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Fride sei mit euch: Komischer Krimi mit viel Schwäbisch
Fride sei mit euch: Komischer Krimi mit viel Schwäbisch
Fride sei mit euch: Komischer Krimi mit viel Schwäbisch
eBook272 Seiten3 Stunden

Fride sei mit euch: Komischer Krimi mit viel Schwäbisch

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Über dieses E-Book

Es geschah in Birningen, einer typisch schwäbischen Kleinstadt. Ausgerechnet in ihrer neuen Kirchengemeinde in Birningen läuft der lebenslustigen Vikarin Fride ihre große Studentenliebe Jo über den Weg, der inzwischen ebenfalls im geistlichen Beruf unterwegs ist – allerdings als katholischer Vikar. Die beiden beginnen eine heimliche Affäre und alles könnte so schön gefährlich-romantisch sein. Doch nicht in Birningen. Gerade im Dienst, bemerkt Fride Anzeichen für ein schlimmes Verbrechen und schöpft Verdacht gegen den Bauern Wilhelm Gudbrod. Kaum ist dieser ausgesprochen, befindet sie sich mitten in einem Netz aus Misstrauen, sonderbaren Seilschaften und zwielichtigen Typen dieses nur scheinbar beschaulichen Städtchens. Als wäre das alles nicht schlimm genug, gibt es auch noch eine Leiche. Nachdem Fride bereits seit jeher unter den Teppich gekehrten Geheimnissen, geschmierten Polizisten und einem Frauenhändler auf die Schliche gekommen ist, ist an ein Wegducken nicht mehr zu denken.
„Fride sei mit euch“, kann man denen nur wünschen, die in solch ein schwäbisches Haifischbecken geraten.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. Juni 2018
ISBN9783954286744
Fride sei mit euch: Komischer Krimi mit viel Schwäbisch

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    Buchvorschau

    Fride sei mit euch - Katharina Kaden

    Kolja

    Januar 2017

    0

    Ein Stöhnen an der Friedhofsmauer macht sie misstrauisch. Langsam nähert sich die Mesnerin dem frisch ausgehobenen Grabloch, der ersten muslimischen Ruhestätte Birningens. Entsetzt fährt sie zurück. »Helmut, was machsch abr au du do?«, stammelt sie. Mit blutüberströmten Gesicht liegt der alte Bauer in der Erde. Die gefüllte Gießkanne rutscht Ariadne Klopfer aus der Hand und knallt auf den harten Pflastersteinweg im Friedhof. Ächzend erhebt sich der Hüne aus dem Grab.

    »Ariadne, mei gliebta Ariadne«, er wankt ihr entgegen, »wär no vor fuffzig Johr älles anders komma, no miaßt i jetzt et um mei Leba banga ...«

    1

    »Gott erhebe das Angesicht auf euch und schenke euch Frieden.« Die Vikarin wischt sich mit dem Ärmel ihres schwarzen Talars die Schweißtropfen von der Stirn. Ihr Blick bleibt an dem alle überragenden Johann Pilgrat hängen. Der katholische Pfarrvikar sitzt als Ehrengast in der ersten Reihe. Jetzt erhebt sich ihr Ausbildungspfarrer Thomas Hörtherr und stellt sich neben sie vor den Altar. Fride Klotz kann mit ihren über 180 Zentimetern von oben auf den Goldrand seiner Brille sehen.

    »Sie sind alle eingeladen im Anschluss an den Gottesdienst zum Ständerling«, ruft der Pfarrer in das kleine Schiff der evangelischen Kirche in Birningen. »Nutzen Sie die Gelegenheit, mit unserer neuen Vikarin ins Gespräch zu kommen.«

    Die gefüllten Sektgläser sind schnell vergriffen. Gemeindemitglieder, Gäste und Neugierige schütteln Fride Klotz die Hand. Ihr gelingt es nicht, zum Buffet zu kommen. Sie schafft es knapp in die Sakristei, um den Talar aus- und ihre taillierte Anzugjacke anzuziehen. Die Grußworte beginnen. Alle setzen sich wieder hin.

    »Wir freuen uns, dass die Crew an Bord der Magdalenenkirche wieder vollständig ist und unser Pfarrer Thomas Hörtherr eine Hilfe an seiner Seite hat.« Bürgermeister Hugo Moos fährt sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Ihm wird beim Sprechen in der Öffentlichkeit immer gleich warm. Hilfesuchend blickt er zu den alten Buntglasfenstern. Doch die lassen sich in der alten romanischen Kirche nicht öffnen.

