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Endlich Ruhe!: Panikattacken bestimmten fast mein ganzes Leben
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Endlich Ruhe!: Panikattacken bestimmten fast mein ganzes Leben
eBook399 Seiten5 Stunden

Endlich Ruhe!: Panikattacken bestimmten fast mein ganzes Leben

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Über dieses E-Book

Fröhlich und aufgeschlossen begegnet die Erzählerin dem Leben. Neugierig auf die Menschen und auf neue Erfahrungen entdeckt die bei den Großeltern aufgewachsene ihre Welt. Doch dann tritt plötzlich etwas in ihr Dasein, das alles verändert: eine Panikattacke mit Herzrasen und dem großen Zittern. Unverhofft stellt es sich ein, lässt sich durch nichts verhindern und beeinträchtigt ihren Alltag nachhaltig. Die Panikattacken mindern ihre unbeschwerte Lebensfreude. Alle Versuche, die Attacken zu steuern, scheitern kläglich. Selbstversuche, ärztliche Hilfe und sogar ein stationärer Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik bringen keine dauerhafte Besserung. Darum versucht die Erzählerin, sich mit ihrem Leiden zu arrangieren und die Zitterattacken, einhergehend mit Herzrasen, mittels Betablockern in Schach zu halten. Gezielt vermeidet sie möglichst alle heiklen Situationen oder präpariert sich vorher mit entsprechender Medikation, denn Kontrollverlust ist für sie das Allerschlimmste. Die Erzählerin lässt sich trotzdem nicht unterkriegen und kämpft hartnäckig um ihr Glück. Mutig entwickelt sie sich im beruflichen Leben weiter, wird von der Schichtarbeiterin in einer Chemiefabrik zur Reiseleiterin in Spanien, Traumschiffbetreuerin mit Offiziersstatus auf der MS Deutschland und arbeitet heute für ein renommiertes Immobilienunternehmen als selbständige Maklerin im Süden Mallorcas. Auch der Liebe entsagt sie nicht, doch ihre großen Selbstzweifel scheinen jede dauerhafte Beziehung zu verhindern. Am Ende wird doch noch alles gut, aber das erzählt diese Geschichte.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Okt. 2014
ISBN9783837252163
Endlich Ruhe!: Panikattacken bestimmten fast mein ganzes Leben

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    Buchvorschau

    Endlich Ruhe! - Marlene Fruhstorfer

    Nachwort

    Widmung an meine Oma

    Ich widme dieses Buch meiner über alles geliebten Oma Theresia Klingler, die leider schon verstorben ist, der ich aber so viel zu verdanken habe.  Nur ihre bedingungslose Liebe, grenzenlose Fürsorge und vollkommene Unterstützung gaben mir die Kraft, mich trotz der vielen Stolpersteine im Leben nie unterkriegen zu lassen, die oft sehr tiefen Täler zu durchschreiten, um anschließend wieder aufzusteigen und in der Ferne ein kleines Licht zu sehen. Ihr geduldiger Umgang mit meinen oft anstrengenden Charaktereigenschaften ließen mich zu dieser starken Persönlichkeit werden, die immer das Ziel vor Augen hat und nur wenige Momente zulässt, in denen sie am Sieg und am Erfolg zweifelt.

    „Wir sehen uns wieder, meine liebe Oma und dann werde ich Dir das Ave Maria singen, das Du zu deinen Lebzeiten so gerne mochtest!!!!!!"

    Vorwort

    Nun sitze ich hier in meiner fünfundsiebzig Quadratmeter großen Eigentumswohnung auf Mallorca, die zwar schon abbezahlt ist, in der es aber noch tausend Dinge zu verbessern und zu verschönern gibt. Nach langem Überlegen habe ich mich auf diese Wohnung eingelassen. Die deutsche Vorbesitzerin wollte zuerst einhundert-achtzigtausend Euro dafür haben, was in meinen Augen ein Wucherpreis ist für eine mindestens fünfunddreißig Jahre alte Liegenschaft. Das genaue Alter des Hauses wollte und konnte mir weder die Immobilienmaklerin, noch die Vorbesitzerin nennen. Nicht einmal in der Kaufurkunde hatte man das Baujahr vermerkt. Die Wohnung war natürlich auch dem Alter entsprechend eingerichtet. In den vielen Jahren wurde noch nicht einmal ansatzweise eine Renovierung vorgenommen, wie mir schien. Zu guter Letzt konnte ich den Preis doch noch auf einhundertfünfzigtausend Euro herunterhandeln. Das war zwar immer noch eine stolze Summe, aber Mallorca-Immobilien sind nun mal trotz Krise weiterhin sehr teuer.

