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Der Duft der Perle: und andere Erzählungen
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Der Duft der Perle: und andere Erzählungen
eBook288 Seiten4 Stunden

Der Duft der Perle: und andere Erzählungen

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Über dieses E-Book

Sechs wundersame Erzählungen führen ins Nahe und in die Ferne, nach Brandenburg und an die Ostsee, nach Ägypten, Persien, Mesopotamien und Zentralasien. Der Weite des Raums entspricht die Tiefe der Zeit: Landschaft, Natur, Kunst, Geschichte und Religion bilden die Lebenswelt, in der Menschen leiden, lieben, hoffen und versagen. Der Weg in Raum und Zeit weist aber ins abgründige Innere, dorthin, wo wir als Einzelne uns zu bewähren haben. Davon berichten die Erzählungen, deshalb stellen sie sich in die Tradition der Kunstmärchen, in denen Phantasie frei walten kann, ohne sich von Vernunft und Religion loszusagen. Wir begegnen in ihnen - uns selbst
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Sept. 2012
ISBN9783942509886
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    Buchvorschau

    Der Duft der Perle - Leonie Waltraut Quiring

    Stephan

    Das MäRCHeN

    vom BLaUeN FİSCHLeİN

    Am weiten Meer des Nordens lebte einst ein junger Fischer. Arbeitsam fuhr er jede Nacht auf die See, warf seine Netze aus und zog sie mit dem Morgengrauen wieder ein, gefüllt mit Fischen aller Art. Er bot seinen Fang den Leuten dar, ehe die anderen Fischer zurückkehrten, und hatte sich durch seinen Fleiß einen kleinen Reichtum erspart. Viele hielten ihn für wunderlich, weil er auch die Nachtstunden auf dem Meer verbrachte, aber er liebte das Raunen des Windes und das leise Schlagen der Wellen an seinem Boot, den Mondschein auf der bewegten oder stillen Fläche des Wassers. Zuweilen versank er gänzlich in Träumereien, und wäre es nicht seine Gewohnheit gewesen, gleich nach dem Auslaufen des Bootes seine Netze auszulegen, so hätte ihn wohl manches Mal der dämmernde Schein der kommenden Sonne zu spät daran gemahnt, wozu er eigentlich hinausgefahren war. Er begann die Sprache des Meeres zu verstehen und die Bewegung des Windes zu deuten, das Flüstern der Wellen zu enträtseln und die Bahn der Sterne zu erfassen. Nur eines blieb ihm versagt; oft saß er traurig weit über den Bootsrand gebeugt und starrte in die Tiefe der See: die Fische blieben stumm – sie konnte er nicht verstehen. Und doch ahnte er, daß auch sie miteinander sprächen, oder war ihr Spiel die Sprache? Sie schossen so leicht dahin, wandten sich blitzschnell, manchmal standen sie auch lange Zeit still, so unbeweglich, als seien sie versteinert. Tauchte er aber eine Hand in das Wasser, so entglitten sie wie ein Blitz seinen Blicken. Leuchtende in Gold und Grün gab es, schillernde Punkte über dunklen Tiefen, einige glichen Perlenschnüren im Mondesglanz, tiefrote Bänder zogen sich über schwarze Zacken; Flammen, anzusehen wie die Strahlen der untergehenden Sonne auf sanften Wellen, schlängelten sich dahin. Aber alle diese lebenden Wesen sprachen nicht. Sie sahen ihn zuweilen aus runden Augen an, den Atem verhielt er vor ihrem Blick – aber sie blieben stumm. Und wenn er seine Netze im Morgenlicht am Strande ausschüttete, lagen die Freunde der Nacht farblos und stumpf in den Körben und wehrten sich wie alles Lebendige gegen das Sterben. Sein Verdienst hing am Verkauf der Fische, er seufzte, aber oft überkam es ihn wie ein Trotz: Mochten sie doch sterben, da sie ihr Geheimnis nicht preisgaben!