    Hilfe? So wurde doch auch die Rippe früher im Alten Testament übersetzt. Als ob sie die Rippe vom Hörtherr wäre und nicht Ausbildungsvikarin! Fride schüttelt sich unwillkürlich.

    Neben ihr sitzt Johann Pilgrat und flüstert: »Herzlich willkommen, Fride! Entschuldige, jetzt Frau Vikarin. Wir wissen doch schon längst, dass eine evangelische Vikarin etwas ganz anderes ist als ein katholischer Vikar.«

    Fride dreht ihm ihren Kopf zu. Er sieht aus seinen dunkelbraunen Augen zu ihr herunter. Meine Güte, ist das herrlich, wieder bei Jo zu sein. Das hat sie gut gemacht. Die Vikarin lobt sich in Gedanken selbst, zieht die Augenbrauen hoch und wirft einen genauso strahlenden Blick aus ihren grünen Augen zurück. Als gebürtige Cannstatterin ist sie seit frühester Kindheit des schwäbischen Dialekts mächtig. Immer wenn bei ihr Gefühle ins Spiel kommen, kann sie nur noch schwäbisch denken. Und reden. Das ist ein Problem. Insbesondere bei offiziellen Anlässen.

    Huiuiui, es hot mi immer no total verwischt, des derf et wohr sei. Die Vikarin verbietet sich, weiter über Johann Pilgrat nachzudenken. Stattdessen zieht sie ihre Anzugjacke fester und schlägt die langen Beine übereinander. Dabei stößt sie in der engen Kirchenbank ihr Knie an. Leise stöhnt sie auf. Der Schuldekan setzt am Rednerpult an.

    Da dröhnt der Posaunenchor los. »Lobet den Herren.«

    »Zu früh«, zischt es hinter Fride, »heut goht abr au älles schief.«

    Isch des schee, dieses Schwäbisch zom Höra. ’s isch nadirlich älblerischer als des Cannstatter. Aber des ko i au. Sie wendet den Kopf und sieht aus dem Augenwinkel einen grauhaarigen Mann, der sie von hinten links ins Visier nimmt.

    »Psalter und Harfen wacht auf, lasset den Lobgesang hören«, singt die Gemeinde weiter.

    »Wer auch immer hinter uns sitzt ...« Fride beugt sich zu ihrem Ausbildungspfarrer. »Er spricht ein ungemein breites Schwäbisch.«

    Thomas Hörtherr lacht und antwortet leise: »Das tun hier älle. Der Herr heißt Gutbrod. Wilhelm Gutbrod. Er ist Kirchengemeinderat.«

    Vorn weist der Schuldekan auf die Notwendigkeit für Geistliche hin, dem Evangelium treu zu bleiben. »Es kommen große religionspädagogische und missionarische Aufgaben auf den Vikar zu.«

    »Welchen Vikar?«, meldet sich neben ihr wieder Johann Pilgrat. »Mit Verlaub, Vikarin muss es heißen.« Fride freut sich. Er hat vollkommen recht, schmilzt sie dahin. Johann trifft bei ihr immer den richtigen Nerv. Sie darf sich nur nicht anmerken lassen, wie gut sie diese männliche Schönheit bereits kennt. Alles streng geheim. Jetzt ist er nicht mehr im Studium, sondern ihr offizieller katholischer Kollege. Herrlich! Sie jubiliert innerlich in Vorfreude auf die künftigen Begegnungen mit ihm, während der Schuldekan sein Geschenk, eine Gospel-CD, aus der Jackentasche seines Jacketts nestelt. Die steckt so fest, dass Ariadne Klopfer, die Mesnerin, eine Schere holt und die Innentasche seiner Anzugjacke aufschneidet.

    Johann Pilgrat kann sich ein Lachen kaum verkneifen. Er zwinkert Fride zu, schüttelt seine braune Lockenmähne, greift zu einem Taschentuch, biegt sich nach vorne und hinten, bis es aus ihm herausplatzt und er mit seinem lauten Lachen zuerst Fride und dann die ganze Festgesellschaft ansteckt.

    Ariadne Klopfer und der Schuldekan stehen betreten vorne. Der katholische Vikar springt auf, stellt sich im Altarraum hinter die beiden und legt seine Arme über ihre Schultern. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich so lachen musste. Das sah so nett und rührend aus, wie Sie sich um die CD bemüht haben. Da konnte ich nicht anders.« Er drückt beide fest an sich. Alle klatschen. Fride sieht ihn bewundernd an. Jo ist immer noch supercool, er sieht noch besser aus als vor fünf Jahren. Ob er sie auch noch ...?

