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Indian Cowboy: Die Nacht der Wölfe
Indian Cowboy: Die Nacht der Wölfe
Indian Cowboy: Die Nacht der Wölfe
eBook295 Seiten3 Stunden

Indian Cowboy: Die Nacht der Wölfe

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Über dieses E-Book

Er fährt illegale Autorennen, trinkt Brandy und raucht Gras. Ryan Black Hawk ist der King, mit allen Wassern gewaschen und die jungen Frauen liegen ihm zu Füßen. Doch als eines Nachts zwei seiner Freunde tödlich verunglücken, wendet sich das Blatt. Die Liebe Samantha Crying Crows gibt ihm die Kraft, für seine Ranch und die Pferde zu kämpfen. Der neue Weg des Indian Cowboy ist hart, steinig und weit.

Lovely Books
"Ein Schicksal zwischen zwei Welten. Spannend, realistisch und gleichzeitig berührend."

Ameridian Research
"Ein dynamischer und spannender Gegenwartsroman mit tiefgreifenden Charakteren."
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum19. Sept. 2018
ISBN9783740719777
Indian Cowboy: Die Nacht der Wölfe
Autor

Brita Rose Billert

Zur Autorin: Brita Rose Billert ist 1966 in Erfurt geboren und ist Fachschwester für Intensivpflege und Beatmung, ein Umstand, der auch in ihren Romanen fachkundig zur Geltung kommt. Ihre knappe Freizeit verbringt sie mit ihrem Pferd beim Westernreiten durch Kyffhäuserland und Eichsfeld in Thüringen. Sie hat durch ihre Reisen in die USA und Kanada einige Freundschaften mit Native Indians in Utah, South Dakota und British Columbia geschlossen. Diese Begegnungen, die Liebe zu den Pferden und ihrem Job inspirieren sie zum Schreiben. 13 Romane sind derzeit publiziert, zwei davon in englischer Sprache. Autorenhomepage: www.brita-rose-billert.de

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    Buchvorschau

    Indian Cowboy - Brita Rose Billert

    nichts."

    Kapitel 1

    Nacht der Wölfe

    Seit dieser Nacht, vor zwei Jahren, hatte Ryan nicht einen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Mit selbstloser Härte kämpfte er darum, sein verlorenes Gesicht, vor seinem Vater und vor sich selbst, wieder zu erlangen. Ryan arbeitete jeden Tag wie besessen auf der Ranch seiner Familie. Als er im letzten Sommer das erste Mal in die Reihe der Sonnentänzer ging, spürte er seit langer Zeit den Stolz seines Vaters und auch seinen eigenen. Inzwischen war Ryan achtzehn.

    Gemeinsam mit seinem fünfzehnjährigen Bruder, Robert, zog Ryan das Draht straff von Pfosten zu Pfosten und knüpfte defekte Stellen neu zusammen.

    „Mist!", fluchte der, als er sich mit dem Stacheldraht die Finger verletzte.

    „Lass es gut sein, Robert. Den Rest schaffe ich alleine."

    „Ein Indianer kennt keinen Schmerz", grinste Robert herausfordernd.

    Ryan lachte.

    „Ich weiß."

    Dann blickte er zu dem elfjährigen Andy, seinem jüngsten Bruder, der unermüdlich mit einem Scheckenfohlen trainierte.

    „Er glaubt tatsächlich, er kann den kleinen Scheckenhengst behalten", sagte Robert.

    „Eine Pferderanch ohne Pferde ist keine Ranch. Ich lasse mir etwas einfallen", entgegnete Ryan.

    Nicht nur die Pferde waren über den letzten Winter abgemagert. Ryan legte die Hand auf Roberts Schulter und lächelte. In Roberts Blick lag pure Sorge.

    „Zwei prachtvolle Zuchtstuten hat Vater hergegeben, weit unter dem Preis."

    „Wir haben drei Fohlen."

    „Stimmt. Robert blickte zu Andy und dem Fohlen und grinste. „Sieh dir die beiden nur an. Sie verstehen sich blendend. Bald fängt Andy an zu wiehern.

