Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Runenträger: Eiskalter Verrat
Der Runenträger: Eiskalter Verrat
Der Runenträger: Eiskalter Verrat
eBook417 Seiten5 Stunden

Der Runenträger: Eiskalter Verrat

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Durch das Warten auf seine sehnsüchtige Rückkehr reist die werdende Mutter schließlich nach Irland um die Wurzeln des verschwundenen Runenträgers auszuforschen und macht dabei eine interessante Entdeckung. Noch dazu erfährt sie, dass ihr Kind nicht überlebensfähig sein würde und sie wehrt sich mit allen Mitteln gegen diese absurde Theorie, die ihr jeden Tag mehr und mehr Angst beschert.
Zu allem Überfluss taucht nur wenige Monate vor ihrem Geburtstermin dieser seltsame Typ namens Will auf, der vom ersten Tag an nicht mehr von ihrer Seite weichen möchte und um eine enge Freundschaft zu ihr kämpft. Ob er etwas mit Lleywellyens Rückkehr zu tun haben könnte?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Feb. 2014
ISBN9783849576356
Der Runenträger: Eiskalter Verrat

Ähnlich wie Der Runenträger

Ähnliche E-Books

Science-Fiction für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Der Runenträger

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Runenträger - Petra van Baarle-Präsoll

    1

    Tief in den Abgründen der Unterwelt, wo noch kein Sterblicher je einen Atemzug getan und die Seelen ein qualvolles Dasein fristen, wartete ein Untertan des Bösen auf seine Befehle.

    Er hielt sein Haupt geneigt und wagte es nicht sich zu rühren, ehe es ihm erlaubt wurde. Sein Gebieter stand in unmittelbarer Nähe und genoss den Anblick seines treu ergebenen Dieners und ließ ihn noch einige Zeit in dieser Stellung verharren. Einzig das Gestöhne der gequälten Seelen, die sich unermüdlich durch die Hitze der Unterwelt wälzten, hallte von allen Seiten her und füllte die Umgebung mit Unbehagen.

    Doch das Wesen blieb in seiner Haltung und würde sich nicht eher bewegen bis es dazu aufgefordert wurde.

    Sein Gebieter trat nun näher und berührte seinen gefiederten Schädel.

    In einer uns unbekannten Sprache raunte er dem Wesen der Unterwelt seinen Befehl zu:

    »Bring ihn mir!«

    Gleich nachdem die Worte verklungen waren, loderte eine glühende Flamme in beiden Augenhöhlen des Untertanen auf und er spreizte seine Schwingen um sich in die Lüfte zu erheben und seinen Auftrag auszuführen.

    2

    Müde und gelangweilt starrte Flori aus dem Fenster und sah die Häuserreihen wie aneinandergereihte Zinnsoldaten an ihr vorüberziehen. Das gefallene Laub bedeckte den gepflasterten Bürgersteig und sorgte für eine farbige Abwechslung auf den grauen Straßen von Den Haag.

    Mittlerweile war es Abend geworden und ihre Reise in der Straßenbahn durch die Gassen der holländischen Stadt würde nach den nächsten zwei Stationen endlich ein Ende haben.

    Sie seufzte tief und stützte ihren Kopf auf ihrer Hand ab derweil sie nachdachte, warum sie sich eigentlich zu diesem Kurztrip nach Holland von Anouk überreden lassen hatte.

    Die Holländerin fand, dass ihre Freundin nach allem was in den letzten Monaten vorgefallen war, unbedingt mal raus musste um auf andere Gedanken zu kommen. Dank des verlängerten Allerheiligenwochenendes kam ihr diese glorreiche Idee gerade recht und der Flug nach Schiphol buchte sich fast schon von alleine. Nachdem sie eine Zeit lang im Zug unterwegs waren, landeten sie letztendlich in der Straßenbahn und waren sozusagen auf der Zielgerade bis zu Anouks Oma unterwegs, die in einem kleinen Vorort von Den Haag wohnte.

    Doch Flori bereute diese Reise jetzt schon. Am liebsten würde sie jetzt zuhause vor dem Fernseher sitzen und nicht schräg gegenüber der schwarzhaarigen Holländerin, die seit wenigen Minuten nach ihrem Handy in der Tasche kramte.

    »Vielleicht war es doch keine so gute Idee für ein paar Tage zu verreisen…« maulte Flori um ihrem Frust Ausdruck zu verleihen und vielleicht die Aufmerksamkeit ihrer Mitreisenden wieder auf sich zu ziehen.

