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Madelines Martyrium: Ein Roman von Robert Buchanan
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Madelines Martyrium: Ein Roman von Robert Buchanan
eBook473 Seiten5 Stunden

Madelines Martyrium: Ein Roman von Robert Buchanan

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Über dieses E-Book

Robert Buchanan läßt den Leser teilhaben am Schicksal Madelines, die in die Hände von skrupellosen Betrügern gerät.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum3. Mai 2017
ISBN9783740700096
Madelines Martyrium: Ein Roman von Robert Buchanan

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    Buchvorschau

    Madelines Martyrium - Robert Buchanan

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Prolog in der Nacht

    Kapitel I: Eine Tanzstunde unter Schwierigkeiten

    Kapitel II: ‚Onkel’ Luke und ‚Onkel’ Mark

    Kapitel III: Ostern, das Fest der Brethren

    Kapitel IV: Onkel Marks Aufgaben auf dem Lastkahn

    Kapitel V: Onkel Marks Schifffahrt auf dem glänzenden Fluss

    Kapitel VI: Madeline kümmert sich ihren Traum zu verwirklichen

    Kapitel VII: Charakteristik eines böhmischen Literaten

    Kapitel VIII: Onkel Luke ist gebrochenen Herzens

    Kapitel IX: Madeline findet neue Freunde

    Kapitel X: Ein Blitztelegramm

    Kapitel XI: Der Habicht und die Taube

    Kapitel XII: Eingesperrt

    Kapitel XIII: Madeline erwacht aus ihrem Traum

    Kapitel XIV: Dunkle Tage

    Kapitel XV: Belleisle spinnt sein Netz

    Kapitel XVI: ‚Was tatest du aus Mitleid?’

    Kapitel XVII: Der Bann ist gebrochen

    Kapitel XVIII: Imogen

    Kapitel XIX: Das ‚Harum – Scarum’

    Kapitel XX: Das Modell des Malers

    Kapitel XXI: Ein Spaziergang durch den Hydepark

    Kapitel XXII: Blanco Serena

    Kapitel XXIII: Im Club

    Kapitel XXIV: White verabschiedet sich von der Boheme

    Kapitel XXV: Madeline wechselt ihren Namen

    Kapitel XXVI: Zögling der Unfehlbarkeit

    Kapitel XXVII: Adele Lambert

    Kapitel XXVIII: Bei der Gräfin Aurelia

    Kapitel XXIX: Gavrolles

    Kapitel XXX: In der Schlinge

    Kapitel XXXI: Die Verspätung

    Kapitel XXXII: Ehemann und Ehefrau

    Kapitel XXXIII: Alter Journalismus und neuer

    Kapitel XXXIV: Der selbsternannte Held

    Kapitel XXXV: Madeline bereitet sich auf die Flucht vor

    Kapitel XXXVI: Auf Wiedersehen!

    Kapitel XXXVII: Die Suche

    Kapitel XXXVIII: Ein weiteres Unglück

    Kapitel XXXIX: Staub zu Staub

    Kapitel XL: Ins Ungewisse

    Kapitel XLI: Die Schwestern vom Berg Eden

    Kapitel XLII: Gavrolles

    Kapitel XLIII: Am Strand von Bologna

    Kapitel XLIV: Jane Peartree

    Kapitel XLV: Ein altes Bild

    Kapitel XLVI: Madelines Wiederauferstehung

    Epilog

    Vorwort

    In dieser Geschichte habe ich sehr vorsichtig und unzureichend eines der größten und traurigsten der humanistischen Probleme berührt – sicherlich so groß und traurig wie das Problem, welches das zentrale Thema in meinem Buch ‚Der Schatten des Schwertes’ ist.

    Der Glaube an Frieden und der Glaube an Unschuld in der sozialen Gemeinschaft.

    So lange wie sinnliche Befriedigung als ein männliches Vorrecht anerkannt ist, so lange wie persönliche Keuschheit als ein Hauptfaktor im Schicksal der Frauen angesehen wird und nichts als ein Zufall im Leben der Männer ist, so lange wie die teuflische Offenheit des körperlichen Sex verurteilt wird, wird sie zum Opfer eines schwachen Geschlechts. In einem Wort: So lange wie unsere Heime und unsere Straßen so bleiben wie sie sind – müssen der Glaube an die Unschuld wie auch der andere Glaube an Frieden als unglücklicher Traum übrig bleiben.

    Ein Wort noch hinsichtlich meiner handelnden Personen. Keine von ihnen sind Abbilder wie eine Photographie oder gar lebender Individuen.

    In einem Fall habe ich mich bemüht, aus einer Veröffentlichung eines Boulevardblattes eine amüsante Persönlichkeit zu verwenden, aber über den realen Verfasser weiß ich absolut nichts und ich will ihm nichts Schlechtes. Vieles, was ich an dem System des persönlichen Journalismus nicht mag, zeige ich. Alle anderen Charaktere sind fiktiv.

