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Tödliche Gala: Österreich Krimi
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eBook306 Seiten3 Stunden

Tödliche Gala: Österreich Krimi

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Über dieses E-Book

Abteilungsinspektor Erich Oberbacher, Kriminalpolizist in Perg, wird um zwei Uhr morgens aus seinen Träumen gerissen und zu einem Tatort gerufen. Eine junge Kellnerin wurde im örtlichen Veranstaltungszentrum vergewaltigt und erschlagen. Je länger Oberbacher mit seinem Team ermittelt, umso mehr Spuren und Verdächtige tauchen auf. Es müssen hunderte Ballgäste überprüft, die Kollegen des Catering-Teams und das familiäre Umfeld durchleuchtet werden. Zudem scheint die Ermordete ein Verhältnis mit einem verheirateten Professor gehabt zu haben. Bald kristallisiert sich der Unternehmer Robert Kreuzmann als Hauptverdächtiger heraus, doch dieser hat ein wasserdichtes Alibi.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum3. Nov. 2017
ISBN9783990740026
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    Buchvorschau

    Tödliche Gala - Werner Wöckinger

    2

    Prolog

    Das Sondereinsatzkommando stürmte das Gebäude. Wobei stürmte wohl der falsche Begriff war. Schritt für Schritt kämpften wir uns vorwärts. Acht Mann in voller Montur, mit kugelsicheren Westen und Vollvisierhelmen ausgerüstet, bis an die Zähne bewaffnet und auf jegliche Situation vorbereitet, schlichen den spärlich beleuchteten Gang hinunter. Teppich am Boden und Teppich an den Wänden, alles schallisoliert und lärmgedämpft.

    Zwei Mann sicherten nach vorne ab, während zwei andere auf ein Zeichen ihres Anführers nach links ausscherten. Einer öffnete die Tür, während der zweite mit seiner MG im Anschlag ins Innere des Zimmers brauste. Ein nur mit schwarzen Socken bekleideter, glatzköpfiger Alter schrak hoch, während seine Sexgenossin einen angsterfüllten Schrei gen Himmel schickte. Zwei Mann enterten den Raum rechts von uns, ein ähnliches Szenario. Die Türen wurden geschlossen, wir schlichen weiter. Wir, das waren mein Partner Berti und zwei weitere SEK-Leute, die unsere rückwärtige Flanke sicherten.

    Wir erreichten die nächsten beiden Türen. Der Einsatzleiter schickte mit einer unscheinbaren Handbewegung zwei Mann nach links und zwei Mann nach rechts. Ein kurzer Blick, Türen zu, weiter. Immer dasselbe Bild. Ein nackter, zumeist übergewichtiger alter Sack und ein viel zu junges, mit einem Hauch von nichts bekleidetes junges Ding wurden überrascht und starrten die Eindringlinge, die schrecklichen Aliens glichen, mit einem spitzen Schrei auf den Lippen entgeistert an.

    Zwei links, zwei rechts, zwei, drei Schritte vorwärts. Unser Vordringen erinnerte an ein Strickmuster meiner Großmutter.

    Links ein perverser Widerling, der seiner Angebeteten mit einer genoppten Peitsche den Hintern versohlte, rechts ein armes Schwein, das geknebelt und gefesselt um Bestrafung bettelte. Links innige Umarmungen im Duft von Räucherstäbchen, rechts hektischer, schweißtreibender Sex in Missionarsstellung.

    Der Gang schien sich ins Unendliche zu verlieren. Der Einsatz zog sich dahin, kein Ende war in Sicht. Als mich schon der Mut verließ, zeichnete sich am Horizont eine eiserne Brandschutztür ab. Eine enge Wendeltreppe führte ins Kellergeschoss.

