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Aufruhr im Dorf
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eBook267 Seiten3 Stunden

Aufruhr im Dorf

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Über dieses E-Book

Seit Menschengedenken hat es im Dorf noch keinen Mord gegeben. Entsprechend groß ist die Aufregung, als eines Morgens der Feller-Michl erstochen aufgefunden wird. Gerüchte und Spekulationen werden schnell laut, und doch kommt die Polizei in ihren Ermittlungen nicht weiter. Aber einiges deutet darauf hin, dass sich das Opfer gegen das "Strahmachen", einen üblen Brauch in der Nacht vor einer Hochzeit, wehren wollte. Während Kommissar Rothberger und sein Assistent Wanninger noch im Dunkeln tappen, tritt die Pruggerin auf den Plan, eine resolute Bäuerin mit einer guten Portion gesunden Menschenverstandes und dem Herzen auf dem rechten Fleck. Ihr gelingt es, Beweisstück um Beweisstück zu sammeln, bis zum spannenden Finale.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Apr. 2017
ISBN9783475546723
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    Buchvorschau

    Aufruhr im Dorf - Paul Schallweg

    Finale.

    Als Pfarrer Georg Weingartner, der vom Schulunterricht kam, an seinem Gartenzaun entlangging, entschloß er sich, an einem der nächsten Tage das Unkraut in den Gemüsebeeten zu jäten. Eben hatte er in der ersten und zweiten Klasse den Sündenfall der Stammeltern durchgenommen, und bei der Erwähnung von Disteln und Dornen war ihm diese Notwendigkeit eingefallen. Wer jemals einen Garten gehabt und den Kampf gegen Hahnenfuß, Hederich, Lattich, Löwenzahn und wie sie alle heißen, geführt hat, der weiß, daß diese Unkräuter einen recht eindrucksvollen, Mühe und Schweiß kostenden Symbolwert für die seit Adam und Eva gestörte Ordnung der Welt besitzen. Während der sechs Wochen, die der geistliche Herr nun im Dorf amtierte, war beim besten Willen noch keine Zeit gewesen, den Spaten in die Hand zu nehmen. Die Marie, seine Haushälterin, aber schaffte es nicht mit dem Bücken. Sie war immerhin fast sechzig. Also blieb diese Arbeit an ihm hängen …

    Als Pfarrer Weingartner zur Haustür einbiegen wollte, sah er am Zaunpfosten einen Mann stehen, der freundlich seinen Hut zog. „Grüß Gott, Herr Pfarrer! Darf ich Sie einen Augenblick stören? Ich wollte nur eine Messe für den Vater bestellen, weil Jahrtag ist …"

    „Herr Prugger, grüß Gott! Aber natürlich! Kommen Sie nur herein!" Der geistliche Herr öffnete die Haustür, führte den Besucher in das Amtszimmer und bot ihm Platz an. Es war angenehm kühl im Raum, und der Prugger Franzl setzte sich gerne für die kurze Weile.

    Er war eine stattliche Erscheinung, der junge Herr vom Pruggerhof; groß, breitschultrig und mit guten, hellblauen Augen in einem etwas weichen, aber keinesfalls energielosen Gesicht. Sein Vater war vor fünf Jahren gestorben, und seitdem führte der Franzl als einziger Sohn den Hof. Ohne Frau, wohlgemerkt, denn zu einer solchen hatte er es noch nicht gebracht, zum großen Leidwesen seiner Mutter, die seit Wochen krank zu Bett lag.

    Die Formalität war schnell erledigt.

    „Wie gefällt es Ihnen denn bei uns, Herr Pfarrer? fragte der Franzl, während er sich erhob. „Sechs Wochen sind Sie nun schon da …

    „Ausgezeichnet, Herr Prugger! Die Gegend ist wunderschön. Schon als kleiner Bub bin ich mit meinen Eltern oft in die Hügellandschaft hinter Dachau gewandert und später dann als Student nach Altomünster oder zum Petersberg, nach Maria Birnbaum oder nach Scheyern. Ein gottgesegnetes Land … Und nun muß ich mich eben erst einleben. Ich war bisher in der Stadt, aber ich bin gern hierhergekommen. Wissen Sie, Herr Prugger, das Leben auf dem Dorf ist eben doch viel ursprünglicher, enger, persönlicher. In der Stadt sind sich die Menschen fremd, einer läuft am andern vorbei. Hier aber kennt und grüßt man sich. Man weiß voneinander, und das ist schön. Ich bin gern hier …"

    „Dann ist’s schon recht", erwiderte der Franzl bedächtig, als teile er die Begeisterung des Pfarrers nicht ganz. Sie hatten die Amtsstube verlassen, der geistliche Herr begleitete den jungen Prugger auf die Straße.

