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Die Geschlagenen
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eBook381 Seiten4 Stunden

Die Geschlagenen

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Über dieses E-Book

Die Unmenschlichkeit und Unsinnigkeit des Krieges wollte Hans Werner Richter möglichst realistisch und ohne Pathos darstellen und für die nächste Generation festhalten. Die moralische Botschaft seines ersten Romans ist deutlich: So etwas darf nie wieder passieren.

Erzählt wird die Geschichte des deutschen Soldaten Gühler, beginnend mit der Schlacht in Monte Cassino im September 1943. Er und seine Mitsoldaten sind unter Beschuss der Amerikaner, selbst ohne Waffen, apathisch vor Hunger harren sie aus. Das aussichtslose Kämpfen für ein Regime, das er ablehnt, zermürbt Gühler. In der Gefangenschaft in den USA ergeht es ihm zunächst nicht viel besser. Der Zwist unter den Gefangenen, zwischen Nazis und Antifaschisten, wird von den Amerikanern nicht unterbunden. Erst mit Kriegsende beginnt für Gühler eine Zeit der Hoffnung. Als Deutschlehrer und später verantwortlich für die Lagerbibliothek und -zeitschrift findet er seinen Weg.

Bei seinem Erscheinen 1948 sorgte dieses Debüt für Aufsehen: Niemand hatte so lebensnah über die Ereignisse geschrieben, die gerade erst vergangen waren. Über hundert Rezensionen befassten sich mit Richters Erstling, auch international fand er breite Beachtung, die Stadt Berlin verlieh ihm den Fontanepreis. Die Innensicht eines Mannes, der nur zu gern den Krieg verliert und danach erst langsam seinen Frieden findet, berührt auch heute noch.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. März 2018
ISBN9783803142351
Die Geschlagenen

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    Buchvorschau

    Die Geschlagenen - Hans Werner Richter

    E-Book

    -Ausgabe 2018

    Mit freundlicher Genehmigung:

    © Hans Werner Richter-Stiftung, Bansin

    © 2018 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40 / 41, 10719 Berlin

    Covergestaltung Julie August unter Verwendung des Gemäldes »Seven Crows« (1980) von Alex Colville, Sammlung der Owens Art Gallery © A. C. Fine Art Inc. Reihengestaltung Rainer Groothuis. Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph.

    Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.

    Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

    ISBN: 9783803142351

    Auch in gedruckter Form erhältlich: 9783803127921

    http://www.wagenbach.de/​

    Meinen vier Brüdern, die Gegner und Soldaten dieses Krieges waren, die ein System haßten und doch dafür kämpfen mußten und die weder sich selbst, ihren Glauben noch ihr Land verrieten.

    I

    Gühler stand in der beginnenden Nacht und sah über den See. Auf der anderen Seite des Sees flammten ein paar Lichter auf und erloschen wieder. Aus den Weinbergen am Rande des weiten Feldes kam der Geruch des Herbstes. Gühler nahm den Stahlhelm ab, der ihn drückte, und verschob das Band darin. Hinter ihm an der Straße begann eine Trompete aufzuschreien. Ihre Töne klangen langgezogen und weinerlich und verloren sich. Gühler hob den Kopf. Er sah angespannt zu den kleinen Zelten hinüber, die verstreut auf dem Felde standen.

    Jemand lief an ihm vorbei und schrie:

    »Alarm!«

    Drüben auf der anderen Seite des Sees setzte jetzt ebenfalls eine Trompete ein. Der Ton kam schrill und hoch über den See und erstarb. Dann wiederholten sich die weinerlichen Töne der ersten Trompete.

    »Alarm«, dachte Gühler, »wieder einmal blinder Alarm.«

    Er sah zu den Zelten hinüber. Jetzt kam das Trompetensignal von überall rings um den See.

    »Gühler, Gühler«, hörte er es von den Zelten her rufen. Jemand kam auf ihn zugestolpert.

    »Was ist, Beijerke?« sagte er.