    Plötzlich befanden wir uns in einem finsteren Gang, der nur von unseren eigenen Stablampen erhellt wurde. Wir bewegten uns auf einem kalten Betonboden vorwärts, die Wände ebenso aus unbehandeltem, rissigem Beton gegossen. Der Stoßtrupp zu meiner Linken platzte in Abstellräume und Technikräume, scheuchte dabei nur Schmutzwäsche und leere Kisten auf. Die Kameraden zur Rechten leuchteten hinter die Gastherme und eine Wasserenthärtungsanlage. Über uns führten dicke Lüftungsrohre zum Ende des Gangs.

    Unser Anführer hob plötzlich den Arm, und wir wichen einen Schritt zurück. Er spreizte drei Finger in die Höhe, Daumen, Zeige- und Mittelfinger sollten den Beginn eines Countdowns einläuten. Der Leiter des Sondereinsatzkommandos begann zu zählen und zog den Daumen ein. Ich musste überlegen, wie ich das gemacht hätte. Ich hätte mit dem Mittelfinger begonnen, dann den Zeigefinger und zuletzt den Daumen eingezogen. Aber egal. Der Einsatzleiter ließ sich nicht beirren. Nach dem Daumen ließ er den Mittelfinger verschwinden, zu guter Letzt seinen Zeigefinger.

    Zwei Beamte brachen mit einem koordinierten Angriff die Tür aus den Angeln, und wir stürmten in einen engen, kahlen Raum mit etwa einem Dutzend kreischender junger Mädchen in einem notdürftig eingerichteten Matratzenlager.

    Zwei der Bewacher waren schnell überwältigt, der Dritte drückte sich an die rückwärtige Wand, eines der Mädchen im eisernen Würgegriff, eine Schnellfeuerwaffe an ihre Schläfe gerichtet.

    Stimmengewirr, Geschrei, Aufregung.

    »Lasst uns laufen, oder ich mache die Kleine alle!«, schrie der Mädchenschmuggler.

    Jetzt war ich an der Reihe, meine Zeit schien gekommen. Es ging um mein Verhandlungsgeschick, um die Situation zu deeskalieren.

    »Wir können und wir werden euch nicht laufen lassen, das ist dir wohl klar«, versuchte ich, ruhig zu bleiben.

    »Dann knall ich sie ab«, schrie der mediterrane Typ mit hysterischer Stimme. Er fuchtelte wild mit seiner Waffe herum.

    »Und euch erledige ich auch noch!«

    Die SEK-Männer hoben ihre Waffen noch ein paar Zentimeter empor. Mindestens drei rote Laserpunkte strahlten auf seiner Stirn.

    »Jetzt lass uns mal deine Optionen durchdenken«, nahm ich meinen Zeigefinger vor den Mund und den Daumen ans Kinn.

    »Variante eins: Wir tun, was du verlangst, und wir lassen euch drei laufen. Dann wäre eine fast achtzehn Monate dauernde Operation gescheitert, ihr wärt wieder auf und davon. Irgendwann würden wir uns in einem anderen Geheimversteck wiedertreffen, und die ganze Geschichte begänne von Neuem.«

    Ich ließ meine Worte auf ihn wirken.

    »Schlechter Plan!«

    »Hör auf zu faseln«, wurde der Kidnapper immer nervöser. »Ich sag es nur noch einmal. Ich schieße der Kleinen das Hirn weg!«

    »Gut, Variante zwei: Wir gehen auf deine Bedingungen nicht ein, du wirfst die Nerven weg und knallst das Mädchen ab. Von mir aus. Mir ist das Ding scheißegal, all die anderen haben wir retten können. Aber noch bevor das Mädel auf den Boden gesackt ist, haben meine Leute dich überwältigt und dir beide Schultern ausgerenkt. Du wirst wegen kaltblütigem Mord angeklagt und für sehr lange Zeit ins Gefängnis gehen. Das nennt sich bei uns lebenslänglich! Und glaube mir, ich kenne im Knast eine Menge Leute, die sich freuen werden, dich kennenzulernen. Wenn ich da das Gerücht streue, dass du kleine Mädchen fickst, dann werden sie dir in kürzester Zeit Recht und Ordnung eintrichtern. Du wirst so lange Schwänze lutschen, bis du dir wünschen würdest, du hättest dir in diesem gottverdammten Kellerabteil selbst das Hirn weggeballert.«

    Ich staunte über mich selbst. Ich sollte nicht so viele schlechte Krimis anschauen, dachte ich, während ich weitersprach.