    Ich bin vor circa drei Monaten zweiundfünfzig Jahre alt geworden und mein Vorname ist Marlene. Laut meiner Geburtsurkunde heiße ich eigentlich Maria Magdalena, doch ich ließ meinen langen Vornamen vor ungefähr fünfzehn Jahren bei der Stadtverwaltung meines Geburtsortes Straubing umändern, weil ich im Laufe meines Lebens immer wieder Probleme mit den beiden heiligen Namen hatte und mein Rufname Marlene ist, solange ich denken kann. Da aber der katholische Priester im tiefgläubigen Niederbayern, wo ich im Jahre 1959 im Sternzeichen Fische geboren bin, diesen Namen damals partout nicht taufen wollte, wurde in meine Geburtsurkunde der Name Maria Magdalena eingetragen. Eigentlich unglaublich, wenn man bedenkt, auf welche exotischen Namen die unschuldigen Kinder heutzutage getauft werden. Eine einsichtige Mitarbeiterin bei besagter Stadtverwaltung zeigte Erbarmen mit mir und meiner Situation. Ich arbeitete damals schon als Reiseleitung in Spanien und die Behörden dort kamen mit meinen beiden Taufnamen und mit meinem Rufnamen so gar nicht zurecht. Immer wieder bekam ich Probleme, wenn ich mit meiner deutschen Geburtsurkunde bei Behörden vorstellig wurde. Manche Formulare waren mit Maria Magdalena und andere wiederum mit Marlene erstellt und so war die Verwirrung oft groß und ich musste ständig Erklärungen abgeben. Dabei gab es meiner Meinung nach gar keine plausible Erklärung dafür. Wie eben schon gesagt, schrieb diese nette Mitarbeiterin bei der Stadtverwaltung den Vornamen in meiner Geburtsurkunde gegen eine Bearbeitungsgebühr von damals noch einhundert Mark um. Ich war heilfroh, als ich endlich die Zusage für diese Änderung bekam. Geriet ich doch gleich zu Anfang meines Besuches beim Amt an eine weibliche Person, die mich vor der Einwilligung zur Namensänderung erst einmal zum Psychiater schicken wollte. Der sollte dann prüfen, ob ich wegen meiner zwei Vornamen bereits einen seelischen Schaden davongetragen hätte. Erst nach der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens wollte sie mir eventuell meinen Vornamen verkürzen. Gott sei Dank wurde ich dann von dieser einsichtigen Mitarbeiterin erlöst, die nebenan unser Gespräch wohl verfolgt hatte und meinen Fall netterweise übernahm. Allem Anschein nach hatte sie in diesem kleinbürgerlichen Amtszimmer mehr zu sagen, als ihre bornierte Kollegin, die mich zuerst bediente.

    Wie ich schon sagte, bin ich vor drei Monten zweiundfünfzig Jahre alt geworden, war noch nie verheiratet, hatte aber schon ein paar etwas längere und einige kurze Beziehungen, aus denen keine Kinder entstanden sind. Ich bin eine Single-Frau in einem Alter, in dem man laut Statistik eher von einem Löwen angefallen wird, als noch den passenden Mann für den Rest seines Lebens zu finden. Ich lebe auf Mallorca, besser gesagt an der Playa de Palma, wo eigentlich das pure Leben tobt, zumindest in den heißen Sommermonaten. Die Zeiten, in denen ich mich an diesem prallen Leben beteiligte, sind aber leider oder vielleicht auch Gott sei Dank für immer vorbei. Ich lebe recht zurückgezogen in meiner kleinen Dreizimmerwohnung, die ich mir genauso einrichten, umbauen und verschönern möchte, wie ich sie in meiner blühenden Fantasie schon vor mir sehe. Mein Problem ist aber, dass ich momentan ohne Arbeit bin, also „sin trabajo", wie man in Spanien so schön sagt. Wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht, kann ich mich mit meinen finanziellen Mitteln zwar noch einige Monate über Wasser halten, angesichts meiner momentanen Situation getraue ich mich aber nicht, große finanzielle Investitionen in die  Umgestaltung meiner Wohnung zu tätigen. Der Arbeitsmarkt auf Mallorca sieht zwar wesentlich besser aus als auf dem spanischen Festland, trotzdem stehen mir aufgrund meines gesetzten Alters und trotz meiner touristischen Vergangenheit jobtechnisch leider bei weitem nicht mehr alle Türen offen.

    Ich habe gestern eine Stunde und vierundfünfzig Minuten mit einer langjährigen Freundin telefoniert. Eigentlich war sie es, die in mir den Gedanken aufleben ließ, mein bewegtes und manchmal recht tragisches Leben zu Papier zu bringen. Annabel heißt diese Freundin und sie wohnt am Vogelsberg, in der Nähe von Frankfurt am Main. Ich klagte ihr mein Leid, erzählte ihr von meiner Arbeitslosigkeit, von meiner seelisch und demzufolge auch körperlich sehr desolaten Verfassung, von meinem Juckreiz auf der Haut und von meinen nächtlichen Atemproblemen, die mir diese unsichere Lebenssituation bereitete. Ich habe Annabel auf Mallorca kennengelernt. Sie ist ein paar Jahre jünger als ich und wir wohnten zusammen einen Sommer lang in einer Reiseleiterwohnung an der Playa de Palma. Die Unterkunft wurde von dem deutschen Reiseveranstalter alltours angemietet. Wir waren damals beide für „alltours Flugreisen" als Reiseleiter am Flughafen von Palma de Mallorca tätig. Annabel kennt meine Fehler und Schwächen also recht gut. Wir haben in diesem Sommer 1996 viele Nächte zum Tag gemacht und kamen so einige Male total lädiert vom vielen nächtlichen Feiern zu unserem Flughafendienst.