    „Nicht alle denken so, Herr Pfarrer. Viele vom Land bilden sich ein, in der Stadt sei es schöner. Aber es hat eben alles seine zwei Seiten. Gewiß ist es gut, wenn einer den andern kennt, und sicher halten die Landleut’ auch deswegen besser zusammen. Aber wenn da und dort mal einer ist, der einem gar nicht zur Nase steht, bei dem einem Gift und Galle überläuft, wenn man ihn nur des Wegs kommen sieht und der einem nichts wie Ärger und Streiterei an den Hals hängt, dann wird die Enge des Dorfes auch mal ungemütlich."

    „Mag sein", erwiderte der geistliche Herr etwas zerstreut. Aus der offenen Stalltür des Pfungbauern flog eine Schwalbe in kühnem Bogen zur halben Höhe des Kirchturms, setzte zum Sturzflug an, landete vor den beiden Männern fast am Boden und wagte eine Spitzkehre, um über das Spritzenhaus hinwegzusegeln. Sie nahm die Aufmerksamkeit des Pfarrers in Anspruch, so daß er Franzls bedächtige Äußerung nicht sehr genau beachtete und dann sogar unvermittelt das Thema wechselte:

    „Da fällt mir gerade etwas ein, Herr Prugger. Eine Frage, die Sie mir sicher beantworten können … Ich habe gestern einer kurzen Unterhaltung beim Betzenbauern zugehört, und dabei hat man im Zusammenhang mit der morgigen Hochzeit vom Biederstaller über das Strahmachen gesprochen. Habe ich da recht verstanden, heißt es Strahmachen?"

    „Strahmachen, ja, gewiß, da haben Sie schon richtig verstanden, Herr Pfarrer", bestätigte der junge Prugger und lächelte.

    „Sie machen ein genauso verschmitztes Gesicht wie die Leute gestern beim Betzenbauern! Was ist denn das für eine geheimnisvolle Sache? Ein lustiger Brauch wohl? Ich würde es gerne wissen …"

    Franzl lehnte sich an den Pfosten der Gartentür und hakte die Daumen an den Aufschlägen seiner Lodenjoppe ein. „Was Strahmachen ist, wollen Sie wissen, Herr Pfarrer? – Das kann ich Ihnen schon sagen. Es handelt sich da um einen alten Brauch, der bei uns und auch drüben im Schwäbischen geübt wird, vielleicht auch noch anderswo. Und zwar geht das so: da ist doch morgen zum Beispiel die Hochzeit vom Biederstaller. Der Matheis heiratet die Afra vom Hierl. Nun nehmen wir an, irgend jemand vom Dorf wüßte, oder würde es wenigstens behaupten, daß auch noch ein anderer Bursch die Afra gerne gehabt hätte. Sehen Sie, und da kann es vorkommen, daß dieser irgendjemand bei dem abgewiesenen Freier Strah macht. Was Strah ist, werden Sie wissen, Herr Pfarrer?"

    Der geistliche Herr schüttelte den Kopf.

    „Strah, das ist Streu", erklärte der Franzl.

    „Aha …"

    „Nun nehmen wir an, der andere Bursch, der die Afra ebenfalls gerne zur Frau gehabt hätte, wäre ich, Herr Pfarrer, verstehen Sie? Wie gesagt, nur angenommen."

    Pfarrer Weingartner nickte lächelnd.

    „Nun geht der Bursch, der das weiß, in der Nacht vor der Hochzeit her und zieht von meiner Haustür mit Streu einen breiten und gut sichtbaren Strich, etwa zwanzig bis vierzig Meter lang, der ganz eindeutig zum Haus der Braut hinweist. Natürlich muß er das heimlich machen. Wenn nun am andern Tag, am Hochzeitstag nämlich, die Leute am frühen Morgen diesen Strich sehen, dann gibt das eine Mordsgaudi, und alle sagen: ,Ah, da schaut her, der Prugger Franzl hätt’ auch gern die Afra woll'n!‘ Oder wenn gar der Hochzeitszug vorbeigeht …"

    „Donnerwetter! Der geistliche Herr mußte herzlich lachen. „Das ist dann doch recht peinlich für den Betroffenen, wie?