    Gavrolles und sein Kreis werden als Vertreter der geheuchelten und nicht der eigentlichen Ästhetik, was etwas ganz anderes ist, akzeptiert.

    R.B.

    Prolog in der Nacht

    Als die zwei Frauen beim Lampenlicht einander ansehen, eine stehend und nach unten schauend, die andere sitzend und aufschauend, könnte man meinen, es wären Zwillingsschwestern. Sie sehen sich so wunderbar ähnlich. Beide sind so schön, mit hellen Vergißmeinnicht-Augen. Es gibt auch keinen erwähnenswerten Unterschied in der Kleidung, die sie tragen. Diejenige, die aufrecht steht, ist dem Wind abgewendet, aber auf ihr Haupt fällt Regen. Ihre Haube und ihr Kleid sind aus schwarzen Stoff, ein Schal hüllt sie ein, der wertvoll und teuer erscheint, im schummrigen Licht aber gewöhnlich aussieht. Diejenige, die sitzt, mit ihren Ellenbogen auf den Knien und ihrem Gesicht auf ihren offenen Handflächen ruht, ist ebenfalls in einen Schal gehüllt und in ein einfarbiges Stoffkleid, das naß vom Regen ist. Ihrer Haube ist durchweicht und unbeachtet auf ihre Schulter zurückgefallen, nur gehalten von den ebenfalls durchweichten Bändern. Ein aufmerksamerer Betrachter würde aber eine ganze Reihe Unterschiede zwischen diesen beiden Frauen bemerken.

    Die stehende Frau hat die Wildheit einer schmerzlich ungeduldigen Art, wie die eines wilden Tieres, jeder Blick, jede Gebärde ist selbstbeherrscht, bestimmt und voll hinreißender Besorgnis.

    Die sitzende Frau ist ein in sich gekehrter, hautdurchnäßter, leidenschaftsloser, kraftloser, verlassener Mensch, mit nur den Mut eines gejagten, ausgestoßenen Hundes, der zubeißen kann, oder sich nutzlos davonschleicht.

    Beide Frauen sind sehr jung, etwas über zwanzig Jahre alt.

    „Diesen Weg! Über die Brücke! sagt die sitzende Frau in einer heiseren Stimme, dann setzt sie hinzu, als die andere weitergehen zu wollen schien: „Moment noch. Was würde dich am Gehen aufhalten?

    Die andere dreht sich schnell um und schaut wieder mit ihren Adleraugen herunter.

    „Was willst du? – Geld?" Die Stimme ist tief und deutlich, aber etwas zittrig wie es scheint.

    „Ja, ich bin durstiger als ein Fisch. Leihe mir einen Schilling, wenn ich Glück habe werde ich ihn in ein paar Tagen zurückzahlen. Nur einen Schilling, das wird dich nicht umbringen."

    Wenn ich dir das Geld gebe, was willst du damit anfangen?

    „Vertrinken", war die knappe Antwort.

    Etwas in der Antwort hat einen merkwürdigen Effekt auf die Zuhörerin. Sie beugt sich ein wenig herab und schaut ernst in das Gesicht der anderen Frau.

    „Du wirst mich wieder erkennen, wenn du mich siehst? Sagst du mir deinen Namen?"

    „Ellen, mehr nicht. ‚Nell’ als Kurzform."

    „Wo lebst du?"

    „Nirgends."

    „Wie alt bist du?"

    „Das weiß Gott. Zwanzig oder um zwanzig. Bist du hier, um die ganze gesegnete Nacht Fragen zu stellen? Ich möchte etwas trinken."

    Das stehende Mädchen beugt sich über die Sitzende und gibt ihr etwas in die Hand. Diese gibt einen unterdrückten Schrei von sich.

    „Gold! Warum hast du mir einen Sovereign gegeben? Für was?"

    „Ich habe nur den einen, sonst würde ich dir mehr geben. Entschuldige mich. Gute Nacht!"

    „Halt! Geh’ nicht. Laß mich dich noch einmal anschauen."

    „Gut?"

    „Was für ein Narr bin ich. Du bist eine Lady!"

    Es ist nun eine andere Art zu lachen, ein schwaches, bitteres Lachen.

    „Und du hast da einen echten ‚Ingy-Schal’, laß mich ihn einmal anfühlen. Und auch goldene Armbänder!"

    „Gut, ich bin …"

    Dieses halb Geflüsterte drückt gänzlich Überraschung aus.

    „Ich weiß nicht wer du bist oder wohin du gehst, aber die Straßen sind für Personen wie dich nicht sicher. Du tätest gut daran nach Hause zu gehen, Lady!"

    „Ich habe kein Zuhause."

    „Was!"

    „Das Zuhause, was ich hatte, habe ich verlassen, ich kehre nie zurück. Ich habe London verlassen."

    „Wohin gehst du?"

    „Irgendwohin."

    Nach einer kurzen Pause zeigt sie über den Fluß und über die Dächer und sagt:

    „Da hinaus."

    „Ich vermute dort sind Freunde?"

    „Keine Freunde."