    2

    Mustafa Türkmen schuftet sonntagmorgens auf dem Friedhof. Hinter der grauen Steinmauer geht seine Schaufel hinauf und hinunter. Es gibt nicht viele seinesgleichen in dem kleinen Städtchen auf der Schwäbischen Alb. Aber man kennt sich. Fünf Familien aus der Türkei wohnen seit beinahe vierzig Jahren in dem Dreitausend-Seelen-Ort, was, wie er weiß, aus der Sicht der Ur-Birninger Dynastien nicht sonderlich lang ist. Doch eine jede der Familien hat große Verwandtschaft im Stuttgarter Großraum, die morgen komplett zur Bestattung des Großonkels nach Birningen kommen will. Der mittlerweile ergraute Türke hat es sich nicht nehmen lassen, auf dem ganz neuen muslimischen Gräberfeld an der östlichen Innenmauer des Birninger Friedhofs das erste Grabloch des Ortes für einen Muslim zu schaufeln.

    Spatenstich für Spatenstich hebt er die Erde aus und bemerkt Ariadne Klopfer erst, als sich die Kappen von deren grünen Gummistiefeln über den Grabrand schieben.

    »Herr Muschdafa, Sie dirfat des, was Sie da machet, i woiß, sogar heut am friha Sonndig morgnens«, beginnt die Mesnerin der Kirche möglichst freundlich. »Ond Sie schaffat au schee leise, dange schee, wo doch heut dui neu Vikarin eigfiahrt wora isch. Abr hot Ihne nermet von denne Sempel uff’m Rodhaus g’sait, dass mir die Gräber et quer zur Mauer hent, sondern so ...« Sie beschreibt mit ihren breiten, abgeschafften Händen ein hochkant stehendes Rechteck.

    »Onkel soll mit Gesicht nach Mekka zur Kaaba schauen«, rechtfertigt Mustafa Türkmen die Ausrichtung des Erdlochs.

    »Des sieht halt oifach a bisle schäps aus.« Ariadne Klopfer lässt sich nicht beirren. »I han des jetzt grad so kurz vorm Goddesdienscht gsea.«

    Der Türke steigt aus dem Gab und besichtigt sein Werk von der nächstgelegenen Grabreihe aus.

    »Auf deutsche Friedhöf alles Reih und Glied?« Er zwinkert der Mesnerin zu.

    Die ist für den Spaß nicht zu haben. »Hano, es sott scho ordentlich zuganga, gell.« Sie zögert. »Abr des hot wahrscheinlich sei Ordnung, des mit dem G’sicht ond dem Kaba. I moin, dass dr Hugo da ebbes gsait hot.« »Bürgermeister hat Ja gesagt. Wie in Türkei so auch in Birninga.«

    Ariadne Klopfer greift unwillkürlich zum Halsknoten ihres Kopftuchs. »Des ko’s fei au et sei. Abr lasset mir des. I will koin Händel, mit nirmerd et. Grabet Se hald weider. Wann kommt Ihr Ongel morga?«

    »Isch vor fünf Stunda geschtorben. Dann morgen fruh. Musst du wissen, Muslime müssen spätestens 24 Stunde nach Tod ...«

    »In jongfräulicher Erde liega, i woiß, dange für dui präzise Angabe.« Die Mesnerin lächelt säuerlich. Sie wendet sich ab. »I komm na morga in äller Herrgottsfrüh ond guck noch ’m Rechta. Na denn hallelujah. So längs an der Mauer isch dr Schorsch au et glega, der do vorher beärdigt war.« Sie murmelt auf dem Rückweg in die Kirche in ihren Halsknoten. »Abr mim Kopf lag der scho do. Jongfräulich hot der seiner Lebdäg nex ond nermerd hinderlassa.«

    3

    »Meine Mutter hat sonntags morgens immer gekocht«, erzählt die Vikarin ihrem Ausbildungspfarrer. Eine elegante graue Sitzecke steht in dessen Amtszimmer, die sie an ihr elterliches Wohnzimmer erinnert. »Deshalb hat sie meine Geschwister und mich in die Kinderkirche geschickt. Ich war sechs Jahre alt. Wissen Sie, Herr Hörtherr, was mir dort zuerst begegnet ist?«

    »Nein.« Der erfahrene Pfarrer sieht sie freundlich-väterlich an. Schön für ihn, endlich wieder einen Vikar, ähem, eine Vikarin zu haben. Geschickt, so kurz vor seinem Ruhestand und angesichts seines zusätzlichen, zugegebenermaßen sich selbst verordneten Auftrags, philosophisch-theologische Aufsätze zu schreiben. Doch so schnell würde die Vikarin ihn nicht entlasten können. Da müsste sie noch etliches lernen.