    „Das kann man sich ausmalen, Herr Pfarrer. Übrigens: heut’ nehmen die Burschen längst nicht mehr Streu, denn die läßt sich mit dem Besen schnell entfernen. Sie verwenden Kalk …"

    „Kalk?"

    „Jawohl, Kalk. Jetzt ging über das Gesicht des Prugger Franzl ein breites Grinsen, das durchaus ahnen ließ, daß er auch schon mal des Nachts ausgezogen war, um einem durchgefallenen Freier diesen Streich zu spielen. „Wissen Sie, Herr Pfarrer, so ein dick mit Kalk hingeschmierter Strich läßt sich nicht so leicht wegkratzen. Da braucht’s dann schon einen starken Humor, wenn man sich darüber nicht ärgern will.

    „Man wird es gewiß nur bei solchen machen, von denen man weiß, daß sie einen Spaß verstehen, wie?" Der geistliche Herr blinzelte etwas nervös, als habe er Schwierigkeiten, diese rauhe Sitte mit seiner Vorstellung von christlicher Nächstenliebe und Anständigkeit in Einklang zu bringen.

    „Aber natürlich!" erwiderte der Prugger Franzl und lachte dabei so hintergründig-polternd, als habe man es überhaupt nur auf die andern abgesehen, auf die Gifthaferin, die gleich überkochen.

    „Übrigens, Herr Pfarrer, so ganz einseitig ist die Geschichte auch wieder nicht, fuhr der Franzl fort. „Wenn so ein Bursch gelegentlich einer bevorstehenden Hochzeit damit rechnen muß, daß ihm jemand Strah macht, dann paßt er natürlich in der Nacht auf wie ein Luchs, hinter dem Stubenfenster, oder hinter der Stadeltür … Und wehe, wenn er einen erwischt, der da mit einem Kübel angeschlichen kommt, den verdrischt er und jagt ihn fort. In diesem Fall ist es dann für den andern peinlich.

    Der geistliche Herr lächelte schon wieder. „Wird nun sehr oft Strah gemacht im Dorf?"

    „Nein, das nicht, nur gelegentlich. Die meisten Kandidaten passen gut auf. Dem Tremmer Wigg hat einmal einer Strah machen woll’n. Der Wigg hat aber schon d’rauf gewartet. Wie der Betreffende gekommen ist, hat sich der Wigg von hinten angeschlichen, hat ihm den Kalkkübel aus der Hand gerissen und über den Kopf gestülpt, hat ihn in das gesondert stehende Klohäusl hineingeworfen, die Tür zugeschlagen und das bereitgelegte Schnappschloß drangehängt. Seitdem haben es nur noch ganz wenige versucht und wenn, dann war man meistens zu zweit oder zu dritt … Aber eigentlich ist’s schad, denn man soll die guten alten Bräuche nicht aussterben lassen, Herr Pfarrer, meinen Sie nicht auch?" Der Franzl lachte wieder so zweideutig, und der geistliche Herr blinzelte abermals leicht verwirrt.

    Da schlug es zwölf Uhr vom Kirchturm, und gleich darauf setzte das Läuten ein. Die Marie öffnete einen Fensterflügel; man sah ihrem Gesicht an, daß das Essen fertig war.

    „So, Herr Pfarrer, jetzt wissen Sie, was man unter Strahmachen versteht. Übrigens, ich sag’s noch mal: das mit mir und der Afra war nur ein Vergleich. Nicht daß Sie meinen, Herr Pfarrer, ich hätte ein Aug’ auf die Hierltochter gehabt."

    Der Franzl meinte, damit sei das Gespräch beendet und der geistliche Herr würde nun an den Mittagstisch eilen. Doch der zögerte noch.

    „Wer ist denn Ihre Zukünftige, Herr Prugger? Ist darüber schon was bekannt?"

    Recht g’rad’raus fragte der Herr Pfarrer … Der Franzl zeigte sich beinahe verlegen. „Das hat noch Zeit, Herr Pfarrer …"

    „So!" erwiderte der geistliche Herr und nickte bedenklich mit dem Kopf. Er war offensichtlich anderer Meinung.

    „Mein Vater hat auch erst sehr spät geheiratet", untermauerte der Franzl seinen Standpunkt.

    „Herr Pfarrer, das Essen steht auf dem Tisch", meldete die Marie mit sanfter Stimme vom Küchenfenster her.