    »Ach, jetzt hab dich nicht so! Zuhause machst du dich doch nur verrückt! Du wirst sehen, dieser Kurztrip wird dir guttun!« widersprach sie ihr auch gleich, ohne auch nur ein einziges Mal von ihrer Tasche aufzuschauen.

    Die Straßenbahn hielt für einen kurzen Moment an und eine surrende Stimme aus dem Lautsprecher kündigte die Haltestelle an, während sich zwei Leute an ihnen vorbei durch die geöffneten Türen zwängten.

    »Außerdem freu ich mich wie verrückt, endlich mal wieder meine Omi zu besuchen!« warf Anouk noch fröhlich ein, doch ihre Freundin schwieg.

    Sie starrte weiterhin durch die zerkratzte Fensterscheibe, wo sie desinteressiert durch ein großes Fenster der Häuser einem Mann über die Schulter sah, der gerade auf eine Quizshow im Fernsehen umschaltete.

    Die Tram setzte sich erneut in Bewegung und weitere, große Fenster der Reihenhäuser offenbarten das aktive Innenleben der Holländer.

    Doch das alles nahm Flori gar nicht erst wahr. Sie war in ihren Gedanken schon wieder bei Lleywellyen und ertappte sich dabei, wie sie schon wieder über seine verschwundenen Überreste nachdachte.

    »Ha! Na endlich! Da ist es ja!«

    Freudestrahlend zog Anouk ihr Handy aus der Tasche und suchte die Nummer ihrer Oma heraus um sie von der baldigen Ankunft der Mädchen zu informieren.

    Während sie die Nummer wählte musterte sie ihre gedankenversunkene Freundin, die sich noch immer nicht mit dem Aufenthalt in ihrem Heimatland auseinandersetzen konnte.

    »Entspann dich, Flori.«, aufmunternd tätschelte sie deren Oberschenkel, »Ich glaube kaum, dass er gerade in den drei Tagen deiner Abwesenheit zurückkehren wird.«

    »Und was, wenn schon?« stieg sie auch gleich in die Konversation ein und wollte ihrer Unruhe Luft machen.

    »Hast du den Zettel über unsere Reise nach Holland auf den Küchentisch gelegt?«

    »Ja, hab ich.«

    »Und den Reserveschlüssel unter deiner Fußmatte versteckt?«

    »Ja, hab ich auch.«

    »Dann mach dir mal keine weiteren Sorgen! Falls er wirklich in deine Wohnung kommt, dann wird er die restlichen Tage auf dich warten. Das ist es ihm garantiert wert!«

    Anouk klopfte erneut auf den Oberschenkel ihrer Mitreisenden, während sie sich mit der anderen Hand noch immer das piepende Telefon geduldig ans Ohr hielt. Da ihre Oma schon sehr alt und gebrechlich war, konnte das noch ein Weilchen dauern.

    Floris Verspannung lockerte sich wieder ein wenig als sie die beruhigenden Worte ihrer Freundin vernahm. Ihre Mundwinkel bogen sich wieder ein wenig nach oben.

    »Wahrscheinlich hast du Recht… Ich bin nur momentan so aufgelöst. Nach allem, was sich in der letzten Zeit zugetragen hat, kann ich keinen klaren Gedanken fassen! Ein wenig Abwechslung wird mir sicher guttun!«

    »Yeah! Diese Einstellung gefällt mir schon viel besser an dir! Außerdem sind deine Sorgen nicht gerade gut fürs Baby!«

    Damit warf sie kurz einen Blick auf Floris Bauch, der noch keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft preisgab. » Oh, Mann! Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass da ein kleiner Winzling in dir heranwächst…«

    Die werdende Mutter musste zum ersten Mal seit dieser Reise lächeln und streichelte kurz über ihren Bauch, während am anderen Ende der Leitung endlich Anouks Oma ans Telefon ging.

    Anouk sprach einige Sätze auf Holländisch um ihrer Großmutter ihre baldige Ankunft mitzuteilen. Dabei sprach sie in einer höheren Tonlage als gewohnt und klang beinahe wie eine Fremde wenn sie in ihrer Muttersprache kommunizierte. Flori verkniff sich ein Lachen und atmete tief durch.

    Es war schön, endlich andere Gedanken fassen zu können und vielleicht ein schönes, verlängertes Wochenende in dieser unbekannten Stadt zu verbringen.

    Als Anouk auflegte, wurde soeben die nächste Haltestelle durchgesagt und sie schrak auf.