    »Hörst du nicht, der Teufel ist los.«

    »Was ist los?«

    »Der Teufel«, schrie Beijerke und lief zurück in die Nacht. Gühler ging zu den Zelten hinüber.

    »Es ist immer dasselbe«, dachte er, »es hat keinen Zweck, sich aufzuregen.«

    Er sah einen Schatten in der Dunkelheit. Ein Kochgeschirr schlug leise scheppernd an eine Gasmaske.

    »Was ist los?« sagte er.

    »Die Italiener«, antwortete eine Stimme aus der Dunkelheit.

    Er begann zu laufen. Er riß den Stahlhelm herunter und stolperte über die Felder.

    »Die Italiener«, dachte er, »die Italiener. Das ist doch nicht möglich.«

    Er lief immer schneller. Vor ihm tauchten ein paar Lichter auf. Strahlen von Taschenlampen irrten über den Boden. Aus dem Lichtkreis kamen Stimmen.

    »Wo ist der Zeltstock?« sagte jemand, »verflucht, wo ist der Zeltstock?«

    »Laß die Gasmaske liegen, das ist meine Gasmaske.«

    »Mensch, schieb das MG beiseite, ich sage dir, schieb das MG beiseite.«

    Er lief auf den Wagen zu, der unter einem Baum stand. Jemand bewegte sich hinter dem Wagen.

    »Bist du das, Konz?«

    »Ja, es ist gut, daß du da bist.«

    »Was ist schon wieder los?«

    »Die Italiener haben kapituliert. Heute abend sind unsere Küchenwagen demoliert worden. Sie sagen, der Krieg ist aus.«

    »Was«, sagte Gühler, »die Italiener haben aufgehört. Dann hauen wir also ab.«

    »Glaube ich nicht«, sagte Konz.

    Er schob ein MG auf den Wagen.

    »Faß mal an«, sagte er.

    »Schöne Bescherung«, sagte Gühler, aber er dachte, »Frieden, sie schreien nach Frieden, sie haben kapituliert. Es ist aus, mein Gott, es ist aus.«

    »Mach hin«, sagte Konz, »es wird Zeit.«

    Gühler schob sein Gewehr auf den Wagen und warf den Stahlhelm hinterher. Konz schrie:

    »Ist alles drauf?«

    »Ja«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit.

    »Habt ihr meine Sachen dabei?« sagte Gühler.

    »Ja, alles auf den Wagen geschmissen.«

    »Und das MG?«

    »Vorn in der Ecke links. Alles in Ordnung«, sagte Konz.

    Die anderen kamen und sprangen einer nach dem anderen auf den Wagen. Sie fluchten durcheinander. Der Motor heulte auf und summte dann regelmäßig. Sie saßen dicht nebeneinandergedrängt und versuchten sich einzurichten.

    »Hak mir die Gasmaske ein«, sagte Holzgrebe.

    »Quatsch, du mit deiner Gasmaske, was brauchst du jetzt eine Gasmaske.«

    »Halt dein Maul«, sagte Holzgrebe.

    Der Wagen ruckte an und blieb stehen. Unteroffizier Hahnemann kam über das Feld gerannt.

    »Alles runter, schieben!«

    Sie sprangen von dem Wagen und stemmten sich gegen die Räder.

    »So ein Scheißfahrer«, sagte Konz.

    Langsam bewegte sich der Wagen über das Feld. Gühler schob mit dem Rücken unter dem Kasten. Er dachte:

    »Es ist aus. Jetzt können sie sich nicht mehr halten.«

    Auf der Straße standen die Wagen aufgereiht, einer hinter dem anderen. Ihre Nasen zeigten nach Süden.

    »Siehst du die Holzkreuze«, sagte Beijerke.

    Gühler drehte sich um.

    »Wo?« sagte er.

    »Da, auf dem Troßwagen.«

    Auf dem Troßwagen standen die Holzkreuze. Sie hatten sie in wochenlanger Arbeit anfertigen müssen.

    »Der Alte wird keine Freude daran haben«, sagte Gühler.

