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Stark mit AD(H)S: Gottes Potenzial für mein Kind entdecken und fördern
Stark mit AD(H)S: Gottes Potenzial für mein Kind entdecken und fördern
Stark mit AD(H)S: Gottes Potenzial für mein Kind entdecken und fördern
eBook327 Seiten3 Stunden

Stark mit AD(H)S: Gottes Potenzial für mein Kind entdecken und fördern

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Über dieses E-Book

Bei ca. 5-7 % der Kinder in Deutschland wird AD(H)S diagnostiziert. Dieses Buch klärt über die verschiedenen Ausprägungen von AD(H)S auf und liefert fundierte Informationen, z.B. zu Ursachen, zum Umgang mit Medikamenten etc. Zentrales Anliegen ist, die Chancen von Kindern mit AD(H)S zu betonen: Wie können wir Stärken fördern und einen Weg zum Herzen des Kindes finden? Die christliche Perspektive ermöglicht dabei einen Zugang zum Frieden Gottes.
SpracheDeutsch
HerausgeberSCM Hänssler
Erscheinungsdatum3. Sept. 2018
ISBN9783775174251
Stark mit AD(H)S: Gottes Potenzial für mein Kind entdecken und fördern
Autor

Joachim Kristahn

Joachim Kristahn, Jahrgang 1958, ist Psychologe und Therapeut. Seit 1994 ist er bei der IGNIS-Akademie in Kitzingen zuständig für den pädagogisch-psychologischen Bereich. 2002 gründete er dort die AD(H)S-Beratungsstelle. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

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    Buchvorschau

    Stark mit AD(H)S - Joachim Kristahn

    Joachim Kristahn

    STARK MIT AD(H)S

    Gottes Potenzial für mein Kind entdecken und fördern

    SCM | Stiftung Christliche Medien

    SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

    ISBN 978-3-7751-7425-1 (E-Book)

    ISBN 978-3-7751-5844-2 (lieferbare Buchausgabe)

    Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

    © 2018 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH ·

    Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

    Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: info@scm-haenssler.de

    Tabelle auf Seite 45 »AD(H)S Häufigkeit bei Jungen und Mädchen«

    © Robert Koch-Institut, Berlin.

    Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse

    folgender Ausgabe entnommen:

    Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus

    in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.

    Weiter wurde verwendet:

    Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe

    in neuer Rechtschreibung, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

    Umschlaggestaltung: Rebecca Insam, SCM Bundes-Verlag gGmbH | Witten;

    Patrick Horlacher | Stuttgart

    Titelbild: iStock: LightFieldStudios; PavelIvanov | Autorenfoto:

    Evas Fototreff

    Fotos im Innenteil: © Laura Kristahn

    Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

    INHALT

    Über den Autor

    Was mir zum Einstieg wichtig ist – inhaltliche Schwerpunkte

    Kapitel 1

    Das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom

    Unsere Familiengeschichte – von Anfang an einzigartig

    Was Kinder mit AD(H)S wirklich brauchen

    Woran kann man AD(H)S genau erkennen?

    Kritik am Konzept AD(H)S

    Erscheinungsformen und Schweregrade von AD(H)S

    Prüfung ähnlicher Störungsbilder

    Methoden der Diagnose

    Was ist zu tun, wenn Sie denken, dass Ihr Kind betroffen ist?

    Auftreten, Entwicklung und Verlauf

    Neuropsychologie und ihre Auswirkungen auf AD(H)S

    Was steckt hinter AD(H)S?

    AD(H)S kommt selten allein – unsere Familiengeschichte

    Wissenschaftliche Ergebnisse zu den Begleit- und Folgestörungen/Folgen

    Hinter den Zahlen stehen Schicksale

    An alle Eltern, die sich leicht Sorgen machen

    An alle Eltern, die selten Bedenken haben

    Was steckt hinter diesem Syndrom – Ursachen und Risikofaktoren

    Etwas Wichtiges fehlt noch am Modell AD(H)S

    Kapitel 2

    Behandlungsmöglichkeiten aus medizinischer, psychologischer und christlicher Sicht

    Unsere Erfahrungen mit Medikamenten, Schule und Hausaufgaben

    Medikamente und Alternativen

    Fragen und Antworten zum Thema Medikamente

    Welche Behandlungswege stehen Ihnen offen?