    »Huch! Wir müssen ja schon aussteigen! Los, komm! Schnapp dir deinen Koffer!«

    Hurtig sprang sie von ihrem Sitz ehe die Straßenbahn auch schon zum Stehenbleiben abbremste.

    Flori nahm es gelassen und erhob sich gemächlich von ihrem Platz um ihrer aufgescheuchten Freundin zur nächsten Tür zu folgen.

    »Also dann, Flora Berger! Bist du bereit für ein ausgelassenes Wochenende in meiner Heimat?« erkundigte sie sich ein letztes Mal, bevor sie endgültig zum Stillstand kamen und aussteigen konnten.

    Flori nickte zustimmend und in ihren Augen funkelte es erfreut auf.

    Nach nur wenigen Minuten zu Fuß bogen die beiden in einer Seitengasse ein und hielten vor einer der unzähligen Türen, die sich an den Häuserreihen der Straße abhoben.

    Anouk freute sich wie ein kleines Kind als nach mehrmaligem Klingeln ihre Großmutter die Tür öffnete und ihre Enkelin erfreut in die Arme schloss.

    Das Mütterchen war nicht viel größer als 1,50m und reichte Flori bis zu den Schultern.

    Das lag an ihrem Rücken, der sich von ihren hart arbeitenden Jahren leicht krümmte, doch die alte Dame lachte fröhlich übers ganze Gesicht als würde sie keinerlei Schmerzen empfinden.

    Ihre schneeweißen Haare trug sie zu einem sogenannten Dutt gebunden und ihre Falten im Gesicht verzogen sich zu einer lachenden Grimasse, als Anouk sich quietschend vor Freude aus ihren Armen löste und ihre Begleitung vorstellte.

    Flori konnte nur ahnen, was ihre Freundin soeben mit ihrer Oma gesprochen hatte und hielt der alten Dame freundlich grüßend die Hand entgegen.

    Das Mütterchen erwiderte ihren Gruß und sprach wieder einige Sätze in dieser fremdartigen Sprache. In Floris Ohren hörte sich das an, als würde sie sie dazu auffordern ohne Widerworte ins Haus mitzukommen. Sie konterte daraufhin nur mit einem freundlichen Lächeln und zustimmenden Nicken, während sie ihre nuschelnden Worte zu entschlüsseln versuchte.

    »Meine Oma hat gesagt, sie freut sich, dich kennen zu lernen und möchte dir eine Tasse Tee anbieten!« klärte Anouk die Situation auf und ihre Freundin nickte wiederum zustimmend.

    Sie betraten das Haus, was dem Wort „klein" im wahrsten Sinne alle Ehre machte. Hier war alles auf engstem Raum zusammengestaucht worden - doch das war typisch für den holländischen Lebensstil.

    Das Wohnzimmer offenbarte sich ihnen als kleine Fernsehecke mit einigen Kästchen, worauf kleine Porzellanfiguren unter sauber angebrachten Platzdeckchen standen. Das Fernsehregal diente gleichzeitig als Raumabteilung, wohinter sich das Schlafzimmer des Mütterchens befand. Allein die Küche und das Badezimmer waren separate Räume und obwohl Flori über die enge Platzaufteilung erst geschockt reagierte, fand sie es faszinierend, wie Holländer aus Wenig Mehr machen konnten, ohne, dass man sich dabei eingeengt fühlte.

    Als sie das vorgesehene Gästezimmer betrat, staunte sie ein weiteres Mal. Auch hier befanden sich zwei Betten auf engsten Raum mit Kasten und Schreibtisch zusammengepfercht und dennoch fühlte sie sich vom ersten Moment an wohl in dieser Kammer.

    Während sie ihre Koffer ins Zimmer brachten, stellte Anouks Oma Tee und Sirupwaffeln am Wohnzimmertisch bereit um sich mit ihrem Besuch über allerlei Neuigkeiten zu unterhalten.

    Flori war sehr angetan von der Gastfreundlichkeit der alten Dame, die diesen Abend in netter Gesellschaft in vollen Zügen genießen wollte.

    Obwohl Flori sich nur annähernd ausmalen konnte, worüber Anouk und ihre Oma quatschten, fand sie die Atmosphäre sehr entspannend und sie genoss ihren Tee, während ihre Augen immer schläfriger wurden. Es war ein langer Tag gewesen und sie sehnte sich nach einem Bett. Seit einigen Tagen fühlte sie sich müde und erschöpft – auch das gehörte zum Beginn einer Schwangerschaft dazu, was sie wohl oder übel hinnehmen musste.

