Ermutigung und Anerkennung: Der Erziehungskompass nach Rudolf Dreikurs
Von Barbara Hennings
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Über dieses E-Book
Barbara Hennings
Barbara Hennings, geb. 1942, ist seit 1998 Encouraging-Trainerin und individualpsychologische Beraterin; Mutter von vier erwachsenen Kindern. Heute ist sie in der Erwachsenenbildung tätig.Website: www.barbara-hennings.de
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Buchvorschau
Ermutigung und Anerkennung - Barbara Hennings
Barbara Hennings
Ermutigung und
Anerkennung
Der Erziehungskompass
nach Rudolf Dreikurs
Impressum
© KREUZ VERLAG
in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
Alle Rechte vorbehalten
www.kreuz-verlag.de
Umschlaggestaltung: Vogelsang Design
Umschlagmotiv: © istockfoto.com --- tinozafirov
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-80114-3
ISBN (Buch) 978-3-451-61219-0
Inhalt
Dank
Einleitung: Ein Kompass
Kapitel 1: Wohin soll die Reise gehen?
Welche Menschenbilder haben wir zur Verfügung?
Das Menschenbild von Alfred Adler
Kapitel 2: Was braucht ein Kind?
Das Bedürfnis dazuzugehören
Das Bedürfnis besser zu werden
Das Bedürfnis nach Bedeutung
Das Bedürfnis nach Ermutigung
Kapitel 3: Glück braucht Gemeinschaft
Kapitel 4: Die bedeutenden Bs
Verbunden sein
Befähigt sein
Bedeutung haben, gebraucht werden
Beherzt sein
Kapitel 5: Sind Kinder gleichberechtigt?
Kapitel 6: Wie Kinder ihre Persönlichkeit erschaffen
Kapitel 7: Notlösungen
Erste Notlösung: ungebührliche Aufmerksamkeit
Zweite Notlösung: Streben nach Überlegenheit durch Machtkämpfe
Dritte Notlösung: Vergeltung
Vierte Notlösung: Rückzug in vermeintliche Unfähigkeit
Was Eltern tun können
Kapitel 8: Forscher am Werk – das Abenteuer Lernen
Lernen durch Spiel
Erfahrungen verarbeiten
Lernen durch Bewegung
Kapitel 9: Der rote Faden – Ermutigung
Was genau ist Ermutigung?
Spezifische Ermutigung gibt Orientierung
Lob und Ermutigung
Kapitel 10: Zäune und Grenzpfosten
Was ist eine Grenze?
Was ist eine Regel
Grenzen gelten auf Zeit
Regeln haben einen Sinn
Kinder lernen durch Wiederholung
Wenn Regeln gebrochen werden
Kapitel 11: Lernen durch das LARA-Prinzip
Erzieherische Konsequenz
Natürliche Folgen
Logische Folgen
Das LARA-Prinzip
Strafen
Kapitel 12: Reden ist Silber – Gespräche sind Gold
Ich-Botschaften statt Vorwürfe
Krisengespräche
Kapitel 13: Die andere Seite – zuhören!
Kapitel 14: Machtkämpfe – Provokation oder SOS?
»Mein Kind hat einen starken Willen!«
Aus Machtkämpfen aussteigen
Machtkämpfe sind erlernt!
Nach der Krise
Geht es ohne?
Kapitel 15: Todsünden in der Erziehung
Ständiges Schimpfen
Etiketten aufkleben
Abwerten, demütigen
Ironie, Sarkasmus, auslachen
Vergleichen
Mitleid
Verwöhnung, Verzärtelung
Liebesentzug
Schlagen
Kapitel 16: Schatzsuche statt Fehlerfahndung – Potential fördern
Das Potential von Kindern erkennen
Edelsteine
Anerkennung geben
»Selber«
Werte
Kapitel 17: Demokratieschule Familienrat
Wessen Problem ist es
Wie geht der Familienrat?
Anerkennung geben
Familienziele oder Familienmotto
Familienratfallen
Die Familie stärken
Kapitel 18: Alle Eltern können gute Eltern sein
Erziehung ist immer auch Selbsterziehung
Was wirkt in der Erziehung?