    Eines Morgens, als er im flachen Wasser stehend wieder seinen Fang aussortierte, sah er einen Augenblick ein feines metallisches Leuchten, und durch die Maschen des Netzes schlüpfte ein winziges blaues Fischlein ins Meer zurück und war verschwunden. Er starrte ihm nach – noch nie hatte er im Tageslicht einen der Fische leuchten sehen – der kleine Kerl strahlte ja wie in der Nacht! Aber er war fort. Dem jungen Fischer zuckte das Herz: Ich muß ihn wiederfinden! Jede Nacht verhielt er sich fast atemlos – Sterne, Wellen im Mondenschein – alles erlosch vor dem Suchen nach diesem einen Fischlein. Reglos lag er die ganze Nacht über dem Rand des Bootes und starrte in die Tiefe. In unruhigen Wind- und Sturmnächten machte er nur widerwillig das Boot klar, denn das Toben des Meeres verwehrte ihm den Blick in die fremde Welt. Auch sonst vernachlässigte er alles, was bis dahin sein Leben erfüllt hatte; schon am frühen Abend, kaum daß die Sonne sank, fuhr er hinaus – todmüde kehrte er heim, verkaufte die Fische, schloß sich in sein Häuschen ein und fiel in einen bleiernen Schlaf. Kaum ein Wort sprach er mit den Menschen. „Das Meer hat ihn verzaubert, sagten die einen; „er sucht etwas, sagten die anderen, denn sie hatten gesehen, daß er seine Netze kreuz und quer überknüpfte, so daß ein festes Gitterwerk entstanden war. Aber was er suchte und was ihn verzaubert hatte, offenbarte er nicht, und bald wurden auch die vertrautesten Freunde fremd. Nur einer blieb ihm nah. „Ich finde nicht eher Ruhe, sagte der junge Fischer zu ihm, „als bis ich diesen Fisch gefangen habe. Nur er leuchtet am Tage, darum muß ein Geheimnis in ihm verborgen sein! „Und was willst du mit ihm tun, wenn du ihn gefangen hast? „Ich weiß es nicht, antwortete der junge Fischer, und in seinen müden Augen stand Trauer, „vielleicht erfahre ich durch ihn, was mein Sehnen stillen könnte. Es ist nicht wahr, was die Leute sagen: das Meer hätte mich verzaubert. Nein, es ist das Verlangen, die Tiefe des Meeres zu durchdringen, um das Leben und die Sprache der Fische verstehen zu können. Ich kenne alle ihre Gewohnheiten und ihre Bedürfnisse – was aber bewegt sie bei ihren Spielen und warum dringen sie in den Nächten aus den Tiefen zur Wasseroberfläche, wenn doch ihre Nahrung auch auf dem Grunde zu finden ist, was zieht sie zum Licht des Mondes und läßt sie dadurch in unsere Netze geraten; warum bleiben sie unbeweglich stehen wie Lauschende und fliehen doch, wenn ich sie ergreifen will?"

    „Du wirst vergeblich suchen, mein Freund, und alt werden dabei, und die Menschen werden dich für irrsinnig halten. „Was gehen mich die Menschen an! Sie kennen nichts als sich und ihr Genüge. Was mich quält, werden sie nie verstehen, denn sie kennen nicht das Rufen, das mich unhörbar und doch wie ein Schrei auf das Meer zieht. Ich muß ihm folgen.

    Und er knüpfte sein Netz noch dichter. Jedes Einholen war voll Hoffnung, jedes Entleeren eine Qual. Mit schmerzendem Kopf lag er dann in seiner Hütte und starrte gegen die Dekke. „Bin ich nicht wirklich irrsinnig, daß ich nach etwas suche, was gleich der größten Perle in einer einzigen Muschel auf dem Meeresgrund nie zu finden ist?"

    Kam der Abend, so trieb es ihn hinaus, und wieder eine Nacht voll Suchen begann und endete in Hoffnungslosigkeit. „Ich müßte fort von hier! sagte er zu sich. „Hier verderbe ich. Aber wie soll ich ohne das Meer leben! Noch heute kehrte ich zurück, wenn ich fern wäre!

    Und er blieb.