    Zur späteren Stunde legten sich die beiden Reisenden zur Ruhe, was Flori mit einem ausführlichen Seufzen begrüßte und in das weiche Bett förmlich hineinfiel.

    Am nächsten Tag planten die beiden eine Erkundungstour durch die Altstadt von Den Haag.

    Da sich Anouk hier bestens auskannte, führte sie ihre Freundin wie eine Reiseleiterin durch die engen Gassen der Stadt, die hier und da von kleinen Kanälen – den sogenannten Grachten – gesäumt wurden.

    Flori sah sich begeistert in alle Richtungen um. Immer wieder kreuzte das Wasser ihren Weg und sie liefen über unzählige, gepflasterte Brücken zielstrebig Richtung Marktplatz zu.

    »Wahnsinn, wie klein und wunderschön diese Gassen sind!« staunte sie und wich einem entgegenkommenden Radfahrer aus, die hier zwischen den Fußgängern einen wichtigen Platz in der Gesellschaft einnahmen.

    »Ja, da haben unsere Vorfahren ganze Arbeit geleistet! Wir haben unseren Lebensraum mit dem Wasser vereint.« Anouk vergewisserte sich von der nächsten Gasse, ob sie hier bereits abbiegen mussten und schlug ein schnelleres Tempo an.

    Je weiter sie sich dem Zentrum näherten, umso mehr Fußgänger und Radfahrer kreuzten ihren Weg. Flori hatte richtig Mühe mit ihrer Freundin mitzuhalten.

    Die beiden gelangten aus dem Schatten der Häuser in eine Straße, die von Sonnenlicht wahrlich durchflutet wurde. Die Bewohner standen an der Reling des parallel verlaufenden Kanals der Straße und genossen die Wärme der Herbstsonne an diesem wunderschönen Morgen.

    Flori fühlte auch gleich diese angenehme Wärme der Sonnenstrahlen als sie ihre Wangen streichelten und sie beobachtete aufmerksam die fröhlichen Gesichter, die ihr entgegenkamen.

    Die Menge hatte mittlerweile um einiges zugenommen und sie musste zusehen nicht den Anschluss an Anouk zu verlieren, die ihr gerade eine interessante Geschichte über den Prinz von Oranje erzählte.

    An einem Hausvorsprung saß ein schwarzhaariger, junger Kerl im Schneidersitz in der Sonne - neben ihm stapelte sich ein Haufen von Ordnern und Büchern. Eines davon lag aufgeschlagen in seinem Schoß in dem er gedankenversunken blätterte.

    Wahrscheinlich war er ganz in seiner Musik vertieft, da er über seinen Ohren klobige Kopfhörer trug. In aller Ruhe genoss er die warmen Sonnenstrahlen und ignorierte die vielen Leute, die zu seinen Füßen vorbeizogen ohne ihm auch nur in irgendeiner Art ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Als würde auch er sie gar nicht erst wahrnehmen.

    Flori schien die Einzige zu sein, die durch die Menschenmenge hindurch beim Vorbeigehen einen kurzen Blick auf den gelassenen Kerl erhaschen konnte und sie zuckte zusammen.

    Es war, als würde ein Blitz sie durchfahren und ihr Herz begann zu rasen. Als sie mit großen Augen einen zweiten Blick wagen wollte um sich zu vergewissern, war der junge Mann nicht mehr da. Abrupt bremste sie sich ein und sah in die entgegengesetzte Richtung, in die der Kerl soeben samt seinen Büchern davonschlenderte.

    Anouk merkte erst einige Schritte später, dass ihr ihre Freundin nicht mehr zu folgen schien und blickte sich verwundert in der Menge um.

    Sofort sah sie die starrende Flori mitten in der Menschenmasse verharren. »Lleywellyen!« stieß sie aus sich heraus und rannte durch die Leute dem Jungen hinterher. Ohne Rücksicht auf andere zu nehmen rempelte sie sogar einige Passanten an, die sich auch gleich darauf lautstark über ihr Verhalten beschwerten - doch das hörte Flori nicht. Sie hatte nur noch Augen und Ohren für diesen Typen und durfte ihn auf keinen Fall aus den Augen verlieren.

    Endlich kam sie in seine Reichweite und fasste ihn an der Schulter, woraufhin sich der Kerl überrascht nach ihr umsah.

    »Lleywellyen!« keuchte sie ein weiteres Mal, doch als sie das Gesicht aus der Nähe betrachtete, war keinerlei Ähnlichkeit zu dem Iren zu erkennen.