    »Da war das faszinierende schwäbische Wort gell!«, erinnert Fride sich. »Tante Klara, die Kinderkirchhelferin – so nannten wir sie alle, sogar der weißhaarige Pfarrer, der nicht viel jünger war als sie – Tante Klara also mit dem kleinen, festgeschnürten Haarknoten knapp über dem Nacken beendete jeden ihrer Sätze mit gell. Sogar bei biblischen Geschichten. Originalton: Dr Bartimäus, des muaß mr wissa, dr war blind, gell. Da saß’r vor dene Stadttor von Jericho und neamed hat sich fir den interessiart, gell. Obwohl dr Bartimäus eine Binde um den Kopf traga hot, gell. Da hot eigentlich jeder sea kenna, dass des a Blindar isch, gell. Viel gsait hat der au net, gell. Die Tage waret lang ond hoiß, dort vor Jericho, gell. Aber er konnt ganz guat heara, dr Bartimäus, gell. Ond so hat er eines Tages gheert, dass dr Jesus ganz bei ihm in der Nähä vorbeikomma dät, gell. Des hent a paar duschelt, die bei em vorbeikomma send, gell. O Tante Klara. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich angefangen habe, über ein Wort nachzudenken.«

    Thomas Hörtherr hört ihr interessiert zu. »Sie können aber gut Schwäbisch schwätza«, stellt er amüsiert fest.

    »Ich hoffe, Sie sehen mir das nach, denn der schwäbische Dialekt hat mich tief geprägt. Ich kann kaum anders sprechen, wenn mich etwas tiefer berührt.« Die Vikarin erzählt weiter: »Zusammen mit acht oder zehn anderen Kleinen saß ich auf der Empore. Knapp unter der Decke in der Dorfkirche. Die Bank war bockelhart. Tante Klara stand vor uns, mit dem Rücken zur Brüstung, immer knapp vorm Absturz ins Kirchenschiff. Jedes Jahr dieselben Geschichten. Es war ein Riesenspaß, die Gells zu zählen. Dazu hent wir uns emmer wiadr gegasoitig ind Rippa gstoßa.« Jetzt verfällt sie wieder voll ins Schwäbische. »Des war a oizigs Quietscha und Quieka.« Die Erinnerung lässt sie lachen. »Tante Klara isch dann dazu überganga, ihre Gells mit stechendem Blick in unsere Richtung auszustoßen: No isch dr Jesus uff dem Bronna gsessa, gell! No isch dui Samariterin komma, gell!! Ond no hat er zu ihr gsait, gell!! Gib mir ebbes zom Drinka, gell!!! Des ging so lang, bis mai Fraindin Gudrun nemme in d’ Kinderkirch ganga musst. Mir blieb’s abr et erspart. Ich han heimlich weiter eine Strichliste über die Gells gefiart ..., ja, lieber Herr Hörtherr, bis zu der für mich damals sagenhaften Zahl von 294. Dann durfte ich endlich in die Gruppe der Mittleren wechseln, weil ich neun Jahre alt geworden bin. Nie wieder habe ich so viele Gells von einer einzigen Person gehört. Wissen Sie, wenn ich heute über das Wort gell nachdenke als einen der wichtigsten Lückenfüller im Schwäbischen, da könnte ich philosophisch werden. Das Wort hat so unendlich viele Bedeutungen. Jedes Verständnis hängt an der konkreten Person und Situation, es kann mit Hirn und Verstand eingesetzt werden, aber auch ohne. Diese grundlegende Erkenntnis verdanke ich Tante Klara, gell.« Thomas Hörtherr lacht. Die Vikarin gefällt ihm. Sie scheint Humor zu haben. Zumindest hat sie mit ihren 28 Jahren bereits Lachfalten um ihren, wie er vor sich zugeben muss, schön gezeichneten Mund.

    Seine erste Begegnung mit der Kirche vor über fünfzig Jahren war anders gewesen. Er wird ernst. In Stuttgart waren die Jungen 1943 nicht sicher gewesen. Mit acht Jahren war Thomas Hörtherr mit seiner Klasse landverschickt worden. Ins Oberland. Seine Mutter hatte sich die Augen nach ihren Söhnen ausgeweint. Der Ältere war in eine der nationalsozialistischen Erziehungsschulen geschickt worden. Der Vater – was wusste er von ihm? An einem gewittrigen Abend im April hatte es an der Türe seiner Wirtsfamilie geklingelt. In einem heftigen Regenschauer stand sein Bruder Martin neben einer imposanten Erscheinung, einem Pfarrer, der dem Buben seine Hand schwer auf die Schulter legte.