    Sommer, Herbst und Winter waren dahingegangen, seit ihm das blaue Fischlein entschlüpfte. Die Frühlingsstürme hatten ihm die Netze arg zerrissen, und tagelange Flickarbeit ermüdete ihn so sehr, daß er eines Abends die Zeit seines sonstigen Auslaufens verschlief. Schon ging es auf Mitternacht, als eine feine Stimme ihn aus tiefstem Schlafe weckte: „Fischer, komm! Fischer, komm! Wer hatte da gerufen? Er sprang zur Tür und öffnete. Ein Schein stand über dem Meer, kein Mondschein, nein! – ein durchsichtiger blauer Glanz schwebte über dem Wasser und schien es doch zugleich bis zum Grunde zu durchweben. Ohne sich zu besinnen, stürzte er hinunter an den Strand zu seinem Boot. Aber er brauchte es nicht von seiner Kette zu lösen, denn am hellsten leuchtete es um seine Planken, und ein goldener Punkt inmitten des metallischen Blau zog seinen Blick an: Wie im Traum befangen stieg er in das Boot und kniete am Heck auf dem Boden nieder, die Arme auf den Rand gelegt. Vor ihm auf dem Wasser stand das blaue Fischlein regungslos still, und auf dem winzigen Köpfchen trug es ein goldenes Krönchen. „Ich dachte schon, du kommst heut nicht, sagte die zarte Stimme, die ihn aus dem Schlaf geweckt hatte. „Nacht für Nacht suchtest du nach mir und wurdest nicht müde über deinem Verlangen, mich in dein Netz zu bekommen, und heute verschläfst du mein Hiersein! Aber ich weiß, der Sturm zerriß dir deine Netze, und die Tagesarbeit raubte dir den Schlaf. Darum weckte ich dich, und du siehst, du bedarfst des Netzes nicht, um mich wiederzusehen!"

    „Woher kennst du meine Gedanken? fragte er erstaunt und bestürzt. Das Fischlein lachte, und sein Krönchen glitzerte wie goldenes Spinnengeweb: „O ihr Menschen! Wie wenig wißt ihr von uns! In deinen Augen stand dein Verlangen, wie sollte ich es nicht wissen!

    „Aber ich sah dich doch nur einmal!"

    „Du schautest jede Nacht zu uns in die Tiefe herab. Meine Gefährten und Freunde berichteten es mir."

    „Warum kamst du nicht selbst, wenn du es doch wußtest?"

    „Mein Reich ist groß. Nur einmal im Jahr komme ich hierher, in der Nacht, die den Frühling bringt."

    Der junge Fischer blickte zu den Sternen und sagte: „Ach, Fischlein, wie konnte ich das übersehen!"

    „Weil dein Sinn sich nur auf ein Ziel stellte und alle deine Gedanken nur von einem Wunsch erfüllt waren. So entwich dir der Gedanke an die Zeit", sagte das Fischlein ernst.

    „Was ersehnte ich nur! sagte der junge Fischer nachdenklich. „Dich zu fangen dünkt mich jetzt sinnlos, da du mir offenbarst, daß du wie ein Mensch zu denken vermagst. Was unterscheidet uns? Die Gestalt, der Lebensraum. Auch eure Sprache gleicht der unseren.

    Das Fischlein lachte. „ O nein! sagte es. „Nur ich spreche deine Sprache. Meine Geschwister sind stumm für euer Ohr. Sie unterhalten sich durch die Bewegungen ihrer Flossen miteinander und geben Laute, die eurer Sprache fremd sind wie unser getrennter Lebensraum.

    „Aber woher verstehst du die Sprache der Menschen?"

    „Ich lernte sie in den vielen Jahren des Wanderns, den meine Aufgabe ist es nicht nur, meine Gefährten zur Ordnung zu rufen: Ich muß warnen können, wo Menschen gierig unsere Kinder aus dem Meer stehlen. Ich weiß, du tust das nicht, aber nicht alle denken so wie du. Ich möchte dir gern dankbar sein. Willst du mir nicht sagen, warum du meine Rückkehr ersehntest?"

    Da sprach sich der junge Fischer sein ganzes Fragen und Quälen vom Herzen, die Wellen verstummten, wie ein Spiegel erschien die Fläche des Wassers. Das Fischlein lag regungslos und sah ihn mit seinen klugen Augen unverwandt an. Als er schwieg, sagte es leise: „Was für ein Mensch bist du! Nie traf ich einen, dessen Seele so wie die deine bis zum Rande gefüllt ist mit Unerreichbarem. Du kannst in unseren Tiefen nicht leben, so wenig, wie ich auf dem Lande. Du wirst das, was du ersehnst, nie erfahren."