    „Und nicht viel Geld. Aber gut, du hast die eleganten Armbänder; und den Schal, der auch eine Menge Wert hat."

    Es ist eine scheinbar arglose Bemerkung, man bemerkt, daß es einen großen Eindruck auf die Zuhörerin macht, die vor innerer Bewegung oder Ärger zittert. Mit einer schnellen ungestümen Bewegung zieht sie ihre Armbänder ab und gibt sie in den Schoß des Mädchens.

    „Nimm sie – ich möchte sie nicht mehr! Und den Schal auch – nimm es und gib mir deinen Schal."

    „Nein, du machst einen Scherz!"

    „Schnell!"

    In einem Moment vollzieht sich der Tausch. Die Frauen stehen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Die bürgerliche und die ausgestoßene Kreatur scheinen gänzlich bestürzt durch das eben Geschehene. Plötzlich hebt die andere beide Hände hoch und sagt schnell:

    „Der Fluß – ist er dort?"

    Ein Licht scheint der Ausgestoßenen aufzugehen.

    „Du willst dich doch nicht selbst ertränken?"

    „Nein. Ich weiß nicht, vielleicht!", sagt sie mit einem eigentümlichen Lächeln.

    „Es ist nicht zu machen, dort sind zu viele Augen, die beobachten. Ich versuchte es selbst einmal, vom Deich aus, aber ich wurde wie ein nasser Sack herausgefischt. Sei nicht so eine Närrin! Du bist eine Lady und gehst am besten nach Hause."

    Ohne zu antworten beginnt die Lady sich schnell zu entfernen. Ergriffen von einem eigentümlichen Impuls ruft die Ausgestoßene ihr nach:

    „Komm zurück – nimm deine Sachen, ich schäme mich sie anzunehmen. Nimm sie zurück."

    „Nein behalte sie. Auf Wiedersehen. Darf ich dich küssen?"

    „Wenn du willst", ist die benommene Antwort.

    Die Lippen der beiden Frauen trafen sich und ihr Atem vermischt sich für einen Moment. Dann, während die eine gänzlich verwundert und wie versteinert dasteht beginnt die andere sich schnell und leise zu entfernen.

    Kapitel I

    Eine Tanzstunde unter Schwierigkeiten

    Zwölf Jahre bevor die im Prolog beschriebenen Ereignisse stattfanden, war eine merkwürdige Gruppe in einer stillen Ecke des Grayfleet Friedhofs versammelt. Grayfleet ist ein feuchtes, krankhaftes, fast verödetes Dorf, am Rande der großen Essex-Marschen. Seine alte Kirche schaut mit Fenstern wie ein Totenschädel mit zwei traurigen, leeren und leblosen Augen auf die Marschen zum tiefliegenden Nebel, der sich mit der See vermischt, herab.

    Die Gruppe, von der ich spreche, besteht aus sechs Mädchen und einem kleinen Jungen. Die Mädchen sind verschiedenen Alters, von sechs bis sechzehn und alle sind mehr oder weniger elegant gekleidet, denn es ist Karfreitag. Sie stehen im Kreis um einen flachen Grabstein, der schon verwittert und grün von feuchtem Moos ist. Auf diesem Grabstein steht ein hübsches Mädchen von acht Jahren, mit zerzaustem Haar und geröteten Wangen und probiert erste Schritte eines Tanzes. Ihre ‚Lehrerin’ ist die Älteste unter ihnen, ein blasses, rothaariges Mädchen von sechzehn, welches sie mit scharfen kritischen Blicken beobachtet, manchmal nach vorn geht, deren Platz auf dem Grabstein einnimmt und ihr zeigt, wie sie die Füße setzen muß.

    „Erste Position – Ferse und Zehen – kreuzen und zur Seite."

    „Schau her, Mawther!, ruft eines der Mädchen zu einem Vorübergehenden. „Komm und sieh, Polly Lowther lehrt Mark Peartrees Tochter das Tanzen.

    Ein weiteres Mädchen kommt auf den Friedhof gerannt und gesellt sich zu der Gruppe.

    „Das ist der Stil, ruft Polly Lowther aus, „du wirst es bald lernen, wenn du es nur versuchst. Schau zu mir Madlin, beobachte meine Füße.

    „Erste Position – Ferse und Zehen – kreuzen und zur Seite." Die Mädchen klatschen begeistert, ihre Lehrerin bestaunend, in die Hände und der kleine Junge, der rittlings auf einem grünen Grab sitzt, grinst beifällig.

    Angefeuert durch den Applaus, der ihrer Lehrerin gezollt wird, beginnt das kleine hübsche Mädchen, die Madlin genannt wird, die Schritte heftig auszuführen.

    Erste Position – Fersen und Zehen – kreuzen und zur Seite.