    »Damit kommen wir zu Variante drei: Du legst jetzt ganz ruhig und überlegt deine Waffe auf den Boden und ergibst dich. Dann wirst du nur wegen Mädchenhandel angeklagt, und wenn du deine Hintermänner verrätst, gehst du wahrscheinlich sogar straffrei aus. Klingt das nicht vernünftig?«

    »Dann knallt mich die Mafia ab«, bellte er mich verzweifelt an.

    Okay, ich brauchte einen neuen Plan. Ich schloss für einen Moment meine Augen und dachte nach. Ein Handy läutete. Ich öffnete meine Augen wieder. Wer zum Kuckuck hatte bei diesem heiklen Einsatz sein Handy eingeschaltet? Wieder ertönte dieser nervtötende Handyklingelton. Ich kannte diese Melodie.

    Der Kidnapper hatte sich für einen Moment davon ablenken lassen und seine Waffe gesenkt. Nur Zehntelsekunden später war er entwaffnet, und zwei Mann der Cobra knieten auf dem Wehrlosen. Das befreite Mädchen rannte hysterisch kreischend auf mich zu und umklammerte mich so fest, dass ich ihre Fingernägel in meiner Haut spüren konnte. Sie wimmerte leise vor sich hin und ließ mich nicht mehr los.

    Florea Radulescu, wie ich später in Erfahrung bringen sollte, war eine ungarische Rumänin oder rumänische Ungarin – so genau durchschaute ich das bis zuletzt nicht –, die von ihren bitterarmen, mittellosen Eltern um ein paar läppische rumänische Leu an diese Bande von Menschenhändlern verkauft worden war. Man hatte diesen ungebildeten Menschen erklärt, dass es im Westen einen fast unstillbaren Bedarf an Putzfrauen und Kindermädchen gab. Florea würde es in Deutschland guthaben, in einem großen Haus leben und immer genug zu essen haben.

    Insofern hatten die skrupellosen Mädchenschmuggler nicht gelogen, denn sie war auserkoren worden, gemeinsam mit den anderen jungen Frauen in einem großen Etablissement zu arbeiten. Sie hätten in einem hübschen, kleinen Zimmer gehaust und immer genug zu essen und trinken bekommen, solange sie ihren Job ordentlich gemacht und entsprechend Kohle eingebracht hätten.

    Berti stieß mich von der Seite an. »Erich, das ist dein Handy!«

    Florea hing an mir wie eine Klette, während ich versuchte, mich zu orientieren.

    Berti fuhr mich neuerlich an. »Verflucht! Erich, dein Handy!«

    Kapitel 1

    »Erich, dein Handy!«

    Ich hatte völlig die Orientierung verloren.

    »Erich, dein Handy!«, rüttelte Marianne mich.

    Mein Handy lag am Nachttisch und blinkte zaghaft in der Dunkelheit. Meine Frau hatte mich an der Schulter gefasst und murmelte mir zum wiederholten Male ins Ohr: »Erich, dein Handy!«

    Ferngesteuert griff ich danach und versuchte mühevoll, diesen verdammten grünen Button von links nach rechts zu wischen, ehe ich das Ding an mein Ohr hielt.

    »Ja?«

    »Erich?«, hörte ich eine mir bekannte, aufgeregte Männerstimme in der Leitung.

    »Ja, was ist los?«

    »Du musst sofort kommen. Ich brauche deine Unterstützung«, wirkte Major Berger nun etwas gefasster.