    „So muß ich sterben, sagte der junge Fischer traurig. „Ich lebte nur noch aus dem Gedanken, dich zu finden. Du warst meine Hoffnung, ja mehr, mein Leben. Wenn ich dein Reich nicht zu erforschen vermag, so will ich mich hinabsinken lassen und in ihm vergehen.

    „O nein, tu das nicht! rief das Fischlein erschrocken und schlug mit seinen winzigen Flossen, daß es schien, als umglitzerten es hundert geschliffene Diamanten. „Du weißt nicht, was du sagst. Die Räuber des Meeres würden über dich herfallen und dich zernagen. Nein, tu mir das nicht an! Laß mich überlegen! Und mit sachten Bewegungen kreiste es zwei – dreimal vor ihm. Dann stand es still und sagte: „Wenn ich dir nun diese ganze Nacht erzähle, wie es auf dem Meeresgrund aussieht, wie wir leben und sterben, wie wir uns freuen und leiden – würdest du dann Genüge haben? „Ich weiß es nicht, antwortete er, „denn morgen bist du wieder fort, und wie soll ich ein ganzes Jahr von einigen Stunden leben können!"

    „O du wirst sehen, daß diese Stunden genügen!" Und dann erzählte es, und dem jungen Fischer war, als sähe er in die Welt der Ozeane, zwischen Felsenriffe und Korallenstöcke, über weite Wüsten auf dem Meeresboden, in unergründliche finstere Höhlen und Schluchten, auf Wälder fremdartiger Tanggewächse, gesunkene Schiffe formten bizarre Welten – die Worte beschworen das glasklare Farbenspiel der Oberfläche und die Dunkelheiten verborgener Tiefen. Als sich die Dämmerung breitete, verging der Schein um das Fischlein, nur das Leuchten seines metallenen Schuppenkleides verging nicht. Aber der kleine Kerl verstummte.

    „O Fischlein, sprich weiter!"

    „Ich kann nicht, sagte es traurig. „Ich muß fort. Aber versprich mir, daß du auf mich warten willst bis zum nächsten Jahr. Soviel ist noch zu erzählen. Und du wirst es spüren, daß meine Worte dich durch alle Nächte begleiten werden.

    „Ich glaube es dir, sagte er nachdenklich, „zu viel hast du mich sehen lassen, nun muß ich erst damit leben lernen. Ich danke dir!

    „Ach nein! antwortete es. „Ich muß dir danken. Ich wußte nie, wie reich meine Welt ist, du hast es mich gelehrt, weil ich davon sprechen durfte. Darum will ich dir etwas schenken. Jeden Tag wirst du in deinem Netz etwas finden, was dich an mich erinnert. Es wird dir sagen, daß ich deiner gedenke. Leb wohl!

    „Leb wohl!" erwiderte der junge Fischer, und mit einem Winken der Flossen tauchte es in das tiefe Wasser hinab.

    Als er am nächsten Morgen seine Netze ausleerte, glitzerte ein leuchtendes Blau zwischen den engen Maschen, und er löste einen kostbaren Saphir aus Schnüren, Tang und Algen. Während er ihn betrachtete, schien es ihm, als zauberte der Stein die Meereswelt an das Tageslicht. Da zog er das Netz tief in das Wasser zurück und schüttete seine lebende Beute ins Meer. Er ging heim und verwahrte den Stein. Aber als er ihn am Abend hervorholte, hatte das Blau die Kraft des Spiegelns verloren, ein gewöhnlicher Saphir lag in seiner Hand. Ein wenig traurig um der erloschenen Schönheit willen bestieg er sein Boot und fuhr hinaus. In Scharen umschwärmten ihn die Fische, noch nie hatte er eine solche Menge erlebt. Und wie seltsam! Tauchte er nur den Arm in das Wasser, so umkreisten sie seine Hand und glitten wie in zärtlichem Streicheln an ihr entlang. Eine sanfte, aus der Tiefe strahlende Helle umgab ihn und erfüllte sein Herz mit nie gekanntem Glück. Als er am Strande das Netz untersuchte, glänzte ihm ein Rubin entgegen. „Ich danke euch! sagte er, und alle seine Freunde ließ er ins Meer zurück. In seiner Hütte versank er für Stunden in dem Reich seines Fischleins. Als er erkannte, daß auch der Rubin am Abend den Schein verlor, dachte er: „Nun verstehe ich deinen Wunsch, kleiner Gefährte meiner Freunde, deine Geschwister willst du zurückhaben! Aber da ich von irgendetwas leben muß, erlischt der Glanz in den Edelsteinen, und du machst es mir leicht, sie zu verkaufen. Ich danke dir!

