Dünen, Sand und Meer: Küstengeschichten-Anthologie der Lagerfeuer-Autoren
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Über dieses E-Book
22 spannende und sehr lesenswerte Küstengeschichten sowie 13 Gedichte, erzählt von zwölf Autoren der Lager-feuer-Runde.
Typisch nord-deutsch sind die Erzählungen über die wortkargen Menschen an den Küsten, die täglich Wind und Meer trotzen oder sich einfach nur in die endlosen Weiten des Marschlandes und seinem hohen Himmel über dem Meer verliebt haben.
Unheimlich und mystisch geht es zu, wenn ein Tourist nach einem blonden Mädchen sucht oder ein Angler in der Nacht von einem Nebelgast besucht wird; wenn Kapitäne zu ihrer letzten großen Fahrt auslaufen und Leuchtturmwärter sich vor der Dunkelheit fürchten; wenn der Fliegende Holländer gesichtet wird oder der Klabautermann feststellt, dass in Bayern kein Strandhafer wächst. Schaurig-schön, wenn ein alter Seemann über Rungholt fährt. Gruselig wird's, wenn ein Angler über das Nachtangeln erzählt und jedem empfiehlt, eine stabile Tür zwischen sich und der Welt im Dunkel fest zu schließen.
Amüsant wird es, wenn Muscheln kuscheln, ein Drei-Sterne-Hotel kinderfreundlich ist oder über aristokratische Blässe referiert wird; wenn ein Bullenhai bei Helgoland einen Imbiss zu sich nimmt oder Meeresfrüchte einen Tanz im Kessel absolvieren.
Kurzgeschichten, die ideale Lektüre für den Urlaub, abwechslungsreich und unterhaltsam.
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Buchvorschau
Dünen, Sand und Meer - Claus Beese (Hrsg.)
Zum Buch
Dieses Buch ist als Printausgabe beim Mohland Verlag unter der
ISBN-Nummer 978-3-86675-213-9
erschienen und im Handel, beim Verlag oder beim Autor erhältlich.
Vorwort
Von Klaus-Dieter Welker
„Up dat uns dat good geihen schall up use olen Dage!"
Der Sprecher hob sein randvoll gefülltes Glas und blickte über das Feuer hinweg in die Runde. Obwohl nicht jeder der um die Flammen Sitzenden des Plattdeutschen mächtig war, so wussten doch alle, was die Worte bedeuteten.
„Nun ja, ich hoffe, die ´alten Tage´ liegen noch vor mir, ließ sich eine junge weibliche Stimme vernehmen. „Allzu eilig habe ich es nicht damit.
„Manchmal geht das schneller, als es einem lieb ist, antwortete ein grauhaariger bärtiger Mann, beugte sich nach vorn in den Feuerschein und schaute die Männer und Frauen, alte und junge, der Reihe nach an. „So mancher ist über Nacht ergraut, der des Morgens noch mit blondem oder tiefschwarzem Haar in den Spiegel schaute.
Es war schon eine Weile her seit sie sich das letzte Mal getroffen hatten. Damals hatten sie in den Dünen gesessen, bei eisigem Wind und jagenden Wolken. Und so wie bei diesem ersten Mal, saßen sie wieder vor einem loderndem Feuer, genossen die Gemeinschaft und blickten abwechselnd in die züngelnden Flammen, den sternenübersäten Himmel und die nun schon fast vertrauten Gesichter.
Ein jüngerer Mann beugte sich nach vorne und warf ein weiteres Scheit in die Flammen, sodass ein Funkenregen wie ein Schwarm Glühwürmchen in den dunklen friesischen Himmel stieg.
„So ein bisschen vermisse ich das Meer, ließ er sich vernehmen. „Die Luft riecht zwar ein wenig nach See, und ich glaube auch ein wenig Salz mit jedem Atemzug zu schmecken. Aber mir fehlt das Rauschen der Wellen, das Donnern und Tosen einer ordentlichen Sturmflut, die gegen die Deiche schlägt.