    Zusammenfassung multimodaler Behandlungsansätze aus christlicher Sicht

    Etikett AD(H)S und ähnliche Kritikpunkte

    Was am Modell AD(H)S noch fehlt

    Kapitel 3

    Stark mit AD(H)S – Gottes Potenzial für mein Kind erkennen und fördern

    Unsere Erfahrung mit den Stärken – herausfinden, fördern und bei der Berufsfindung daran anknüpfen

    Nicht nur Symptome – auch die Stärken der Kinder erkennen

    Entdecken Sie die Gold- und Silberfäden in Ihrem Kind

    Gegenüberstellung häufiger Stärken und Schwächen der Kinder bzw. Jugendlichen

    Gesellschaft, Schule und eine christliche Sichtweise

    Die Stärken fördern – konkrete Beispiele

    Weitere Beispiele, wie wir fördern können

    Kapitel 4

    Das Herz der Kinder erreichen – ihr Selbstwertgefühl stärken

    Das Herz der Kinder erreichen

    Die Wahrnehmungsfähigkeit des Herzens

    Woran können wir innere Wachheit erkennen?

    Das Selbstwertgefühl stärken

    Selbstwerterziehung bei AD(H)S

    Leistungsorientierung und Selbstwert

    Urvertrauen fördern

    Die Botschaft des Herzens weitergeben – wie geschieht das?

    Kreative Pause

    Wandel in der Kommunikation

    Kapitel 5

    Der innere Schmerz von Kindern und Eltern

    AD(H)S und der innere Schmerz

    Schmerz und Verletzung – was bedeutet das für Betroffene?

    Die vielen verletzenden Erfahrungen der Kinder

    Eine Studie über das Selbstbild und den inneren Schmerz bei Kindern mit AD(H)S

    Kindern im Umgang mit ihren Gefühlen/innerem Schmerz helfen

    Die pädagogischen Aufträge und der innere Schmerz

    Kinder mit AD(H)S trainieren: Wie sie mit emotionalem Schmerz besser umgehen können

    Vom inneren Schmerz zum inneren Frieden

    Eltern trainieren

    Über das Loslassen

    Übersicht »Verlust und Schmerz«

    Wie gehe ich mit Verlust und Schmerz um?

    Der innere Schmerz der Eltern

    Das Kind annehmen – was Eltern daran hindern kann

    Fragen zum inneren Schmerz der Eltern:

    Kapitel 6

    Machtkämpfe gewinnen – Grenzen setzen – Strukturen schaffen

    Chaos und Ordnung

    Das Setzen von Grenzen

    Die fünf Schritte des Dialogisch-Grenzen-Setzens

    Kinder mit AD(H)S brauchen klare Regeln und Grenzen

    Weitere Strukturen schaffen

    Einige Gedanken aus christlicher Sicht dazu

    Umgang mit Medien

    Was sich bei uns bewährt hat

    Kapitel 7

    Kinder mit AD(H)S lernen anders

    Nachteile der Kinder mit AD(H)S

    Hilfen, die das Lernen unterstützen

    Hausaufgabenmanagement

    Klassenarbeiten planen mit SIEG

    Lernstörungen

    Zusammenfassung bewährter Hilfen

    Gemeinsam Strukturen schaffen

    Was Lehrkräfte brauchen können

    Danksagung

    Literatur/Anmerkungen

    [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

    ÜBER DEN AUTOR

    JOACHIM KRISTAHN (Jahrgang 1958) ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern. Er studierte Psychologie in Hamburg und Kiel. Anschließend absolvierte er eine Therapieausbildung bei IGNIS.

    Acht Jahre lang leitete er die soziale Stadtteilarbeit ARCHE in Bremen. Seit 1994 ist er an der IGNIS-Akademie in Kitzingen im pädagogischpsychologischen Bereich tätig. Dort gründete er die Eheberatung, Erziehungsberatung, Kinder- und Jugendseelsorge und Elternseminararbeit. Daraus entwickelte sich die AD(H)S-Arbeit mit einem eigenen Training sowie einer Fortbildung zum AD(H)S-Trainer. Die Seminare finden überall dort statt, wo Interesse besteht.