    Der Gerufene nickte gelassen und reichte dem Prugger die Hand. „An einem der nächsten Tage schaue ich ohnehin bei Ihnen vorbei, Ihre kranke Mutter zu besuchen. Bestellen Sie ihr bitte einen schönen Gruß, es sei mir bisher noch nicht möglich gewesen … Und auf Wiedersehn bis dahin!"

    „Ich werd’s ausrichten, Herr Pfarrer, und weiterhin guten Einstand!"

    Der geistliche Herr wandte sich der Haustür zu und sog mit Genuß den Duft von Sauerkraut und Geräuchertem ein, der aus dem Fenster drang.

    Drinnen wartete die Marie schon mit gezücktem Schöpflöffel. Als der Pfarrer sein Tischgebet gesprochen hatte und sie die Nudelsuppe auftrug, holte sie tief Atem: „Wissen S’, Herr Pfarrer, ich bin überhaupt gegen dieses Strahmachen, denn meistens springt nichts Gescheites dabei heraus …"

    „Wie kommen Sie denn jetzt da drauf?"

    „Ich hab’ durch’s Fenster gehört, wie Sie mit dem Prugger darüber gesprochen haben. Die Marie sagte das völlig ohne Zerknirschung, als sei es ihr gutes Recht, am Fenster zu horchen. „Morgen ist die Hochzeit vom Biederstaller Matheis mit der Hierl Afra. Wissen S’, Herr Pfarrer, das ist auch wieder so ein Fall …

    „Wieso auch wieder so ein Fall?"

    „Na ja, weil’s einen gibt, der die Afra auch gern mögen hätt’. Aber das ist keine Sach’, über die man seinen Spott treiben soll, bei Gott nicht. Der Feller Michl nämlich, der ist mit der Hierl Afra gegangen, ein halbes Jahr lang. Verlobt waren sie sogar schon. Und wissen Sie, warum ihn die Afra auf einmal hat stehnlassen?"

    „Warum?" Der geistliche Herr blies über die Suppe, sie war noch entschieden zu heiß.

    „Weil es dem Feller Michl das halbe Kinn weggerissen hat bei der Explosion einer Sauerstoffflasche, und da war er ihr nicht mehr schön genug. Als ob das bei einem Mannsbild so viel ausmachen würde, ob er ein Kinn hat oder nicht. Aber natürlich: der Biederstaller Matheis ist ohnehin eine bessere Partie …"

    „Sie glauben doch nicht im Ernst, daß nun jemand beim Feller heut’ nacht Strah machen wird?"

    „Möglich ist alles, Herr Pfarrer. Sie glauben ja nicht, was es für böse Leut’ gibt. Und weil der Feller immer schon ein Zorngickl war, der keinen Spaß verstanden hat, tun sie es vielleicht erst recht."

    „Der Prugger, zum Beispiel, bestimmt nicht, dem trau’ ich das nicht zu."

    Die Marie nahm diese Feststellung mit einem mißtrauischen Achselzucken hin und ging in die Küche hinüber.

    Der Prugger Franzl, der Benzecker Gustl, der Gollinger Hans und der Hierstetter Luk trafen sich am Freitag jeder Woche beim Schnaderbeck zum Schafkopfen. Fehlte mal einer von den vieren, so war man um Ersatz nicht verlegen, es fand sich immer ein Interessent. An diesem Abend war der Luk nicht gekommen. „He, wir brauchen einen Vierten!" rief daher der Hans in die Ecke, wo ein paar Burschen beisammensaßen.

    Der sich sofort erhob und an den Tisch kam, war der Krbazek, ein untersetzt gebauter Mann, blond, mit einem etwas verschwommenen Blick und einem Pferdegebiß. Er war nach dem Krieg irgendwoher aus dem Osten gekommen. „Ich spiel’ mit, sagte er, „aber ihr müßt mir erst sagen, wie’s geht. Ich kann bloß Moriatschn. Unter Moriatschn verstand der Ferry Krbazek Sechsundsechzig.

    „Dann brauchst du dich gar nicht erst herzusetzen, meinte der Benzecker. „Glaubst du, Schafkopfen kann man einfach so schnell lernen? Eine Wissenschaft ist das, in die man nur langsam eindringt …

    Der Krbazek mahlte mit seinem Pferdegebiß, und man wußte nicht recht, nahm er es krumm oder nicht. Er blinzelte und verzog sich wortlos wieder in die Ecke, aus der sich inzwischen der Feller Michl erhoben hatte.