    Annabel riet mir während unseres Telefongespräches, mein Leben zu Papier zu bringen, um mich von meinen seelischen Altlasten zu befreien. Außerdem sah sie es für mich als Beschäftigungstherapie in meiner damals noch für unbestimmte Zeit andauernden Arbeitslosigkeit an. Ich habe ihr von den vielen schlechten Erfahrungen berichtet, die ich in den letzten Monaten meiner Anstellung auf dem Traumschiff MS Deutschland gemacht hatte. Meinen Werdegang auf dem Traumschiff mit den ganzen negativen Nebenaspekten werde ich später noch ausführlich erläutern. Nachdem ich Annabel also die letzten Monate meiner kurzzeitigen Karriere auf dem Traumschiff geschildert hatte, hatte sie noch einen weiteren Tipp für mich. Da sie wie gesagt früher auch auf Mallorca lebte und die Insel darum sehr gut kennt, empfahl sie mir wegen meiner Blockaden, wie sie es nannte, eine ihr bekannte Chi-Heilerin in Palma zu konsultieren. Diese würde dann meine Meridiane von den Blockaden befreien und meine Chakren könnten wieder fließen. So oder so ähnlich hat sie das damals formuliert. Ich habe schon jeden dieser Begriffe einzeln gehört, so richtig verstanden habe ich aber noch nie, was es genau bedeuten soll. Mit den Blockaden meinte sie wohl auch meinen damaligen Juckreiz und die nächtlichen Atembeschwerden, die laut Eigendiagnose durch meinen seelischen Stress ausgelöst wurden. Die Auflösung meiner Blockaden würde also meine Chakren wieder fließen lassen, und ich wäre dann eher wieder fähig, bei meiner Arbeitssuche positive Ergebnisse hervorzubringen. Wo sie recht hat, hat sie recht! Trotzdem erschien mir der Vorschlag, meine Lebenserfahrungen zu Papier zu bringen, wesentlich effektiver. Heißt es doch immer, dass man sich zur persönlichen Erleichterung seine Probleme alle von der Seele reden oder eben schreiben soll, wie in meinem Fall.

    Annabel und all meine früheren Freunde und Bekannten wissen zwar sehr viel von mir, haben aber von dem Ausmaß und von der echten Tragik meines Lebens bei weitem nicht alles mitbekommen. Was mich nämlich wirklich und zum allergrößten Teil beeinflusste, war eine psychische Störung, die sich bei mir mit ungefähr zwanzig Lebensjahren plötzlich bemerkbar machte. Mindestens dreißig Jahre meines Lebens musste ich leider mit wenig Erfolg dagegen ankämpfen, um mir meinen Platz in der Gesellschaft zu erhalten.

    Vor ungefähr zwei Jahren, also mit etwa fünfzig begannen bei mir die Wechseljahre. „La menopausia, wie man in Spanien so schön sagt und was sich irgendwie auch besser anhört als „Wechseljahre. Obwohl beides das Gleiche ausdrückt. Wobei das Wort „Wechsel" bei mir eine ganz andere Bedeutung hatte. Es sollte ja eigentlich den Wechsel der Hormone und ein Sinken des Östrogenspiegels im Leben einer Frau bedeuten, einhergehend mit Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und Unpässlichkeiten, denen man nur mit Hormonpflastern oder mit speziellen Medikamenten entgegenwirken kann. Für viele Frauen ist dieser Lebensabschnitt wohl der blanke Horror. Bei mir aber vollzog sich, etwa ein Jahr nachdem ich die gesegneten Wechseljahre erleben durfte und meine Regelblutungen versickert waren, eine ganz wunderbare Wandlung. Meine psychischen Störungen, die sich bei mir körperlich in Form von Panikattacken mit Herzrasen, Zitterhänden und Schweißausbrüchen in bestimmten Situationen äußerten, waren wie durch Zauberhand innerhalb von einigen Monaten wie aufgelöst. Jetzt, wo ich mich endlich wie befreit fühle von dieser jahrzehntelangen, ständigen Angst vor der Angst, möchte ich meine tragische Geschichte schonungslos und ohne jegliches Schöngerede zu Papier bringen.

    Es war bisher kein leichtes und vor allem auch kein spontanes Leben, das ich führen durfte. Trotzdem hat mich diese verdammte Krankheit immer weiter nach vorne getrieben. Genau genommen hat mir diese Krankheit die Tür zu einem neuen, interessanteren Weg geöffnet, den ich ohne meine Phobie wahrscheinlich nie kennengelernt hätte. Ich könnte jetzt aber auch sagen, ohne diese psychische Erkrankung hätte ich ein normales Leben als guter deutscher Staatsbürger geführt, der mit circa dreißig Jahren den Bund der Ehe eingeht, anschließend zwei bis drei Kinder in die Welt setzt und sich irgendwann mit Mitte/Ende dreißig ein Häuschen im Grünen gönnt. Bei mir kam aber alles ein bisschen sehr anders, obwohl das Grundgerüst für den ganz normalen Werdegang schon recht früh konstruiert war.