    [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

    WAS MIR ZUM EINSTIEG WICHTIG IST – INHALTLICHE SCHWERPUNKTE

    AD(H)S kommt bei etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland vor und ist damit eine häufige, früh auftretende Entwicklungsstörung, die bis ins Erwachsenenalter fortbestehen kann. Doch es gibt auch eine andere Seite: Es sind ganz besondere Stärken mit AD(H)S verbunden. So sind die betroffenen Kinder gar nicht immer unaufmerksam und ablenkbar, wie manche Eltern zunächst denken, wenn sie den Namen »Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom« hören. Unter bestimmten Umständen können sie sich sogar über die Maßen gut konzentrieren. Viele Fachbücher und auch viele Eltern berichten davon und sagen: »Wenn mein Kind am Computer sitzt oder mit … spielt, dann kann es sich hervorragend und lange konzentrieren. Es kann kein Defizit an Aufmerksamkeit haben. Wir sehen doch, dass es geht, wenn es will.« Ganz so einfach ist es aber nicht.

    AD(H)S-Pioniere und Experten wie Hallowell und Ratey¹ sprechen schon länger von einer Aufmerksamkeitsinkonsistenz. Ich erkläre diese so, dass die Aufmerksamkeit der Kinder motivationsabhängig ist. Sie ist grundsätzlich vorhanden, aber nicht immer gleich gut abrufbar. Es ist doch ein Unterschied, ob etwas gar nicht vorhanden ist oder ob es zwar verfügbar, aber unter bestimmten Voraussetzungen schwieriger zu aktivieren ist. Dazu ein Vergleich: Wenn eines unserer beiden Augen erblindet ist, können wir damit zu keiner Zeit sehen. Kinder mit AD(H)S können sich aber in bestimmten Situationen ausgezeichnet konzentrieren und dabei auch körperlich ruhig bleiben. Daher kann der Name Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung Eltern in die Irre führen.

    Stattdessen kann das Syndrom besser dadurch beschrieben werden, dass Betroffene ihre Konzentration nicht so gut wie andere steuern können, wenn Aufmerksamkeit für etwas gefordert ist – eine Selbststeuerungsschwäche. Es stimmt also nicht, dass sie könnten, wenn sie nur wollten. So haben es auch Barkley und andere Pioniere beschrieben.

    Um jedoch wieder auf einige der vielen positiven Eigenschaften zurückzukommen: Außer der Fähigkeit, sich besonders stark zu fokussieren (Fachleute sprechen vom Hyperfokus), habe ich z. B. noch keinen AD(H)Sler getroffen, der nicht in bestimmten Momenten ganz besonders charmant sein konnte. Dieses »gewisse Etwas«² zu stabilisieren, sollte unser Ziel sein – das Ziel dieses Buches und das Ziel von Eltern, Lehrern und allen Helfern.

    Letztlich sind AD(H)Sler ganz besondere Menschen, und es geht darum, zu entdecken, was Gott in sie hineingelegt hat (Psalm 139, 13-16). Denn dass Gaben und Stärken in jedem Menschen stecken, dürfte außer Frage stehen.

    Kurz gesagt brauchen betroffene Kinder Menschen, …

    … die ihre Stärken erkennen und fördern,

    … die durch Herzensbegegnungen Momente hoher innerer Wachheit schaffen, den Selbstwert der Kinder stärken und Urvertrauen (nach-)reifen lassen,

    … die sich Machtkämpfen stellen und Strukturen geben.

    Dies alles bedeutet so viel, und man kann dem nachgehen, ohne Medikamente zu geben. Doch bei ausgeprägtem AD(H)S muss man nicht nur das Syndrom an sich gut verstehen, sondern sich auch mit Medikamenten und Alternativen befassen. Auf den folgenden Seiten möchte ich Sie dazu einladen und Ihnen viele weitere Behandlungswege nennen.