    Der Feller Michl war zwar ein guter Schafkopfer, doch spielte niemand gern mit ihm, denn er vertrug keinen Spaß, galt als rechthaberisch und streitsüchtig. Doch nachdem er sich nun einfach hinsetzte, wagte ihn keiner abzuweisen.

    Am wenigsten Lust, mit dem Feller zu spielen, hatte der Prugger Franzl. Er sagte daher: „Eigentlich müssen wir gar nicht unbedingt schafkopfen. Ich wollte ohnehin bald nach Hause." Er hätte sich denken können, daß der Michl diese Bemerkung in den falschen Hals bekam.

    „Warum? – Spielst du mit mir nicht gern?" fragte dieser auch sofort in leicht gereiztem Ton.

    „Wieso soll ich mit dir nicht gern spielen? erwiderte der Franzl. „Meinetwegen also, fangen wir an …

    Und so begannen sie. Eineinhalb Stunden lang ging es gut. Der Michl gewann und benahm sich durchaus verträglich. Dann aber verlor er mit einemmal. Er spielte ein gewagtes Solo ohne Vier, erhielt Contra und mußte zahlen. Von da ab ging ihm buchstäblich alles schief.

    Der Franzl behielt ihn im Auge. Er wußte, wenn jetzt ein kleiner Streitfall auftreten würde, dann war der Teufel los. Als der Michl wieder ein Solo spielte und er ihm seiner Karte nach ein Contra hätte geben müssen, ließ er es absichtlich sein, um den andern nicht noch mehr zu reizen. Der Michl wurde Schneider.

    „Eine Runde noch, dann höre ich auf, ich will nach Hause", erklärte der Franzl.

    Der Michl machte ein mürrisches Gesicht. „Jetzt, weil du gewinnst und ich als einziger verliere!"

    „Ich will auch Schluß machen", sagte der Benzecker. Der Gollinger sah auf die Uhr und bemerkte, er sei schon sehr müde und müsse am andern Tag früh heraus. Er gähnte so geschickt, daß man es ihm glauben mußte.

    So machte man noch vier Spiele und stand dann auf.

    „He, seid ihr jetzt fertig? schrie da der Schlaitzmiller Sepp aus der Ecke, wo die andern Burschen, darunter auch der Krbazek, beisammensaßen und sich ziemlich laut über alles mögliche unterhielten. „Setzt euch zu uns! Ihr werdet doch nicht schon nach Hause gehen wollen!

    Wieder blickte der Gollinger auf die Uhr, aber diesmal sagte er nichts von früh aufstehen und gähnte auch nicht. Die in der Ecke rückten zwei Tische zusammen. Der Prugger Franzl setzte sich als erster dazu, und die andern folgten.

    „Ich hab’ mir gedacht, dir pressiert’s nach Hause?" fragte ihn der Feller mit einem ekelhaften Gesicht.

    Der Franzl sah ihn an, erst verdutzt und dann abweisend. „Willst du mir vorschreiben, wann ich heimgehen soll?"

    Der Michl erwiderte nichts darauf und bestellte ein Zwetschgenwasser, das er in einem einzigen Zug hinunterstürzte. Die Vroni mußte gleich ein zweites bringen.

    Man redete über Fußball, schimpfte darüber, daß die Mannschaft des Dorfes immer noch in der C-Klasse und selbst da noch an der allerletzten Stelle rangierte – der Krbazek im Tor sei der einzige Lichtblick –, unterhielt sich über neue Automodelle, streifte kurz die Politik, und als der Feller sein drittes Zwetschgenwasser hinuntergegossen hatte, kam man auf die am andern Tag stattfindende Hochzeit vom Biederstaller Matheis mit der Hierl Afra zu sprechen.

    Der Franzl nahm wenig an der Unterhaltung teil, weil ihm die ungute Art vom Feller einfach die Stimmung verdorben hatte. Wäre dieser nicht mit am Tisch gesessen, hätte er’s vielleicht eher vergessen können. Als der Gollinger der Vroni zurief, er wolle zahlen – er gähnte nun echt –, nahm daher der Franzl die Gelegenheit wahr, ebenfalls seine Schuld zu begleichen. Es ging immerhin schon auf halb zwölf zu.