    Er sah zu den Kreuzen hinüber, die sich dunkel von den Bäumen abhoben. Beijerke sah Gühler ins Gesicht und grinste.

    »Ob wir dabei sein werden«, sagte er.

    »Es sind zu wenig. Zwanzig Stück, das reicht nicht aus.«

    Sie standen auf dem Wagen und sahen in die Nacht.

    »Es ist sowieso bald alles vorbei«, sagte Gühler.

    Ihn fror ein wenig. Langsam trocknete der Schweiß auf seiner Stirn. Der Wagen fuhr an den Holzkreuzen vorbei. Einen Augenblick war es ihm, als bewegten sie sich und kämen drohend auf ihn zu. Aber dann versanken sie in der Dunkelheit hinter ihm.

    »Habt ihr gehört, scharf laden und sichern«, sagte Konz.

    Gühler nahm das MG und legte es vor sich auf den Aufbaukasten des Wagens.

    »Kommt ihr endlich«, schrie jemand, der auf der Straße stand.

    Niemand antwortete ihm. Der Wagen fuhr in eine Lücke, die zwischen der dichtgedrängten Kolonne klaffte. Die leise scheppernden und klirrenden Geräusche verstummten allmählich. Über der Kolonne lag Schweigen. Beijerke flüsterte:

    »Wir sind weit vorn.«

    »Ja«, sagte Gühler, »dritter Wagen.«

    Dann schwiegen sie wieder. Die Wagen setzten sich in Bewegung. Das Summen der Motoren klang einschläfernd durch die Nacht. Der Geruch von reifendem Wein wehte mit dem stärker werdenden Nachtwind von den vorbeifliegenden Gärten herüber.

    Sie fuhren die ganze Nacht. Sie hatten sich in ihre Decken gewickelt und saßen verschlafen auf ihren Bänken. Dann kam der Morgen. Leichte Nebelschwaden hoben sich von den Feldern. Sie fuhren durch eine Stadt. Ein paar zerlumpte Kinder standen auf der Straße und schrien:

    »Tedesko kaputt, Tedesko kaputt.«

    »Was sagen die?« flüsterte Beijerke.

    »Daß wir fertig sind, kaputt, verstehst du«, sagte Gühler.

    »Wer ist fertig?«

    »Wir oder die da oben, wie man’s nimmt.«

    »Quatsch«, sagte Beijerke, »jetzt räumen wir erst mit den Itakern auf.«

    »Hoffentlich räumen die nicht mit uns auf«, sagte Gühler.

    Hinter der Stadt fuhren sie eine Anhöhe hinauf. In gewundenen Kurven bewegte sich die Straße nach oben. Ein Wagen nach dem anderen kroch die Anhöhe hinauf. Sie fuhren durch den Wald, der die Anhöhe bedeckte, und dann an ein paar Häusern vorbei. Vor einer Kurve blieb die Kolonne ruckartig stehen. Die Wagen waren dicht aufeinandergefahren. Die Fahrer fluchten.

    »Was ist los da vorn«, schrie einer und riß die Wagentür auf.

    »Stockung, wahrscheinlich Straßensperre«, sagte Gühler.

    »Wo gibt’s denn so was«, brüllte der andere und warf die Wagentür zu.

    Ein Unteroffizier lief nach vorn.

    Konz und Holzgrebe saßen aneinandergelehnt und schnarchten.

    »Die Scheißkerle«, sagte Beijerke, »immer müssen sie schlafen.«

    Ein scharfer Knall zerriß die Stille des Morgens.

    »Der Teufel auch, wer knallt denn da«, schrie Beijerke.

    Der Unteroffizier kam zurückgelaufen. Er lief schneller als vorhin.

    »Der hat’s ja eilig«, sagte Beijerke.

    »Alles fertig machen zum Gefecht.«

    »Zu was?« sagte Gühler.