    Etwas verwirrt nahm der Junge seine Kopfhörer ab.

    »Wat zeg je?« wollte er wissen, doch Flori verstand nicht.

    Zum Glück traf soeben Anouk bei ihnen ein und entschuldigte sich für ihre Freundin und klärte die Situation auf.

    Der Kerl lächelte nur kurz und setzte seinen Weg fort, während Floris Freundin sich mit zornerfülltem Gesichtsausdruck zu ihr umdrehte.

    »Kannst du mir mal verraten was das eben sollte? Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?!« zischte sie aufgebracht und bestrafte Flori mit einem bösen Blick.

    »Tut mir leid… Ich sah ihn dort zwischen den Leuten an der Mauer sitzen und dachte, er sei es.«

    Anouk biss die Zähne zusammen und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar um durch Floris Verwechslung nicht sofort in Rage zu verfallen.

    »Er KANN einfach nicht hier sein! Ist dir das vielleicht schon mal in den Sinn gekommen??? Schön langsam nervt dein Verhalten! An jeder Ecke siehst du Lleywellyen! Flori, bleib realistisch!!!«

    Mahnend packte sie die Holländerin an ihren Unterarmen und redete ihr ins Gewissen.

    Natürlich sah Flori ein, dass ihr Verhalten mehr als nur peinlich war, doch sie konnte nicht anders – sie konnte ihren geliebten Iren nicht einfach aus ihren Gedanken streichen als hätte es ihn nie gegeben.

    Sie versprach Anouk sich von jetzt an zusammenzureißen ehe sie nach diesem Vorfall ihren Weg durch die Menge fortsetzten.

    Gegen Abend kroch Flori frühzeitig ins Bett.

    Noch immer saß ihr die Erinnerung an den peinlichen Vorfall von heute Vormittag in den Knochen und sie schämte sich dafür. Ihre Freundin hatte ja Recht – er konnte unmöglich in einem fremden Land, in einer fremden Stadt einfach so aus dem Nichts auftauchen. Doch ihre Psyche fand neuerdings wohl Gefallen daran, ihr Streiche zu spielen.

    Der Rest der Erkundungstour durch die Stadt war an ihr Vorübergegangen als hätte sie nie stattgefunden. Sie hatte zwar bei jedem von Anouks Erklärungen interessiert genickt, aber nie richtig zugehört.

    Beschämt über sich selbst zog Flori die Decke bis zum Kinn hoch und schloss die Augen. Sie fühlte sich mies, noch dazu bekam sie Bauchschmerzen und ihr war mehr als nur unwohl.

    Wenig später öffnete sich die Schlafzimmertür und Anouk spähte mit dem Kopf zu ihr herein.

    »Flori? Schläfst du schon?« murmelte sie leise, woraufhin sie ein raunendes »Nein« zur Antwort bekam. Leise öffnete sich die Tür und sie kam zu ihr ans Bett.

    »Wie geht’s deinem Magen?«

    »Naja, könnte besser sein. Ich glaube, das hab ich der ganzen Aufregung des heutigen Tages zu verdanken. Entschuldige nochmals für den dummen Vorfall…«

    »Lass mal gut sein. Kann ja passieren. Wichtiger ist, dass du dich jetzt ausruhst.«

    »Da hast du wohl Recht! Ich fühle mich hundeelend…«

    Anouk hielt einen Moment inne, als würde sie die richtigen Worte suchen. Sie setzte sich ihr gegenüber auf ihr eigenes Bett und starrte eine Weile auf das zierliche Nachttischlämpchen ehe sie mit ihrer Frage herausrückte.

    »Nun…Flori. Ich mein… Naja, da du heute ja sowieso das Bett nicht mehr verlassen wirst… und ich nicht so oft die Gelegenheit habe hier meine alten Freunde zu besuchen… und noch dazu Samstag ist…«

    »…Schon gut. Ich weiß was du sagen willst. Klar kannst du mit deinen Freunden um die Häuser ziehen.« schnitt Flori ein, ehe sie sich noch einen Knoten in die Zunge quatschte.

    »Und es macht dir wirklich nichts aus?«

    »Nein, echt nicht. Nun geh schon und hab deinen Spaß!« lächelte sie angetan was Anouk wie ein kleines Kind freute.

