Ein Licht im Zimmer
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Über dieses E-Book
Sergeant Ohayon, zur Verstärkung aus Fleurville beordert, muss sich mit den Geheimnissen und Allianzen in dieser kleinen Stadt auseinandersetzen: Die unerklärlichen Ereignisse häufen sich. Ganz in der Nähe der Stelle, an der die Frau überfallen wurde, wird ein Mädchen überfahren, der Fahrer ist flüchtig. Aber warum geriet sie überhaupt mitten in der Nacht an dieser gefährlichen Stelle auf die Straße? War sie vor etwas auf der Flucht?
Zwischendurch lässt Wittekindt den Leser dem wahren Mörder über die Schulter schauen. Nur, für welche Taten ist dieser Mörder wirklich verantwortlich? Der neue Band mit dem dicken, ständig unterschätzten Ohayon fesselt durch die Figuren und die schwebende Stimmung - ein Roman wie ein französischer Film!
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Buchvorschau
Ein Licht im Zimmer - Matthias Wittekindt
regeln.
Dienstag
Bertrand Giry hatte eine Weile überlegt, wie er das Problem seiner Tochter in den Griff bekäme, ohne dass jemand davon erfuhr. Er musste vorsichtig sein, schließlich hatte er einen Namen, der etwas galt, und seine Tochter trug denselben. Er brauchte jemanden, der in der Lage war, die Probleme in Bauge zu lösen, jemanden, der seine Tochter decken würde, ohne es an die große Glocke zu hängen. Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, wusste er, an wen er sich wenden würde. Er rief Roland Colbert in Fleurville an.
»Monsieur Giry? Ich spreche mit Bertrand Giry?«
Roland Colbert hatte schon mit Bertrand Giry zu tun gehabt, denn Giry war einer seiner Ausbilder gewesen. Fachbereich forensische Psychologie. Sie waren ein paarmal aneinandergeraten, was daran lag, dass Bertrand Giry dazu neigte, die Fälle von seiner psychologischen Warte aus zu sehen, während Roland Colbert eher ein Organisator war, der auf Fakten baute.
»Sie sind der typische Fall eines Funktionärs, eines Mannes, der an ein Regime glauben würde!« Zu Aussagen dieser Art hatte Bertrand Giry sich damals hinreißen lassen.
Roland spürte, wie sich sein Körper anspannte.
»Womit kann ich Ihnen helfen, Monsieur Giry?«
»Es geht um meine Tochter Nicole. Sie leitet seit einem Jahr die Gendarmerie in Bauge. Meiner Tochter geht es nicht gut. Das Wetter. Bauge war die falsche Wahl.«
»Das tut mir leid.«
»Warum ich Sie anrufe, ist Folgendes …« Er erklärte alles, ließ es ein bisschen wie den Schlag des Schicksals aussehen. »… die brauchen Unterstützung, es darf zu keinen weiteren Übergriffen auf das chinesische Lager kommen! Es wäre nur übergangsweise, so lange, bis die Stelle meiner Tochter neu besetzt ist.«
»Wird sie denn nicht zurückkehren?«
»Ich werde mich darum bemühen, dass sie in einer angenehmeren Umgebung eine neue Aufgabe erhält.«
»Wieder in leitender Stellung?«
»Das ist für diese Sache vollkommen unwichtig.«
Bertrand Giry hätte das mit der Unwichtigkeit nicht betonen müssen, Roland Colbert war bereits klar gewesen, dass es genau darum ging. Dass Nicole Giry sauber aus der Sache rauskommen musste, weil sie den Namen ihres Vaters trug.
»Ich möchte nicht, dass ihr Weggang damit in Verbindung gebracht wird, dass sie ihre Arbeit nicht anständig erledigt hat.«
»Und da wenden Sie sich an mich? Wir sind nicht gerade Freunde.«
»Nein.«
»Also, warum ich? Weil ich in der Provinz sitze? Weil ich es nicht rumerzählen kann?«
»Offen gesagt, ja. Und weil ich Sie für jemanden halte, der mein Problem versteht. Es geht nicht nur um meine Tochter. Es geht um die Institution.«
Roland Colbert schwieg. Er war noch immer nicht so ganz dahintergekommen, was Bertrand Giry sich von ihm versprach. Rief man denn jemanden an, der einem feindlich gesinnt war, wenn man ein so prekäres Problem hatte? Aber Giry war ja Psychologe, er würde schon seine Gründe haben.
»Kann ich auf Sie zählen?«
Roland Colbert hätte abgelehnt. Aber Bertrand Giry war ein einflussreicher Mann, der nützlich sein konnte. Nicht ihm direkt, aber einem seiner Mitarbeiter. Und mit dem hatte er Pläne. Es ging dabei letztlich um seine eigenen Karriereziele. Nachdem er das alles kurz durchdacht hatte, beschloss Roland Colbert, ihm zu helfen.