    Ich möchte nun also über mein Leben erzählen. Ein Leben, das mich so enorm viel Kraft gekostet hat und das manchmal trotzdem auf seine besondere Art und Weise so erfolgreich und so schön gewesen ist. Ich möchte nicht nur über die vielen brenzligen Situationen schreiben, in denen mich wieder einmal eine Panikattacke fast dazu getrieben hätte, mich bei meinem Gegenüber zu outen. Ich möchte ganz einfach erzählen, wie alles begann und wie ich immer mit all meiner verfügbaren Kraft versuchte, in der Öffentlichkeit den Schein zu wahren, selbst in den Stunden meiner allertiefsten Verzweiflung.

    1

    Ich bin als uneheliches Kind im niederbayerischen Straubing geboren. Meine Mutter arbeitete als Metzgereifachverkäuferin in einem Meisterbetrieb in Straubing und mein leiblicher Vater war damals bei seinem Onkel, einem Viehzüchter, als Helfer in dessen Landwirtschaftsbetrieb tätig. Was zu meiner Entstehungsgeschichte erschwerend dazukam war, dass ich so überhaupt nicht in die Lebensplanung meiner Eltern passte. Ich war ein lediges und ungewolltes Kind, wie es schon damals und auch noch heute genannt wird. Meine beiden Elternteile waren vom Charakter her so unterschiedlich, dass mit einer Eheschließung dieses Paares zu keinem Zeitpunkt zu rechnen war. Meine Mutter ist eine sehr egoistische, dominante Person, die meinen Vater oft auch in der Öffentlichkeit gnadenlos bloßstellt und beleidigt. Mein Vater ist ein recht gutmütiger Zeitgenosse, der aber, anstatt seine Frau in ihre Schranken zu verweisen, immer lieber bei anderen Leuten verbal ein Quantum Trost für seine missliche Lage sucht. Dieses ungleiche Paar fand sich dann doch noch vor dem Traualter, in einer sehr schönen Bergkirche irgendwo im Bayerischen Wald. Zum Zeitpunkt ihrer Vermählung war ich bereits sieben Jahre alt. Ich wohnte dieser Hochzeitsfeier natürlich auch bei und wurde für selbigen Anlass in ein Kostümchen gesteckt, das man extra für diesen Tag bei der hiesigen Dorfschneiderin anfertigen ließ.

    Ich wurde im St. Elisabeth-Krankenhaus in Straubing als eine Zangengeburt entbunden. Die Sache mit der Zangengeburt erzählte mir mein Vater irgendwann so nebenbei. Er wusste es auch nur, weil mein Kopf durch das Ansetzen der Zange so sehr deformiert war, dass ich bereits als frisch geschlüpfter, winziger Säugling ein ganz armseliges Bild abgegeben haben musste. Diese Art der Geburtenhilfe war zu der Zeit wohl noch sehr üblich und deswegen wurde von der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses über die Sache auch nicht weiter gesprochen. Da meine beiden Elternteile zur Zeit meiner Geburt noch recht jung waren, sowohl meine Mutter als auch mein Vater waren erst dreiundzwanzig Jahre alt, und da ich unehelich geboren wurde und zudem auch noch ungewollt war, suchte man seitens meiner Eltern nach einer möglichst unauffälligen Entsorgung des lästigen Übels, indem man mich im Alter von etwa drei Monaten in einer Überraschungsaktion zu meinen Großeltern mütterlicherseits beförderte. Meine geliebte Oma hat mir später einige Male erzählt, wie sie es damals wahrgenommen hat, als man mich ohne jede Vorwarnung zu ihnen auf das ländliche Anwesen brachte.

    Dank meiner mich ablehnenden Eltern bin ich im Sommer des Jahres 1959 bei meinen Großeltern angekommen. Sie wohnten in der Nähe von Marktl am Inn in Oberbayern, da wo auch Papst Benedikt XVI. geboren ist. Dort bewirtschafteten sie einen kleinen  landwirtschaftlichen Betrieb mit zwei Kühen, einigen Hühnern plus Hahn, diversen Katzen und einem Hund namens Mello. Oma erzählte mir, es wäre ein heißer Sonntag gewesen, als mich meine Eltern dort für immer deponierten. Meine Großeltern waren an diesem Tag gerade mit der Heuernte beschäftigt. Bauern und auch Kleinbauern mussten sich mit dem Einfahren der Ernte nach dem Wetter richten und da war auch im katholischen Bayern kein Sonntag heilig genug, um das zu umgehen. Meine Oma und mein Opa waren von der Aktion meiner selbstsüchtigen Eltern alles andere als begeistert und es passte so überhaupt nicht in ihre Sonntagsplanung plötzlich und wie aus heiterem Himmel die Verantwortung für einen drei Monate alten Säugling zu übernehmen. Letztendlich war es aber so, dass sich sowohl meine Oma als auch mein Opa recht schnell in ihr neues Enkelkind verliebten und ich auf dem kleinen Hof bleiben durfte. Meine Oma war eigentlich nur meine Stiefoma, weil die leibliche Mutter meiner Mutter im Alter von ungefähr vierzig Jahren an einem chronischen Herzleiden verstarb. Mein Opa hat sich nach deren Tod einige Zeit später mit meiner Stiefoma neu vermählt.

