Der Fremde am Ufer: Gedanken zu überlieferten Geschichten
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Über dieses E-Book
In den Geschichten geht es um Gerechtigkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Goldene Regel, Integration Außenstehender, Sinnlosigkeit und neue Lebensperspektiven.
Johannes Reunecker
Der Autor Johannes Reunecker M.A. studierte Biologie, Theologie und Medizinethik.
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Buchvorschau
Der Fremde am Ufer - Johannes Reunecker
Inhaltsverzeichnis
Der Fremde am Ufer
Die Fischer am See
Der Hirte und sein Schaf
Die Silbermünze ist weg
Erbstreitigkeiten
Orientalisches vom Verlorenen
Ein Skandal im angesehenen Hause
Ein wissbegieriger Gelehrter
Die Goldene Regel
Ein Nachfolger-Kandidat auf dem Prüfstand
Ein Nachwort
Anhang
Der Fremde am Ufer
Eine Gruppe enttäuschter Männer sitzt am Ufer des Sees. Keiner spricht, alle starren in das sich seicht bewegende Wasser. Hin und wieder kreischt ein Vogel auf – Stille – absolute Stille – nur das Gurgeln des sich im Sande verlierenden Wassers ist in dem periodischen Auf und Ab des Meeresstromes kaum wahrnehmbar zu hören.
Was bewegt diese Männer? Was machen sie hier am Rande des großen Binnenmeeres?
– Stille – Es ist später Nachmittag. Die sengende Sonne verliert an Kraft. Die Intensität der stechend heißen Strahlen lässt nach. Es wird erträglicher am Ufer. Ein kleiner Windzug wird bemerkbar. Ein Vogel flattert auf.
Plötzlich regt sich einer der Männer. – Nach langem Schweigen sagt er: ich geh‘ fischen. Verdutzt schauen die anderen zu ihm auf. Fischen? Ja, ich geh‘ jetzt fischen, wiederholt er mürrisch. Die von dieser Idee überrumpelten Männer blicken einander an, nicken und murmeln teilnahmslos vor sich hin: wir gehen mit.
Seitlich, etwa hundert Meter von ihnen entfernt, schaukelt im Wasser ein altes Fischerboot hin und her. Peter, der Initiator, der selbst Fischer ist, hat längst die Hosen hochgekrempelt und stapft im Wasser in Richtung des Schiffes davon; eine Schar von sieben, acht Männern folgt ihm.
Die am Ufer zu beobachtende Lethargie unter den Männern scheint auf dem Boot einer routinierten Beschäftigung zu weichen. Es geht rund an Bord. Vorbereitung für den nächtlichen Fischfang. Doch nicht alle sind so geschickt wie Peter. Jene scheinen das Fischereihandwerk nicht zu beherrschen und bedürfen wiederholter Instruktionen des Fachmannes. Doch dann ist es so weit, es geht hinaus, auf hoher See. Seemanns Heil!
Es wird eine harte, enttäuschende Nacht. Trotz bester Bedingungen, unter Einsatz seemännischer Erfahrungen, die ausgeworfenen Netze bleiben leer. Kein Fisch verfängt sich im Netzwerk linksseitig des Fischerbootes. Das ist dem erfahrenen Fischer Peter selten passiert, ohne Fang heimkehren zu müssen.
Der Horizont beginnt sich aufzuhellen, die Gemütsverfassung der Männer im Boot hingegen verfinstert sich zusehends. Diametral zum Naturschauspiel des sich langsam erhellenden Tages verändert sich ihre Laune erneut in dem Zustand des pessimistischen Daseins vor dem Aufbruch in See. Sie hatten erhofft, durch Aufnahme von Arbeit wieder Sinn in ihrem Leben erlangen zu können, wie einst. Doch das Scheitern ihrer Arbeit versetzt sie zurück in tiefer Nacht, in den Zustand der Sinnlosigkeit menschlicher Existenz. Die Männer fahren zurück in die Nacht ihres Lebens, gleichzeitig mit ihrem Boot hinein in die Morgenröte eines anbrechenden neuen, hellen Tages. Trostlos rudern sie heimwärts.
Aus der Ferne sehen die Männer im Boot, einen Mann am Rande des Sees stehen. Sie ankern und erkennen: es ist ein Fremder, ein Fremder am Ufer. Sie befestigen das Schiff und steigen aus. Die Gruppe will zu ihrem Lagerplatz gehen, doch der ihnen fremde Mann spricht sie an: Habt ihr nichts zu essen? Die von der harten Nacht müden und hungrigen sowie von ihrem Misserfolg enttäuschten Männer wissen nicht, ob sie lachen oder weinen sollen. Peter, der Fischer, stöhnt grimmig als sein Magen laut knurrt. Habt ihr nichts zu essen? Dass ich nicht lache! Aber, irgendwie instinktiv, sagen alle: Nein, nein, wir haben nichts zu essen. Die Gruppe der Männer steht wie verdattert am Ufer des Binnenmeeres diesem Fremden gegenüber und es scheint, als ob die Schar der Enttäuschten mit dem ‚Nein‘ all‘ ihren Frust von der Seele schreien wollte. Völlig ruhig und gelassen sagt der Fremde zu Ihnen: Werfet das Netz rechtseitig des Schiffes aus, dann werdet ihr erfolgreich sein.
Was für ein Besserwisser, dieser Fremde, hat doch keine Ahnung von den Künsten des Fischfanges. Zum erfolgreichen Fischfang werden traditionsgemäß die Netze linkseitig des Schiffes ausgelassen, in der Nacht und nicht am Tage. In den Köpfen der erfahrenen Fischer kreisen diese und andere Gedanken.
Die Männer sehen sich einander an und erahnen die Gedanken des jeweils anderen: diese Überzeugtheit in den Worten des Fremden, seine Autorität. Die Ausstrahlung des Fremden überwältigt sie, sie kehren um, klettern in ihr Schiff und fahren los. Entgegen ihrer Gewohnheit und Erfahrung werfen sie das Netz zur rechten Seite des Schiffes aus. - Und sie fangen!
Innerlich aufgewühlt, kehren sie zurück an Land. Im seichten Wasser der Ufernähe lässt sich das mit so vielen Fischen gefüllte Netz kaum mehr ziehen ohne Gefahr zu reißen.
Hannes, einer der Männer auf dem Schiff, der neben Peter, dem Fischer, steht, sagt zu diesem: hör mal, der Fremde am Ufer, ist unser Meister! Nee, meinst du es wirklich? Ja, bestätigt Hannes: äußerlich, von Gestalt ist er nicht so erkennbar, aber schau doch sein ganzes Verhalten an, seinen Ratschlag und der ungewöhnliche Fischfang, wie