    Ryan lachte.

    „Glaubst du wirklich, dass wir die Ranch und die Pferde behalten können, Ryan?"

    „Und was glaubst du?"

    Robert starrte auf seine Stiefelspitzen, hob die Schultern und schwieg.

    „Ich will sehen, dass ich meinen alten Pontiac wieder auf die Räder kriege. Dann bringe ich dir das Fahren bei", sagte Ryan schließlich.

    Robert nickte. Wie oft hatte er sich das gewünscht. Er blieb bei Ryan, um die nötigen Flickarbeiten am Zaun zu Ende zu bringen, selbst auf die Gefahr hin, sich die ganzen Hände zu zerstechen.

    Als die Arbeit getan war und Ryan schließlich Hammer und Zange mit einer Hand umgriff, sagte er: „Okay, das hätten wir. Gehen wir essen. Ich habe einen Mordshunger."

    Robert hob die Packung Nägel mit seinen blutigen Fingern auf.

    „Ich auch!", nickte er.

    „Lass dir die Verletzungen von Grandma behandeln, damit sie sich nicht infizieren."

    Die alte Frau lächelte ihren Enkel an, als Robert sie bat, sich seine Verletzungen anzusehen. Lucy Black Hawk war sehr erfahren in der Heilkunde. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie einen Arzt gebraucht und viele der Leute hier kamen zu ihr, bevor sie zu einem, meist weißen Arzt, gingen. Die Lakota nannten diese Wasicu Wakan, Weiße Geister, und sie trauten ihnen nicht. Als Großmutter Roberts Hände verbunden hatte, schickte sie einen prüfenden Blick zu Ryans Händen. Ryan bemerkte das.

    „Alles Okay. Ich habe nur zugesehen", grinste er.

    Lucy schüttelte den Kopf und lächelte.

    „Gauner", sagte sie leise.

    Mutter, Anny Black Hawk, deckte währenddessen den Tisch. Das Geschirr klapperte leise. Es roch nach Bohneneintopf. Die Tür öffnete sich. John kam mit dem zwölfjährigen Andy herein.

    „Hm. Es riecht gut, Anny", schwärmte John.

    Hungrig waren sie alle. Anny verteilte den Bohneneintopf auf den Tellern der vier Männer. Als sie für sich und Lucy den Rest aus dem Topf kratzte, blickten sich Ryan und Robert betreten an.

    Seit Wochen gab es diesen Bohneneintopf, den Anny gewiss schmackhaft zuzubereiten wusste und niemand hatte sich beschwert. Er machte satt.

    Nach dem Abendessen zündete sich John seine Pfeife an. Genüsslich zog er daran.

    Tiefe Sorgenfalten hatten sich in seine Gesichtszüge gegraben. Er schien nachzudenken.

    Ryan bat den Vater, nach alter Sitte, reden zu dürfen. John nickte ihm zu.

    „Gibst du mir dein Jagdgewehr, Vater? Ich will mit Two Moon hinaus."

    Two Moon war Ryans Freund, seit dem er denken konnte.

    John zog ein paar Mal an der Pfeife, bevor er Ryan in die Augen sah. Dann umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel.

    „Ich habe nicht mehr viel Munition. Teil sie dir gut ein. Sieh zu, dass du wenigstens einen Elch erwischt.

    Du weißt wo die Flinte steht." Johns Augen glitzerten amüsiert.

    „Einen Elch...okay", schmunzelte Ryan.

    Seine Augen schienen zu leuchten, als er sich erhob.

    Rasch holte er alles, was er zur Jagd brauchte, und verschwand mit den Worten: „Toksa. Der Weg ist weit."

    *****

    Das Gewehr in der Hand und das

    Munitionspäckchen in der Brusttasche seines dunkelblauen Hemdes, machte er sich zu Fuß auf den Weg. Im Dauerlauf lief er den Schotterweg bis zur Straße. Der Abend war noch jung und irgendwann würde ein Wagen hier entlang kommen.