    »Zum Gefecht«, schrie der Unteroffizier, »die Italiener lassen uns nicht durch.«

    Wieder fielen zwei Schüsse. Dann begann das langsame Tack-Tack eines italienischen MGs. Konz sprang aus seinen Decken auf.

    »Was ist los?« sagte er.

    »Die Italiener lassen uns nicht durch.«

    Gühler kletterte mit seinem MG von dem Wagen. In der Kurve begann ein zweites MG zu schießen.

    »Alles fertig machen, los, los«, schrie Konz.

    Gühler lief in den Schutz einer Gartenmauer, die rechts von der Straße lag. Er warf sich in den flachen Graben. Hahnemann kam vorbeigelaufen und schrie:

    »Los, los, wir müssen in die Kurve kommen, damit wir Schußfeld kriegen.«

    Gühler hob das MG und schob sich in dem Graben nach vorn.

    Hinter ihm keuchte Beijerke. Vor ihm lag die Kurve unter dem Feuer der italienischen MGs. Langsam krochen sie in dem Graben nach vorn. Gühler hob jedesmal das MG ein wenig und rutschte dann hinterher. Die Mauer neben ihm verschwand. Er hörte das dünne Sirren der Kugeln dicht über seinem Kopf. Für einen Augenblick fühlte er den Druck des Stahlhelms schmerzhaft an seiner Stirn. »Die Hunde, die verfluchten Itaker«, hörte er Beijerke hinter sich sagen.

    Er preßte sich an den Boden. Die Erde war feucht von dem Tau des Morgens. Aber er spürte es nicht. Das Feuer von vier italienischen MGs lag auf der Kurve.

    »Wir müssen über die Straße auf die freie Pläne«, schrie Hahnemann.

    Aber sie rührten sich nicht. Sie lagen in dem Graben und preßten sich an die Erde.

    »Wo sind die schweren Waffen«, schrie eine heisere Stimme hinter ihnen auf der Straße.

    »Hinten, Herr General.«

    »Verdammte Schweinerei«, schrie die heisere Stimme wieder.

    »Auf Befehl des Herrn General«, sagte die erste Stimme.

    Die italienischen MGs hatten sich eingeschossen.

    »Los, wir müssen über die Straße«, schrie Hahnemann.

    »Wie der sich das vorstellt«, flüsterte Gühler.

    Sie lagen da und rührten sich nicht. Gühler dachte:

    »Ich werde den Kopf nicht heben, niemals werde ich hier wieder den Kopf heben.«

    Drei Mann mit einem Granatwerfer liefen über die Straße.

    Sie sprangen zu ihnen in den Graben. Sie brachten dicht hinter ihnen ihr Gerät in Stellung und begannen zu schießen.

    »Die sind verrückt«, schrie Beijerke.

    Die Granatwerfer ließen die Granaten in das Rohr fallen und bückten sich dann.

    »Mensch, baut euch wo anders auf«, schrie Holzgrebe. Er lag neben Beijerke und hatte den Kopf an die Erde gepreßt.

    Das Feuer der italienischen MGs verstärkte sich schnell. Wieder hörten sie die heisere Stimme hinter sich auf der Straße.

    »Ein IG nach vorn.«

    »Jawoll, Herr General.«

    »Los, dalli, dalli.«

    Einer der Granatwerfer fiel von der Böschung in den Graben. Er sackte in sich zusammen und rutschte mit dem Gesicht auf der Erde entlang.

    »Das habt ihr von dem Blödsinn«, schrie Holzgrebe.

    Ein Infanteriegeschütz kam nach vorn. Gühler hörte das dumpfe Rasseln der Ketten neben sich auf dem Pflaster. Es drehte sich langsam in der Kurve.

    »Wohin?« hörte Gühler es neben sich schreien.

    »Auf das

    MG-Nest

    da drüben.«

    Dann gab es einen kurzen, scharfen Knall. Von dem Haus auf der anderen Seite der Straße fielen ein paar Mauersteine zu Boden.

    »Die schießen mit Panzern«, schrie Hahnemann.