    Ich wurde von meinen Großeltern liebevoll aufgenommen und bekam in meiner neuen Familie auch noch zwei Tanten dazu. Es waren die jüngere Schwester und die Stiefschwester meiner Mutter, die mit ihren damals zehn und dreizehn Jahren für mich später eher eine Geschwisterfunktion einnahmen.

    Meine Kindheit verlief zuerst einmal recht geordnet. Was etwas seltsam klingt, ist die Tatsache, dass ich mich sogar als noch ganz kleines Wesen mit etwa einem Jahr an viele Dinge erinnern kann, die man normalerweise als Kleinkind in diesem Alter noch gar nicht richtig wahrnimmt. Für mich gibt es da nur die Erklärung, dass ich von klein an immer auf der Hut war. Es hätte ja neue Veränderungen in meinem Leben geben können, die mir nicht gefallen hätten und darauf wollte ich immer vorbereitet sein. Ich nahm darum mein Umfeld und einfach alles, was um mich herum geschah, viel intensiver wahr als ein entspanntes Kleinkind, ohne solch verantwortungslose Rabeneltern, wie ich sie nun einmal hatte. Bis zu meinem ersten Lebensjahr, besser gesagt, bis ich laufen konnte, war ich ein sehr molliges Kind. Ich war eher fett als dick. Ich war sogar so fett, dass meine Mutter Angst hatte, mir würden in meiner enormen Gewichtsklasse irgendwann die mit Fettmassen umrandeten Augen zuwachsen. Trotz des Verstoßens meiner kleinen Person besuchte sie mich noch ab und zu bei meinen Großeltern. Manchmal kam sie auch zusammen mit meinem devoten Vater auf eine Stippvisite vorbei. Diese Sorge war aber völlig unbegründet. Als ich endlich das Laufen gelernt hatte, bin ich nur noch gelaufen und nahm das gesamte, überflüssige Körperfett in Windeseile wieder ab.

    Generell machte ich alles neu Erlernte mit einer wahnsinnigen Leidenschaft und ging damit meinen beiden Schwestertanten ziemlich auf die Nerven. Als ich den Dreh raus hatte, wie man Knöpfe annäht, konnten sie fast kein Kleidungsstück mehr anziehen, ohne vorher mit einer Schere die Knöpfe zu entfernen, die ich in meinem Übereifer an den unsinnigsten Stellen angenäht hatte. Ich lief damals mit unserem Mischlingshund Mello über Stock und über Stein und genoss das Leben auf dem Lande in vollen Zügen. Was auch sehr verhaltensauffällig war, war die extrem starke Bindung, die ich zu meiner Oma hatte. Meine arme Großmutter konnte irgendwann keinen Schritt mehr tun, ohne von mir verfolgt zu werden. Ich hatte so große Angst, dass ihr etwas passieren könnte, dass ich sie gar nicht mehr aus den Augen lassen wollte. Gut kann ich mich noch daran erinnern, als ich an einem kalten Wintermorgen wach wurde und meine Oma bereits aufgestanden war. Normalerweise stand ich immer mit meinen Großeltern auf, weil ich bis zu meinem fünften Lebensjahr auch bei ihnen im Bett schlief und somit jede ihrer Bewegungen mitbekam. An besagtem Morgen aber hatte ich total verschlafen und meine Oma konnte in aller Ruhe ihre Arbeit verrichten. Sie fuhr dann auch noch die frisch gemolkene Milch mit einem Wägelchen zur Milchsammelstelle von Bärenmarke, deren Abholstation circa einen Kilometer von unserem Gehöft entfernt war. Als ich irgendwann aus meinem komatösen Schlaf erwachte und meine schmerzlich vermisste Oma weder im Stall noch in der schon wohlig warmen Wohnküche zu finden war, lief ich in meiner Panik im Nachtgewand barfuß durch den Schnee in Richtung Milchsammelstelle. Meine Oma war bereits auf dem Rückweg und nicht sehr erstaunt über meine Aktion.

    So lief es aber ständig ab auf unserer kleinen Farm in der Nähe von Marktl am Inn. Marlene nervte auch Jahre später noch alle sehr, hatte aber trotzdem ein nettes und gewinnendes Wesen, dem man fast nicht widerstehen konnte. Es war für mich so schwer, alleine zu sein und ich hatte wenige Freundinnen in meinem Alter, weil es in der ganzen Nachbarschaft nur männliche Nachkommen gab. Aus diesem Grunde tyrannisierte ich mit meinem Verlangen nach Aufmerksamkeit und nach Unterhaltung meine Oma, meinen Opa und meine zwei inzwischen pubertierenden Tanten. Vor allem mein Opa war ganz vernarrt in mich gewesen, solange ich noch ein Kind war. Als ich dann in die Pubertät kam, wurde es leider anders. Aber bis dahin verging ja noch einige Zeit.