    [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

    Kapitel 1

    DAS AUFMERKSAMKEITSDEFIZIT-/HYPERAKTIVITÄTS-SYNDROM

    In diesem Kapitel erfahren Sie:

    ●  Wie die international anerkannten Symptome für Kinder und Jugendliche heute beschrieben werden.

    ●  Welche Kriterien für AD(H)S nach aktuellem Forschungsstand außerdem auftreten müssen.

    ●  Welche Kritikpunkte es am Syndrom gibt

    ●  Worauf Sie bei einer Diagnosestellung achten sollten.

    ●  Auftreten, Entwicklung und Verlauf.

    ●  Warum die Begleit- und Folgestörungen (Komorbiditäten) für viele Betroffene so wichtig sind.

    ●  Welche Ursachen und Risikofaktoren es gibt.

    ●  Warum etwas Wichtiges am Modell AD(H)S fehlt.

    UNSERE FAMILIENGESCHICHTE – VON ANFANG AN EINZIGARTIG

    Das Thema AD(H)S begleitet mich in meinem beruflichen Leben schon seit meinem Psychologiestudium und später in meinen Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendarbeit sowie in der Beratung. Parallel dazu lief unsere eigene Familiengeschichte. Da alle unsere vier Kinder schon erwachsen und selbstständig sind, blicken meine Frau und ich auf eine lange und intensive Zeit zurück: von der Geburt bis zur Berufswahl und darüber hinaus, sodass ich jedem neuen Kapitel etwas von unseren persönlichen Erfahrungen voranstellen möchte – anonymisiert und mit vorheriger Absprache. Ohne diese Erfahrungen hätten wir vieles zum Thema AD(H)S und zu angrenzenden Themengebieten gar nicht tiefer verstanden. Die einzelnen Kapitel dieses Buches haben wir selbst durchlebt – die Erfolge und Glücksmomente darin genauso wie die schweren Zeiten.

    Eines unserer Kinder war schon im Mutterbauch sehr viel aktiver als die anderen drei. Hatte ich gegen Ende der Schwangerschaft die Hand auf dem Bauch meiner Frau, bekam ich jedes Mal einen so heftigen Tritt, dass ich sie erschrocken wegzog. Ich wusste es, konnte mich aber bis zum Schluss nicht daran gewöhnen.

    Dieses Kind schlief mit zweieinhalb Jahren noch nicht durch und brauchte nachts auch in dem Alter noch mindestens eine Flasche. Leichtsinnigerweise hatte ich nach dem Abstillen die Nachtschichten übernommen, nicht ahnend, wie lange es dauern würde. Geschrei in der Nacht ist kein Spaß, und so musste ich mir etwas einfallen lassen, damit die frisch zubereitete Milchflasche länger vorhielt. Ich bekam Übung, sodass nicht noch eine zweite Flasche fällig wurde. Mit der Zeit wird man cooler und fragt sich, ob es immer eine frisch zubereitete Flasche sein muss oder ob man nicht auch eine »auf Vorrat« ans Bett stellen kann. Keines der anderen Kinder war nachts so aktiv und brauchte so lange bis zum Durchschlafen wie dieses.

    Das Kind konnte mit zehn Monaten schon laufen und war in seinem Bewegungsdrang einfach nicht zu stoppen. Manches Mal haben meine Frau und ich es zu zweit gewickelt. Beim Kinderarzt boten wir einmal unsere Hilfe an, damit das Kind abgehorcht werden konnte. Der Arzt lehnte zunächst ab: er könne das allein. Doch es kam genau so, wie wir es geahnt hatten. Immer, wenn er das Kleinkind schön vor sich auf den Rücken legte, drehte es sich blitzschnell auf den Bauch. Er hatte keine Chance, mit dem Stethoskop auch nur die Brust zu berühren. Nach etlichen Fehlschlägen und einer »klitzekleinen Bemerkung« meinerseits nahm er unsere Hilfe dankend an.