Was müssen Eltern wissen?
Erziehungsstile und deren Nebenwirkungen
Zum Schluss: Geist und Seele brauchen Nahrung
Literatur
Dank
Ohne meine Familie hätte ich nie die Erfahrungen machen können, die mein Leben so bereichert haben und mich zur Ermutigung und zur Individualpsychologie geführt haben: habt Dank!
Dank gebührt vor allem meinen Lehrern und Kollegen, durch die ich Ermutigung und die Individualpsychologie kennen gelernt habe. Mit Namen nennen müsste ich sehr viele. Ich beschränke mich bewusst, ohne die anderen weniger wertzuschätzen, auf meine Lehrer Theo Schoenaker und Peter Pollak.
Ich danke auch den vielen Eltern, die mir in Beratung und Kursen ihr Vertrauen schenkten, und last but not least, den Freunden, die mein Schreiben geduldig begleitet haben und ertrugen, dass in meinem Kopf nur noch »das Buch« Platz hatte. Dank auch den vielen Autoren, die mein Wissen erweitert haben. Ich habe sie zitiert und hoffentlich keinen übersehen. Wenn, dann entschuldige ich mich. Besonderen Dank sage ich: Ina Frey von Fischhase® für die Grafiken, Renata Häusler für klärende Vorschläge beim Lesen des Manuskripts, Friederike Sophie Hennings für den Blick von außen, Peter Pollak für Lesen und Ermutigen, Peter Raab für die Ermutigung zum Schreiben und Christoph Ruge für Gespräche und Computerhilfe.
Einleitung
Ein Kompass
Ein Kompass zeigt die Himmelsrichtung an. Wenn man sich im Gelände verlaufen hat, hilft ein Kompass, den Weg zu finden. Das Ziel muss man allerdings vorher kennen! Eltern heute haben es viel schwerer als frühere Generationen. Die alten, autoritären Erziehungsmethoden mit Belohnung und Strafe haben ausgedient. Die 68er Generation hat dagegen ebenso erfolgreich protestiert wie gegen die überkommenen politischen Gedanken. Der Laissez-faire Stil, den diese Generation ausprobierte, hat nicht die gewünschten Resultate gebracht. Was nun?
Alfred Adler (1870–1937), der Begründer der Individualpsychologie, hat vor über hundert Jahren einen gangbaren Weg gewiesen. Sein Schüler Rudolf Dreikurs hat ihn geebnet. Viele seiner Schüler haben ihrerseits weiter daran gearbeitet, weil sie fanden, dass er sicher zum Ziel führe. Ein zentraler Gedanke Adlers war, dass Kinder nicht geprägt werden von den Eltern, sondern selber auf sehr kreative Weise ihre Persönlichkeit miterschaffen. Sie beobachten genau und lernen, wie sie ihre Ziele erreichen können. Die Aufgabe der Eltern ist, ihnen zu helfen, gute Meinungen über sich selber und ihre Möglichkeiten zu bilden und gute Strategien zu entwickeln, um in der Familie, im Kindergarten und in der Schule und später im Leben ihren Platz zu finden. Negatives, zerstörerisches Verhalten ist ebenso erlernt wie konstruktives Verhalten, das dem Kind selbst und der Gemeinschaft zugute kommt. Adler sieht Entmutigung als die Wurzel allen Fehlverhaltens. Fehlverhalten ist ein Symptom für die Entmutigung des Kindes. Ermutigung hingegen schafft Beziehung, gibt Kindern ein gutes Selbstwertgefühl, lässt sie die Probleme des Alltags anpacken und ihr Potential wachsen. Ermutigung ist nicht alles, aber ohne Ermutigung ist alles nichts.
Erziehung ist immer eine Gratwanderung. Es gibt keine Patentrezepte, auch wenn Eltern sich das manchmal wünschen. Erziehung ist Beziehung – zwischen Eltern und Kindern, zwischen den Partnern, zwischen Eltern und Großeltern und zwischen Eltern und den Institutionen Kindergarten und Schule. Ohne eine gute Beziehung gibt es keinen guten Einfluss, sondern Widerstände. Druck schafft meistens Gegendruck, in jedem Lebensbereich. Kindererziehung ist immer auch Selbsterziehung.