    Plötzlich sind da ein Schrei und eine Unruhe. Die Gruppe Mädchen zerstreut sich nach allen Seiten und verschwindet. Der kleine Junge schreit auf und rennt los. Nur Madlin bleibt, so von ihrem Tanz in Anspruch genommen, daß sie im Moment keine Notiz davon nimmt, daß sie allein gelassen worden war und daß eine große Gestalt in Schwarz mit weißem Halstuch mürrisch neben ihr steht. Im nächsten Moment wird ihr ihre mißliche Lage bewußt. Aufgescheucht und keuchend steht sie und starrt und erkennt zu ihrem Schrecken den Pfarrer des Kirchspiels. Sie blickt in die Runde und bemerkt, daß sie völlig verlassen ist und keine Spur ihrer Gefährten zu sehen ist. Sie wird ängstlich und springt von dem Stein.

    „Kleines Mädchen, sagt der Pfarrer in einer furchtbaren Stimme, „ich kenne dich nicht, wie heißt du?

    Sie läßt unbeholfen ihren Kopf hängen und antwortet nicht.

    „Verstehst du mich? Wie heißt du?"

    Das kleine Mädchen hebt ihren Kopf und schaut den Pfarrer an und antwortet mit einer klaren Stimme:

    „Wenn sie gestatten, Sir, ich bin Madlin, Mark Peartree’s Mädchen."

    Die Augenbrauen des Pfarrers ziehen sich noch mehr zusammen.

    „Mark Peartree, ich denke, ich kenne den Mann – er lebt unten an der Fähre und segelt eine Barke. Ist er dein Vater?"

    Das Mädchen, das einen einfachen Strohhut auf hat und an dessen Seidenband nagt, antwortet kurz:

    „Nein, ist er nicht."

    „Was ist er dann? fragt der Pfarrer, „hat er einen Verwandtschaftsgrad?

    „Nein, ist die sofortige Antwort, „ich rufe ihn ‚Onkel’, aber er ist nicht mein wirklicher Onkel und Onkel Luke auch nicht. Ich bin ein Findling – Tante Jane fand mich dort draußen.

    Und mit einer ausladenden Handbewegung weist das kleine Mädchen über dir großen Marschen, die in der untergehenden Sonne dampfen und sich rot färben.

    „Und wer immer du bist, weißt du nicht, sagt der Pfarrer, „daß du ein sehr gottloses kleines Mädchen bist? An diesem heiligen Tag aller Tage des Jahres finde ich dich hier bei einem verderbten Zeitvertreib auf Gottes eigenem Acker! Auf einem Grabstein! Kleines Mädchen, weißt du nicht, daß dort ein Toter unter dir liegt und daß du seinen Ruheplatz entweihst?

    Das Mädchen schreckt auf und wirft einen Schreckensblick nach unten, als ob sie den Toten auferstehen erwartet und er vor ihr steht. Dann, halb unbewußt, verläßt sie den Grabstein und steht knöcheltief im langen Friedhofsgras.

    „Ich bin besorgt, sagt der Pfarrer und droht ihr mit seinem erhobenen Zeigefinger, „ich bin wirklich sehr besorgt, daß du etwas sehr schlechtes getan hast. Sag mir, hast du jemals das Wort Gottes gehört? Gehst du immer in die Kirche?

    Die Antwort ist prompt und deutlich:

    „Nein, niemals."

    „Ah, das dachte ich mir. Ein schlimmer Fall. Und dein Vater – ich meine deinen Adopotivvater – schämt er sich nicht, dich in Unglaube und Sünde zu bringen?"

    Das kleine Mädchen errötet, keucht und öffnet ihre großen, blauen Augen, schaut den Gottesdiener an und erklärt:

    „Onkel Mark schämt sich seiner nicht, genau so wenig wie Onkel Luke! Sie gehen zu ihren Versammlungen und ich gehe auch mit. Sie sind bei den ‚United Brethren’ (1) und wenn ich groß bin, möchte ich auch zu den Brethren gehören."

    „Brethren!"

    Dies sagt er in einem Ton, der deutlich zu verstehen gibt, daß das Faß der moralischen Verfehlung in den Augen des Pfarrers voll und übergelaufen ist. Der gute Pastor kann eine Familie, welche den Ruf der Christenheit gänzlich untergräbt, und jede Form einer anderen Meinung, nicht ertragen. Dann noch diese verderbte Gotteslästerung.

    Es ist ungewiß, welche Wendung das Gespräch genommen hätte, wenn nicht in diesem Moment eine unerwartete Ablenkung eintrat. Eine dünne schrille Stimme, zweifellos von einem der kleinen Mädchen aus der Schar, erschallt plötzlich aus einer mysteriösen Ecke, wo es sich verborgen hält.

    „Sieh, Madlin! Hier ist Dein Onkel Luke gekommen."

    Madeline schaut überrascht, dann wird ihr Gesicht hell und lebhaft. Der Pastor scheint verwirrt und unsicher was als nun zu sagen sei. Jetzt öffnet sich die Friedhofspforte und ein kleiner Mann mit zu kurzen Hosen und einen sehr großen Kopf schaut herein, sieht Madeline und tritt ein.

    „Onkel! Onkel Luke!"