„Und doch ist das Meer nicht weit, entgegnete ein anderer mit ruhiger Stimme. „Noch vor wenigen hundert Jahren hätten wir alle, die wir jetzt hier sitzen, wohl mehr als nasse Füße gehabt, wenn wir uns hier getroffen hätten. Damals toste an dieser Stelle noch die Nordsee. All das Land rings um uns herum wurde dem Meer in mühseliger Arbeit abgetrotzt. Unzählige fleißige Hände haben über Generationen hinweg Deiche gebaut, das Land entwässert und urbar gemacht. Oft holte sich die See ihren Besitz wieder zurück, durchbrach die Dämme und Deiche, zerstörte Höfe und Dörfer. Diese Fluten kosteten viele Menschen das Leben.
Nicht weit entfernt war schemenhaft der alte Leuchtturm von Sankt Peter-Böhl zu sehen, der in ruhigen Kreisen sein Licht in die Nacht hinaus sandte.
„Ja, das Meer gibt und nimmt. Freude und Leid. Und in manchem löst es eine Sehnsucht aus, die so stark ist, dass sie niemals gestillt werden kann. Ich möchte zuweilen dorthin, wo das Meer in der Ferne den Himmel berührt. Aber ebenso sehr liebe ich es, an den Küsten und Stränden zu verweilen, bei Sonnenschein wie bei stürmischem Wetter, und von fernen Ländern nur zu träumen."
Das Glänzen in den Augen der Sprecherin strahlte beinahe so hell wie die Glut.
„Was könnten uns das Meer und der Wind nicht alles erzählen? Unendlich mehr Geschichten, als es Wellen gibt. Mir fällt da gerade eine ein. Wollt ihr sie hören?"
Natürlich wollten sie das. Geschichten waren ihr Leben, ihre Leidenschaft. Bei guten Freunden zu sitzen, im Schein des Feuers, unter einem Dach aus funkelnden Sternen und einer verträumten, einer lachenden oder einer nachdenklichen Stimme zu lauschen. Was gab es Schöneres auf Gottes weiter Welt?
Und während sich die einen erwartungsvoll vorbeugten, die anderen sich gemütlich zurücklehnten, der eine in die endlose Weite des Himmels und eine andere in die helle Glut des Feuers schaute, lauschten sie gebannt den Erzählungen, die diese Nacht wieder zu einer besonderen machten.
Fernweh
Wenn der Wind von Norden kommt
riecht man das Salz in klarer Luft.
Sie schmeckt herrlich kühl nach See,
trägt einen ganz besonderen Duft.
Er weckt das Fernweh in der Seele,
hör nur, wie das Meer dich ruft.
- Claus Beese -
Die Flaschenpost
Von Anita Koschorrek- Müller
Es war keine gute Idee gewesen auf die Insel zu fahren. Warum musste ich mich zu allem Überfluss auch noch in unserem Hotel einquartieren? - Unser Hotel? Es war nie mein Hotel! Er liebte es, dieses exklusive Ambiente, dieses vornehme Getue. Gestern war ich angereist, hatte an der Rezeption die nötigen Formalitäten erledigt und wurde gleich befragt.
„Wann wird denn Ihr Gatte eintreffen? Gnädige Frau würden besser jetzt bereits ein Zimmer reservieren, wir sind ziemlich ausgebucht", hatte der blasierte Empfangschef gemeint.
„Nein, ich bleibe im Einzelzimmer. Der Gatte reist nicht an."
„Wie gnädige Frau wünschen."
Jetzt laufe ich heute zum dritten Mal am Strand entlang bis zum Kap. Es ist Ebbe. Ich trage meine Schuhe in der Hand, habe die Hosenbeine hochgekrempelt, und die Wellen umspülen meine Füße. Ab und zu durchquere ich einen Priel mit ablaufendem Wasser. Über mir türmen sich dicke schwarze Wolken, die ein heftiger Wind landeinwärts treibt. Mein Blick ist auf den Boden gerichtet, auf die vielen großen und kleinen Muscheln, die ich als Kind so gerne sammelte. Eine Welle spült einen toten Krebs ans Ufer, und die nächste Welle zieht ihn ins Meer hinaus. Wie oft sind wir gemeinsam diesen Weg gegangen, haben die salzige Luft geatmet und den Sand unter unseren Füßen gespürt?