    »Danke, Flori! Du bist die Beste! Ich werd auch nicht lange wegbleiben! Das versprech’ ich dir!«

    »Mach dir keine Mühe. Ich werd sowieso schon schlafen wenn du heimkommst. Mach nur nicht zu viel Krach, okay?«

    »Alles klar! Mach ich!« versprach Anouk ehe sie sich verabschiedete und freudig zur Tür hinaushopste.

    3

    Nachdem sie sich zwei Stunden im Bett hin- und hergewälzt hatte ohne richtig einschlafen zu können, gab Flori auf und sie schaltete die Nachttischlampe ein. In ihrem Bauch wütete ein Vulkan, der durch grummelnde Geräusche sein Unwohlsein zum Ausdruck brachte.

    Sie starrte an die Decke und streichelte über den Bauchnabel, als wollte sie Kontakt zu ihrem Kind aufnehmen.

    Sie konnte nicht fassen, dass sie schon wieder im Gedanken bei ihrem Lieblingsthema war und musste sich eingestehen, dass sie mehr als nur verrückt nach Lleywellyens Rückkehr war – sie war regelrecht versessen danach!

    Jetzt hob sie ihren rechten Arm unter der Decke hervor und betrachtete das Runensymbol Algiz an ihrem Handgelenk, welches bis zum heutigen Tag aussah als wäre ihr die Wunde frisch zugefügt worden.

    Langsam strich sie mit der anderen Hand darüber und fühlte jede Wölbung des gabelartigen Symbols, während sie sich an den Tag zurückerinnerte wo sie den schwarzen Runenträger zum ersten Mal berührte. Es war ein magischer Moment gewesen, als sie dem Teufelshengst über die Schnauze strich und sich daraufhin die Schutzrune wie eine Brandwunde an ihrem Körper abzeichnete.

    Solange sie diese Rune an ihrem Handgelenk trug, hielt sie auch an der Hoffnung eines Wiedersehens fest - soviel war für sie sicher.

    Noch während sie über dieses mystische Symbol grübelte, öffnete sich die Tür wieder einen spalt und Anouks Oma spähte zu ihr herein.

    Wahrscheinlich war die alte Dame auf das Licht im Schlafzimmer aufmerksam geworden und kam gemächlich mit einem Tablett samt Tee und Sirupwaffeln zu ihr ins Zimmer.

    Flori sah ihr in Ruhe dabei zu wie sie das Tablett auf dem Nachttisch abstellte und mit besorgtem Blick eine Frage stellte, die das Mädchen leider nicht verstehen konnte.

    Sogleich hielt das Mütterchen ihre faltigen Hände an ihren Bauch und wiederholte die Frage, was Flori zu verstehen gab, dass sie nur ihre Bauchkrämpfe meinen konnte.

    Jetzt deutete die alte Frau auf die Teetasse.

    »Thee! Goed tegen buikpijn! Mmmh!« gab sie abermals von sich und rieb sich ihren eigenen Bauch.

    »Vielen Dank. Ja, ich werde den Tee trinken.« meinte das Mädchen verlegen und nickte heftig um der Dame zu verstehen zu geben, dass sie ihre gutgemeinte Geste verstanden hatte.

    Anouks Oma tätschelte ihr noch lächelnd die Stirn, wie es eine Mutter getan hätte und verließ gleich darauf das Zimmer.

    Trotz der Kommunikationsprobleme fand Flori die alte Frau mehr als nur liebenswert. Sie erinnerte sie an ihre eigene Oma und ein vertrautes und geborgenes Gefühl aus alten Zeiten wurde in ihr wach.

    Sie nahm den guten Rat der Greisin an und nahm ein paar Schluck vom heißen Kräutertee, der noch immer am Nachttisch für sie bereitstand. Erstaunt musste sie feststellen, dass dieser Tee herrlich entspannend auf ihren Bauch sowie auf ihr Gemüt wirkte. Sie hielt für einen Moment inne und genoss die Wärme, die sie momentan durchflutete und sowohl ihren Blutdruck als auch ihre Sorgen zur Ruhe kommen ließ.

    Ihr Körper dankte es ihr mit Schmerzlinderung im Bauchbereich, ließ ihre Lider schwerer werden und in einen beruhigenden Schlaf hinübergleiten.

    4

    »Hach! Ist es schön wieder zuhause zu sein!« begrüßte Flori auch gleich den altvertrauten Boden unter ihren Füßen, als sie aus dem Flugzeug stieg und die frische Luft der Alpen inhalierte.