Es geht nicht darum, richtige oder falsche Methoden aufzeigen. Ihre Kinder sollen sich zu lebensfrohen, selbstbewussten, kompetenten und der Gemeinschaft verpflichteten Erwachsenen entwickeln. Wenn Ihnen die Erziehungsziele, die ich im ersten Kapitel nenne, zusagen, dann könnte dieses Buch ein Kompass für Sie sein, der Ihnen im alltäglichen Erziehungsdschungel Orientierung gibt.
Kapitel 1
Wohin soll die Reise gehen?
Wenn ich in Kursen oder Vorträgen frage, was Ihre Kinder können sollten, wenn sie erwachsen sind, lauten die Antworten der Eltern meist:
»Mein Kind soll glücklich sein.«
»Meine Kinder sollen selbstständige, selbstbewusste Erwachsene werden, die für sich sorgen und für sich einstehen können.«
Die Frage geht die unsere ganze Gesellschaft an. Erziehung im weitesten Sinn bestimmt, wie die nächste Generation leben wird, ihre Werte, die Art des Umgangs miteinander, die Ziele, die sie verwirklichen wird. Deshalb sollte sie am Anfang aller Bemühung um die Kinder stehen. Was sollen die Kinder lernen? Welche Fähigkeiten sollen die Kinder haben, wenn sie erwachsen sind? Was macht Menschen leistungsfähig? erfolgreich? glücklich? Oder sogar alle drei?
Eltern und Politiker sich weitgehend einig: eine möglichst gute Bildung – gemeint war, bis vor kurzem, rein kognitives Wissen, das man sich aneignen und weitergeben kann. In der politischen Bildungsdebatte geht es meist um Bildung für die Wirtschaft. meistern noch mit Frust umgehen. Menschen im Arbeitsleben brauchen Wissen und fachliche Qualifikationen, die sie in der Ausbildung, im Studium oder in der Weiterbildung erwerben. Zusätzlich brauchen Arbeitnehmer aber auch Lebenskompetenz! Ohne Sie können Menschen ihre Fachkenntnisse nicht wirklich einsetzen!
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert:
»Lebenskompetenzen sind diejenigen Fähigkeiten, die einen angemessenen Umgang sowohl mit unseren Mitmenschen als auch mit Problemen und Stresssituationen im alltäglichen Leben ermöglichen. Solche Fähigkeiten sind bedeutsam für die Stärkung der psychosozialen Kompetenz.« (WHO 1994)
Dazu gehören:
1. Selbstwahrnehmung und Einfühlungsvermögen.
2. Umgang mit Stress und negativen Emotionen.
3. Kommunikation, Selbstbehauptung/Standfestigkeit.
4. Kreatives, kritisches Denken, Probleme lösen
5. Information.
(http://cms.eigenstaendig.net/?page_id=39 am 26. Oktober 2013)
Lebenskompetenz entsteht nicht von allein. Wie also können Eltern ihre Kinder ausrüsten? Wie bereiten sie sie vor für das Leben, das sie in fünfzehn, zwanzig Jahren führen werden?
Welche Menschenbilder haben wir zur Verfügung?
Wie wir über Menschen denken, bestimmt unser Denken über Erziehung. Jahrtausende lang ging die Menschheit davon aus, dass Menschen von Natur aus böse sind, und dass sie das Gute lernen müssen. Im Alten Testament steht: Wer sein Kind liebt, züchtigt es. Thomas Hobbes spricht davon, dass ein Mensch für den anderen wie ein Wolf sei, also ein Raubtier. Darwin spricht vom Überleben des Stärkeren. Und doch spricht die Bibel davon, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild schuf. Gott, der Allmächtige, der liebende Schöpfer, schuf den Menschen nach seinem Ebenbild! Das hieße doch, dass der Mensch im Wesen gut und anderen zugewandt ist!