Mein Entschluss steht fest. Ich reise ab! Es war eine Schnapsidee hierher zu fahren. Zehn Tage alten Urlaub wollte ich nicht zu Hause verbringen und die Wände anstarren. Ich dachte, auf der Insel könnte ich mich erholen. Da kenne ich mich aus, da weiß ich was mich erwartet. Doch was habe ich hier angetroffen? Schmerzliche Erinnerungen und einen hochnäsigen Empfangs-Chef!
Meinem alten Freund Fiete könnte ich noch einen Besuch abstatten bevor ich abreise. Er ist früher zur See gefahren und war später Leuchtturmwärter, bis die Technik seinen Arbeitsplatz zunichtemachte. In seinem kleinen Laden am Ortsrand, mit dessen Einnahmen er seine bescheidene Rente aufbessert, verkauft er heute Andenken, Buddel-Schiffe, Angelzubehör und Schnaps. Bei ihm gibt es den besten Köm Frieslands, alten Genever aus Holland, französischen Vodka und Jamaica-Rum, der einem die Schuhe auszieht. Und wenn er jemanden mag, darf der diese Köstlichkeiten auch mal probieren.
Hinter der Düne liegt die Uferpromenade, von dort sind es ein paar Minuten Fußweg bis zu „Fietes Koje". Hoffentlich gibt es ihn noch, den alten Seebär und seinen kleinen Laden. Es ist fast zwei Jahre her, dass wir ihn das letzte Mal besuchten, damals, als wir noch ein Paar waren.
Ich stapfe die Düne hinauf, durch die Muschelscherben, die in die Fußsohlen schneiden und stolpere über eine grüne Flasche. Es ist immer dasselbe. Die Leute lassen überall ihren Müll zurück. Fische sterben, Seevögel krepieren elendig, nur weil die Menschen nachlässig sind und ihre Abfälle in der Natur vergessen. Ich setze mich und ziehe meine Schuhe an. Der stärker werdende Wind treibt den Sand über die Düne. Jetzt schnell zu Fiete, die Flasche nehme ich mit. Ich finde bestimmt einen Glascontainer oder einen Mülleimer um sie zu entsorgen.
Ich öffne die Tür zu „Fietes Koje und betrete den kleinen Verkaufsraum. Nichts hat sich verändert. Über der Ladentheke hängt der präparierte Blue Marlin, knapp drei Meter lang. Den hat dieser Petrijünger vor vielen Jahren geangelt, an der Küste von Puerto Rico. Von dem Drill erzählt er jedem, der es hören will oder auch nicht. Solch ein Prachtexemplar hat der kubanische Fischer Santiago in Hemingways Novelle „Der alte Mann und das Meer
gefangen, und Fietes Kampf mit dem Marlin war fast genauso spannend. Mein alter Freund steht hinten im Laden, bei den Angelruten, und hat Kundschaft. Man redet übers Angeln, worüber denn sonst? Ich schaue mir inzwischen die Buddel-Schiffe im Schaufenster an, die Santa Maria, die Gorch Fock, die Alexander von Humboldt... Die Kasse klingelt und der Kunde verlässt den Laden. Fiete, ein Hüne von einem Mann, Schiffermütze auf den roten Stoppelhaaren, roter Vollbart, kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.
„Na, mien Deern, auch mal wieder auf der Insel?"
„Hallo, Fiete!"
Er umarmt mich, drückt mich an seinen kratzigen Norwegerpullover und ich denke einen winzigen Augenblick darüber nach ob meine Rippen standhalten. Er blickt mich fragend an und wirft dann einen Blick zur Tür.
„Kommt er noch nach?"
„Nein, er kommt nicht", antworte ich und senke den Kopf.
„Du guckst, als würde er nie mehr kommen", stellt Fiete fest.
„Stimmt", antworte ich leise.