»Jemanden zu schicken, wird nicht ganz einfach sein.«
»Darum kümmere ich mich. Haben Sie denn einen? Wenn Sie jemanden schicken, dann sollte er natürlich gut sein, aber er sollte vor allem eine gewisse Ruhe ausstrahlen.«
»Ja, ich denke, da habe ich genau den Richtigen. Aber ich hätte auch eine Bitte an Sie.«
»Natürlich.«
»Der Mann, den ich nach Bauge schicke, ist vor zweieinhalb Jahren zum Brigadier ernannt worden …«
»Nein, das geht nicht. Für die Leitung einer Gendarmerie brauchen wir jemanden mit einem höheren Rang.«
»Genau darüber sollten wir sprechen. Der Mann, an den ich denke, hat vor einiger Zeit eine Fortbildung an der Offiziersschule Melun abgeschlossen. Er hat alle Prüfungen bestanden, er hat Erfahrung … Es stünde ihm zu, Lieutenant zu werden. Aber wir warten auf die entsprechenden Urkunden.«
»Wo ist das Problem?«
»Er ist erst seit zweieinhalb Jahren Brigadier. Normalerweise …«
»Erst zweieinhalb Jahre Brigadier?«, unterbrach ihn Giry, »wer hat den überhaupt zu den Prüfungen zugelassen?«
»Er wäre genau der Richtige. Der Mann denkt weder strategisch, noch ist er an Politik interessiert. Er wird sich keine Gedanken darüber machen, dass er in Bauge letztlich nur ihre Tochter aus der Schusslinie bringen soll. Kurz, er ist ein in jeder Hinsicht zuverlässiger Mensch. Und ein guter Ermittler.«
»Er soll nichts ermitteln, sondern rein formell eine Stelle besetzen und da Ruhe reinbringen. Gut, ich … werde ein paar Leute anrufen. Lieutenant, das müsste gehen.«
»Man sollte ihm den Weg nicht verbauen. So wie man ihrer Tochter den Weg nicht verbauen sollte, nur weil sie an einem Ort eingesetzt wurde, der … zu schwierig war für sie.«
»Sie sind ein Arschloch«, sagte Bertrand Giry, seine Stimme klang nach einer reinen Feststellung.
»Sie auch«, sagte Roland, ebenfalls ganz neutral. »Wir kriegen das schon hin. Ich brauche natürlich eine Zusammenfassung der Vorkommnisse in Bauge.«
»Selbstverständlich. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag.«
»Ich Ihnen auch, Monsieur Giry.«
Nachdem Roland Colbert aufgelegt hatte, wusste er, dass er einen großen Schritt weiter war, was seine Pläne für die Zukunft anging. Er dachte an seine Frau Julie und an seine Tochter Sina, die seit zwei Jahren in Paris studierte. Er rechnete damit, sie noch ein paar Jahre unterstützen zu müssen. Der sonderbare Einfall von Bertrand Giry hatte ihm in die Hände gespielt. Wegen der Liebe zu seiner Frau und seiner Stadt war Roland in Fleurville geblieben. In der tiefsten Provinz. Daran war nichts mehr zu ändern. Aber Fleurville entwickelte sich, gewann an Bedeutung. Und vor zwei Wochen hatte Bürgermeister René Plutard ihn zu sich gerufen, um ihm ein verlockendes Angebot zu machen. »Du solltest dich mehr in der Politik engagieren, Roland«, hatte er gesagt und war dann konkret geworden: »Du wirst natürlich jemanden finden müssen, der dich hin und wieder vertritt, was die Leitung der Gendarmerie angeht. Eine politische Karriere frisst viel Zeit.« Kommissar Roland Colbert lächelte. Sein Plan hatte heute einen ordentlichen Schub bekommen. Niemand in Fleurville hätte auch nur einen Cent darauf gewettet, dass Brigadier Ohayon noch Karriere machen würde. Aber er musste diese Karriere machen. Es passte einfach zu viel zu gut zusammen.
Mittwoch
Ärgerlich so was. Und dabei war es ihm bisher gar nicht aufgefallen. Das war das Peinlichste daran.
Ohayon sah an sich herab und spielte ein bisschen damit herum. Dann ging er ins Schlafzimmer und stellte sich vor den Kleiderschrank. Esche, hellgrau gebeizt, großer Spiegel. Er rief, erklärte seiner Frau, was für ein Problem er gerade hatte, sah dann wieder an sich herab und spielte wieder damit