten Club zurückgekehrt und macht irgendwie weiter. Noch eine Zeitlang. Bis zum endgültigen Zusammenbruch – oder bis zu dem Punkt, an dem ihre Ausbeuter erkennen, dass nun wirklich kein Geld mehr mit ihr zu verdienen ist. Vielleicht wird das eine Erlösung sein. Aber man wird schon einen starken Glauben brauchen, um dies so sehen zu können.

    Vorerst tut Dana jedenfalls alles, was von den Resten ihrer körperlichen Attraktivität und ihrer Persönlichkeit verlangt werden kann. Ich möchte gar nicht genau wissen, welch überzeugende »Argumente« ihre Geschäftspartner für die erfolgreiche Wiedereingliederung angewendet haben. Falls sie doch noch einmal die Kraft zum Ausbruch aufbringen sollte, könnte ich vielleicht helfen. Und wenn es so sein sollte, dann schweigt man auch in der Öffentlichkeit besser über die Einzelheiten.

    Leider ist Dana alles andere als ein Einzelfall. Die Zeiten sind schwer geworden, besonders seitdem es dieses Prostitutionsgesetz gibt. Das hat sich nämlich absolut als Fass ohne Boden erwiesen. Als Versuch, etwas zu regeln – ohne dabei Klarheit im Sinne der Betroffenen zu schaffen. Die Folge daraus war: Jeder macht, was er will. Und so wird überhaupt nicht unterschieden zwischen denen, die das Geschäft anständig ausüben und den vielen Kriminellen in der Szene.

    Und weißt du, wem diese ganze Unordnung nützt, wem das alles ganz allein nützt? Nur dem Staat, nicht den Menschen, schon gar nicht den Frauen. Und das kann’s doch wirklich nicht sein!

    Ich finde es absolut beschämend, wie die Politik seit mehr als zwölf Jahren über das Prostitutionsgesetz spricht. Für die meisten Politiker sind die Frauen nur Menschenmaterial in einem großen, oft völlig unterschätzten Wirtschaftszweig. In der Dienstleistungs-Branche, muss man eigentlich sagen. Nennen wir das Ergebnis dieser Dienstleistung ruhig Psycho-Hygiene. Es ist das, was da in Gesprächen und Berührungen immer wieder stattfindet. Die Frauen leisten Dienste, die andere Leistungsträger dieser Gesellschaft in der Spur halten.

    Sehr wichtige Dienste also im Hinblick auf das große Ganze unserer Gesellschaft. Eine vernünftige Lobby, also eine mit Einfluss und echtem Durchblick, haben die Frauen aber absolut nicht – ich meine, wenn man von mir jetzt mal absieht.

    Wie sollten sie denn auch? Die Frauen in der Erotik-Branche könnten sich ja gar keine Lobbyisten leisten! Warum? Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Deutschland ist an sehr vielen Stellen längst zu einem Billiglohnland geworden. Und das trifft auch für das sogenannte horizontale Gewerbe zu, in dem es oft vor lauter Elend schon nicht einmal mehr horizontal zugeht.

    Viele Frauen suchen nach einem Zuverdienst in der Erotikbranche, weil sie ihren Familien wenigstens einen gewissen Mindeststandard bieten wollen. Weil sie und ihr Partner von einem viel zu geringen Lohn leben müssen. Und manchmal auch, weil sie einfach zu stolz sind, als Arbeitslose oder »Aufstocker« ins Rathaus oder in die Arbeitsagentur zu gehen und etwas staatliche Almosen anzunehmen. Auch wenn sie einen klaren Rechtsanspruch auf Hilfe haben. Wer mal in der Arbeitsagentur um ein Kinderbett oder einen Staubsauger kämpfen musste, ich meine mit einem richtig schön missgünstigen Sachbearbeiter kämpfen musste, der weiß Bescheid.