    Als Ryan die asphaltierte Straße erreicht hatte, ging er im Schritttempo weiter. Bis zum nächsten Ort, Kyle, waren es etwa sieben Meilen. In der Nähe von Kyle wohnte sein Freund, dessen Vater mit Holz und Baubedarf handelte.

    Das Geschrei spielender Kinder drang an seine Ohren. Hundegebell mischte sich gelegentlich darunter. So weit das Auge reichte, lag das hügelige Grasland vor ihm. Er nannte es:

    Das Land, in dem der Himmel die Erde berührt.

    Ryan hielt das Jagdgewehr fest in der Hand und lief am Straßenrand weiter. Die Entfernungen schreckten ihn nicht. Er kannte es nie anders.

    Als sein alter Pontiac endgültig vor ein paar Monaten den Geist aufgegeben hatte, lief er diese Strecke auch zu Fuß. Es gab in der Reservation genug Leute, die er unterwegs aufgelesen hatte.

    Deshalb zweifelte er auch nicht daran, dass ein Wagen anhielt, um ihn mitzunehmen. Als etwa drei Meilen hinter ihm lagen, glaubte Ryan ein Motorengeräusch zu hören. Er sah sich um. Seine Sinne hatten ihn nicht getäuscht. Er blieb stehen und wandte sich zu dem roten Wagen um.

    Ryan hob den rechten Arm.

    Ein unmissverständliches Zeichen, dass er eine Mitfahrgelegenheit suchte. Der rote Ford schoss an ihm vorbei und bremste stark ab. Eine Staubwolke hüllte Ryan ein. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen, während er zu dem haltenden Wagen ging. Die Beifahrertür öffnete sich. Ryan zog sie ganz auf.

    „Hallo Sam. Nimmst du mich `n Stück mit?"

    „Mein Name ist Samantha! Das solltest du wissen, Ryan Black Hawk! Wo willst du denn hin, großer Krieger?"

    „Two Moon", grinste Ryan.

    „Wenn du mir nicht in mein Knie schießt mit deiner Flinte, schmunzelte Samantha. „ Steig schon ein.

    Ryan stellte das Jagdgewehr hinter den Sitz, stieg ein und zog die Tür zu.

    Samantha schüttelte langsam den Kopf und gab Gas.

    „Wo hast du denn fahren gelernt?", fagte Ryan skeptisch.

    „Ich habe drei Brüder, alle in deiner Clique gewesen. Der Rest ist kreativ."

    Ryan lachte leise.

    „Dass du dich jemals von mir fahren lassen würdest...."

    „Zufälle gibts", grinste Ryan frech und beobachtete sie auffällig.

    Samantha schoss das Blut in den Kopf. Ihre Wangen färbten sich verräterisch rot. Sie hatte die obere Haarpartie mit einem roten Gummi zusammengebunden. Das enge, rosafarbene Shirt zeichnete alle Körperkonturen ab. Ryans Blick wanderte weiter über den kurzen Jeansrock, entlang ihrer schlanken, nussbraunen Beine bis zu den Lederstiefeletten. Am rechten Arm klapperten zwei Armreifen bei jeder Bewegung gegeneinander, die genauso silbern funkelten wie die Ohrringe.

    „Das solltest du lieber nicht tun, Ryan!"

    „Was?"

    „Mich so ansehen."

    Ryan hob abwehrend die Hände, legte sie wieder auf seine Beine und sah zum Fenster raus.

    „Wo willst du eigentlich hin, Sam?"

    Samantha verzog das Gesicht.

    „Two Moon", antwortete sie schließlich knapp.

    Ryan fragte nicht weiter. Wenn Two Moon eine Verabredung mit Samantha Crying Crow hatte, dann hatte er wohl schlechte Karten. Sie waren alle drei zusammen in die Schule gegangen. Samantha war siebzehn. Hübsch war sie, das war nicht zu leugnen und herausgeputzt hatte sie sich schon immer gern.