    Der kleine Mann nickt ihr zu und lächelt. Als er den Pastor sieht, nimmt er seinen Hut ab und grinst. Es ist eine Eigenheit des kleinen Mannes, alle Gedanken und Stimmungen durch ein unbekümmertes Lächeln, das sich manchmal zu einem Grinsen erweitert, auszudrücken. Er hat große wäßrige Augen und einen großen Mund. Seine Erscheinung ist schlicht und extrem unbeholfen. Nun ist Madeline an seiner Seite, hält seine Hand und schaut zu seinem Gesicht hoch. Der Pastor steht gespreizt auf dem Friedhof.

    „Ich habe nur dieses Kind gewarnt, nicht auf dem Grabstein zu tanzen. Ich habe ihr gesagt, daß sie ein sehr gottloses Kind ist. Sie hat mir erzählt, daß ihre Eltern methodistischer Überzeugung seien. Mag es sein wie es sei, sie werden zweifellos mit mir übereinstimmen, daß ihr Verhalten heute extrem gotteslästerlich war."

    Der kleine Mann, der noch immer seinen Hut in der Hand hält, schaut zum Pastor, dann schaut er auf Madeline, dann lächelt er blödsinnig. Sein Lächeln wirkt und er versucht finster auszusehen, mit dem Erfolg, daß er seine Miene zu einem Grinsen verzerrt. Dann plötzlich beugt er sich nach unten zum Ohr des kleinen Mädchens und flüstert krächzend:

    „Was ist Madlin? Was ist los?"

    „Polly Lowther lehrte mir Tanzschritte, sagt das Mädchen laut und blickt den Pfarrer furchtlos an, „und Parson kam und fand uns und alle anderen rannten fort. Ich weiß tanzen ist sündhaft, weil Onkel Mark es sagte, aber ich konnte nicht widerstehen. Parson sagte, Onkel Mark sollte sich schämen, aber ich sagte Parson, daß es nicht wahr ist!

    Diese Erklärung scheint für den kleinen Mann zu konfus zu sein. Er kratzt sich den Kopf und schaut mit einem verstohlenen Grinsen zum Pfarrer.

    „Tanzen ist tüchtig sündhaft, sagt er, „kein Zweifel daran.

    „Es ist nicht lächerlich", ruft der Pfarrer entrüstet, irritiert von dem sonderbaren Gesichtsausdruck des kleinen Mannes.

    „Seien sie so gut und verlassen sie das Gelände der Kirche. Das Kind ist ein schlechtes Kind und es ist schlecht erzogen. Nun halten sie ihre Zunge im Zaum – ich wünsche keine weiteren Erklärungen. Nur erinnere ich daran, wenn das Kind den Friedhof wieder entweiht, werde ich verschiedene Maßnahmen ergreifen."

    Dies sagend, winkt er das Paar vom Friedhof und schließt laut das Tor hinter ihnen und stakt zurück zur Pfarrei, mit der Brust voller heiliger Gefühle und christlichem Zorn.

    Der kleine Mann steht einige Minuten auf der offenen Straße, verwirrt glotzend und der sich zurückziehenden Gestalt nachschauend. Dann faßt er sich mit der einen Hand an den Kopf und mit der anderen die Hand des Mädchens, nicht wissend, was zu sagen oder zu tun sei. Zuletzt zerschlägt er den gordischen Knoten seiner Verwirrung durch ein von Ohr zu Ohr reichendes Grinsen.

    „Parson ist sehr zornig, sagt er, „aber Tanzen ist eben sündhaft, das ist Fakt. Und er setzt mit einem überraschten Blick hinzu, als sage er es zu sich selbst: „Was soll ich deinem Onkel Mark sagen?"

    Madeline scheint einen Moment nachzudenken und, als ob sie plötzlich eine Inspiration hat, erklärt sie:

    „Komm weiter, Onkel Luke, laß uns heimgehen."

    Der kleine Mann lacht zufrieden, als finde er in dem Vorschlag eine Lösung aller Schwierigkeiten und die kleinen Füße laufen los. Hand in Hand eilen die beiden den Hang hinunter, der von der Kirche zum Dorf führt. Während sie laufen schaut Madeline ganz verstohlen von Zeit zu Zeit zu ihrem Begleiter, als ob sie seine Gedanken zu erraten versucht. Dann preßt sie fest seine Hand und sagt in gut zuredender Stimme: „Onkel Luke! „Ja, Madlin.

    „Du wirst Onkel Mark nichts über das Tanzen erzählen."

    „Ich weiß nicht, gerade Tanzen ist sündhaft."

    „Ich kann mir nicht helfen, Polly Lowther bot sich an es mir zu lehren und alle anderen Mädchen können schon etwas tanzen. Wenn du kein Wort Onkel Mark sagen würdest, werde ich dich meine Sparbüchse, die ich von Onkel Mark bekam, öffnen lassen und der Inhalt ist dein."