    Und da kann sich ein wahlkämpfender Spitzenpolitiker noch so schön fernsehwirksam mit einer Antragsstellerin in eine Agentur begeben und einen Fall glücklich wenden – am Prinzip und für die vielen tausend Betroffenen ändert das doch gar nichts.

    So wenig, wie die natürlich sehr segensreichen Tafeln die soziale Situation ihrer Klienten grundsätzlich ändern. Das ist doch einfach nur beschämend, dass Menschen bei uns überhaupt für ein paar abgelaufene Lebensmittel in der Schlange stehen müssen. Zu beschämend für viele Frauen, die dann einen – wie sie meinen – etwas würdevolleren Weg ins ganz kleine Glück suchen.

    Das 2002 in Kraft gesetzte Prostitutionsgesetz schien ihnen diesen Weg etwas leichter zu machen. Aber: Sollte es eigentlich wirklich Zufall sein, dass Hartz IV und Prostitutionsgesetz in relativ geringem Zeitabstand durchgesetzt wurden?

    Die Antwort könnte in einer kleinen Begleiterscheinung liegen, die damals gar nicht so stark diskutiert wurde: Als das neue Gesetz kam, wurden die Frauen, auch die sporadisch horizontal arbeitenden, alle auf einmal zehn Jahre rückwirkend geschätzt. So entstanden schnell neue Steuereinnahmen und andererseits nahm das Sozialdesaster seinen Lauf: Hohe Steuerschulden hielten die Frauen in der Branche fest, machten sie zum Freiwild, weil immer mehr billige Konkurrenz auf den Markt drängte. Menschen, die schon unter ganz erheblichem Druck standen, wurden also noch mehr unterdrückt.

    Und das Gesetz wurde auch nicht verändert, als die Wirkungen schon abzusehen waren. Ehrlich, wenn die Frau Merkel wirklich Klasse hätte, dann hätte die aber schon längst einiges anders machen müssen. Wer soll denn Fortschritte für die Frauen erreichen, wenn eine Frau an der Spitze der Regierung das nicht fertig bringt? Was das sein soll, willst du wissen? Also gut, ich erzähl jetzt mal ein bisschen.

    Du musst übrigens keine Angst haben, dass ich auch die wirklich peinlichen Sachen erzähle, Siggi. Natürlich schreib’ ich nicht alles. Nicht mal deinen Namen – siehst du ja!

    Diskretion habe ich schließlich schon in ganz jungen Jahren gelernt. Mit 16, genauer gesagt. Damals musste ich für meinen älteren Bruder öfter mal ein paar Porno-Filme aus der Videothek holen – mit Vollmacht ging das natürlich nur. Und wenn ich dann in der Erotik-Ecke einigen älteren Bekannten aus der angeblich anständigen Welt begegnete, zuckten die zwar ein wenig zusammen, konnten sich aber auf mein Schweigen verlassen.

    So wird es auch jetzt sein. Wenn sich irgend jemand durch Geschichten in diesem Buch in irgendeiner Weise öffentlich vorgeführt fühlen sollte, weil er sich zum Beispiel in einem peinlichen Zusammenhang wiedererkennt, so entschuldige ich mich bereits jetzt dafür. Das war natürlich niemals beabsichtigt!

    Aber schreiben muss ich eben doch. Immer war ich zurückhaltend, fast demütig. Weil das ja auch zum Geschäft gehört. Wer die Klappe nicht halten kann, ist da gleich unten durch. Und doch: irgendwann kannst du nicht mehr schweigen. Diesen Jahrzehnte langen Hirnstress, den muss ich jetzt endlich mal los werden. Ja, ich möchte mit diesem Buch meinen Kopf wieder frei kriegen. Endlich die Wahrheit sagen – alles, was ich weiß. Na ja, vielleicht fällt mir irgendwann später ja doch noch mal was ein.

    Aber anfangen muss ich jetzt – am besten mit mir selbst. Wie ich das geworden bin, was ich heute bin. Warum das alles so gekommen ist.