    Einige junge Männer hatten einen Blick auf sie geworfen. Warum nicht auch Two Moon. Kurz vor Kyle bog Samantha links ab. Die asphaltierte Straße löste sich in Staub auf. Irgendwann tauchten ein paar Trailer auf, dann zwei der üblichen

    Reservationshäuser und schließlich Holzhaufen.

    „Okay. Da wären wir", sagte Samantha und hielt an.

    Sie wartete, machte aber keine Antstalten auszusteigen. Also stieg Ryan aus und zog das Gewehr hinter dem Sitz vor. „Sagtest du nicht, du willst zu Two Moon?", fragte er.

    „Sagte ich."

    „Willst du nicht aussteigen?"

    „Nein. Ich will nach Hause. Mir schien es nur sicherer dich am Ziel abzusetzen. Es ist Abend."

    Ryan lächelte und kniff die Augen zu kleinen Schlitzen.

    „Danke Samantha."

    Sie lächelte ebenfalls.

    Er hatte Samantha gesagt. Das erste Mal seit sie sich entsinnen konnte. Sie kniff ebenfalls die Augen zu Schlitzen, während sie sagte: „Verletzte dich nicht mit dem Ding." Dann lachte sie.

    Schnell und unerwartet beugte sich Ryan zu ihr in den Wagen und drückte seine Lippen auf die ihren.

    Samantha öffnete sie und ließ zu, dass sich ihre Zungen berührten. Sie schloss die Augen. Ryan schien unbeherrscht und zog sich nach ein paar Stößen seiner Zunge von ihr zurück. Eilig schlug er die Beifahrertür zu. Schnell atmend, als wäre er die ganze Strecke gerannt, wandte er sich um und ging zum Haus. Mehrmals wischte er sich mit dem Handrücken über seine Lippen. Es schmeckte eigenartig. Lippenstift vermutlich. Hinter sich hörte er den Wagen anfahren.

    Vor ihm tauchte Ojeda Two Moon auf.

    „Hallo Ryan! Warst du auf Jagd?"

    „Ich will erst noch."

    Ojeda grinste süffisant.

    „War das nicht Sams Wagen, der da gerade weggefahren ist?"

    „Ja."

    Ojeda pfiff leise durch die Zähne. „Ist da was am Laufen?"

    „Blödmann. Ich bin per Anhalter gefahren. Wie sollte ich sonst hierher gekommen sein?"

    Ojeda lachte.

    „Komm rein mein Freund!"

    Ryan folgte seinem Freund in das Haus und schloss die Tür hinter sich.

    *****

    Kurze Zeit später fuhren die Freunde mit dem GMC Truck von Ojedas Vater, in Richtung Scenic. Die Sonne neigte sich im Westen und tauchte das Land eine golgelbe Aura. Nachdem sie die alte Geisterstadt hinter sich gelassen hatten, bog Ojeda nach Osten ab. Die asphaltierte Straße ging in eine Dirty Road über. Die Schotterpiste führte mitten durch die Prärie und meilenweit geradeaus. Eine Staubwolke folgte dem Truck.

    „Im Handschuhfach liegen Sonnenbrillen", sagte Odjeda schließlich.

    Ryan griff hinein und gab seinem Freund eine Brille. Die zweite schob er sich selbst über die Nase. Gedankenversunken blickte er zum Fenster hinaus. Zwei einsame Farmhäuser tauchten in der Ferne des weitgehend unbewohnten Gebietes auf. Es lag bereits außerhalb der Reservation.

    „Hey! Bist du krank? So wortkarg habe ich dich lange nicht erlebt", brach Ojeda das Schweigen.

    Ryan lächelte müde.

    „Hat dir Sam den Kopf verdreht?"

    „Lass uns von was anderem reden. Ich brauche dringend ein paar Ersatzteile für den Pontiac, damit ich ihn wieder fahren kann. Wenn ich Glück habe, ist nur der Anlasser hin oder die Batterie. Er gibt keinen Laut mehr von sich. Ich habe gebetet, dass der Motor selbst noch okay ist. Ich brauche den Ponti."