    »Ich hab heute Nacht keine Bereitschaft«, entgegnete ich widerwillig.

    »Kann sein, aber du bist am nächsten dran und am schnellsten hier. Außerdem weiß ich, dass ich mich auf dich verlassen kann«, köderte mein Chef mich.

    Schon war es um mich geschehen, in Sekundenschnelle hatte er mich am Haken.

    »Okay. Was ist los? Wo soll ich hinkommen?«

    In wenigen Sätzen teilte er mir das Nötigste mit, bat mich um Eile. Umständlich schälte ich mich aus dem Bett und schob die Füße in meine Schlapfen.

    »Was ist passiert?«, wollte Marianne wissen.

    »Arbeit!«, hielt ich mich kurz.

    »Du hast doch gar keine Bereitschaft«, hörte ich sie zischen.

    »Ich weiß«, antwortete ich und latschte verschlafen aus dem Schlafzimmer.

    Mein Fehler, dachte ich, während ich mein Gesicht wusch und einen Schluck kaltes Wasser trank. Kein Mensch verlangte von mir, das Handy eingeschaltet am Nachttisch griffbereit liegen zu haben. Aber es lag da, Nacht für Nacht. Vielleicht, weil ich immer erreichbar sein wollte?

    Ich schlug mir ein paarmal ins Gesicht, um endlich richtig aufzuwachen. Jetzt bereute ich, kurz nach Mitternacht eine Schlaftablette genommen zu haben. Ich zog mich an und ließ meinen Traum, aus dem ich eben gerissen worden war, noch einmal Revue passieren.

    Das war einer unserer coolsten Einsätze gewesen, auf den wir noch heute stolz waren. Wir waren damals Teil einer überregionalen SOKO gewesen und durften schließlich den entscheidenden Einsatz zur Dingfestmachung dieser Menschenschmugglerbande leiten.

    Florea, das Mädchen, das mir damals um den Hals gefallen war, hatte mich als ihren Ersatzpapa auserkoren. Sie wollte um keinen Preis der Welt zurück in ihre Heimat und zu ihrer Familie, die sie verkauft und ihr die Zukunft gestohlen hatte. Ich setzte mich in den folgenden Wochen für die Kleine, noch keine fünfzehn Jahre alt, ein und konnte erreichen, dass sie legal in Österreich bleiben durfte. Ich verschaffte ihr dank meiner Beziehungen einen Platz in einer betreuten Wohngruppe, dort wusste ich sie in guten Händen. Da sie aber keinen fertigen Schulabschluss vorweisen konnte, gestaltete sich die Sache mit einem Lehrplatz äußerst schwierig. So musste sie mit Gelegenheitsjobs das Auslangen finden. Auch jetzt – vier Jahre später – besuchte ich sie noch regelmäßig, steckte ihr das eine oder andere Mal ein paar Euro zu und erzählte ihr von meiner Arbeit. Sie drückte mich jedes Mal ganz fest an sich, dass ich kaum Luft bekam.

    Ich hatte Florea bis heute nicht erzählt, was ich dem Geiselnehmer damals gesagt hatte, nämlich dass ich ihren Tod bei dem Einsatz in Kauf genommen hätte. Ich fürchtete, dass sie mich dann hassen und von sich weisen würde und sie den letzten Funken Hoffnung an das Gute im Menschen verlieren würde.

    Ich holte das Auto aus der Garage und fuhr zu der angegebenen Adresse. Je länger ich darüber nachdachte, umso mehr überraschte es mich, dass mein Chef mich aus den Federn geholt hatte. Wir hatten zwei Teams bei der Kripo, von denen immer eines auf Rufbereitschaft war. Heute Nacht war Udo mit seiner Mannschaft an der Reihe. Warum also hatte Berger mich angerufen? Ganz sicher nicht, weil er mich so lieb hatte, denn es verging kaum ein Tag, an dem wir nicht die Klingen kreuzten und wir uns in die Wolle gerieten.