    Mein Opa trank gerne viel Bier, was im Erwachsenenalter auch meinem eigenen Naturell entspricht. Seine Vorliebe für Alkohol war ein Problem in unserer sonst so ruhigen Sippe. Er trank nicht nur gerne Bier, sondern auch Wein und Schnaps. Er trank einfach alles, was ihn berauschte. Mein Opa war kein Alkoholiker, sondern ein Quartalssäufer vor dem Herrn. Aus Kostengründen setzte meine Oma in den Sommermonaten oft Hagebutten oder Löwenzahnwein in Eigendestillation an. Das geschah dann in einem großen Ballon mit einem speziellen Gärglas, das, wenn alles richtig funktionierte, durch den Einsatz von spezieller Gärhefe regelmäßig blubberte und somit anzeigte, dass sich die durch einen Schnitt zerteilten Hagebutten oder die Löwenzahnblüten mit dem Zuckerwasser im Ballon schön langsam zu einem alkoholischen Getränk umwandelten. Diese Weine haben bei uns den gesamten Gärungsprozess nie überstanden, da mein Opa dem Ganzen bereits den Garaus bereitete, sobald die Inhalte den Übergang vom Zuckerwasser zum Rauschmittel überschritten hatten. Seine Trinkerei wurde in der Familie oft zum Thema und mein Opa fühlte sich aufgrunddessen nicht selten ausgegrenzt. Im betrunkenen Zustand wurde er dann verbal des Öfteren äußerst aggressiv, was uns alle, aber besonders meine Oma, sehr belastete. Im Zweiten Weltkrieg hatte sich mein Opa die Malariakrankheit eingefangen. Eigentlich war es erst später in der Kriegsgefangenschaft in Sibirien passiert. Diese Krankheit war zwar geheilt, trotzdem hatte er auch viele Jahre später noch ab und zu diese seltsamen Malariaanfälle, die sich bei ihm in Form von starken Krämpfen äußerten. Als medizinischer Laie könnte man sie wohl auch mit einem Epilepsieanfall verwechseln. Mein Opa trank sein Bier nicht nur daheim, er ging auch gerne in die kleinen Gastwirtschaften im etwa drei Kilometer von unserem Gehöft entfernten Marktl. Bevorzugt frequentierte er damals die heute längst nicht mehr existierende Mississippi Bar, wo sich immer viele „Gleichgesinnte" trafen. Da man ihm den Führerschein zum Glück für die restlichen Verkehrsteilnehmer bereits zweimal wegen Trunkenheit am Steuer abgenommen hatte, fuhr er regelmäßig mit seinem verbogenen alten Fahrrad zur Kneipe. Nach diversen Bierchen und Schnäpsen hatte er oft keine Lust mehr, in seinem Zustand mit dem Drahtesel den relativ langen Heimweg anzutreten. Listigerweise täuschte er dann des Öfteren einfach einen Malariaanfall vor und irgendein ebenfalls betrunkener Kneipengast fand sich fast immer, der noch im Besitz seines Führerscheines war – oder auf jeden Fall ein Auto besaß – und der den armen und von Anfällen geplagten Mann nach Hause fuhr. Fand sich kein Dummer, trat er wohl oder übel mit seinem Fahrrad selbst den Heimweg an, was dazu führte, dass er meiner Erinnerung zufolge einige Male im Straßengraben und zweimal sogar im Krankenhaus landete. Einmal wurde er dabei von einem Auto angefahren und zog sich einen Schädelbasisbruch zu. Das andere Mal kollidierte er auch wieder mit einem Auto und erlitt einen Beinbruch mit einer saftigen Gehirnerschütterung. Hatte er es dann doch geschafft, heil nach Hause zu kommen, berichtete er meiner Oma zu nachtschlafender Zeit im völlig losgelösten Zustand so einige Male, dass der oder die meinen Großeltern bekannte Person aus dem Umkreis, aus welchem Grund auch immer, ganz plötzlich verstorben sei. Er hatte vorsichtshalber keinen eigenen Haustürschlüssel bei sich und so mussten ihm bei seiner Rückkehr jedes Mal von seiner Frau die Pforten geöffnet werden. Beim regelmäßigen Kirchenbesuch am Sonntagvormittag sah meine gläubige Oma die angeblich verstorbenen Leute plötzlich putzmunter und um ein langes Leben betend auf der Kirchenbank in der heiligen Messe. Sprach sie ihn dann beim Mittagessen darauf an, überstrahlte ein verschmitztes Lächeln das Gesicht dieses kleinen Mannes, der trotz seiner Vorliebe für alkoholische Getränke viele gute Seiten vorweisen konnte und auf seine Art so ein außergewöhnlicher und humorvoller Mensch war, dem das Leben bestimmt nicht nur gute Karten zugespielt hatte.