Bahá’u’lláh, der Begründer der Bahaí-Religion, schreibt:
»Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, dass es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag.«¹
Auch hier sehen wir das große Potential des Menschen und seine Aufgabe: zum Fortschritt der Menschheit beizutragen. Die Aufgabe der Eltern (und aller, die in die Erziehung und Bildung involviert sind) ist es, das Potential der Kinder zu fördern, ihre Edelsteine, also alle ihre Anlagen, Fähigkeiten und Begabungen zu fördern und ihnen zu helfen, ihre im Ansatz guten Charaktereigenschaften so zu entwickeln, dass sie diese für sich und andere Menschen oder die Gemeinschaft einzusetzen lernen. Soweit die Religion. In der öffentlichen Wahrnehmung gelten immer noch darwinistische Gedanken von Konkurrenz und Kampf gegeneinander als die normale, angeborene Lebensform. Dem widersprechen die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung. Die Neurobiologie bestätigt, dass der Mensch seiner Natur nach zum Miteinander, nicht zum Gegeneinander geschaffen ist. Fähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Empathie sind angeboren! Wettbewerb und Konkurrenzdenken sind erlernt, nicht umgekehrt. Joachim Bauer beschreibt in seinem Buch »Prinzip Menschlichkeit«: »Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben.«
Das Menschenbild von Alfred Adler
Dieses Buch basiert auf der Individualpsychologie von Alfred Adler (1870–1937), einem der »Gründerväter« der modernen Psychologie. Adler, und später seine Schüler, vor allem Rudolf Dreikurs (1897–1972) waren ihrer Zeit weit voraus. Die Hirnforschung der letzten zwanzig Jahre bestätigt, was Adler vor über hundert Jahren lehrte. Er sah in Menschen vor allem soziale Wesen. Menschen können nicht allein leben. Zusammenarbeit ist eine Grundvoraussetzung unseres Lebens. Deshalb sind soziale Fähigkeiten und gute Beziehungen lebensnotwendig!
Deshalb fordert Adler: »Das Kind muss für die Gemeinschaft erzogen werden!«
Alfred Adler spricht von drei sozialen Lebensaufgaben, die alle Menschen zu lösen hätten. Er nannte sie Lebensaufgaben, weil sie uns ein Leben lang begleiten, und sie sind sozial, weil wir sie nicht allein, sondern nur in Beziehung zu und in Gemeinschaft mit anderen lösen können. Es sind die Aufgaben Liebe, Arbeit und Gemeinschaft. Unter Liebe verstand er Partnerschaft und Sexualität, aber auch den Umgang mit der Familie, der Herkunftsfamilie und der eigenen Familie mit den Kindern und später auch deren Partnern und Kindern. Unter Arbeit verstand er nicht nur die Erwerbstätigkeit, sondern alle Arbeit, die wir verrichten. Das Arbeitsklima, der Umgangston, die Anerkennung, von denen die Atmosphäre zwischen Menschen geprägt wird, beeinflussen ihr Wohlbefinden und ihre Leistungsbereitschaft auf beträchtliche Weise. Die Lebensaufgabe Gemeinschaft umfasst nicht nur unsere Freundschaften, sondern auch den Umgang mit Menschen, die wir in allen Lebensbereichen außerhalb der Arbeit und der Familie treffen, also die Erzieherinnen² und Lehrer der Kinder, die anderen Eltern, Mitglieder in Verein und Partei, Nachbarn und Menschen, die wir im Alltag und in der Freizeitgestaltung treffen, sei es an der Kasse oder in der Straßenbahn. Adlers Schüler Rudolf Dreikurs und Harald Mosak formulierten zwei weitere Aufgaben. Sie nannten sie einen Kosmos. Hier geht es um den Sinn des Lebens – warum wir überhaupt hier sind auf dieser Welt. Die Wissenschaft hat erkannt, dass Menschen, die für sich eine Antwort auf diese Frage gefunden haben, gut mit Lebenskrisen umgehen können. Die letzte Aufgabe ist der Umgang mit sich selbst. Mit sich selbst im Einklang sein und Frieden mit sich gemacht zu haben, trägt wesentlich zu einem glücklichen Leben bei. Hier geht es nicht um Selbstverwirklichung um jeden Preis, sondern um die Balance zwischen für sich selber sorgen und für andere Menschen da sein.