    Gühler preßte sich an die Erde. Unmittelbar neben ihm gab es plötzlich ein gellendes Geräusch. Staub und Dreck drangen in seine Augen. Er sprang auf und versuchte sich umzusehen. Das Geschütz stand quer auf der Straße. Der Fahrer hing rechts heraus und rührte sich nicht.

    »Holzgrebe, Mensch, Holzgrebe.«

    Holzgrebe lag vor ihm auf dem Rücken.

    »Was ist mit dir, Holzgrebe?«

    Die drei Granatwerfer lagen auf ihren Bäuchen. Sie lagen steif und starr und rührten sich nicht. Langsam verzog sich der Staub. Hinter Gühler sprang wieder das langsame Tack-Tack der italienischen MGs auf. Er drehte sich um und lief in den Schutz der Mauer zurück. Konz saß hinter der Mauer. Sein Stahlhelm war ihm ins Gesicht gerutscht.

    »Sie schießen mit Panzern«, sagte er.

    »Wo ist Beijerke?«

    »Drüben«, sagte Konz. Er wies mit dem Kopf auf die andere Seite der Straße, wo Beijerke im Schatten eines Hauses lag.

    »Er ist abgehauen, als das IG kam.«

    »Und die andern?«

    »Alle schon fertig für die Holzkreuze.«

    »Und Hahnemann?«

    »Ist irgendwo hinten.«

    Gühler hockte sich auf die Erde. Er nahm etwas Sand in die Hand und ließ ihn langsam durch die Finger gleiten.

    »Tot«, sagte er, »alle.«

    »Wir müssen wieder nach vorn kriechen«, sagte Konz, »wir müssen die MGs holen.«

    »Ja, die MGs«, sagte Gühler.

    Beijerke kam über die Straße gelaufen. Sie krochen wieder nach vorn. Drüben auf der freien Fläche jenseits der Straße schossen jetzt deutsche MGs. An der Kurve war es still. Die italienischen MGs waren verstummt. Holzgrebe lag auf dem Rücken. Seine Augen sahen starr in den Himmel. Neben ihm lagen die drei Granatwerfer. Gühler und Beijerke nahmen jeder ein MG und luden sich die Kästen auf.

    »Verdammte Scheiße«, sagte Beijerke.

    Auf der anderen Seite der Kurve stieg eine Anhöhe auf. Sie gingen auf die Anhöhe zu, einer hinter dem anderen. Die Sonne brannte auf die freie Fläche. Sie trugen die

    MG-Kästen

    der anderen und begannen zu schwitzen.

    »Schmeißt den Mist weg«, sagte Konz, der vor ihnen ging.

    Sie warfen jeder einen Kasten weg und ließen ihn auf dem Feld liegen. Langsam stiegen sie die Anhöhe hinauf. Auf der Mitte des Feldes begann wieder ein italienisches MG zu schießen. Sie warfen sich hin.

    »Sollen endlich aufhören mit der Knallerei«, schrie Beijerke.

    »Laß sie schießen«, sagte Gühler.

    Sie lagen und hatten den Kopf auf die Erde gepreßt.

    »Irgendwo schießen sie mit Artillerie«, sagte Konz.

    Das langsame Tack-Tack des italienischen MGs verstummte.

    Ein Unteroffizier kam rechts aus einem kleinen Wäldchen gelaufen. Er hatte ein paar braune Reitstiefel und ein Necessaire in den Händen.

    »Das ist ja Hahnemann. Der organisiert schon wieder«, sagte Konz.

    Sie gingen schweigend weiter. Beijerke sah zu den verkrüppelten Bäumen hinüber und sagte:

    »Italienische Offizierszelte da drüben.«

    Er grinste zu Gühler hinüber. Gühler schwieg.

    Drei Mann kamen ihnen entgegen. Sie trugen in ihrer Mitte einen schweren Gegenstand in einer Zeltbahn. Aus der Zeltbahn tropfte etwas Blut.

    »Wer?« schrie Konz, als die drei vorübergingen.