    „Vielleicht hast du nur keinen Sprit mehr drin", lachte Ojeda.

    „Für wie blöd hälst du mich eigentlich?", zischte Ryan.

    Kopfschüttelnd grinste er schließlich.

    „Ich helfe dir, mein Freund, damit du nicht per Anhalter fahren musst… mit Sam."

    Ojeda hörte nicht auf zu spotten.

    Ryan schlug seinen Freund scherzhaft gegen den Arm.

    Der lachte.

    Die Straße führte nun durch Prärietäler und lag vor ihnen, wie eine platt getretene Schlange. Irgendwann kreuzte eine Straße ihren Weg. Nichts als Schotter und Staub. Ojeda bog rechts ab in südöstliche Richtung. Der Weg führte sanft abwärts.

    „Vielleicht sollten wir auf Büffeljagd gehen. Ich kann die Büffel schon fast sehen", schwärmte Odjeda.

    „Jagdverbot", murmelte Ryan.

    „Ich weiß. Vielleicht verirrt sich ja einer zu uns", meinte Ojeda.

    „Ein schöner Wunschtraum, mein Freund. Aber ich bin auf der Suche nach einem Elch."

    Ojeda lachte amüsiert.

    „Hier war ich oft mit meinen Vater unterwegs. Wild gibt es hier genug. Hirsche und Antilopen, Truthähne, Hasen und Wildkaninchen tummelten sich in der Abenddämmerung an der Wasserstelle. Selbst Wildkatzen, Füchse und Luxe sind mir dort schon begegnet. Nur von den Wölfen fehlte jede Spur."

    Ryan lächelte nur. Die beiden jungen Männer stiegen aus und zogen ihre Steppjacken an. Die Luft war klar und kalt. Die Sonne hatte bereits an Macht verloren. Die Schatten wanderten langsam in die

    Täler. Die Freunde tranken Kaffee, während sie sich leise unterhielten. Ojeda kramte Salzbrezeln aus einer zerrissenen Tüte. Dann brachen sie auf. Jeder der beiden trug sein Jagdgewehr bei sich und ein Messer. Mit schnellen Schritten und wachen Augen, um nicht etwa das Wild zu vertreiben, näherten sie sich der Wasserstelle. Die beiden Freunde

    schwiegen, verständigten sich nur mit Blicken und Handzeichen. Unzählige Spuren kreuzten ihren Weg. Ryan lächelte zuversichtlich und nickte. Reglos verharrten die Jäger im hohen Ufergras, dass ihnen Deckung gab und ihren menschlichen Geruch etwas überzog. Es roch nach feuchtem Gras und Schlamm. Truthahngeier zogen in großer Höhe ihre Kreise. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees regte sich etwas. Ein Reh tauchte im hohen Schilfgras auf, blieb lange stehen und äugte misstrauisch umher. Irgendwann schien es beruhigt zu sein. Es witterte keine Gefahr. Das Tier kam zögernd zum Saufen. Ein Jungtier folgte. Ojeda und Ryan lächelten. Die Gewehre blieben fest in ihren Händen. Als die Tiere das Ufer wieder verlassen hatten, blieb es ruhig. Die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne glitzerten auf der

    Wasseroberfläche. Insekten schwirrten umher. Ein Waschbärenpärchen rannte spielend über die mit hohem Gras bewachsene Uferböschung. Erst als die Sonne am Horizont verschwand und Dämmerung das Land beherrschte, trat ein Weißwedelhirsch durch das hohe Gras und folgte vorsichtig dem Pfad der Spuren zum Wasser hinab. Ryans Augen blitzten auf. Sein Herz klopfte schneller, als er das Gewehr anlegte. Das Tier äugte aufmerksam um sich, bevor es sein Haupt langsam zum Saufen neigte. Das Gewehr klackte leise. Ryan hielt den Atem an. Plötzlich hob das stolze Tier seinen Kopf und sah genau in seine Richtung. So verharrte der Hirsch einige Augenblicke.

