Ein grausames Vermächtnis: Leben im Schatten von Missbrauch
Von Margret Ochmann
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Buchvorschau
Ein grausames Vermächtnis - Margret Ochmann
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Vorwort
Hier schreibe ich die Geschichte der Lucia Heil und meine eigene nieder. Lucia habe ich bei einem Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik kennen und schätzen gelernt. Sie ist eine bemerkenswerte und starke Frau. Wir verstanden uns auf Anhieb und tauschten unsere Erfahrungen bei langen Spaziergängen im herrlichen Kurpark aus. Dabei stellten wir fest, dass ein fast gleiches Schicksal uns verband. Wir blieben in Kontakt. Als sie später von mir hörte, dass ich schon mehrere Bücher veröffentlicht hatte und nun ein neues plante, bat sie mich, auch ihre Geschichte aufzuschreiben, weil es so viele Berührungspunkte gab. Und so lasse ich auch ihre bitteren Erlebnisse mit einfließen. Denn beide wurden wir von einer als Kind sexuell missbrauchten Mutter bzw. einer Großmutter
m e n t a l missbraucht!!!
Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf therapeutische Hilfe, sondern will nur Anstoß dafür sein, die noch offene Lücke im Mosaik des sexuellen Kindesmissbrauchs zu schließen.
Kapitel 1
Lange habe ich überlegt, ob ich diese Abhandlung schreiben soll und ob ich das überhaupt darf, da ich keine ausgebildete Psychologin bin und es deshalb wie Anmaßung erscheinen könnte. Für manche Aufklärung genügen aber auch eine gute Beobachtungsgabe und ein gesunder Menschenverstand. So bin ich zu dem Schluss gekommen: Dass ich es unbedingt tun muss, weil ich selber aus einer nachfolgenden Generation stamme und darunter viele Jahre gelitten habe und immer noch leide. Sogar die dritte Generation, meine Tochter, wurde durch ihre geliebte Großmutter sehr beeinflusst und stark geschädigt. Hinzu kommt, dass sich inzwischen immer mehr Opfer trauen, ihren Leidensweg zu offenbaren. Endlich kommen diese schrecklichen Schandtaten ans Licht. Bisher aber leider immer „nur" über das erste Opfer. Wer darüber hinaus geschädigt wird, liegt immer noch im Dunklen. Deshalb besteht hierüber noch viel Aufklärungsbedarf!
Kluge Therapeuten ahnen, dass dieser Missbrauch noch weitergeht, ja logischerweise weiter reichen muss. Und weil noch niemand darüber reflektiert hat, darf ich das aus eigenem Erleben und Leiden tun. Denn meine Mutter, Jahrgang: 1907, wurde als Siebenjährige Opfer eines sexuellen Missbrauchs. Es war die Tat eines polnischen Landarbeiters, der als Erntehelfer während des ersten Weltkrieges in Hinterpommern bei der Tante meiner Mutter eingesetzt war. Deren eigener Mann befand sich als Soldat im ersten Weltkrieg. Mutter wurde von ihrer kranken Großmutter betreut während ihre Mutter, Jahrgang: 1888, sich ihr Geld als Putzfrau in einem Berliner Lazarett verdiente. Sie war dazu gezwungen, denn als Achtzehnjährige war sie von einem Bauernsohn schwanger geworden, der zur gleichen Zeit zwei weitere Dorfschönheiten geschwängert hatte. Meine Großmutter hatte er zwar geheiratet, weil sie auch eine Bauerntochter war, aber die stolze Großmutter hatte sich, als sie von diesen Eskapaden erfuhr, gleich wieder scheiden lassen. Zu der Zeit!!! Dieser Mann hatte eine sehr raffinierte Schwester, die in „bessere" Kreise eingeheiratet hatte. Sie betrieb mit ihrem Mann in einem der stattlichsten Häuser am Ort einen Kolonialwarenladen. Sie hatte wohl entsprechende Verbindungen, denn sie ließ ihren umtriebigen Bruder als unzurechnungsfähig entmündigen, damit er den Unterhaltsverpflichtungen für Frauen und Kinder entging. So war Mutters Leben von Anfang an durch Not und Elend gezeichnet.
