Lausdirndlgeschichten
Von Lena Christ
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Über dieses E-Book
In ihren Büchern verarbeitete sie ihre eigenen Erlebnisse und liefert einen tiefen Einblick in das ärmliche Leben der Arbeiterklasse in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts.
Das Buch "Lausdirndlgeschichten" wurde 1913 veröffentlicht.
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Buchvorschau
Lausdirndlgeschichten - Lena Christ
Lausdirndlgeschichten
Lausdirndlgeschichten
Die Blutegel
In der Spinnstuben
Die Feuersbrunst
Beim Weber
Der Bettelsack
Die Obstlese
Das Verbrechen
Ich bin wieder da
Der verlorene Sohn
Die Frau Bas
Das Femgericht
Das gute Geschäft
Die ganze Sippschaft
Die Gabler Minna
Die Familienfeier
Wo ist mein Vater?
Impressum
Lausdirndlgeschichten
Die Blutegel
Unser Nachbar, der Bader Gschwandler, hat eine besondere Art gehabt.
Nicht bloß im Rasieren und Zahnreißen, sondern auch im Leutkurieren.
Für das höllisch Feuer hat er helfen können und auch für die Gicht; das Herzklopfen hat er vertrieben und die Hitz im Kopf, und was sonst einen gezwickt oder gedrückt hat.
Und für allen Wehdam und Gebresten hat er nur ein Mittel gehabt.
Das war das Egelsetzen.
Dazu braucht man den Blutegel.
Wenn also ein Bauer zu ihm gekommen ist und hat gesagt: »Gschwandler, geh, helf ma für mei reißats Geblüat!«, da hat der Gschwandler gesagt: »Dös wer'n ma glei habn.«
Und hat eins von den fünf Gläsern vom Wandbrett herunter und hat es aufgebunden.
Dann hat er gesagt: »Wo reißt's di denn am ürgsten?«
»Ja mei, überalln!«
»Soo! Wer'n ma's glei habn. Ziag dei Joppn ab und dei Hemad!«
Dann hat er ihn auf den großen Badersessel niederdruckt und hat ins Glas gegriffen und hat dem Kranken ein etlichs Paar Egel an den Buckel gehängt und ein paar an den Arm.
Und dann war der Bauer wieder gesund.
Der Gschwandlerfranzl ist mein Freund gewesen; drum bin ich oft dabei gewesen in der Baderstuben.
Da hab ich alles gesehen: wie man die Blutegel überall anlegt, sogar ins Maul, wann einem die Zähnt schwärig sind.
Unser Kalb, das Mickerl, hat drei Tag nimmer gefressen gehabt.
Da hat der Großvater gesagt: »Jatz derf i schaugn, daß ma's der Huaberwirt abkaaft, sinst werd's ma gar no süchti aa, dös Viech, dös hoarlos!«
Da hab ich an den Gschwandler gedacht und an das Mittel.
Am Nachmittag hat die Großmutter den Besenstiel genommen und hat in den Stall geschrien: »Was blökst denn allewei, Luaderviech, damischs?«
Denn das Kalb hat furchtbar geblökt und geschrien.
Da hat der Großvater gesagt: »Ah was! Jatz weis' i 's gschwindse füre zum Huaberwirt, jatz mag i's nimmer o'hörn, dös Getua. Ma woaß do net, wia sa si auswachst, dö G'schicht.«
Drauf hat er 's beim Strick genommen und hat's aus dem Stall.
»Ja, Himmikreizdürken! . . . Was is denn jatz dös! Lauter Würm! . . . Ja meiner Seel! . . .«
Ich bin gelaufen, was ich können hab, zum Soalerbrünnl. In dem Graben dahinter gibt es viele Roßegel.
Da hab ich das Glas vom Bader schnell vollgeklaubt und dann hab ich es zugebunden und hab es beim Gschwandler unter die Hausbank gestellt, und der Gschwandlerfranzl hat's schnell hinein aufs Wandbrett, weil er halt mein Freund ist.
Dann bin ich hinten herum wieder heim und hab mich in mein Bett gelegt.
Unsere Schlafkammer ist über der Wohnstube.
Unter meiner Bettstatt ist eine Luke; diese wird abends immer aufgemacht, daß die Schlafkammer auch warm wird.
Die hab ich aufgemacht und hab gehorcht.
Die Großmutter hat gejammert: »Naa, so a Kreiz! Koa Mensch is's gwen, wia d'Lena! Jessas, Jessas! Zwoarazwanzg Bluategel! Wo hat s'as nur herghabt! G'wiß vom Gschwandler!«
Da hat der Großvater gesagt: »D'Lena moanst, Muatter? Dös ko net sein. An Gschwandler geht nix ab vo' seine Egel; i hab'n selm g'fragt.«
's Mickerl aber hat wieder gefressen.
In der Spinnstuben
Im Winter gehn die Weiberleut bei uns zum Spinnen. Halt zu der Freundschaft, in die Brechstuben, sagt man.
Da geht es lustig zu.
Bei meiner Großmutter ist auch Brechstuben gewesen.
Da ist es nicht zugegangen.
Aber es ist doch lustig gewesen.
Da ist die Huberwirtsmarie mit dem Spinnradl und mit dem Schusterpauli zu uns gekommen. Und die Marie hat sich auf das Kanapee gesetzt, und der Pauli hat sich auch hingesetzt.
Dann ist es angegangen.
Die Spinnradln haben geschnurrt, und der Großvater hat Spähne geschnitzt, und ich bin unter dem Kanapee gelegen.
Da hab ich gesehen, daß dem Schusterpauli sein Stiefel die ganze Zeit auf der Huberwirtsmarie ihrem Hausschuh umeinandergetreten ist.
Da hab ich mich umgeschaut.
Neben dem Kanapee unter dem Ofen steht die Schachtel mit den Zuckerschnüren.
Der Pauli hat grad zu der Marie gesagt: »Also, Marei, was is's nachher?«
Da hat die Marie gelacht, und der Stiefel hat wieder furchtbar auf dem Hausschuh herumgetan.
Jetzt ist es gegangen, und ich hab fünfmal geknüpft.
Dann bin ich hinaus.
Die Großmutter hat grade gefragt: »Wia is na' dös, Marie, derf's dei Vater aa wissn z'wegn an Pauli?«
»Jaja, der woaß's a so scho,« hat die Marie gesagt.
Auf einmal bin ich wieder in die Stuben und hab geschrien: »Großmuatter, der Huaberwirt kimmt!«
»Mariand Joseph! G'feit is's!« hat da die Marie geschrien und ist auf und hat in die Kuchel wollen, und der Pauli ist in die Höh und hat in die Kammer wollen.
Aber es ist nicht mehr gegangen.
Das Spinnradl ist am Boden gelegen und war kaput, und die Marie ist mit dem Ellenbogen in das Speibtrücherl und der Pauli mit der Nasen ans Tischeck.
Da hat die Großmutter gesagt: »Was ferchst di denn a so, Marie? I hab g'moant, dein Vatern is's recht z'wegn an Pauli?«
Da sind sie nicht mehr in die Brechstuben gekommen.