    Ein seltsames Leben begann. Die Leute schüttelten die Köpfe noch mehr als zuvor: Fuhr er doch erst mit dem letzten Nachtschein hinaus und kam dennoch mit einem Netz voller Fische zurück – aber wie irrsinnig: er schüttete die ganze Beute ins Meer, verkaufte nicht einen Fisch, hing sein Netz zum Trocknen auf, ging in seine Hütte und verschloß auf Stunden fest die Tür. Wovon lebte er? Einige hatten ihn häufig in die Stadt fahren sehen. Was machte er dort? Das Raunen und Flüstern wollte kein Ende nehmen. Aber er schwieg.

    Abseits des Dorfes lag dicht am Strande ein Gut mit einem alten Haus. Der Besitzer wohnte schon lange nicht mehr dort. Spinnen hatten ihre Fäden in den Mauernischen gezogen. Eulen hausten und brüteten ungestört in dem morschen Dachgebälk. Es verfiel. Eines Tages aber kamen Handwerker, die Fensterläden öffneten sich und ließen zerbrochene Scheiben sehen. Im ganzen Haus hörte man Klopfen und Sägen, verschimmeltes Parkett wurde herausgerissen und neues gelegt. Die verschlissenen roten Seidentapeten wichen zartblauen. Im Park verschnitten Gärtner die verholzten Sträucher.Überalterte Bäume fielen und junge wurden an ihre Stelle gesetzt. Als der Herbst kam, blühten Blumen rund um den Springbrunnen, der seine Fontäne wieder in den Himmel sandte. Welch Erstaunen der Dorfbewohner, als mit den ersten Herbststürmen der junge Fischer seine Hütte verschloß und in das wiedererstandene Gutshaus übersiedelte. Eine Verwandte mit ihren heranwachsenden Kindern führte ihm die Wirtschaft, und alle, die dort arbeiteten, erfreuten sich seiner Fröhlichkeit und seiner freundlichen Art. Aber wenn man ihn fragte, woher ihm der Reichtum so plötzlich gekommen sei und warum er trotzdem noch immer jede Nacht auf das Meer führe, lächelte er und sagte: „Ich habe einen Schatz im Meer gefunden, der mich gelehrt hat, worin der Sinn des Lebens besteht."

    Als die Frühlingsgleiche kam, erfaßte ihn eine brennende Unruhe. Wieder verbrachte er vom Abendrot bis zum Morgenschein auf dem Wasser, schloß sich am Tag in sein Zimmer ein und wollte niemanden sehen. Am letzten Tag trieb er es noch ärger: Er fuhr schon am Tag so weit hinaus, daß ihn keiner mehr erspähen konnte, und erwartete, still in seinem Boot treibend, die Nacht. Als sich das Meer überall in tiefstes Dunkelblau getaucht hatte, in dessen Schatten er das Land nur als eine finstere Schwärze ahnte, begann über dem Wasser der sanfte Schein zu erwachen, erst fern, dann immer näher – Tausende von Fischen begleiteten ihn plätschernd, tanzend, gleitend, springend. In ihre Mitte kam, wie auf eine kreisrunde Spiegelfläche gezaubert, ein strahlender goldener Punkt, der ihm sagte, wer da nahte. Und dann war es da: Blau und golden verhielt sein kleiner Freund regungslos vor ihm.

    „Fischlein, Fischlein! jubelte der junge Fischer und warf die Hände so ungestüm ins Wasser, daß das Fischlein einen Satz zur Seite machte und rief: „Hüte dich, du spritzt mich ja ganz naß! Da lachte der junge Fischer und sagte: „Verzeih! Aber wenn du wüßtest, wie sehr ich mich freue!"