    *****

    Sowohl Ryan als auch Ojeda hatten das Rascheln des Schilfes vernommen. Ryan wagte kaum noch zu atmen. Er hatte sein Jagdgewehr angelegt und zum Schuss bereit verharrte er wie gelähmt. Aus dem Schilfgras trat ein zweites Tier auf die Lichtung. Der andere Weißwedelhirsch stolzierte auf die

    Wasserstelle zu und begann sich angriffslustig zu gebärden. Mit gesenkten Häuptern begann der Kampf um das Vorrecht des Stärkeren, der Herr über das Wasser zu sein. Der Zusammenstoß ihrer Geweihe schallte weithin durch die Dämmerung. Die Jäger verständigten sich mit einem Blick und einem Nicken ihrer Köpfe. Die Gelegenheit war günstig. Es galt sie nicht zu verpassen, auch wenn die Tiere ein packendes Schauspiel lieferten. Zwei Schüsse krachten zur gleichen Zeit wie ein einziger. Sekunden später brachen die Tiere auf die Knie und fielen reglos in das Gras.

    Stille. Nicht ein Vogel war mehr in der Nähe. Nur das leise Summen der Insekten drang an Ryans Ohren. Vorsichtig verließen die Jäger ihre Deckung und liefen am Ufer entlang zu der Stelle. Direkt an der Uferböschung lag ihre Beute. Zufrieden betrachteten sie die Tiere. Sie waren mit je einem gut gezielten Schuss getroffen und ohne zu leiden gefallen. Beide Jäger berührten das Tier, das sie erlegt hatten, opferten etwas Salbei und dankten dem Volk der Weißwedelhirsche, dass die ihre Brüder geschickt hatten, die sich die Jäger hatten nehmen dürfen, um zu leben. Dann schickten Ryan und Ojeda ihre Seelen auf die Reise.

    „Ein guter Schuss. Direkt hinter das Blatt", brach Ryan leise das Schweigen.

    „Ja. Aber jetzt haben wir ein Problem", lachte Ojeda leise.

    „Oder auch zwei", grinste Ryan.

    Ojeda hob den Kopf, sah zum dunklen Himmel hinauf, an dem die ersten Sterne blinkten und sog die frische Luft tief in seine Lungen.

    „Wir müssen schneller sein, als die Jäger der Nacht, wenn wir ihnen unsere Beute nicht opfern wollen. Sie riechen das frische Blut meilenweit", meinte er schließlich.

    „Und es wird schnell so finster, dass wir die Hände kaum mehr vor den Augen sehen. Das verspricht ein interessanter Abend zu werden."

    „Du hattest bestimmt schon bessere", unkte Ojeda.

    „Was kann schon besser sein, als eine Sommernacht mit seinem besten Freund in der Wildnis zu verbringen und von Räubern umschwärmt zu werden?", lachte Ryan und zog sein Jagdmesser.

    Sofort begann er, die Beute aufzubrechen und zu zerlegen. Frisches Blut rann herab zum Boden, färbte das Gras und wurde von der Erde aufgesaugt. Währenddessen machte sich Ojeda auf den Weg zum Truck, um die Boxen für das Fleisch zu holen, die auf der Ladefläche standen. Die mondlose Nacht war schnell gekommen.

    Ryan horchte auf. Er bekam tatsächlich Besuch. Drohendes Fauchen kündigte ihn an. Ryan blickte zu seinem Gewehr, das direkt neben ihm lag. Er hatte das Jagdmesser fest in der Hand. Das Fauchen wiederholte sich, dieses Mal leiser. Ryan war sich ziemlich sicher, dass er es mit einem Bobcat, einem amerikanischen Rotlux zu tun hatte. Ganz nach Katzenmanier schlich sich das Tier durch das hohe Gras und schien den menschlichen Jäger genauestens zu beobachten.