Als Ideal und gleichzeitig als Maßstab für das Leben in der Gemeinschaft formuliert Adler das Gemeinschaftsgefühl. Die Glücksforschung bestätigt, dass gelungene zwischenmenschliche Beziehungen wesentlich zum persönlichen Wohlbefinden und Glück jedes Einzelnen beitragen. Leben in der Gemeinschaft mit der Gemeinschaft für die Gemeinschaft führt zu Glück! Eine Kultur der Zusammenarbeit, gegenseitiger Hilfsbereitschaft und des Sich-Kümmerns entspricht dem positiven Menschenbild viel mehr als Elitedenken, eine Ellbogen- und Mitnahmementalität, als der Egoismus, den der Turbokapitalismus zu fordern und fördern scheint. Anzeichen für einen Wechsel im Denken sind da. Junge Erwachsene heute wollen Familie, Beziehungen, Freundschaften und einen sinnvollen Arbeitsplatz miteinander vereinen.
Welche Werte und Fähigkeiten brauchen unsere Kinder für diese neue Gesellschaft, die sich langsam abzeichnet? Da gute Beziehungen wichtig sind, brauchen sie das, was Beziehungen fördert, also Werte wie Ehrlichkeit, Höflichkeit, Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit, Gerechtigkeit. Sie brauchen Fähigkeiten zur Zusammenarbeit, zur Freundschaft, zur Liebe. Sie sollen sich einbringen und zurücknehmen können. Sie sollen Konflikte aushalten und lösen können. Dafür brauchen sie ein gutes Selbstwertgefühl und die Bereitschaft, sich am Arbeitsplatz, in der Familie, im Freundeskreis und in der Gemeinschaft einzusetzen. Sie sollen einen Beruf ausüben und Geld verdienen und das Geld sinnvoll für sich und ihre Familien nutzen, ohne in Schulden zu geraten. Dafür brauchen sie Leistungsbereitschaft, Ausdauer und Frustrationstoleranz. Sie sollen sich eine Meinung bilden können in all dem Informationsüberfluss. Sie sollen sich sinnvolle Ziele setzen und diese auch erreichen können.
Dies ist ein ziemlich großer Katalog von Werten und Fähigkeiten, die Kinder in fünfzehn Jahren lernen sollen – neben der Bildungsmaterie der Schulen. Nach ungefähr fünfzehn Jahren ist die aktive Phase der Erziehung abgeschlossen. Sie wird im fließenden Übergang abgelöst durch die Phase der Begleitung – die Eltern begleiten ihren nun jugendlichen Nachwuchs in die Selbständigkeit und Eigenverantwortung des erwachsenen Menschen.
Kapitel 2
Was braucht ein Kind?
Alfred Adler beschreibt vier grundlegende menschliche Bedürfnisse:
Das Bedürfnis dazuzugehören
Das Bedürfnis, besser zu werden, zu wachsen, zu lernen
Das Bedürfnis, Bedeutung zu haben, wertgeschätzt zu werden
Das Bedürfnis nach Ermutigung
Das Bedürfnis dazuzugehören
Am Anfang eines jeden Elternkurses sprechen wir darüber, wie Menschen sich fühlen, denen das Zugehörigkeitsgefühl abhanden gekommen ist in der Familie, am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis. Die Gefühle haben ein breites Spektrum: von Unbehagen über Traurigkeit, Wut, Aggression, Hilflosigkeit, Verzweiflung, über Minderwertigkeitsgefühle bis zu körperlichen Symptomen wie Unwohlsein, Magendrücken, Übelkeit und Kopfschmerzen. Wenn es Erwachsenen so geht, wie geht es dann erst den Kindern, die noch nicht die Fähigkeit haben zu erkennen, was sie brauchen und das auch zu sagen oder für sich selber zu sorgen? Jedes Kind will seinen festen Platz haben im Familiengefüge, im Kindergarten, in der Schulklasse, im Sportverein oder bei den Pfadfindern – wo immer es teilnimmt. Leider ist die bloße Zugehörigkeit zur Familie oder zu jeder anderen Gruppe keine Garantie dafür, dass Menschen sich auch zugehörig fühlen! Erwachsene können etwas dafür tun. Kinder brauchen die Hilfe der Erwachsenen, um es zu