    »Wir überbringen eine schlechte Nachricht«, sagte Martin. Rannen seinem Bruder Tränen über die Wangen? Oder war es der Regen? Thomas wuchs ein Kloß im Hals. Er schluckte und ließ die beiden ins Haus.

    Der Vater war im Kampf um Stalingrad gefallen. Abends weinte der kleine Junge das Kopfkissen nass. Mehr als den toten Vater vermisste er die Mutter, die unter Bomben in Stuttgart saß.

    Sich erinnern tut Thomas Hörtherr weh. Die Bilder sind schon lange nicht mehr in ihm aufgestiegen.

    »Ich habe in den 50er-Jahren Philosophie studiert, war aber der Meinung, damit kein Geld verdienen zu können. Mit mehr Mut hätte ich es mit der Psychologie probieren sollen. Es wurde Theologie daraus.« Der Ausbildungspfarrer nimmt seine Brille ab und ein kleines Tuch zur Hand, um sie gründlich zu putzen. Eine typische Handbewegung für ihn. Er setzt die Augengläser wieder auf und sieht die Vikarin nachdenklich an. »Sie haben sich für einen schweren, aber wunderschönen Beruf entschieden.«

    Fride nickt. »Erst recht als Frau.«

    »Na, es gibt doch schon bald seit 40 Jahren die Frauenordination bei uns«, entgegnet er energisch.

    »Das ist das Drama; was sind vierzig Jahre gegen zweitausend?«, fragt die Vikarin. »Ob die Herren der Schöpfung das langfristig wirklich verkraften?« Sie entdeckt einen Straßenplan von Birningen an der Wand und wechselt das Thema, sein Stirnrunzeln übersehend. »Herr Hörtherr, zeigen Sie mir bitte meinen Seelsorgebezirk.«

    4

    Johann Pilgrat radelt durch die Birninger Hauptstraße und winkt den beiden Damen freundlich zu. »Sieht der net schick aus, onser Vikar, mit demm weißa Hemad ond der schwarza Ozugsjack uff demm silberne Rennrad? Der macht oifach a subber Figur. Des lass i mir gfalla.« Annamaria Moos, die Gattin des Bürgermeisters, nippt an ihrem Cappuccino im Kaffeesino, dem einzigen Straßencafé in Birningen. Ihre große Kaffeetasse schnell absetzend, winkt sie dem katholischen Geistlichen begeistert zurück.

    »Mir hent scho Glick, mir Katholische«, meint ihre Freundin und Nachbarin Gerda Hühnerbein, die Annamaria Moos an dem kleinen runden Kaffeetisch gegenübersitzt und Johann Pilgrat ebenfalls lange nachsieht. »Fir die Evangelische isch ja jetzt dui Fride Klotz zuständig.«

    »Dui hot au a netts Figürle. Bisle arg enge Kloidr hot se manchmal o, vor allem Jeans, woisch, sotte mit selbergmachte Riss vorna denna.« Annamaria Moos rückt näher an ihre Freundin heran. »Du, Gerdale, wettsch du als Frau wolltesch gera so lang sei?«

    »Annamaria, für ihr Länge ko di nex. Die hot dr

    liabe Gott so gschaffa. Jetzt hent mr halt amole zwei scheene lange Geischtliche.«

    »Ja, abr kannsch du dir des vorstella: Dui wohnt in der ehemaligen Wohnong von Birchelers, die boide letzt Johr verschtorba send. Woisch, da, wo der Jonge no et eiziaga hot wella, weil er no in München schtudiert.«

    »In der Schlegelstraße? Des isch in der Nähe von Ave Maria. Da hot no nie ebber Evangelischs gwohnt, ond jetzt glei a Vikarin?«

    »Ha woisch, Annamaria, zwischen evangelisch ond katholisch gibt’s koine soo große Unterschiad meh.«

    »Des hättsch du wohl gern, Gerdale, aber i merk, das des für viele emmer no a große Roll spielt.«

    »Wem sai’sch des? Ben i oder bisch du scho seit Jahrzehnta mit em Andersgläubiga verheiradet?«

    »Am Wiaschtgläubiga?« Die Bürgermeistergattin lacht. »Nemm mir’s et ibel. Woischt ja, so sait mr emmer no. Also, Gerdale, andersgläubig isch dei Fritz net, der isch halt evangelisch, gell.«

    »Ond i ben katholisch.« Gerda Hühnerbein betont jede der folgenden Silben. »I fiahr eine kon-fes-sions-ver-bin-den-de Ehe. Deshalb woiß i, dass es koine

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