    Außerdem weiß ich, dass ich mich auf dich verlassen kann, hatte er am Telefon gemeint und damit mein Ego gekitzelt. Hatte er das wirklich so gemeint? Ging es um eine derart haarige Angelegenheit, bei der er seinen besten Gaul im Stall einsetzen wollte? Oder war ich einfach nur unter seinen Kontakten leichter zu finden gewesen? Vielleicht lag es aber wirklich einfach nur daran, dass ich nicht weit vom städtischen Veranstaltungszentrum, kurz VZ, entfernt wohnte und schneller am Tatort sein konnte.

    Es standen etwa zwanzig PKWs am großen Parkplatz vor dem VZ. Zwei Streifenwagen und die Spezialeinheit der Kriminaltechnik waren schon da, was mich doch sehr verwunderte. Berger hatte mich angerufen, weil ich so nah wohnte, aber die Spurensicherung war schon vor Ort? Die Sache wurde immer seltsamer.

    Mein Chef erwartete mich mit einer Zigarette im Mundwinkel im Eingangsbereich, warf sie aber weg, sobald er mich aus der Dunkelheit kommen sah.

    »Komm mit«, hielt er sich nicht lange mit übertriebenen Höflichkeiten auf.

    Ich schlüpfte unter der vorbildlich angebrachten Polizeiabsperrung hindurch und folgte ihm ins Foyer. An der gläsernen Eingangstür fiel mir ein riesiges Poster auf, welches die Galanacht der Stadt Perg bewarb, die heute Nacht stattgefunden hatte.

    »Was liegt an?«, wollte ich endlich ein paar Informationen, um mich seelisch auf meine Aufgabe einstellen zu können. Das erhebliche Polizeiaufgebot machte mir klar, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handeln musste. Dennoch wollte ich Details, ehe ich den Tatort zu sehen bekam. Aus dem Schlaf gerissen und auf nüchternen Magen wollte ich gerne vorgewarnt werden, bevor man mir irgendwelche filetierten Leichen präsentierte.

    »Hör zu«, drehte der Major sich plötzlich zu mir um und hielt mir einen warnenden Zeigefinger vors Gesicht.

    »Bevor du irgendwelche falschen Schlüsse ziehst. Meine Freunde und ich haben mit der ganzen Sache nichts zu tun!«

    »Okay?«

    Ich war ganz offensichtlich im falschen Film.

    »Womit hast du nichts zu tun?«

    »Da drinnen liegt eine Frauenleiche, vermutlich vergewaltigt und erschlagen«, deutete er auf eine kleine Seitentür, die anscheinend zu den Umkleideräumen führte.

    »Sie war hier im Service beschäftigt«, ergänzte er.

    Nun hatte ich endlich eine Antwort auf eine meiner Fragen.

    »Ich verschaffe mir erst einmal einen Überblick«, ging ich auf sein Eingangsstatement nicht näher ein und bahnte mir einen Weg vorbei an meinem Chef und den vielen anderen Menschen, die hier herumwirbelten, Richtung Tatort. Neben den öffentlichen Toiletten, streng nach Männlein und Weiblein getrennt, stand eine Tür weit offen, auf der – so viel konnte ich erkennen – PRIVAT stand.

    Dies war wohl der Bereich, in den sich das Personal zurückziehen, Pause machen und sich umkleiden konnte. Ich sah einige Schritte entfernt einen Aufenthaltsraum mit einem großen Tisch in der Mitte, der mit allerhand Sammelsurium, wie Trinkflaschen, Essensresten und Kleidungsstücken, übersät war. Meine Aufmerksamkeit richtete sich aber auf eine kleine Garderobe zu meiner Linken. Der Raum war vielleicht vier Meter lang und drei Meter breit. Ein Polizeifotograf stand über der weiblichen Leiche und schoss zahllose Fotos.