    Anouk, die nach ihr das Flugzeug verließ, war da ganz anderer Meinung. Die letzte Partynacht in Holland hatte ihre Spuren hinterlassen und sie war total verkatert. Ihre großen, schwarzen Sonnenbrillen versuchten so gut sie konnten ihren nächtlichen Einsatz zu vertuschen, doch in ihrem Kopf hämmerte es ununterbrochen seit sie aus dem Bett gekrochen war.

    Sie konnte nicht einmal Geri umarmen, der die beiden schon sehnsüchtig im Ankunftsterminal erwartete. Diese Aufgabe durfte ausnahmsweise Flori erledigen da sie sich unheimlich freute, Anouks kleinen, blonden und schrulligen Freund wiederzusehen.

    Auch auf der gesamten, zweistündigen Heimfahrt sprach Anouk nur das Nötigste. Alles was sie von sich gab, kam in einem mürrischen und raunenden Ton rüber, sodass Geri keinerlei weitere Fragen zu ihrem gestrigen Abend verschwenden wollte und gönnte ihr verständnisvoll ihre Ruhe.

    Flori auf der Rückbank hingegen, starrte mit großen Augen aus dem Fenster und genoss den herrlichen Anblick der Berge, die mit jeder Minute näher kamen. Obwohl sie nur für drei Tage fort war überkam sie sehr schnell das Heimweh und sie freute sich wie ein kleines Kind auf Daheim.

    Als Geri sie zuhause absetzte und Flori sich dankend verabschiedet hatte, fühlte sie wie Nervosität in ihr hochstieg.

    Vielleicht wurde sie in ihrer Wohnung ja schon sehnsüchtig erwartet?

    Doch spätestens als sie ihren Koffer vor der verschlossenen Wohnungstür abstellte und auch gleich ihr hinterlegter Schlüssel unter der Türmatte zum Vorschein kam, wusste sie, dass ihr Puls umsonst angestiegen war.

    Auch als sie die Wohnung betrat, offerierte sie sich ihr genau in dem Zustand wie sie den Wohnraum hinterlassen hatte. Selbst der handgeschriebene Zettel für Lleywellyen lag unberührt am Küchentisch. Genau dort, wo er von ihr hingelegt worden war.

    Etwas enttäuscht und doch einsichtig begann sie ihre Klamotten auszupacken und in die Waschmaschine zu befördern.

    Als sie es sich wenige Minuten darauf im Wohnzimmer vor dem Fernseher gemütlich machen wollte, beschlich sie eine unendliche Leere, die in ihrem großen Wohnraum Einzug hielt und erneut Unruhe in ihr auslöste. Jede Ecke und jeder Winkel erinnerte sie an Lleywellyen - wohin sie auch sah. Überall waren Erinnerungen an den jungen Iren geblieben – allein schon die drei Bilder, die sie aus seiner alten Wohnung mitgenommen hatten, hingen sorgfältig an der Wand montiert und zogen ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich.

    Sogleich kamen ihr auch schon die Bilder des schrecklichen Endes des Runenträgers wieder in den Sinn. Sofort sah sie vor ihrem inneren Auge die letzten Momente seines Lebens, als seine Schulter von den drei jungen Bäumen gepfählt wurde und er regungslos liegen blieb, während sich sein Blut bereits über seinem pferdeähnlichen Körper verteilte.

    Hilflosigkeit und Trauer machte sich in ihr breit und füllten ihre Augen mit Tränen.

    Zu guter Letzt lag da auch noch der aufgeschlagene Reisepass am Couchtisch, welcher Floris Unwohlsein nur noch bekräftigte und sie musste sich wieder erheben, da sie den Anblick des Passfotos nicht ertragen konnte.

    Dies war das einzige Foto, was sie von ihm besaß und es erinnerte sie zu sehr an die vergangene Zeit, als ihre Welt noch in Ordnung war.

    Sogleich beschloss sie ihre Pflanzen zu gießen und anschließend die Wohnung gründlichst durchzuputzen um auf andere Gedanken zu kommen. Die fühlte sich gefangen und zugleich alleingelassen – sie durfte der Trauer um sein Verschwinden nicht die Übermacht ergreifen lassen indem sie zuließ, dass es ihre Seele zerfraß.

    Am späten Abend war sie noch immer mit Putzen beschäftigt. Das Ablenkungsmanöver zeigte mittlerweile seine Wirkung und Flori pfiff fröhlich bei jedem Lied mit, welches gerade im Radio gespielt wurde.

    Soeben war sie dabei ihr Regal abzustauben und wischte über Bücher, Bilderrahmen und kleine Teelichtbehälter, die einer Reinigung schon dringend bedurften.