    Dieser außergewöhnliche Vorschlag schien, um die Gunst Onkel Lukes zu finden, unverantwortlich. Seine Augen blitzten und sein Mund verbreiterte sich von Ohr zu Ohr, aber er täuscht die Mißbilligung der Bestechung vor und bewegt seinen Kopf von einer Seite zur anderen. Madeline beobachtet ihn aufmerksam und als er unschlüssig erscheint, hebt sie seine große braune Hand an ihren Mund und küßt sie leidenschaftlich. Dies scheint Onkel Luke gänzlich zu verwirren und er murmelt schnell:

    „In Ordnung Madlin, ich werde nichts erzählen."

    Und Madeline weiß gut, daß ein Versprechen dieser Art von Onkel Luke wie ein Schwur ist. Sie beschleunigen ihren Schritt und sie fährt fort, mit seiner Hand zu spielen und sie zu streicheln und hin und wieder an ihre Lippen zu halten. Vertrauensbeweise dieser Art sind dem kleinen Mann am liebsten von allen Dingen auf der Welt. Das Lächeln in seinem Gesicht ist hell, breit und zufrieden.

    Kapitel II

    ‚Onkel’ Luke und ‚Onkel’ Mark

    Während die untergehende Sonne auf Greenfleet, seine finstere Kirche und seine roten Dächer der Wohnhäuser strahlt, nimmt Onkel Luke den Fußweg, der durch die Marschen führt. Um sie herum ist die Landschaft flach und eben, mit keiner oder wenig Vegetation. Über die dunklen, niedrigen Senken war die See davongekrochen, um erneut wieder zu kommen. Hier und da schwebt eine Möwe im geringen Abstand zum Salzwasser, die Marsch nach Beute absuchend. Einmal, als sie eine flache Stelle im blutroten Licht passiert, erhebt sich ein Fischreiher mit grellem Schrei und fliegt langsam davon.

    Eine halbe Meile durch die Marsch bringt sie ans Flußufer und sie haben den Blick auf eine Art Gegenstück zum Oberdorf, auf den Umriß winziger rot bedachter Katen, die dicht am Damm stehen. Hier und dort ist ein Fährhaus mit der Lizenz ‚Ale und Tabak‘ zu verkaufen. Als sie auf den Uferweg einbiegen, kreuzt gerade langsam eine Fähre, deren Fracht aus Landmädchen besteht, die auf dem Heimweg von Grayfleet sind. Onkel Luke trottet heiter den Weg entlang, noch die Hand des Mädchens haltend. Ihr Blick ist nun auf den glitzernden Fluß und das driftende Fährboot gerichtet und sie hatten nahezu die Szene mit dem Pfarrer vergessen. Sie sind ein kurioses Paar. Das Mädchen ist ein schlankes hageres Ding, wild wie manch am Wegesrand stehende Unkraut. Ihr Gesicht mit großen leidenschaftlichen Augen, die sehr gedankenvoll und etwas betrübt dreinschauen. Sie trägt eine gewöhnliche Baumwollkutte, ähnlich der Mönchskutten, und grobe Landschuhe und Strümpfe, obgleich ihre Gliedmaßen noch etwas lang und unförmig sind, steht ihr alles gut zu Gesicht. Und, obwohl das Mädchen nicht feenhaft ist, könnte Onkel Luke sicher für einen Zwerg gehalten werden oder eher noch für einen dieser wunderlichen Trolle, deren Aufgabe nach der skandinavischen Legende ist, geschäftig im Bauch der Erde zu arbeiten. Die ganze Woche lang arbeitet Onkel Luke auf der schwarzen Flußbarke als Maat, sein Bruder ist Kapitän. Von Montag bis Sonnabend ist seine Gestalt in blauen Jersey, eine rote Kappe und Ölzeughosen gekleidet und er hilft, daß die Barke auf ihrer kurzen Reise auf und ab des Stromes arbeitet. Aber bei der gegenwärtigen Gelegenheit, es ist ein Feiertag, ist seine Kleidung feierlich: Ein hoher Zylinderhut mit sehr breitem Rand, groß genug von den Ohren gehalten zu werden, eine blaue Lotsenjacke, eine weiße Weste und ein farbiges baumwollenes Hemd, blaue Marinehosen und Schnürschuhe. Onkel Luke liebt die Pracht und nichts gefällt ihm mehr, als in den Augen seiner Mitmenschen prächtig zu scheinen, obschon Onkel Mark, sein älterer Bruder, der streng fromm ist, all diese eitlen Nichtigkeiten tadelt.