    In dem kleinen Raum waren an der rechten Längsseite und der gegenüberliegenden Breitseite einige Spinde mit Sitzbänken davor angebracht, an der linken Längsseite thronte neben einigen Kleiderhaken, an denen Schürzen und Mäntel hingen, ein mannsgroßer Spiegel, wie man ihn aus Modegeschäften kannte. Der Spiegel war etwa auf Schulterhöhe zerschlagen, Blut klebte an den Kanten der Glasreste.

    In der Mitte des Raumes stand ein kleinerer Tisch, etwa einen Meter im Quadrat. Gleich an der Vorderkante stand ein nummeriertes Kärtchen, das die Kriminaltechniker angebracht hatten. Ich vermutete aus dem Bauch heraus, dass es sich bei dem markierten Fleck um Spermaspuren handelte.

    Auf dem Boden zwischen Tisch und Spiegel lag eine halbnackte weibliche Leiche in einer Blutlache. Eine junge Frau mit blonden Haaren. Ihre schreckgeweiteten Augen waren blau umrandet, der Mund stand weit offen, aus dem linken Mundwinkel zog sich eine Spur eingetrockneten Blutes. Auch aus ihrem rechten Ohr war Blut geflossen. In ihrem rechten Arm steckten zahlreiche Glassplitter des zerborstenen Spiegels. Direkt über ihrem Kopf balancierte ein weiteres Nummernkärtchen auf der Tischkante. Hier war die Tote wahrscheinlich mit dem Kopf aufgeschlagen.

    Ich hatte mittlerweile gepuderte Handschuhe übergezogen, die ein Kollege der Spurensicherung mir wortlos gereicht hatte. Vorsichtig hob ich ihr Gesicht an, um auch die linke Gesichtshälfte zu sehen. Das linke Ohr lag im Blut, an der linken Wange erkannte man Abschürfungen und einen Bluterguss.

    »Spuren einer Vergewaltigung?«, fragte ich den Fotografen.

    »Es deutet einiges darauf hin«, antwortete Dr. Oberndorfer, der plötzlich hinter mir stand.

    »Einblutungen an den Oberschenkeln.«

    »Hallo, Doc!«, wollte ich ihm die Hand reichen, der Arzt lehnte meine blutige Rechte aber ab.

    »Wenn ich eine These aufstellen darf?«

    »Nur zu!«

    »Der Täter dürfte sie hier am Tisch vergewaltigt haben. Danach dürfte er das Opfer gegen die Spiegelwand geschleudert haben. Sie schlug mit Kopf, Schulter und rechter Hand am Spiegel auf, der dabei zerbrochen ist. Dann ist sie durch die Wucht des Aufpralls mit dem Kopf gegen die Tischkante dort geknallt. Sie dürfte sofort das Bewusstsein verloren haben und ist zu guter Letzt am harten Fußboden aufgeschlagen.«

    »So viel Blut?«, sah ich ihn fragend an.

    »Das viele Blut rührt wohl von den Schnittwunden her, die sie sich am Spiegel zugezogen hat. Tödlich war aber der Aufprall am Boden. Sie ist aus fast einem Meter Höhe ungebremst und ungeschützt, weil bereits ohne Bewusstsein, dort aufgeknallt. Vielleicht Schädelbasisbruch, auch ein Genickbruch ist nicht auszuschließen. Aber da lehne ich mich jetzt schon verdammt weit aus dem Fenster!«, dozierte der Doktor auf seine übliche Art und Weise.

    Er ließ gerne alle anderen an seinen Weisheiten teilhaben.

    »Danke, Doc!«, trat ich den Rückzug an. Ich hatte fürs Erste genug gesehen und gehört. Ein schneller Blick über all die anderen Markierungen hinweg bestätigte mich in der Überzeugung, dass die Kollegen von der Spurensicherung einen tollen Job machten und uns wertvolle Hinweise liefern würden.