    „Wohl kaum mehr als ich! antwortete es. „Jede Nacht, ob im warmen Südmeer oder im kalten Wasser des Nordens, wenn ich unter Eisbergen hindurchtauchte, gedachte ich deiner und sah mit deinen Augen die Schönheiten und Schrecknisse. Soll ich erzählen?

    „Ach ja, sprich, sprich! bat er, und dann erstanden für ihn aufs neue Schatten und Glanz des Meeresreiches. Als der Morgen kam, sagte es leise: „Nun fahr heim und sei heut abend wieder hier, denn es ist recht, daß du der Neugier der Menschen bis auf die Höhe des Meeres entfliehst. Und nach einem kurzen Winken tauchte es in die Bahn der ersten Sonnenstrahlen. Eine zweite wundersame Nacht folgte, und als sich der Himmel hellte, seufzte er: „Kannst du nicht noch eine Nacht bleiben?"

    „Nein! sagte das Fischlein traurig, „es war für mich schon schwer, einen Tag zuzugeben. Vergiß nicht, daß ich sieben Weltmeere durcheilen muß. Und tröste dich, mein Freund, ich komme wieder. Leb wohl, sei glücklich und denke an mich! Sacht ließ es sich unter seinem Boot hindurch in die Tiefe sinken.

    Oft saß er jetzt in schweren Gedanken versunken auf der Terrasse seines Hauses, die dem Meere zugewandt war. Nicht nur Freunde, so hatte ihm der Kleine erzählt, gab es auf dem Grunde der See, auch viel Leid, das dem Leid der Menschen ähnlich war. Die Raubfische ließen sich schwer bändigen, unzählige wertvolle Gefährten seines kleinen Freundes fielen ihnen zum Opfer. Die großen Polypen widerstrebten dem winzigen Herrscher, der sich nur unter Vorsichtsmaßnahmen in ihre Nähe wagte. Wohl schützte ihn seine Leibwache, die Delphine, sie waren klüger als alle anderen Meeresbewohner, und sie hatten schon oft mit ihrem vorausberechnenden Verstehen Unheil abwehren können. Aber er machte sich Sorgen um den kleinen Urheber seines Glückes. Mit Ungeduld erwartete er seine Wiederkehr.

    Eine Woche war es noch bis zu diesem schönsten Tag des Jahres. Es stürmte, die Wolken flogen über den Himmel, der junge Fischer war auf die Terrasse getreten und schaute in das undurchdringliche Dunkel der See, deren Wellen sich wie grollend am Strand überschlugen. Nichts war zu hören als dieses Wüten, Zischen und Drohen. Der Mond hatte Mühe, für einen Augenblick die Wolkenberge zu durchdringen. Sein Schein verlor sich stets ebenso schnell, wie er die Finsternis durchbrach. Aber was war dort am Strande! Ein feines blaues Licht stand am Ufer, hob sich und senkte sich, ver schwand und tauchte wieder auf. Dem jungen Fischer stockte der Herzschlag, so schnell er konnte, lief er durch den Garten hinunter, und je näher er dem Wasser kam, desto strahlender wurde der Schein. Auf den sich brausend überschlagenden Wellen schwebte bald oben, bald unten das Glitzern der Krone inmitten einer Helle, die so durchsichtig schimmerte wie ein Aquamarin.

    „Da bist du ja! übertönte die feine Stimme nur schwach das Donnern des Meeres. „Bitte, hol ein Gefäß!

    „Wozu?" fragte der junge Fischer erstaunt.

    „Hier kann ich doch nicht bleiben! sagte der kleine Kerl vorwurfsvoll. „Hol einen Topf!

    Der junge Fischer eilte zu seiner Hütte, die näher als das Haus war, während das Fischlein seinen Weg am Rande begleitete. Er fand nur einen alten Eimer, und ratlos rief er seinem kleinen Freund zu: „Er ist nicht schön genug für dich. Ich hole ein Glas!"

    „Bleib! befahl das Fischlein, „Und fang mich auf!