    »König«, sagte einer von ihnen, »kennst du König?«

    »Ja«, sagte Konz, »vom ersten Zug.«

    Sie gingen über die Anhöhe hinüber. Auf der anderen Seite zog sich ein Tal weit nach dem Süden hin.

    Sie stiegen durch dichte Weinberge in das Tal hinab. Die Panzer, die auf der Anhöhe gestanden hatten, waren verschwunden. Nur noch hin und wieder fiel im Süden des weiten Tals ein Schuß.

    »Das waren deutsche Panzer, mit denen die Itaker geschossen haben«, sagte Beijerke.

    »Mark vier«, sagte Konz.

    Gühler sagte nichts. Das MG drückte schwer auf seiner Schulter. Die Schweißperlen liefen ihm in den Mund. Die Sonne brannte heiß und unerbittlich. Sie gingen zwischen hohen Weinstöcken hindurch. Beijerke setzte sich und riß eine Rebe herunter.

    »Mach hin«, sagte Konz.

    Aber Beijerke blieb sitzen. Er hatte seinen Rock aufgeknöpft. Schwitzend lag er unter dem Weinstock. Der rote Saft der blauen Trauben lief über seine Hände.

    »Es sieht aus wie Blut«, dachte Gühler, »genau wie das Gesicht des Granatwerfers.«

    »Mach hin, Beijerke«, sagte Konz wieder.

    »Quatsch«, sagte Beijerke, »die führen ihren Krieg auch ohne uns.«

    Gühler stellte sein MG auf die Erde. Er knöpfte seinen Rock auf und warf sich neben Beijerke. Er riß eine Rebe von dem Weinstock und biß hinein. Er legte sich ganz auf den Rücken und streckte die Beine aus. Konz hatte sich neben Gühler gelegt. Er hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen.

    »Schade um Holzgrebe, war ein guter Kerl«, sagte er.

    Die anderen sagten nichts. Gühler spürte die Sonnenstrahlen auf seiner entblößten Brust. Über ihm hingen die Reben und dahinter, über dem Grün der Blätter, der tiefblaue Himmel.

    »Kugler, den Fahrer vom ersten Wagen, hat es auch erwischt«, sagte Konz.

    »Den auch«, sagte Gühler.

    »Los«, sagte Konz, »wir müssen weiter.«

    Beijerke stand langsam auf. Er knöpfte sich den Rock zu und warf das MG auf die Schulter. Gühler nahm die Kästen und sein MG. Langsam stiegen sie weiter in das Tal hinab. Konz schwankte ein wenig.

    »Der verträgt’s nicht«, sagte Beijerke.

    Gühler schwieg. Das MG lag schwer auf seiner Schulter und die Kästen zogen nach unten. Sie gingen Schritt für Schritt. Der Schweiß lief von ihren Stirnen.

    »Diese Scheißhitze«, sagte Beijerke.

    Sie kamen an ein Gehöft. In einem halb verfallenen Stall grunzte ein Schwein.

    »Mitnehmen«, sagte Beijerke, »das müssen wir mitnehmen. Wir haben so lange nichts mehr zu fressen gehabt.«

    »Du bist verrückt«, sagte Gühler.

    Beijerke begann die Bretter des Verschlages zu lösen. Er schlug mit dem MG gegen die Bretter. Das Schwein sah ihn ununterbrochen an. Langsam lösten sich die Bretter. Dann machte das Schwein einen Satz und lief mit einem gellenden Quietschen aus dem Stall.

    »Halt«, schrie Beijerke, »halt!«

    Er versuchte, es festzuhalten. Er griff nach dem Schwanz und warf einen

    MG-Kasten

    hinterher. Das Schwein rannte quietschend in die Weinberge hinaus.

    »Das MG«, schrie Beijerke, »das MG. Wir müssen es abschießen.« Er lief hinter dem Schwein her in die Weinstöcke hinein. Dann kam er niedergeschlagen zurück.