    Ich entledigte mich der ungeliebten Handschuhe und kehrte ins Foyer zurück, wo Berger mit einem mittelgroßen, etwas beleibten Mann Mitte vierzig diskutierte. Ich gesellte mich zu den beiden, und sie verstummten umgehend. Ich blickte auf meine Armbanduhr, es war schon kurz vor drei Uhr morgens.

    »War das Veranstaltungszentrum auch so leer, als die Leiche gefunden wurde?«, fragte ich Berger.

    »Ich habe alle Besucher, die noch da waren, mittlerweile nach Hause geschickt«, erklärte er stolz.

    Ich spürte, wie in wenigen Hundertstelsekunden Wut in mir aufstieg, die mich zu zerreißen drohte. Er nahm mich beruhigend an der Schulter.

    »Aber natürlich nicht ohne zuvor alle Personalien aufzunehmen«, lächelte er mich sanft an. Mit einem Handzeichen bedeutete er einem Uniformierten, sich zu uns zu gesellen. »Aber im Grunde sind die Festgäste, die zum Zeitpunkt des Auffindens noch im Veranstaltungszentrum waren, nicht verdächtiger als die zwei-, dreihundert, die nicht mehr anwesend waren. Im Gegenteil. Was meinst du?«

    Ich wollte um diese Uhrzeit nicht mit meinem Chef streiten, also schwieg ich.

    »Welcher Mörder würde sich wieder seelenruhig unter die Menge mischen? Das wäre schon ordentlich kaltblütig, oder?«, fuhr er fort.

    Er entriss dem uniformierten Beamten eine Liste und händigte sie mir aus.

    »Auf Seite eins findest du die Festgäste, die noch im Saal gewesen sind, auf Seite zwei das anwesende Personal. Die habe ich aber nicht gehen lassen. Sie sitzen alle da drüben.«

    Er deutete auf eine Gruppe verängstigter und erschöpfter Servicemitarbeiter, die in einer Nische Platz genommen hatten.

    »Vier Namen fehlen noch auf der Liste«, meinte er knapp. Ich hob eine Augenbraue.

    »Ich habe, als die Leiche aufgefunden wurde, mit drei Freunden an der Bar gesessen, für die ich mich verbürge und meine Hand ins Feuer lege.«

    Er bemerkte, dass ich innerlich schon wieder kochte.

    »Aber ich will dir die Namen dieser Personen natürlich nicht vorenthalten. Ich erwarte eine korrekte und lückenlose Untersuchung dieses Todesfalles ohne Wenn und Aber!«

    Berger wartete auf eine Reaktion. Ich stand vor ihm, die Liste in der Hand, aber ohne Schreibgerät. Er zog dem verdutzten Beamten einen Kugelschreiber aus der Tasche und reichte ihn mir.

    »Danke. Schreibbereit!«

    »Gut. Wir haben den Abend an der Bar ausklingen lassen. Wir, das sind Bürgermeister Fraundorfer, der Verkehrsstadtrat Liebl und Kreuzmann.«

    »Ah, unser Freund Kreuzmann«, entfuhr mir ein sarkastisches Lachen.

    »Da gibt es nichts zu lachen«, erwiderte Berger zornig.

    Ich hasste meinen Chef wirklich von ganzem Herzen. Warum hatte er mich aus den Federn geholt und nicht die Bereitschaft? Wie konnte er mir das antun, dass ich wieder einmal gegen Robert Kreuzmann ermitteln musste? Kreuzmann war das größte Ekel in der Stadt, das ich mir vorstellen konnte. Ihm gehörte ein international agierendes Transport- und Logistikunternehmen mit Firmensitz hier bei uns in der Stadt. Aber er hatte auch bei vielen anderen Geschäften seine Finger im Spiel. Ich hatte bereits mehrfach gegen ihn ermittelt, doch sein

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