    Dabei fiel ihr ein umgefallenes, dick verstaubtes Bild auf, was schon lange Zeit nicht mehr zur Hand genommen worden war.

    Dieses Bild musste einst bei einem Schiausflug entstanden sein. Flori erinnerte sich nur vage an diesen Tag.

    Darauf waren sie, Anouk, Carola und Albin abgebildet, wie sie gemeinsam an einem hölzernen Tisch in einer Almhütte beisammen saßen und feuchtfröhlich den Tag ausklingen ließen.

    Da war sie schon wieder – die Erinnerung an eine vergangene, heile Welt, wo die Gang beinahe jedes Wochenende miteinander verbracht hatte und jede Sekunde ihrer innigen Freundschaft gefeiert wurde.

    Niemand hätte damals auch nur annähernd gedacht, dass diese schöne Zeit eines Tages enden würde…

    Doch das Schicksal hatte entschieden…

    Albin und Carola würden nie wieder zu ihnen dazugehören…

    Nie wieder…

    Flori hielt einen Moment inne und betrachtete das Bild sehr intensiv. Laut den letzten Gerüchten, die man sich im Dorf erzählte, mussten die beiden nach dem dramatischen Ende des Runenträgers nach Finnland gezogen sein. Sie selbst konnte diese Entscheidung nur begrüßen, da sie ihnen nicht mehr unter die Augen treten konnte. Es würde alles nur noch schlimmer machen, als es ohnehin schon war.

    5

    »Flora? Kannst du bitte noch kurz den Kassendienst übernehmen? Ich muss schnell im Lager nachsehen, ob wir noch Feuchttücher haben!« rief Floris Chefin quer durch den Gang des Lebensmittelladens, ehe sie sich auch schon vom Rollsessel erhob und die wartende Kundschaft an der Kassa stehen ließ.

    »Ja, sofort!« war Floris schnelle Antwort und sie schnappte sich unterwegs zum Zahltisch noch eine Packung roter Friedhofskerzen, die sie für sich selbst kaufen wollte.

    Es war kurz vor Mittag und ihre Vormittagsschicht neigte sich dem Ende zu. Schnell und freundlich fertigte sie die wartende Kundschaft an der Kassa ab, ehe sie ihre Dienstkleidung im Personalraum an den Hacken hing.

    Als sie sich schließlich von ihrer Dienstgeberin in die Mittagspause verabschiedete, musste sie wieder daran denken, dass sie ihre Schwangerschaft nicht viel länger vor ihr verheimlichen durfte. Im Grunde musste sie auch ihrer Mutter endlich das Geheimnis offenbaren, doch sie hatte bisher noch nicht den Mut dazu aufgebracht. Weiterhin suchte sie vergebens nach dem passenden Augenblick. Genauso wie heute brachte sie es nicht übers Herz ihre Vorgesetzte über diese Neuigkeit zu informieren, obwohl sie schon damit rechnete, dass ihre Chefin dank ihres seltsamen Verhaltens insgeheim bereits mit dem Gedanken spielte.

    Noch während sie das Geschäft verließ und über ihre baldige Verkündung nachdachte, wäre sie gleich aus Macht der Gewohnheit nach Hause gelaufen. Sowie sie jedoch bemerkte, dass sie auf dem falschen Weg war, hielt das Mädchen abrupt an und machte auf dem Stand kehrt um in die entgegengesetzte Richtung weiter zu laufen.

    Schließlich hatte sie noch etwas anderes vor

    Kalt und grau präsentierte sich ihr der Friedhof von Eiflingbach, als Flori die Ruhestätte betrat. Um diese Zeit war sie vollkommen alleine auf dem Gottesacker und konnte im Stillen ihr Vorhaben verrichten, ohne gesehen zu werden.

    Ein eisiger Herbstwind fegte über die Gräber hinweg und wirbelte das verwelkte Laub auf, welches unter leisen Geräuschen die Grabsteine streichelte und zur schaurigen Stimmung beitrug.

    Ihre Hände waren bereits eiskalt als Flori schließlich vor einem bestimmten Grab stehenblieb, ein Feuerzeug und die mitgebrachten Friedhofskerzen aus der Manteltasche zog und deren goldenen Deckel abschraubte um an den Docht ranzukommen.

    Endlich gelang es ihr unter den windigen Bedingungen die Kerze zu entflammen und den Deckel wiederum darauf zu platzieren.

    Eine Weile lang sah sie der kleinen Flamme dabei zu wie sie sich den Docht hinunterfraß,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1