„Mmh, brummt der rothaarige Riese in seinen Bart. „Verstorben oder fremdgegangen?
„Letzteres!"
„So ein Dösbaddel, bemerkt Fiete kopfschüttelnd. „Der hat so eine saubere Deern wie dich gar nicht verdient. Und wie geht es dir nun?
„Schiete, Fiete!, sage ich traurig, „Doch da muss ich durch!
„Und du bringst gleich 'ne Buddel mit, um auf deine neue Freiheit anzustoßen?"
„Quatsch! Die habe ich am Strand gefunden und will sie entsorgen", erwidere ich.
„Die ist doch verkorkt. Sollen wir nachsehen, was drin ist?", schlägt Fiete vor.
„Nee, die ist leer. Da ist nichts drin."
Fiete nimmt mir die Flasche aus der Hand und hält sie gegen das Licht.
„Mmh! Mien Deern, das ist 'ne Flaschenpost. Da steckt ein Zettel drin."
Er gibt mir die Flasche zurück, geht hinter die Verkaufstheke und sucht nach einem Korkenzieher.
„Tatsächlich, stelle ich überrascht fest, „eine Flaschenpost!
Es dauert eine Weile bis er einen Korkenzieher gefunden hat, aber dann hat er die Flasche fix geöffnet. Er dreht sie um, schüttelt, und ein längs gefalteter Zettel fällt auf den Fußboden. Er hebt ihn auf und überreicht ihn mir.
„Postgeheimnis! Ist ja deine Flaschenpost."
Jetzt wird es spannend! Ich falte den Zettel auseinander und lese.
„Und, mien Deern? Was steht drin?"
Er ist neugierig, dieser Mann von der Statur eines Kleiderschranks, in dessen Adern mit Sicherheit Wikingerblut fließt.
„Ich weiß nicht?, antworte ich enttäuscht und übergebe ihm den Zettel. „Die Sprache kenne ich nicht, ist vielleicht schwedisch oder dänisch? Was meinst du?
Fiete angelt seine Lesebrille aus der Brusttasche des Pullovers, setzt sie auf die Nase und liest laut vor:
„Insel Römö, 23. Juni 1985. Wir feiern heute Mittsommer und übergeben diese Nachricht dem Meer. Wer auch immer diese Flaschenpost findet, sollte sich bitte melden! - Smilla, Stina und Liv aus Kopenhagen."
„Wahnsinn! Dann ist das dänisch?, vermute ich. „Und du sprichst dänisch?
„Das wird wohl sein, mien Deern. Fiete grinst. „Es stehen noch eine Adresse in Kopenhagen und zwei Telefonnummern auf dem Zettel! Da musst du anrufen!
„Nee, das geht nicht, ich kann doch die Sprache nicht."
„Das ist kein Problem. Die Dänen sprechen auch gut deutsch und englisch", erklärt mein Freund.
„Trotzdem! Smilla, Stina und Liv haben 1985 zusammen die Mittsommernacht gefeiert. Wie alt waren sie damals, oder besser, wie alt sind sie heute? Die Flasche wurde vor fast zwanzig Jahren ins Meer geworfen."
Nachdenklich betrachte ich den Zettel.
„Tja, wenn du nicht anrufst, wirst du es nie erfahren, stellt Fiete fest. „Sei mal nicht so zaghaft. Ruf an! Du hast doch zurzeit eh nichts Besseres zu tun.
„Nee, mach du das", sage ich und drücke ihm den Zettel in die Hand.
„Also gut."
Er geht zu dem alten Telefonapparat, der im hinteren Bereich des Ladens an der Wand hängt, wählt eine der Nummern, die auf dem Zettel stehen und lauscht. Ich halte die Luft an.
„Fehlanzeige! Die Nummer gibt es nicht mehr."
„Mann, ist das spannend", sage ich und atme langsam aus. Der rothaarige Seebär mit den blassblauen Augen lächelt mich an und wählt die zweite Telefonnummer. Am anderen Ende der Leitung meldet sich jemand.
„Hey!"
Ich höre aufmerksam zu und verstehe kein Wort, außer den