    Onkel Luke, obgleich körperlich voll tauglich, geistig aber etwas zurückgeblieben, ist in der Achtung vieler ehrbarer und kluger Menschen einfach ein Narr oder in der lokalen Redeweise, ein klein wenig besser als ein Schwachsinniger. Seine Unzulänglichkeiten sind ihm durch äußeren Anschein nicht anzumerken und es würde eines sehr klugen Mannes bedürfen, ihn auf Anhieb zu verstehen. Er ist harmlos, fleißig und in mancher Beziehung sogar klug. Er weiß so gut wie die meisten Männer wieviel Pence einen Schilling ausmachen und wieviel Schilling ein Pfund. Er hat ein scharfes intuitives Wahrnehmungsvermögen der menschlichen Charaktere. All das ist über die Maßen einfach und seine Fähigkeit zu urteilen ist äußerst gering. Sehr ausgeprägt ist seine gute Natur. Er verübelt jede Beschuldigung über seine Klugheit sehr. Sein Bruder Mark sichert ihm Arbeit mit sehr niedrigem Lohn, in dem Verständnis, daß er schwach ist und leicht ermüdet. Und dort auf der Barke, unter den Augen seines Bruders, arbeitet er frohsinnig, außer, wenn jemand grausam genug war, ihm seine Überlegenheit zu nehmen oder ihn wegen seiner Schwachheit zu verhöhnen. In solchen Fällen bekommt er einen wütenden, leidenschaftlichen Anfall. Wenn dieser vorüber ist, verkriecht er sich in seine Kabine, schreit wie ein Kind und manchmal bleibt er für Tage in seiner Hängematte.

    Aber heute sieht er glücklich aus, teils aus Stolz wegen des glücklichen Entkommens vom Pfarrer und teils, weil Madeline ihm etwas versprochen hatte. Das unvergleichliche Versprechen des Öffnens ihrer neuen Sparbüchse. Das ist eine Versuchung, der er niemals widerstehen könnte.

    Wenn er eine Uhr besäße, so würde er sie in ihre Einzelteile zerlegen, um zu sehen wie sie funktioniert. Und tagelang zerbricht er sich den Kopf, vor Wißbegierde schmachtend, wie es die meisten Kinder tun, um zu erfahren, was wohl im Innern der Sparbüchse ist, auf deren Vorderseite ein Rathaus abgebildet ist und sich ganz oben ein Schlitz für einen übrigen Pence befindet.

    Als sie in Sichtweite der Fähre kommen, laufen die beiden schneller. Die Sonne wirft ihren goldenen Schein auf sie und unter ihren Füßen wirbeln Staubwolken auf. Niemand spricht. Madeline fährt fort, gelegentlich einen Kuß auf die Hand zu pressen, welche sie noch in ihrer hält, und zu jeder dieser Gefühlsbezeugungen antwortet ihr Begleiter mit einem breiten Grinsen. Plötzlich gibt er einen Aufschrei von sich. Sie schaut zu ihrem geröteten und staubigen Begleiter. Er sagt ganz schnell:

    „Ich sage, Madlin, am besten du setzt deinen Sonntagshut auf, denn Onkel Mark lehnt an der Gartentür!"

    Ohne ein Wort gehorcht Madeline. Sie nimmt den Hut, welcher der Kühlung und des Komforts wegen an ihrem Arm hängt und setzt ihn vorsorglich auf. Dann nimmt sie wieder Besitz von der Hand ihres Onkels. Sie laufen schicklich hinauf zu einer der kleinen grünen Pforten, an der tatsächlich Onkel Mark lehnt.

    Obgleich Luke und Mark Brüder sind, sind sie verschieden wie nur zwei Männer sein können. Mark Peartree ist sechs Fuß groß, er ist sehr mager und seine Schultern sind leicht gebeugt, sein Haar ist grau, sein Gesicht rot wie ein Ripston Pippinapfel, seine Wangen sind eingesunken, vielleicht durch den Verlust einiger Zähne.

    Die Kate ist eine aus der Reihe der roten Ziegelhäuser, deren Vorderfront mit Kletterpflanzen bewachsen ist, eine schmale Gartenparzelle zum Fluß hin besitzt und von Bäumen eingerahmt ist und als Begrenzung ein grünes Tor besitzt. Auf dem Tor nun lehnt Onkel Mark, auch im Sonntagsstaat gekleidet, aber mit viel weniger schmückendem Beiwerk als Luke. Wie man seinem Gesichtsausdruck ansieht, schaut er mit Ungeduld auf die Straße.

    „Da seid ihr ja endlich, sagt er, als das wandernde Paar ankommt, „warum, verflixt, könnt ihr nicht zur Essenszeit zu Hause sein? Die Mutter ist sehr ärgerlich. Bruder Brown war am Nachmittag hier und er wird wiederkommen!

    Bei dieser Rede verschwindet das Lächeln auf Lukes Gesicht und bevor er eine Antwort hat, ertönt eine andere Stimme aus dem Inneren des Hauses, offenbar die einer Frau:

    „Ich bin sicher, Vater, es ist wie dir Bruder Brown sagte, als er mit den Brethrenbrüdern hier war, daß wir genug zu tun hätten, wie an jedem Tag des Jahres. Wie auch immer, sie sind jetzt da, aber es wird wohl nichts zu Essen geben…"

    Die Sprecherin steht in der Haustür, die roten Ziegel und die grünen Ranken umrahmen sie. Eine stattlich aussehende Frau. Gekleidet in ein sauberes baumwollenes Kleid mit einer weißen einfachen Schürze, die um ihre Hüfte gebunden ist. Sie ist klein und beleibt, mit einem gebräunten gutmütig-humorvollen Gesicht und glänzenden schwarzen Haaren. Sie trägt eine Haube, deren lange Enden über ihre Schultern fallen und hinten gebunden sind. Ihre Ärmel sind fast bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt. Ihre Hände und Arme sind braun und rot gesprenkelt durch das ständige Arbeiten in Seife und Wasser.

