Schiffsnovelle - Herr Cassirers Reise zum Olivenbaum: Eine philosophisch-psychologische Erzählung nach wahren Motiven.
Von René Träder
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Über dieses E-Book
Bei der Novelle handelt es sich um eine fiktive Erzählung, die inspiriert ist von der Überfahrt Ernst Cassirers im Jahr 1941 und seiner Philosophie der symbolischen Formen.
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Rezensionen für Schiffsnovelle - Herr Cassirers Reise zum Olivenbaum
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Buchvorschau
Schiffsnovelle - Herr Cassirers Reise zum Olivenbaum - René Träder
Widmung
für Prof. Dr. Gerhard Danzer
Schiffsnovelle
„Damals, vor der großen Flut, aßen und tranken die Menschen, sie heirateten
und wurden verheiratet – bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging.
Sie ahnten nichts davon, bis die Flut hereinbrach und alle umbrachte.
So wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein."
- Matt 24,38-39 -
„Nicht Neptun, sondern die Nazis müssen Sie fürchten", sagte der Kapitän als alle Passagiere an Bord waren.
„Dies wird keine Ferienfahrt. Wir befinden uns im Krieg, meine Herrschaften."
Da der Krieg zu diesem Zeitpunkt schon lange ging, war diese Feststellung für niemanden an Bord eine Neuigkeit; und doch fuhr es so manchem durch Mark und Bein, als er das hörte. Es wurde ausgesprochen, was man schon lange nicht mehr sah, nicht mehr bewusst wahrnahm, was so sehr zum Leben dazugehörte, dass alles andere wie eine Fiktion schien. Der Krieg war Alltag geworden. Das Schießen überhört man irgendwann, so wie das morgendliche Krähen des Dorfhahns. Und die Meldungen in den Zeitungen lesen sich wie Geschichten, die ganz woanders passieren; weit weg. Ereignisse, die man nicht glauben will, nicht kann und vergessen möchte. So ziehen die Jahre ins Land und lassen das Unnormale normal erscheinen, das Außergewöhnliche zur Gewohnheit werden. Auge und Ohr haben sich angepasst, drohen abzustumpfen.
Sie alle hatten sich für diese Überfahrt entschieden, um ihr Leben zu retten, doch nun setzten sie es genau dadurch aufs Spiel.
Der Kapitän erklärte noch einmal ausführlich den Seeweg, ging auf schwimmende Minen, Stürme, gefährliche Strömungen und Piraten ein. Er wusste, wovon er sprach: Die Reederei hatte ihn aus dem Ruhestand geholt. Jahrelang war er auf den Meeren unterwegs gewesen, kannte sie inzwischen besser als seinen Heimatort. Schon vor einigen Jahren hatte er aber das Ruder gegen einen Platz an einem Fenster in seinem Haus eingetauscht. Fast täglich schaute er nach dem Frühstück in die Ferne und blätterte in alten Seekarten. Meile um Meile erlebte er dabei die Routen vom Sessel aus, umschiffte den Wohnzimmertisch und warf abends seinen Anker vor der maroden Matratze ab. Er vermisste die See, und die See würde ihn vermissen, da war er sich sicher. Daher musste er auch nicht lange überlegen, als eines Tages ein junger Mann vor seiner Tür stand, den die Reederei geschickt hatte. Fast wortlos bekam er einen Brief überreicht, in dem er gebeten wurde, diese Überfahrt durchzuführen. Seine Frau flehte ihn immer wieder an, die Entscheidung zu überdenken, doch er sagte schließlich: „Lieber geh ich mit dem Schiff unter, anstatt als Landratte weggebombt zu werden."
Seiner Frau hatten diese Worte nicht gefallen, doch war es genau diese Energie, dieser Mut, fast schon Übermut, der ihr damals gefallen hatte, als sein Haar noch voll und dunkel war. Die Zeit legt einen Schleier auf die Dinge des Lebens, auf die Erinnerungen und die Wünsche, so dass sie mit Abstand anders wirken.
So hatte die Frau noch versucht, ihn davon zu überzeugen, die Überfahrt nicht zu machen. Dass es zu gefährlich sei, hatte sie gesagt. Nicht nur wegen des Krieges, auch das Wetter sei zu dieser Jahreszeit unberechenbar.
Doch ihr Mann ließ sich nicht umstimmen.
Dass er zu alt sei, hatte sie schließlich auch gesagt, als alles nichts half.
„Alt genug, um notfalls für immer im Meer zu bleiben", hatte er darauf geantwortet.
Die Entscheidung war also gefallen, es gab nichts mehr daran zu rütteln. So saß der Kapitän zufrieden am Fenster, so wie er alle Tage dort saß, schaute in den Garten und stopfte seine Pfeife. Ein gewohntes Bild war es für die Frau. Eigentlich ein ganz normaler Tag, wenn man nicht gewusst hätte, was gerade beschlossen worden war, dass es einer der letzten normalen Tage in diesem Haus sein sollte. Daher schaute sie genauer hin, betrachtete ihn mit anderen Augen, wollte sich das Bild einprägen, diese Alltäglichkeit. Der sonst so verhasste Pfeifengeruch störte sie nun gar nicht mehr, ganz im Gegenteil: Wenn ihr Mann auf hoher See ist, werde sie von Zeit zu Zeit sicher in diesem Sessel sitzen und eine Pfeife stopfen, den Geruch des Tabaks in sich aufsaugen und durch den Qualm das Gefühl haben, dass er anwesend ist, sich vielleicht nur kurz im Garten aufhält und gleich wieder zurückkommen wird. Und dann könnte sie sicher auch hören, wie er La Paloma pfiff. Schon immer war er etwas mehr mit dem Meer, als mit ihr verheiratet. Das ahnte sie bereits, als sie vor dem Standesamt waren, aber sie hatte ihn gewollt, diesen Seemann, und er hatte sie gewollt. Und wie oft schon hatte er im Laufe ihres gemeinsamen Lebens, immer wenn Überfahrten anstanden, gesagt: „Dein Schmerz muss vergehen und schön wird das Wiedersehen."
Nun hatte es ihn abermals hinausgezogen