    Meine Oma war eine sehr starke Persönlichkeit. In ihrer Rolle als aufopferungsvolles Familienoberhaupt, das für fast alles Verständnis hatte, ging sie vollkommen auf. Meine Kindheit konnte ich mit meiner geliebten Oma, mit meinen zwei Schwestertanten und mit meinem Opa, der den größten Teil der Zeit, wie bereits erwähnt, ein sehr liebevoller Mensch war, in Harmonie und in traditioneller Atmosphäre verbringen. Lediglich wenn meine leiblichen Eltern zu Besuch kamen, war immer der Teufel los. Meine Mutter, die diese Anrede in keiner Weise verdiente, versuchte sich dann für einen Tag in der Mutterrolle. Was ich überhaupt nicht zuließ. Jeder, aber wirklich jeder Besuch meiner leiblichen Eltern endete in einem Fiasko, bei dem meine Mutter in ihrer Wut gegen mich auch vor dem Verteilen einer saftigen Ohrfeige nicht zurückschreckte und ich mich danach heulend und schutzsuchend in meinem altmodisch eingerichteten Zimmer verkroch. Ich als laienhafter Psychologe denke, dass schon damals durch diese heftigen, emotionalen Gefühlskapriolen bei mir der Grundstein für meine späteren, psychosomatischen Störungen gelegt worden war.

    Richtig schwierig wurde es mit mir als ich in die Pubertät kam. Meine Großeltern hatten überhaupt keinen Zugang mehr zu mir. Oma nahm das wieder einmal mit sehr viel Verständnis hin, meinen Opa aber machte es richtig wütend. Nach dem allerersten kurzen Flirt meines Lebens mit einem Mitarbeiter vom Rummelplatz, der alljährlich im Mai in Marktl gastierte, gab es für mich kein Halten mehr. Ich hatte plötzlich einen riesigen Freundeskreis, war ständig unterwegs und schwänzte am Samstag regelmäßig die Realschule in der Klosterschule „Zu den Englischen Fräulein", weil ich am Freitagabend zu lange unterwegs gewesen war. Zu dieser Zeit war am Samstag noch Schulpflicht. Auf Geheiß meiner leiblichen Eltern und weil ich nicht dumm war, musste ich die Realschule besuchen. Eigentlich sollte es ja das Gymnasium sein, aber dafür war mein Lerneifer nun doch nicht ausreichend gewesen. Heute bin ich allerdings ganz dankbar für diese Entscheidung meiner Eltern, beziehungsweise meiner Mutter. Mein Vater hatte ja wie immer auch in dieser Angelegenheit nichts zu melden. Boten sich mir doch durch die Mittlere Reife einige Perspektiven im Leben, die ich mit einem normalen Hauptschulabschluss nicht gehabt hätte. Sehr gut kann ich mich noch an eine Situation erinnern, die mein Leben fast in eine andere, psychische Störung gelenkt hätte.

    Es war an einem heißen Sonntagnachmittag. Ich war etwa vierzehn Jahre alt und, wie bereits erwähnt, hatten mich die Launen der Pubertät voll im Griff. Aufgrund der deftigen Küche meiner Oma und eines ungebändigten Heißhungers auf alles, was fett und kalorienreich war, hatte ich einige Kilo zugenommen und wog zu diesem Zeitpunkt bei einer Größe von einhundertsechsundsechzig Zentimetern etwa zweiundsechzig Kilogramm. Ich beobachtete meine rundlichen Formen in einem großen Spiegel, der in der Wohnküche meiner Großeltern montiert war. Oma und Opa saßen einträchtig auf der Couch in besagter Wohnküche und mein Opa sagte, mich betrachtend, zu meiner Oma: „Marlene wird einmal dieselbe Statur bekommen wie ihre Mutter".

    Das saß!!!

    Meine unförmige Mutter hatte mindestens Kleidergröße sechsundvierzig und mich mit ihr zu vergleichen war wie ein Stich in mein kleines Rebellenherz. Um dieser in meinen Augen höchst negativen Prognose vorzubeugen, verweigerte ich ab sofort das Abendessen total und kürzte auch beim Mittagessen und beim Frühstück die Kalorienzahl auf ein Minimum. Diese verminderte Nahrungsaufnahme hatte zur Folge, dass ich im Laufe eines halben Jahres mehr als sechzehn Kilo an Körpergewicht verlor und irgendwann bei meiner bereits erwähnten Körpergröße von einhundertsechsundsechzig Zentimetern nur noch sechsundvierzig Kilo wog. Dass ich plötzlich so viel weniger aß, fiel niemandem so richtig auf und auch meine Gewichtsabnahme wurde in der Familie nicht groß beachtet. Erst als wieder einmal meine Eltern zu Besuch kamen und mich in meinem erschlankten Zustand vorfanden, wurde meine angehende Magersucht zum Thema. Wenn meine Mutter gewusst hätte, dass mich alleine der ausgesprochene Gedanke meines Opas, ich könnte ihr einmal ähnlich werden, dazu trieb, die Nahrungsaufnahme so zu drosseln und mich dadurch nur noch zu einem Schatten meiner selbst werden zu lassen, sie hätte es wahrscheinlich nicht einmal hinterfragt…

    Manchmal kroch ich ganz matt und müde schon früh abends in mein Bett, um durch den Schlaf dem Hunger zu entgehen. Diese verminderte Nahrungsaufnahme stresste mich schon gewaltig. Ich hielt dieses Fliegengewicht von sechsundvierzig Kilo circa ein Jahr lang. Unsere erzkonservativen Nachbarn erzählten untereinander hinter vorgehaltener Hand, ich hätte eine höchst ansteckende Krankheit, die mich kontinuierlich meiner Pfunde beraubte.