    Und warum ich jetzt endlich, nach 50 Jahren auf dieser schönen Welt, auch mal in Frieden und ohne stets missgünstige beamtete Begleitung leben möchte.

    Der Mann, der die Frauen liebte

    Mein Einstieg ins Arbeitsleben vollzog sich im Sommer 1979 und er hatte mit der Welt der Schönen und Wohlhabenden aber auch nicht das Geringste zu tun. Ein heißer grauer Tag war das damals. So heiß wie ein Augusttag in der guten alten Zeit und so grau, wie die Tage auf der Zeche eben in Wirklichkeit waren. Ehrlich, ich glaube, einen Farbfilm hättest du da gar nicht drehen können.

    Und schon der Geruch.

    Eine Kokerei gab’s zwar nicht mehr in Bönen. Die war drei Jahre vorher abgerissen worden. Ich kann mich aber noch gut daran erinnern, wie es in Pelkum auf Heinrich Robert war, wo man manchmal vorbei kam. Das stank einfach unerträglich, geradezu ungesund – und das war es ja auch, wie wir heute wissen. Wahrscheinlich wussten das auch damals schon viele – sie haben’s uns nur nicht gesagt.

    Diese Taktik ist heute noch sehr beliebt in Politik und Wirtschaft. Aber wem erzähle ich das?

    Unglaublich, dass Menschen in der Nähe solcher Anlagen wohnen können. Konnten sie aber und wollten sie auch. Der Mensch gewöhnt sich eben an alles Mögliche. Und deshalb war ein Leben als Bergarbeiter etwas völlig Normales damals. Die Leute litten nicht mal besonders unter der schweren Arbeit unter Tage. Unter Staub und Hitze und Enge. Sie verglichen ihre Situation eher mit den Arbeits- und Lebensbedingungen von früher. Und so gesehen, ging es ihnen inzwischen ja richtig gut: Unter Tage war die tödlich krank machende Staubbelastung durch moderne Technik weitgehend bezwungen. Die Gefahr schwerer Unfälle war längst nicht mehr so groß wie einst – und es wurde inzwischen auch gutes Geld verdient im Bergbau. So viel, dass sich die Familien etwas leisten konnten. Und manchmal eben auch ganz besonders der Familienvater.

    Trotzdem: Gern bin ich da am Anfang bestimmt nicht hingefahren. Eigentlich hatte ich nämlich Tischler werden wollen. Oder noch besser: Fußballprofi. Aber die Lehrstelle auf der Zeche, die konntest du eben leichter kriegen. Übrigens: So schlimm war es dann auch gar nicht. Und so gesehen wär’ das heute auch nicht schlecht, wenn es solche Stellen wieder gäbe. Ist doch gar nicht so schrecklich, wenn du mal ein paar Schwielen kriegst und dich ein bisschen schmutzig machst bei der Arbeit.

    Ist ja nur äußerlich.

    Glaub mir, es gibt Schlimmeres!

    Ne solide Ausbildung, die ist was wert im Leben. Auch wenn du später was ganz Anderes machst, so wie ich.

    Aber ich wollte ja von Anfang an erzählen. Also pass auf:

    So ein ganz komisches Gefühl war das also, als ich an diesem Mittwochmorgen nach Bönen fuhr. Mit dem Zechen-Bus natürlich, ein Auto hatten wir gar nicht – und außerdem wäre mein Vater ja nie auf den Gedanken gekommen, mich zu kutschieren. Selbst wenn er Zeit gehabt hätte.

    Bergmechaniker, das sollte es werden für mich? Klar, klang ganz gut. Irgendwie nach mehr als einfach nur »Malocher«. Und es war auf jeden Fall besser als nichts. Aber richtig gut war’s eben auch nicht, fand ich. Um was Besseres zu kriegen, hätte ich mich wohl vorher mehr anstrengen müssen in der Schule. So musste ich mich jetzt erst mal am Schraubstock ins Zeug legen. Mit der Feile.