    Zu dem hohen Bewegungsdrang kam ein reduziertes Schmerzempfinden hinzu: »Schau dir das an«, sagte meine Frau. »Ich kann das Kind doch nicht anbinden!« Die beiden mittleren Stäbe, die zum Einsteigen ins Gitterbett vorgesehen sind, waren ausgehakt, vielleicht vom Kind selbst. So kletterte es ins Bett, um danach über das Geländer nach außen zu rutschen und sich auf den Fußboden fallen zu lassen. Dort hatte es zwei Kissen hingelegt, auf die es aber nicht mit den Händen voran, sondern mit dem Kopf zuerst stürzte. Es hatte sichtlich riesigen Spaß dabei. Nein, zu stoppen war es nicht, höchstens zu bremsen. Erst als es mit dem Kopf einmal genau zwischen die beiden Kissen fiel, trat Ruhe ein, vorher nicht, dann aber für immer. Genauso verhielt es sich mit der heißen Herdplatte, vor der wir warnen konnten, so oft wir wollten. Einmal selbst erfahren, saß es jedoch auf Dauer. Das ist auch eine Art des Lernens.

    Im Kindergartenalter verlor sich die körperliche Unruhe, und in der Schulzeit blieb lediglich die Vorliebe für Bewegung und Sport erhalten. Ein Träumer wurde das Kind dennoch nicht. Es schien nur irgendwann nichts mehr in den Kopf zu gehen.

    Fazit: Das Kind war von Anfang an einzigartig, bewegungsfreudig, einfallsreich, mutig, abenteuerlustig, oft gut drauf, mitreißend und auch schon etwas charmant.

    Und dann ging plötzlich gar nichts mehr

    Zuerst machte die Schule einen Riesenspaß, dann jedoch traten verschiedene Probleme auf. Manche Buchstaben wurden schlecht behalten. Das Einmaleins – gerade geübt – war innerhalb kürzester Zeit wieder vergessen. Beim Reproduzieren zu Hause gelernter Texte machte das Kind in der Schule so viele Fehler, besonders Flüchtigkeitsfehler, dass die Lehrerin denken konnte, es hätte das Üben komplett vergessen. Dabei war es immer dasselbe Muster: Zu Hause alles gekonnt – am nächsten Morgen in der Schule 15 oder 20 Fehler. Das Kind ließ sich schnell ablenken, war häufig vergesslich und kam nicht mit dem Tempo mit. Außerdem hatte es Schwierigkeiten, die Schulmaterialien zu organisieren, sodass sie griffbereit waren. Dafür aber bekam es alles andere mit: »Mama, wenn plötzlich jemand aus der Klasse sagt, dass ein Vöglein auf dem Rasen gelandet ist, habe ich es schon längst gesehen. Das ist immer so.« AD(H)S bedeutet oft Reizoffenheit: alles mitbekommen, das Vöglein, die Schritte auf dem Gang, das Gespräch hinten, das Comic unter der Bank vorne und dann ist da die Lehrerin, die eine Matheaufgabe an der Tafel erklärt. Alle Reize werden gleichwertig wahrgenommen und alle sind wichtig, nur ist für die Lehrerin »unglücklicherweise« völlig klar, welcher »Reiz« im Moment für die Schüler der wichtigste ist. Für das Kind ist es nicht so, eben eine Reizfilterschwäche bei gleichzeitiger Reizoffenheit.

    Die Hausaufgaben waren oft für alle Beteiligten eine Strapaze. Es fehlte an Konzentration, Motivation und Ausdauer. Das Kind war nicht selten emotional am Ende und nur noch zu Frustrations- und Aggressionsausbrüchen fähig. Verglich es sich mit den anderen in der Klasse, ergab sich eine Negativbilanz, die Unverständnis erzeugte und das Selbstbild mehr und mehr bedrohte. Ja, schließlich stand das Selbstwertgefühl kurz vor dem Zerbruch – und das in der dritten Klasse nach all dem anfänglichen Spaß an der Schule. Wir hatten innerhalb des Schulsystems schon vieles probiert und alle Tipps umgesetzt. Meine Frau malte z. B. liegende Achten mit dem Kind in die Luft (sie sehen aus wie das Zeichen für Unendlichkeit in der Mathematik oder eben wie eine »8«, die zur Seite gekippt ist) und probierte diverse andere Übungen. Nichts half – was also tun?