    Glücklicherweise verliebte ich mich mit gut fünfzehn Jahren unsterblich in einen jungen Mann, der das Leben und auch die kulinarischen Genüsse sehr liebte. Tausend Schmetterlinge im Bauch und mit meiner neuen Liebe ständig unterwegs, um mir zum Beispiel im fünfzehn Kilometer von Marktl entfernten österreichischen Braunau, dem Geburtsort von Adolf Hitler, irgendwelche fetten Burenwürste reinzustopfen, vergaß ich bereits nach kurzer Zeit des Beisammenseins meinen strengen Diätplan. Kontinuierlich nahm ich Kilo für Kilo wieder zu. Jedoch ließ ich es nicht mehr dazu kommen, die Sechzig-Kilo-Grenze zu überschreiten. Ich pendelte mich bei sechsundfünfzig bis achtundfünfzig Kilo ein. Was für mich für die nächsten Jahre meines Lebens das absolute Wohlfühlgewicht darstellte. Hätte ich damals den Weg aus der angehenden Magersucht nicht gefunden, wäre ich mit Sicherheit in dieser Hungerfalle stecken geblieben und hätte die vielen Panikattacken, die mich später ereilen sollten, nicht durchleben müssen. Wobei ich aber von Anorexie-Patienten gehört habe, die zusätzlich zu ihrer Anorexie auch mit diesen Angstattacken zu kämpfen haben. Man muss sich nur fragen, was von beidem die bessere Variante ist.

    Ich denke, da gibt es keine. Jede psychische Störung für sich ist eine totale Beeinträchtigung des gesamten Lebens und man wird sie, wenn überhaupt, nur sehr schwer wieder los.

    2

    Ich war nun knapp neunzehn Jahre alt. Meine Beziehung mit der so großen Liebe von damals ist für mich mit großem seelischen Leiden in die Brüche gegangen. Ich hatte inzwischen bei den Englischen Fräulein meine Realschulreife erlangt und anschließend eine zweijährige Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau absolviert. Trotz abgeschlossener Realschule konnte ich keinen adäquaten Ausbildungsplatz finden, da in den Jahren 1975 bis 1980 die Plätze für Lehrstellen sehr dünn gesät waren und ich mich auch nicht so recht bemühen wollte, mehr aus meinem Leben zu machen. Meine beiden Tanten waren inzwischen verheiratet. Eine von den Zweien machte eine Ausbildung zur Krankenschwester und war mit ihrem frisch angetrauten Ehemann in die nahe gelegene Stadt Burghausen umgezogen. Die andere wohnte zusammen mit ihrem Mann in dem Haus meiner Großeltern, was zu einer recht engen Wohnsituation führte. Man hatte zwar gleich nach ihrer Eheschließung damit begonnen, einen kleinen Bungalow neben dem Wohnhaus meiner Großeltern zu erbauen, aber leider zog sich die Sache sehr in die Länge, da aus Spargründen alles aus eigener Hand und mithilfe von handwerklich mehr oder weniger geschickten Familienmitgliedern meines angeheirateten Onkels gebaut werden sollte.

    Mein Opa wurde im Jahre 1977 sehr krank. Es begann mit einem akuten Blutsturz in der Nacht. Als ich an einem Samstagmorgen aufstand, um den Dienst an meinem Lehrstellenplatz anzutreten, war meine Oma gerade dabei, die Tür ihres gemeinsamen Schlafzimmers von den Blutspuren zu befreien, die mein Opa in der Nacht durch das Erbrechen großer Mengen von Blut hinterlassen hatte. Er war inzwischen bereits mit dem Krankenwagen in das Burghauser Krankenhaus abtransportiert worden. Ich hatte von dem ganzen Spektakel überhaupt nichts mitbekommen, da ich trotz meiner Samstagsarbeit in einem Lebensmittel- und Bekleidungsgeschäft am Vorabend kräftig gefeiert hatte und nachts dann wohl in einen komatösen Schlaf gesunken war. Mein Opa blieb anschließend einige Wochen im Krankenhaus. Es wurden alle möglichen Untersuchungen bei ihm durchgeführt und trotzdem konnte oder wollte man nicht genau sagen, was die Ursache für diesen Blutsturz gewesen ist. In den siebziger Jahren war es noch nicht üblich, dem Patienten bei einem Gespräch zwischen Arzt und Krankem eine Krebsdiagnose mitzuteilen, um ihn anschließend über die Heilungsmöglichkeiten

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