    Hört sich übrigens auch viel schlimmer an, als es wirklich war. Die Arbeit in der Ausbildungswerkstatt der Schachtanlage Königsborn III/ IV formte mich insgesamt sehr positiv, würde ich heute sogar sagen. Du bekommst ein Gefühl für das Metall, für gutes Werkzeug und vor allem für das eigene Durchhaltevermögen. Später bin ich dann natürlich auch unter Tage gewesen. 1100 Meter tief angefahren und in einem 1-Meter-Streb die Kohle gepannt. Platzangst durftest du da nicht haben. Und für Arbeitsscheue war das auch entschieden die falsche Umgebung.

    Ich bin eigentlich ganz gut klar gekommen – aber dann hatte ich eben doch wieder andere Sachen im Kopf: Fußball und vor allem Mädchen, denn ich schaute mir damals schon die schönen Frauen im Playboy an und war fasziniert davon.

    Mit 14!

    Ja, ich war wohl wirklich ein bisschen frühreif. So machte ich auch sehr früh Erfahrungen, die später meinen Weg und mein Denken bestimmen sollten.

    Mein Vater hatte dafür übrigens damals überhaupt kein Verständnis. Ich meine dafür, dass ich den Playboy spannender fand als meine wöchentlichen Ausbildungsberichte oder die Weisheiten aus der Berufsschule. Merkwürdig eigentlich, denn sein eigener Lebensweg ist doch auch wirklich ganz stark von den Frauen gelenkt worden. Von einer jedenfalls.

    Und deshalb sind wir dann alle staatenlos geworden: Meine Mutter, meine vier Geschwister und ich! Weißt du eigentlich, was das für ein Gefühl ist? Na, lange wusste ich das auch nicht. Erst als die mich plötzlich rausschmeißen wollten aus Deutschland. Nur weil mein Pass abgelaufen war. Denn den musste ich eigentlich alle zwei Jahre verlängern, obwohl ich hier geboren bin. Als ich das Melden mal versäumt hatte, drohte mir plötzlich die Ausweisung. Mir, einem Königsborner Jungen, hast du dafür Töne? Ich hatte jedenfalls welche: »Ja, wo wollt ihr mich denn eigentlich hin schicken?«, habe ich damals im Rathaus gefragt. Da wurde der Typ von der Meldebehörde schon etwas ruhiger. Das wäre nur ein Behördliches Formular, grummelte er.

    Ja, der guckte vielleicht kariert, als da einer vor seinem Schreibtisch nicht gleich so richtig kuschte, und der behördliche Ordnungseifer erlosch erst mal.

    Und doch kam keine wirkliche Freude auf bei mir: Ich wurde zwar mangels eines vernünftigen Reiseziels natürlich nicht abgeschoben, aber eine amtliche Heimat hatte ich ja wirklich nicht. Polen wäre vielleicht in Frage gekommen oder Frankreich, weil mein Vater daher kam. Aber ich konnte doch kein Wort Polnisch oder Französisch. Kann ich ja heute fast noch nicht, obwohl ich inzwischen einen polnischen Pass habe, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

    Mein Vater, Saboteur oder Befreier

    Also jetzt mal wirklich der Reihe nach: Ja, auf meinen Vater war ich sehr stolz. Bin ich stolz, müsste es besser heißen, denn der Respekt vor seiner Lebensleistung und seiner Persönlichkeit ist mit den Jahren immer größer geworden. Vater war erst französischer Soldat und später ein polnischer Unteroffizier. Und er war sogar bei der Befreiung von drei KZs beteiligt! Danach hat er für unser Wirtschaftswunder die Kohlen aus der Erde geholt und sich dabei diese tückische Bergmannskrankheit eingefangen, an der so viele elend sterben mussten. Ein aufrechter Mensch und ein echter Held des Alltags.

    Gerade deshalb versuche ich ihm ähnlich zu sein. Er hat nämlich immer den Menschen in allen gesehen,

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