    „He, Franzl, wo hinaus denn, so früh am Abend? schrie da der Schlaitzmiller Sepp, der schon einen Leichten sitzen hatte. „Bleib doch noch da, jetzt wird’s erst zünftig … Du bist doch nicht verheirat’! Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Bierglas und stellte es krachend auf den Tisch zurück.

    „Ah, jetzt weiß ich’s, du willst Strahmachen heut’ nacht und dich vorher noch ein paar Stunden hinlegen! Laß dich nur nicht erwischen …"

    „Ah, Strahmachen! Eine schöne Sache, eine prima Sache!" stimmte der Krbazek bei und kicherte aufreizend, als habe er ganz bestimmte Vorstellungen.

    Der Franzl war im Augenblick etwas verlegen. Er wollte sich jedoch seine Mißstimmung nicht anmerken lassen und sagte lachend: „Strahmachen, bei wem denn?" Dabei zog er seinen Geldbeutel und gab der Vroni einen Zehnmarkschein. Dadurch abgelenkt geschah es mehr mechanisch, daß er seinen Blick rundumgehen ließ … Strahmachen, bei wem denn? … Da saß der Tremmer Wigg, der Lindner Beni, der Benzecker Gustl, der Betzenbichler Max und neben diesem, die Ellbogen auf die Tischplatte gestemmt und die Fäuste an die Schläfen gepreßt, mit einem roten Kopf von dem fünfzigprozentigen Zwetschgenwasser und ihn mit finsteren Blicken messend: der Feller Michl. An ihm blieb der Blick vom Prugger Franzl hängen, als überlege er, ob der Michl etwas mit der Biederstaller-Hochzeit zu tun habe und ob er einer wäre, bei dem man Strah machen könnte. Doch da gab es nichts zu überlegen. Der Fall war sonnenklar. Jeder, der am Tisch saß, kannte die Geschichte, die sich zwischen dem Michl und der Hierl Afra zugetragen hatte, wie die Afra den Michl hatte sitzen lassen wegen seines verunstalteten Gesichts und wie dies für den Michl eine Enttäuschung gewesen war, die heute noch wie Gift in seinem Herzen fraß.

    Als die Burschen in der Runde bemerkten, daß der Franzl sekundenlang den Michl ansah, fingen sie zu grinsen an, und der Schlaitzmiller Sepp rief: „Mit Weißolin geht’s am besten, Franzl, das trocknet sofort, und man braucht Wochen, bis man alle Spuren entfernt hat!"

    Weißolin war ein neues, kalkartiges, jedoch wasserfestes Anstreichmittel …

    Ein Gejohle setzte ein. Alle befanden sich in angeheiterter Stimmung, niemand dachte an die Tragik dieser Geschichte, keiner fühlte die Taktlosigkeit … alle schrien sie durcheinander, nur der Franzl blieb ernst. Er nahm das Geld, das ihm die Vroni herausgab, und wollte aufstehen. In diesem Augenblick aber geschah es. Kaum war der Zwischenruf des Schlaitzmiller Sepp verklungen und setzte das Gejohle ein, faßte der Michl den vor ihm stehenden Bierkrug und warf ihn auch schon. Neben dem Michl saß der Betzenbichler. Der hatte blitzschnell vorausgeahnt, was da passieren würde. Wenn er dem Michl nicht gerade noch rechtzeitig in den Arm gefallen wäre, hätte der Bierkrug den Franzl wohl sicher am Kopf getroffen. So aber konnte sich der Prugger gerade noch rechtzeitig bücken, so daß der Krug auf die Glasvitrine der Musikbox flog und sie mit Krach in tausend Scherben zertrümmerte.

    Sekundenlang war es still, alle starrten auf das Werk der Zerstörung. Der Franzl stand mit zornrotem Gesicht hinter seinem Stuhl, dessen Lehne er mit seinen Fäusten hielt, um sich wehren zu können, wenn es dem Feller einfallen sollte, einen zweiten Angriff zu unternehmen. „Zorngickl, mistiger! Hab’ ich dir was getan? Den Stuhl hau ich dir ’nauf, wenn du hergehst! Kein Mensch hat dir was woll’n … Aber g’rad’ jetzt sollt’ man bei dir Strahmachen, damit du endlich lernst, was ein Spaß ist! Bleib daheim, wenn du nicht weißt, wie man sich aufführt in der Wirtschaft!"

    Da sprang der Michl auf und wollte sich auf den Franzl stürzen. Doch der Gollinger Hans und

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