Ulrike Dierkes schreibt in ihrem bewegenden Buch „Ich bin ein Inzestkind": „Wie einem Vogel, dem man die Flügel stutzt und die Beine bricht, so ergeht es wohl der Seele eines Kindes, das sexuell missbraucht wird. Auch wenn dieses Geschehen lange vorbei ist, kann die Seele nicht einfach die Flügel ausbreiten und davonfliegen. Sie trägt Trauer, die so schwer wiegt, dass nicht einmal die Neugier auf das Schöne im Leben eine Chance erhält."
Bevor ich mit der Schilderung darüber beginne, möchte ich meinen Weg der Aufklärung genauer beschreiben. Einige Reha-Maßnahmen, wegen diverser Implantate, verschafften mir zufällige Möglichkeiten, mehrere Therapeuten über mein Vorhaben zu befragen. Nach ihren Aussagen gibt es tatsächlich keine Literatur über nachfolgende Missbrauchsfälle. Ausgangspunkt war von meiner Seite immer die Frage nach entsprechender Literatur.
Der erste Therapeut (Begegnung: 2011) konnte sein Erstaunen über mein Wissen kaum verbergen, verschanzte sich deshalb hinter einer Liste von verschiedensten Buchangeboten, wobei es aber immer „nur um den Erstfall ging. Er mochte es scheinbar nicht, dass ich als Laie in der Beziehung mehr wusste als er. Ich wählte ein Buch aus und gelangte darüber an die Organisation „Zartbitter
in Köln, bekam dort aber nur weitere Buchempfehlungen, die wieder „nur" über die Erstbetroffenen handelten, die mir aber nicht das eröffneten, wonach ich auf der Suche war.
Dieser Mann, den ich seit einer früheren Kur schon kannte, sollte mir damals bei der Frage helfen, wie man heute in Würde alt werden könne. (Die junge Aufnahmeärztin hatte mich schwer gekränkt) Er wusste nichts anderes als mir zu raten, härter zu werden. Nach kurzer Überlegung antwortete ich ihm: „Nein, ich bleibe so wie ich bin, denn von den Groben gibt es sowieso schon zu viele."
2000 – 2005: Völlig unverständlich bleibt mir dabei das Verhalten einer langjährigen, überaus klugen Therapeutin, vor der ich mein ganzes Leben ausbreiten durfte und die mir aufgrund einer besonderen Lebensleistung zu mehr Selbstvertrauen verhalf, nicht aber merkte, dass Mutters früher Missbrauch, den ich natürlich auch erwähnt hatte, die wirkliche Ursache meiner Probleme war. Wir wurden so vertraut miteinander, dass von ihr der Wunsch ausging, nach der Therapie befreundet zu bleiben. Sie meinte nämlich, auch von mir eine Menge lernen zu können. In ihr war mir die intelligenteste Frau meines Lebens begegnet und es lag mir sehr viel an ihr. Aus dieser angestrebten Freundschaft wurde leider nichts, weil wir beide nicht aus unseren eingefahrenen Rollen herausfanden. Diese Begegnung diente mir als weiterer Beweis, dass zur Zeit ihres Studiums von der Beteiligung folgender Generationen nach einem Missbrauchsfall noch nichts Offizielles bekannt war.
2011: Während einer erneuten Reha-Maßnahme nach einer Rücken-OP hatte ich die Gelegenheit, gleich zwei weitere Therapeuten nach den betroffenen Folgegenerationen missbrauchter Kinder zu befragen. Beide sagten unabhängig voneinander, dass ihnen sehr wohl bewusst wäre, dass logischerweise unter dem ersten Missbrauch weitere Generationen zu leiden hätten, aber eine maßgebliche wissenschaftliche Studie darüber noch nicht erstellt worden sei.
Als ich meinen Schmerz-Therapeuten, Dr. Sch., dazu befragte, ermutigte er mich geradezu, unbedingt darüber zu schreiben, weil auch er wusste, dass es bis dahin keine offizielle Studie dazu gab. Seinerseits gab es keine Bedenken, dass ich nicht studiert war, als Anstoß hätten meine Ausführungen durchaus eine völlig legitime Berechtigung. Er nahm sich unerwartet viel Zeit für mich und überraschte mich mit dem Satz: „Kennen sie das Buch von Alice Miller, Drama des begabten Kindes?" Worauf ich erstaunt gestand, selbst ein solches Kind zu sein, was er bemerkenswerter Weise auch in mir sah und das Gleiche auch von sich behauptete. Ich konnte es nicht fassen, bei