Meine Geschichte beginnt in einem wunderbaren Dorf.: Die Aufzeichnungen einer Kindsmörderin
Von Natalie K.
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Über dieses E-Book
Natalie K.s Text behandelt ihre Kindheit als Tochter von Zeugen Jehovas, die den Absprung schaffen. Sie beschreibt ihre normale Jugend, der Beginn ihres eigenen Familienlebens und die unsteten Zeiten, bis das junge Paar Anfang November wegen Betrugsverdacht verhaftet wird und die Kinder in einem Heim platziert werden. Natalie K. kommt kurz danach wieder frei, der Kindsvater bleibt in Haft. In einem heftigen Kampf mit den Behörden versucht Natalie K. ihre Kinder zurückzubekommen. Die Auseinandersetzung gipfelt zwischen Weihnachten und Neujahr im Entscheid der Behörde, dass die Kinder zurück ins Heim müssen. Ihren Kampf endgültig verloren glaubend, sieht Natalie K. den einzigen Ausweg im erweiterten Suizid. Die Kinder sterben, die Mutter überlebt.
Natalie K.s Text ist erschütternd. Für den Kontext ist er eingebettet in weitere Beiträge. Im Vorwort erklärt Jenny, warum das Manuskript zu ihr kam. Eine Chronologie der Ereignisse listet auf, was vor und nach der Tat passiert ist. Im Anschluss an Natalie K.s Text ordnet der renommierte Psychiater Mario Gmür die Tat strafrechtlich und psychiatrisch ein. Eine editorische Notiz erläutert den Umgang mit dem Text und warum er gelesen werden sollte.
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Buchvorschau
Meine Geschichte beginnt in einem wunderbaren Dorf. - Natalie K.
NATALIE K.
Meine Geschichte beginnt in einem wunderbaren Dorf.
Die Aufzeichnungen einer Kindsmörderin
HRSG. VON ZOË JENNY
INHALT
Vorwort
Zoë Jenny
Chronologie »Fall Flaach«
Die Aufzeichnungen von Natalie K.
Essay
Mutterglück … Ewige Brück
PD Dr. med. Mario Gmür
Editorische Notiz
VORWORT
Im November 2014 gründete ich die Webseite kindergerechte-justiz.ch¹. Sie war dazu gedacht, dass Betroffene Erfahrungen mit den neu eingeführten Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) oder Gerichten teilen und diskutieren konnten.
Ich war überrascht, wie rege die Seite genutzt wurde. Die Einträge zeugten nicht nur von Frust und Zorn, sondern oftmals auch von Angst und existenziellen Sorgen, insbesondere wenn Maßnahmen der Behörden Kinder betrafen. Täglich klickten Tausende Personen aus der ganzen Schweiz, aber auch aus dem umliegenden Ausland, die Webseite an. Es war beunruhigend. Dazu kamen die E-Mails, die ich persönlich erhielt. Es wurde deutlich, dass zahlreiche Menschen mit den Entscheidungen haderten und Rat suchten. Im Forum bildeten sich auch Gruppen, die für das Recht auf ihre Kinder kämpfen wollten.
Dann, am Neujahrstag 2015, las ich auf der Webseite der Schweizer Tageszeitung Blick von der Katastrophe in Flaach: Eine Mutter hatte ihre beiden kleinen Kinder getötet und danach versucht, sich selber zu richten. Der Name Natalie K. kam mir irgendwie bekannt vor. Tatsächlich hatte die Frau, von der hier die Rede war, wenige Tage zuvor eine Nachricht im Forum meiner Webseite hinterlassen.
Kurz nach dem schrecklichen Ereignis und nachdem Natalie an die Justiz überführt worden war, meldeten sich ihre Eltern in den Medien zu Wort. Sie konnten nicht verstehen, warum die Kinder nicht bei ihnen bleiben konnten, obwohl sie für sie eigens ein Zimmer eingerichtet hatten und sich als Großeltern liebevoll und fürsorglich um sie gekümmert hätten.