    Nicht nur wir bemerkten, dass etwas gewaltig schieflief. Der Klassenlehrer bat uns zu einem Gespräch. Wir schätzten ihn auf Anfang fünfzig. Er sei nun schon viele Jahre im Schuldienst, aber so etwas habe er noch nicht erlebt. Es gehe fast nichts mehr in den Kopf hinein, doch es könne nicht an der Intelligenz liegen. Das Kind sei mindestens normal begabt (eine Testung hatten wir natürlich auch schon hinter uns – mit entsprechendem Ergebnis). Wir sollten das unbedingt genauer abklären lassen. Doch als erste Maßnahme sollten wir einen Antrag auf Rückversetzung von der dritten in die zweite Klasse stellen. Ohne ein fachärztliches Gutachten bzw. eine Diagnose stimme die Lehrerkonferenz vielleicht nicht zu, doch bis es zu einem Untersuchungstermin käme, wäre es zu spät. Es sei natürlich unsere Entscheidung, doch er wolle den Antrag unterstützen und sich für das Kind einsetzen. Eine Sonderbeschulung könne er in diesem Fall nicht sehen.

    Sonderschule? Mir wurde erst im Nachhinein klar, dass es vielen Kindern mit AD(H)S früher genauso ergangen ist, genau so! Die Lehrerkonferenz bewilligte den Antrag nach längerer Diskussion auch ohne Diagnose (jedoch mit bereits bestehender Anmeldung), und unser Kind wurde auf unseren Wunsch in die zweite Klasse rückversetzt. Diese massive Entlastung war ein riesiger Segen, wie sich später herausstellte. Entlastung ist übrigens ein ganz wichtiger Baustein in einem therapeutischen Gesamtkonzept bei AD(H)S, das wir noch betrachten werden. Doch das wussten wir damals noch nicht. Wir entschieden intuitiv und natürlich im Gebet.

    Da das Kind ja nicht mehr hyperaktiv war, schlossen zu der Zeit alle Fachleute, auch der Schulpsychologe und wir als Eltern, diesen Themenkomplex aus. Heute wissen wir längst, dass es in erster Linie oft um Aufmerksamkeitsdefizite geht. Hyperaktivität kann dazukommen und steht manchmal auch im Vordergrund. Sie kann wie bei uns auch in frühen Jahren da gewesen sein und dann weichen, sodass später mehr die Unaufmerksamkeit zutage tritt. Deswegen schreibe ich (und viele andere) das H gerne in Klammern und spreche von AD(H)S.

    Fazit: Bei Maßnahmen der Entlastung ist es am wichtigsten, dass es dem Kind gut geht und nicht, was Freunde und Nachbarn sagen, was die Gesellschaft gerade sagt oder was wir aus unserer Biografie mitbringen, z. B. Sätze wie: »Ja keine Zeit verlieren in der Schullaufbahn! Möglichst gut und schnell alles schaffen!«

    Endlich eine Idee, wie es weitergehen kann

    Wir entschieden uns schließlich, in eine große kinder- und jugendpsychiatrische Gemeinschaftspraxis zu gehen, in der Ärzte und Psychologen zusammen arbeiteten. Angemeldet war unser Kind, doch es dauerte bis wir endlich dran waren: Anamnese, Exploration, medizinische Untersuchungen, auch ein EEG, psychologische Tests, Fragebögen u. Ä. Unser Ansprechpartner, ein Doktor der Psychologie, ermittelte neben vielem anderen einen Konzentrationsleistungswert von deutlich unter 10 %, d. h., über 90 % aller vergleichbaren Kinder konnten sich besser konzentrieren als unseres. Solche Aufmerksamkeitsdefizite erklärten die Probleme beim Umgang mit Buchstaben und Zahlen. Er meinte schließlich, dass wir schon alles versucht hätten, was möglich sei, ein großartiger Einsatz auch von meiner Frau. Doch jetzt könnten wir nur noch Medikamente geben. Wie Sie sich vorstellen können, wollte ich genau das nicht hören. Das merkte mein Kollege sofort, blieb aber dabei, dass wir schon alles andere probiert hätten.

    Fazit: Diagnosen haben Nachteile wie das Risiko einer Etikettierung und auch Vorteile wie z. B. zu wissen, dass man nicht allein ist und es einen Namen gibt für das, was

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