    »So eine Scheiße«, sagte er, »so eine Scheiße.«

    »Es ist ein italienisches Schwein«, sagte Gühler, »es will nichts mehr mit uns zu tun haben.«

    »Wir wollten es ja nur fressen«, sagte Beijerke.

    »Eben«, sagte Gühler.

    Konz saß auf einem Stein und versuchte, ein knallrotes Oberhemd unter seinen Rock zu binden.

    »Wo hast du denn das her?« sagte Beijerke.

    »Organisiert«, sagte Konz, »sind noch mehr da drin.« Er wies auf das Haus hinter ihnen.

    »Laß den Dreck liegen«, sagte Gühler. Er nahm sein MG und ging in die Felder hinaus. Beijerke folgte ihm. Schweigend gingen sie zwischen den Weinstöcken hindurch. Auf einer Lichtung sahen sie eine kleine Anhöhe vor sich. Zwischen den Bäumen auf der Anhöhe ein paar Häuser.

    »Eine Stadt«, sagte Beijerke, »dort werden sie sich sammeln.«

    Sie gingen die Anhöhe hinauf. Vor ihnen erhob sich eine Mauer. Sie liefen ein Stück an der Mauer entlang und fanden eine Treppe.

    »Wir müssen vorsichtig sein«, sagte Beijerke, »vielleicht sitzen da noch die Italiener drin.«

    Sie gingen die Treppe hinauf. Auf einem kleinen Marktplatz, in dessen Mitte ein alter Brunnen stand, saßen ein paar Mann aus ihrem Zug. Sie saßen da und ließen die Köpfe hängen. Ihre Haare waren von Schweiß verklebt. Sie sahen erschöpft und müde aus.

    »Was ist los?« sagte Gühler zu einem von ihnen.

    »Sammeln, warten«, sagte der und schwieg dann wieder.

    Sie stellten die MGs an die Wand, nahmen die Stahlhelme ab und setzten sich zu ihnen. Die Sonne stand jetzt steil am Himmel. Hoch über ihnen kreiste ein Flugzeug. Gühler lehnte den Kopf an die Wand und schloß die Augen.

    »Schlafen«, dachte er, »jetzt schlafen, für immer schlafen.«

    Konz kam über den Marktplatz. Er stieß Gühler in die Seite und sagte:

    »Sie kommen, hörst du sie kommen?«

    »Wer kommt?« sagte Gühler.

    »Die Panzer«, sagte Konz, »hörst du sie nicht?«

    Das schwere Kettengerassel der Panzer kam auf sie zu.

    »Es sind deutsche«, sagte Beijerke.

    Auf der anderen Seite des Marktplatzes standen ein paar italienische Frauen. Sie lachten, als die Panzer vorbeifuhren. Dann kamen die Mannschaftswagen. Die Fahrer schrien:

    »Seid ihr noch alle da?«

    Niemand antwortete ihnen. Sie saßen müde an die Wand gelehnt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in den Händen. Die Stahlhelme lagen zwischen ihren Füßen.

    Der Troßwagen mit den Holzkreuzen fuhr vorbei. Der Wagen holperte auf dem Kopfsteinpflaster. Die Holzkreuze klapperten.

    »Da sind ja schon die Namen drin«, sagte Beijerke, »da siehst du. König, Holzgrebe, Kugler.«

    Gühler schwieg. Er sah den Holzkreuzen nach. Dann sagte er:

    »Laß schon. Es ist ja doch alles egal.«

    Hahnemann kam über den Marktplatz gerannt.

    »Wer meldet sich freiwillig zum Salvenschießen?«

    »Zu was?« sagte Gühler.

    »Zum Salvenschießen über den Gräbern.«

    Keiner meldete sich. Sie saßen da und sahen auf die Straße. Einer spuckte auf den Bürgersteig. Er tat es langsam und sorgfältig.

    »Salven«, sagte er dann, »Salven, so ein Quatsch.«

    »Aufsitzen«, schrie Konz.