    Schwebend ließ es sich von einer überschlagenden Welle ans Ufer tragen und sprang mit einem Satz in den gefüllten Eimer. Es schüttelte sich einige Male, besah sich, ob es keinen Schaden genommen hätte, und dann lachte es sein feines Lachen: „Das habe ich von den Delphinen gelernt! Und nun bring mich in dein Haus!"

    Wie einen kostbaren Schatz trug der junge Fischer den Eimer in sein Zimmer. Dort setzte er den winzigen Kerl in eine weite Glasvase, und zum ersten Mal sah er ihn von nahem, staunend und fast verwirrt über so viel Lieblichkeit und Zartheit. „Hübsch hast du es hier! sagte der Kleine. „Deine Seidentapete hat die Farbe meines Schuppenkleides, und die goldenen Punkte darauf ähneln meinem Krönchen. Ich wollte schon lange einmal sehen, wie du lebst, fast möchte ich dem Sturm dankbar sein, daß er uns das Sprechen am Strande nicht gestatten will. Und wie hell deine Augen im Schein der Kerzen leuchten! Sie gleichen der Farbe des Wassers, wenn ich an stillen Sonnentagen zur Oberfläche auftauche. Das ist sehr schön!

    „Fischlein, du bist acht Tage zu früh gekommen. Wie war das möglich?"

    „Ich habe überall ein bißchen Zeit gespart, meine Sehnsucht, dich wiederzusehen, trieb mich her."

    „Wie seltsam! sagte der junge Fischer. „Erst sehnte ich mich, dich zu sehen, nun folgst du meinem Ruf.

    „O, ich kenne dich schon viel länger als du mich! Ich wollte sehen, wo du zu Hause bist, darum ließ ich mich von deinem Netz greifen. Damals geschah es freiwillig, jetzt komme ich wie unter einem Zwang. Ich kann es dir schwer erklären: Ich lernte durch dich, was das Herz eines Menschen ist und wie es in der Liebe sich freuen und traurig sein kann. Meine Geschwister kennen das nicht. Ich suchte unter ihnen nach einem Freunde, der dir gleicht. Aber ihr Wesen ist wie das Wasser, sie kennen kein Sehnen und kein Lachen, sie kennen nicht einmal die Schönheit des Traurigseins" das Fischlein schwieg.

    „Erzähl mir mehr von ihnen", sagte der junge Fischer, und während draußen das Meer tobte und schrie, lebte das Geheimnis der stillen Tiefen vor seinem Blick.

    „Das Wasser wird schlecht, sagte das Fischlein plötzlich in seinen Bericht hinein, „schau, ob der Tag kommt!

    Der junge Fischer zog die Vorhänge auseinander, das Glutrot der Sonne füllte das Zimmer.

    „Bring mich schnell hinunter, sehr werden sie schon warten! rief es erschrocken. Und der junge Fischer trug es in dem Glas ans Ufer und setzte es in das Meer zurück. „Bis heut abend! sagte es noch eilig und schlüpfte davon. Eine Woche voller Glück und Freude folgte. Jeden Abend holte er seinen kleinen Freund und brachte ihn morgens zurück. Am letzten Morgen, als Tag und Nacht sich glichen, sagte es traurig: „Wie schwer fällt es mir fortzugehen! Du hast mich verzaubert. Und ich weiß nicht, wann ich im nächsten Jahr kommen kann. Meine Räte sind unzufrieden mit mir und beargwöhnen mich, weil ich ihnen jeden Abend entschlüpfte. Es war ein schwieriges Versteckspiel. Wer weiß, ob es mir noch einmal gelingen wird."

    „Warum bleibst du nicht hier bei mir?" fragte der junge Fischer.

    Das Fischlein lächelte schwermütig: „Wenn ich am Morgen nicht in das Meer zurückkehre, muß ich sterben. Ich habe keine Wahl. Die Gesetze meines Reiches sind streng."

    „Und wenn du deine Krone niederlegst und hier in meiner Nähe bleibst?"

    „Wenn ich die Krone verliere, bin ich nichts als einer der kleinen Fische, wie es sie milliardenfach gibt. Deine Sprache würde ich vergessen, und du fändest keine Edelsteine mehr in deinem Netz. Nein – ich muß

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