    Ryan lauschte. Hinter ihm raschelte leise das Schilfgras. Dann Stille. Hatte der Bobcat den Menschen gewittert? Würde der scheue Jäger vor dem Menschen flüchten oder war der Hunger stärker? Ryan wagte nicht, sich zu rühren. Das Tier lag hinter ihm auf der Lauer. Luchse schlugen ihre Beute gewöhnlicherweise selbst. Wie seine großen Brüder Wolf und Berglöwe, mied er die Menschen. Mit Sicherheit waren Ryan und Ojeda in sein Jagdrevier eingebrochen. Auch Luchse jagten in der Dämmerung. Ihre Wege hatten sich gekreuzt.

    Der Bobcat war mutig. Er sprang dem knienden Ryan direkt ins Genick. Obwohl Ryan darauf gefasst war, hieb ihn die Wucht des etwa zehn Kilogramm schweren Tieres zu Boden. Ryan rollte über seine Schulter ab. Dem Luchs war es nicht gelungen, zuzubeißen. Auch er rollte über den Boden. Als beide sich gefangen hatten, standen sie sich gegenüber und blickten sich in die Augen. Der mutige Bobcat erschien offensichtlich erschrocken zu sein, als er in seiner Beute einen gefürchteten Menschen erkannte. Ein Schuss krachte. Der Bobcat schreckte auf und setzte zur Flucht an. Sein Überlebenswille war stärker als der Hunger. Ryan vernahm das Lachen seines Freundes.

    „Vielleicht hielt er dich für leichte Beute. Vielleicht auch für ein heiratswilliges Luchsweibchen."

    Ryan richtete sich auf und blickte in die Richtung, in die der Bobcat verschwunden war.

    „Ich glaube, der braucht eine Brille. Und seit wann rieche ich wie ein Bobcatweibchen?", entgegnete Ryan.

    „Ein prachtvolles Tier. Schade, dass ich ihn verfehlt habe", bedauerte Ojeda.

    „Wenn du solch ein schlechter Jäger wärst, dann bin ich froh, dass du nicht mich aus Versehen getroffen hast."

    Ojeda schlug Ryan gegen den Arm und lachte. Dann stellte er zwei Lampen auf, damit die Jäger ihre Arbeit in der Finsternis beenden konnten. Schatten und Licht spielten bei jeder Bewegung. Das warme Fleisch rauchte leicht in der kalten Nachtluft. Ryan schwitzte bei der Arbeit. Gemeinsam packten die Freunde ihre Jagdbeute schließlich in die Boxen und trugen sie zum Truck. Die Transportboxen waren groß genug, um beide Tiere zu verstauen. Und sie waren schwer, sodass die jungen Männer sie zu zweit tragen mussten. Die Nacht war schwarz und die Sterne wirkten blass und verschwommen. Vorsichtig tasteten sich die menschlichen Füße vorwärts. Das Licht der Taschenlampe, die an Ojedas Gürtel baumelte, war kaum eine Hilfe.

    Ojeda gab seinem Freund die Wagenschlüssel.

    „Willst du fahren?"

    Ryan warf ihm einen fragenden Blick zu.

    „Naja, bevor du es ganz verlernst..."

    „Ich habe mich schon fast daran gewöhnt, chauffiert zu werden", konterte er.

    „Okay, sagte Ojeda. „Dann gib mir den Schlüssel wieder.

    „Das könnte dir so passen!", fauchte Ryan und platzierte sich sofort auf dem Fahrersitz.

    Ojeda lachte und stieg ein.

    Ryan ließ den GMC zurückrollen und wendete auf der Schotterstraße. Er stellte das Radio leiser, denn Ojeda Two Moon unterhielt seinen Freund. Ryan lachte ab und an. Er selbst war immer der Schweigsamere von beiden gewesen, schon in der Schule. Dafür hatte er immer mehr ausgebrütet und Ojeda verleitet, den Blödsinn mitzumachen. Wenn einer der beiden auftauchte, war der Andere mit Sicherheit in der Nähe. Ihre unzertrennliche Freundschaft war auf eine harte Probe gestellt worden, als Scott Waci Tate, der Windtänzer, Ryans Weg kreuzte. Scott war fünf Jahre älter als Ryan und ging über Leichen. Das musste einen

    Vierzehnjährigen

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