Ich nahm Kontakt mit den Eltern auf. Sie erzählten, wie sie von der Behörde zu Gesprächen vorgeladen, aber dann warten gelassen wurden. Wie sie das Gefühl hatten, Teil eines Machtspieles zu sein. Und wie vor allem ihre Enkelkinder darunter litten und Angst vor dem Heim hatten. Die Mutter erzählte mir, wie es ihr jedes Mal das Herz zerriss, wenn die Enkelkinder schrien und weinten, als sie wieder zurück ins Heim mussten.
Im Frühjahr 2014 organisierte ich gemeinsam mit einigen anderen eine Mahnwache in Zürich. Die Veranstaltung sollte des Schicksals der Kinder gedenken und Natalies Eltern die Möglichkeit geben, öffentlich Stellung zu nehmen. Auch andere Eltern kamen zu Wort.
Natalies Eltern, mit denen ich fortan in Kontakt blieb, erzählten mir, dass ihre Tochter im Gefängnis an einem Buch schreibe, in dem sie ihre Sicht der Ereignisse darstelle. Anfang Mai 2015 stellte ich einen Antrag, Natalie im Gefängnis besuchen zu dürfen, doch er wurde von der Staatsanwaltschaft ohne Begründung abgelehnt. Die Eltern waren in großer Sorge, weil sie kaum Zugang zu ihrer Tochter hatten und sie nur selten sehen konnten. Sie waren auch enttäuscht und irritiert, weil Natalies mehrmalige Anfrage auf Verlegung in eine psychiatrische Klinik nicht wahrgenommen sowie ein psychologisches Gutachten über sie verschoben wurde.
Am 7. August 2015 beging Natalie im Zürcher Untersuchungsgefängnis Selbstmord. Sie hatte sich stranguliert. Die Untersuchungen dauerten viele Monate. Auf der Pressekonferenz Ende Januar 2016 erklärte die Justizdirektorin, die Behörden hätten nichts falsch gemacht. Ein Gerichtsgutachter meinte, Natalie sei psychisch gestört gewesen. Gesehen oder gesprochen hatte er sie nicht ein einziges Mal.
Im März 2016 erhielt ich das Manuskript. Beigelegt war ein Brief, in dem Natalie mich bittet, diesen Text zur Veröffentlichung zu bringen. Ich las das Manuskript etappenweise über mehrere Wochen. Einerseits erschüttert, andererseits überrascht über die Klarheit, mit der Natalie sich trotz allem ausdrücken konnte. Ich kenne kein vergleichbares Dokument. Es ist der Bericht einer Frau, die in fataler Verzweiflung war.
Vieles wurde in der Öffentlichkeit über Natalie K. gesagt und geschrieben. Sie selbst hatte nie die Möglichkeit, zu Wort zu kommen. Dies ist ihr Vermächtnis.
Zoë Jenny, Wien, Dezember 2016
1Diese Webseite ist nicht mehr online.