    Müde gingen sie an die Wagen und kletterten hinauf. Konz setzte sich nach vorn zu dem Fahrer. Beijerke und Gühler saßen allein auf dem Wagen. Beijerke sagte:

    »Jetzt sind wir sie los!«

    »Wen?«

    »Die Holzkreuze«, sagte Beijerke. Langsam fuhren die Wagen aus der Stadt hinaus nach Süden.

    II

    Es gab Erbsen mit Schweinefleisch. Das Fleisch war fett und frisch. Sie aßen es aus ihren Kochgeschirren. Das Fett lief triefend aus ihren Mundwinkeln. Die Kolonne stand auf der Straße. Auf den Wagen grunzten die erbeuteten Schweine. Von jenseits der Straße schoß italienische Artillerie. Die Einschläge saßen hinter ihnen in dem dichten Buchenwald. Gühler lag neben Beijerke im Straßengraben. Gühler sagte:

    »Wenn die Amerikaner hinter uns landen, sind wir fertig.« Beijerke sagte nichts.

    Er hatte das Kochgeschirr voll Schweinefleisch vor sich.

    »Mensch, friß«, sagte er, »so gut werden wir’s nicht wieder haben.« Gühler lag auf dem Rücken. Er schüttelte den Kopf.

    »Es ist mir zu fett«, sagte er.

    Sie trugen die Ärmel hochgekrempelt wie bei einer schweren Arbeit oder vor einem großen Schlachten. Beijerke stülpte das leere Kochgeschirr um.

    »Das war vielleicht ein Fraß«, sagte er.

    Die Abschüsse der Artillerie hinter den sanft gewellten Hügeln jenseits der Straße verstummten allmählich.

    »Fertigmachen«, schrie Hahnemann von der Straße. Gühler sprang auf.

    »Los, Beijerke, die hauen wieder ab.«

    Die Kompanie trat in dem Graben neben der Straße an. Sie gingen an ihren Wagen und rissen die MGs herunter. Dann stellten sie sich zu den anderen.

    »Laßt euch nicht erwischen«, schrie einer der Fahrer.

    Sie gingen, einer hinter dem anderen, den Graben entlang. Die Wagen blieben hinter ihnen auf der Straße stehen. Zerbeulte Stahlhelme, Fetzen von zerrissenen Uniformen und zerbrochene Gewehre lagen im Graben. Auf der Straße standen zerschossene Wagen. Sie gingen um den Kadaver eines toten Pferdes herum, der aufgedunsen in der brütenden Sonne lag. Die Sonne stand halb in ihrem Rücken. Sie brannte heiß durch die Uniform. Der Schweiß lief über den Bauch zwischen die Beine und machte das Gehen schwer. Gühler fühlte, wie es ihn langsam nach unten zog. Das MG schnitt in seine Schulterblätter. Die Kästen hingen schwer auf seinem Rücken.

    »Mach nicht schlapp, Gühler«, sagte Beijerke, der hinter ihm ging.

    Auf der Straße zogen italienische Soldaten vorüber. Sie zogen rückwärts nach dem Norden. Sie gingen in Hemden ohne Uniformröcke. Sie hatten keine Gewehre, keine MGs und keine Stahlhelme mehr zu tragen.

    »Krieg vorbei, alles kaputt«, riefen sie.

    »Die haben’s gut«, sagte Beijerke.

    Gühler versuchte das MG auf die andere Schulter zu legen. Die Kästen fielen zu Boden. Hart schlugen sie auf die Erde.

    »Beinahe auf die Beine«, schrie Beijerke, »Mensch, paß auf.«

    »Ich kann nicht mehr«, sagte Gühler.

    »Los, los«, schrie es hinter ihnen, »was ist denn los da vorn?«

    »Gib die Kästen her«, sagte Beijerke, »erst kein Fleisch essen und dann schlapp machen. So ist’s richtig.«

    Beijerke nahm die Kästen und warf sie sich über die Schulter.

    »Weiter da vorn«, schrie es wieder hinter ihnen.

    »Gib mir die Kästen zurück«, sagte

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