    Beim Anblick dieser Gestalt, die wirklich die Frau von Mark Peartree ist, oder wie Madeline sie ruft, Tante Jane, erscheint das gutmütige Grinsen auf Onkel Lukes Gesicht. Sie gehen durch das kleine Tor, das als Eingang dient und betreten schließlich das Haus, während Madeline ihre Aufmerksamkeit auf Onkel Mark richtet:

    „Es war nicht die Schuld von Onkel Luke, sagt sie in das Schlechtwettergesicht schauend, „wirklich, Onkel Mark, alle Schuld liegt bei mir, daß wir zu spät gekommen sind – ich war unten mit Polly Lowther die Gräber ansehen.

    Ihr Eifer, ihren Schützling zu verteidigen offenbarte nicht das gefürchtete Geheimnis des Tanzens und Onkel Mark ordert das Dinner, das er einnehmen will, nimmt dann ihre Hand und sagt:

    „Es ist alles in Ordnung, mein Mädchen", behält ihre Hand in seiner schwieligen Faust und zieht sie weiter ins Haus.

    Es ist ein sehr kleines Haus. Ein langer, schmaler Gang führt von der Eingangstür nach hinten und in der Mitte des Gangs ist eine Treppenflucht mit schmalen nackten Stufen. Auf der rechten Seite gehen zwei Räume ab – eine Küche und ein sogenanntes Wohnzimmer. In der Woche, während die Männer zur Arbeit auf dem Fluß sind, wird das Wohnzimmer sorgfältig verschlossen. Darin wird niemals Feuer gemacht – die Möbel sind dunkel, gut poliert und elegant mit ein wenig rauem Wollstoff als Teppich unterlegt. Ein chinesischer Hirte und eine Schäferin sowie verschiedene Muscheln zieren die Kamineinfassung. An den Wänden hängen zwei hell beleuchtete Bilder, eines zeigt den ‚verlorenen Sohn’, das andere ‚Susanne und die Greise’. Und in der Mitte des Kaminsimses steht die Krönung des Appartements: Ein kleines Wetterhäuschen, aus Holz geschnitzt, in Form eines überdachten Schuppens und im Innern zwei Figuren, eine ist ein ‚Darby’, die andere ist ‚Joan’, die an jeder Seite des aufgehängten Thermometers stehen. Wenn das Wetter schön ist, so kommt Joan hervor mit ihrem Korb am Arm, als ginge sie zum Markt und ‚Darby bleibt unsichtbar. Wenn es regnet verschwindet Joan und ‚Darby’ erscheint mit den Attributen eines Mannes. Dieses Wetterhäuschen ist in Madelines Augen ein Wunder der Kunst und geschätzt bei allen Bewohnern des Hauses. Wahrlich ist das Wohnzimmer alles in allem etwas Heiliges, voll von frommer Verschwiegenheit und Dunkelheit und sogar Mrs. Peartree betritt es nie ohne eine gewisse Ehrfurcht, zurückhaltend im Sinne von großer Achtung. Von Wochenende zu Wochenende bleibt sie in der rot gefliesten Küche, während am Sonntagabend und an besonderen festlichen Anlässen das Wohnzimmer zur familiären Nutzung aufgeschlossen wird.

    Kapitel III

    Ostern, das Fest der Brethren

    Es ist in der gepflasterten Küche, wo sich die Gesellschaft versammelt und ihre Plätze um den viereckigen Tisch einnimmt, welcher mit einem sauberen Tischtuch bedeckt ist und das Essen beginnt. Es gibt gekochtes Schweinefleisch und Kartoffeln.

    Ihre kleinen Füße schwingen hin und her und ihre großen blauen nachdenklichen Augen schweifen wehmütig durch den Raum. Madeline sitzt am Tisch und ißt ihre Portion zufrieden auf. Die Sonne strahlt durch das hintere Fenster und liebkost ihre hellen Wangen und ihr goldenes Haar. Madeline läßt ihre Gedanken zu den glücklichen Strahlen wandern, die sie nur eine kurze Zeit berührten, als sie auf dem Grabstein Tanzen lernte. Plötzlich scheint sie ein neuer Gedanke zu erfüllen.

    „Onkel Mark, sagt sie, während Onkel Luke seine Gabel und sein Messer verwundert senkt, „können tote Leute fühlen?

    „Nein, mein Mädchen", erwidert Onkel Mark, mit ein wenig überraschten sanften blauen Augen, „ein toter Mensch ist tot wie ein Nagel es ist – er kann nichts fühlen. Wie

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