CHRONOLOGIE »FALL FLAACH«
August 2014
Natalie K. zieht mit ihrer Familie nach Flaach. Trotz des Wohnungswechsels schicken die Eltern ihren Sohn weiterhin in den Rüdlinger Kindergarten. Einen Hinweis der Schulbehörde, dass der Junge den Kindergarten in Flaach besuchen müsse, ignorieren die Eltern.¹
22. Oktober 2014
Die Schulbehörde der Gemeinde Rüdlingen gibt eine Gefährdungsmeldung für den fünfjährigen Sohn bei der KESB ab. Diese leitet die Eröffnung eines Kindesschutzverfahrens ein.²
30. Oktober 2014
Die Kantonspolizei Zürich setzt die bevorstehende Verhaftung von Mike und Natalie K. auf den 4. November fest. Verschiedene Delikte des Ehepaars sollen hierfür der Grund gewesen sein.³
31. Oktober 2014
Die KESB reagiert auf die bevorstehende Verhaftung mit einem Erlass, in dem der Entzug des elterlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts und die bevorstehende vorübergehende Heimunterbringung der beiden Kinder geplant wird.⁴
4. November 2014
Natalie und Mike K. werden in ihrer Wohnung verhaftet. Laut der Aussage eines Nachbars soll das Paar im Internet Handel mit Produkten betrieben, diese aber nie an die Besteller geliefert haben. Außerdem kam das Paar mit der Zahlung der Miete in Verzug.⁵ Die beiden Kinder werden aufgrund der Maßnahmen der KESB in einem Heim untergebracht.⁶
13. November 2014
Während Mike K. in Haft bleiben muss, wird Natalie K. entlassen.⁷
18. November 2014
Die KESB ordnet eine Anhörung von Natalie K. an. Auch ihre Eltern sind dabei und unterbreiten den Vorschlag, die beiden Kinder bei sich aufzunehmen. Die KESB lehnt dies ab.⁸
27. November 2014
Mike K. wird in der Untersuchungshaft einer Anhörung unterzogen.⁹
16. Dezember 2014
Die KESB teilt Natalie K. telefonisch eine Vorabinformation mit, die sie aus dem Entscheid vom 19. Dezember zu erwarten hat. So dürfe sie ihre Kinder zwar vom 19. Dezember bis zum 4. Januar bei sich haben, müsse sie aber nach den Feiertagen wieder ins Heim geben.¹⁰
18. Dezember 2014
Natalie K. nimmt sich eine Rechtsanwältin.¹¹ Diese wiederum teilt den Behörden mit, dass sie Natalie K. vertritt.¹²
19. Dezember 2014
Natalie K. fährt mit ihren Eltern ins Heim, um die beiden Kinder abzuholen.
Am gleichen Tag fällt die KESB den Entscheid. Darin wird Folgendes festgehalten: Die Aufhebung des elterlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts ist nach wie vor aktuell. Die Kinder werden weiterhin in einem Heim untergebracht. Das elterliche Besuchsrecht wird teilweise eingeschränkt. An den Wochenenden darf Natalie K. ihre Kinder nun nicht mehr besuchen.¹³
Einige Tage später
Die Anwältin teilt Natalie K. den Bescheid der KESB mit: Die Kinder müssen nach den Feiertagen zurück ins Heim. Außerdem will die Behörde die Wochenendbesuche streichen.¹⁴
24. Dezember 2014
Natalie K. geht gegen den Entscheid vor. Durch ihre Rechtsanwältin lässt sie eine Beschwerde beim örtlichen Bezirksrat einreichen.¹⁵
28. Dezember 2014
In einer Rundmail an Schweizer Medien beschwert sich Natalie K. über das Handeln der KESB und insbesondere über den Kindesentzug.¹⁶
31. Dezember 2014
In einem Zwischenentscheid des Präsidenten des Bezirksrates wird die von Natalie K. geforderte Rückplatzierung ihrer Kinder abgewiesen. Dieser Entscheid wird vorerst an Natalie K.s Rechtsanwältin per Fax, Mail und Post gesandt.¹⁷
1. Januar 2015
Die Rechtsanwältin teilt Natalie K. per Mail den neuen Zwischenentscheid der KESB mit.¹⁸
Natalie K. tötet ihre zweijährige Tochter und ihren fünfjährigen Sohn in ihrer Wohnung in Flaach. Sie alarmiert gegen 21.30 Uhr die Kantonspolizei und meldet den Tod der beiden Kinder. Beim Eintreffen der Polizei und der Rettungssanitäter werden Reanimationsversuche unternommen, doch die Kinder sind bereits tot. Natalie K. ist nicht im Haus anzutreffen. Sie flieht mit einem Messer in ein Waldstück und fügt sich selbst Verletzungen zu. Die Beamten verhaften sie aufgrund des dringenden Tatverdachts in der Nähe des Hauses.¹⁹
2. Januar 2015
In der