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Henkerstropfen: Kulinarische Kurzkrimis
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Henkerstropfen: Kulinarische Kurzkrimis
eBook276 Seiten3 Stunden

Henkerstropfen: Kulinarische Kurzkrimis

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Über dieses E-Book

Zu einem guten Essen gehören der richtige Wein, stimmungsvolle Musik – und Mord: Denn Verbrechen und Genuss gehen bestens zusammen und treffen in dieser Kurzkrimi-Sammlung in den kuriosesten Momenten aufeinander. Ein Giftmordanschlag in Heinos Café per schwarzbrauner Haselnusstorte, ein dramatisches Wettduell um eine Flasche Wein des amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson, eine Tote im Champagnerbad - in Carsten Sebastian Henns Kurzkrimis fließen Blut und Wein gleichermaßen, werden Leichen wie feinste Speisen kredenzt. Mörderische Häppchen – für den kleinen Krimihunger zwischendurch!
Mit Weintipps zu jedem Krimi
SpracheDeutsch
HerausgeberEmons Verlag
Erscheinungsdatum16. Jan. 2017
ISBN9783863588304
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    Buchvorschau

    Henkerstropfen - Carsten S Henn

    Carsten Sebastian Henn, Jahrgang 1973, ist Autor und Weinjournalist. Im Emons Verlag erschienen seine kulinarischen Kriminalromane »In Vino Veritas«, »Nomen est Omen«, »In Dubio pro Vino«, »Vinum Mysterium« und »Vino Diavolo« sowie die Kurzkrimis »Henkerstropfen« und »Henkersmahlzeit«. Alle Julius-Eichendorff-Romane sind auch als Hörbuch erhältlich, gelesen von Jürgen von der Lippe.

    www.carstensebastianhenn.de

    Handlungen und Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

    © 2015 Hermann-Josef Emons Verlag

    Alle Rechte vorbehalten

    Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz

    Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch

    eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

    ISBN 978-3-86358-830-4

    Originalausgabe

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    Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

    Jetzt aber richtig:

    Für Charlotte

    Dieter Müller ist einer der renommiertesten Köche der Welt. Er erhielt 1988 als erster deutscher Koch vom »Gault Millau« die Höchstwertung von 19,5 Punkten. Sein Restaurant hat seit 1997 drei Michelinsterne, damit ist er einer von nur rund dreißig Köchen weltweit, denen diese Auszeichnung zuteil wird. Für sein 2000 erschienenes Kochbuch »Geheimnisse aus meiner Drei-Sterne-Küche« wurde er als erster Deutscher mit dem Kochbuchpreis »Prix la Mazille International« ausgezeichnet. Für das Kochbuch »Dieter Müller« Collection Rolf Heyne bekam er auf der Buchmesse Frankfurt Herbst 2006 die höchst selten vergebene Auszeichnung: Die goldene Feder.

    Liebe Leserinnen und Leser,

    meine erste Begegnung mit großer Küche hatte ich im Elsass bei den Brüdern Haeberlin, eine Geschmackssensation war unter anderem die Gänseleber in Brioche. Das prägte mich. Ebenso unvergessen ist für mich der Besuch im Restaurant von Paul Bocuse 1976 in Lyon.

    Auch Carsten Sebastian Henn erinnert sich an zwei kulinarische Initiationserlebnisse besonders: das Essen zum fünfzigsten Geburtstag seines Vaters bei Hans-Stefan Steinheuer in Heppingen, der ihn schließlich zur Figur des Julius Eichendorff inspirierte, und das Amuse-Bouche-Menü in meinem Restaurant, das er zur Feier seines Studienabschlusses genoss. Bei diesen beiden Begebenheiten wurde ihm, wie er sagt, eine neue Sinnenwelt eröffnet. Die Leidenschaft für diese Welt spürt man in all seinen Geschichten. Carsten Sebastian Henn ist durch und durch ein Genussmensch – und damit ein seltenes Exemplar in Deutschland.

    Erst in den letzten Jahren hat sich bei uns die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kochen zu den Künsten gezählt werden muss. Die Grundlage aller Kunst – egal ob beispielsweise Kochen oder Schreiben – ist ein solides Handwerk. Beim Kochen heißt dies: die richtigen Zulieferer zu finden, die frische und aromatische Produkte höchster Qualität bieten. Eine Küche mit allen nötigen Gerätschaften, Messern, Öfen und Pfannen zur Verfügung zu haben. Und die Fertigkeiten und Ideen zu besitzen, mit und aus all diesem köstliche Speisen zu kreieren.

    Für einen Autor stellt sich das Handwerk sehr ähnlich dar.

    Er braucht authentische, lebendige Figuren. Er braucht eine Umgebung, sei es Stadt oder Land, die der Leser mit allen Sinnen erfassen kann. Ein Autor braucht zudem eine Geschichte, die fesselt und berührt. Und wenn er all dies hat, braucht er noch seine Sprache, seinen Stil, um es zu einem Großen und Ganzen zusammenzufügen.

    Carsten Sebastian Henn beherrscht genau das, und er würzt seine Geschichten mehr als jeder andere deutsche Kriminalschriftsteller mit Kulinarischem. Mord und gutes Essen ergänzen sich bei ihm aufs Beste. Schließlich haben beide ganz direkt mit dem Leben zu tun – wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Morde beenden es, ein gutes Essen, ein edler Wein feiern es. So ist in allen kulinarischen Kriminalgeschichten auch immer etwas Lebensbejahendes enthalten. Wie Salz ans Essen gehört eine Prise Genuss deshalb eigentlich an jede mörderische Erzählung.

    Für viele seiner Geschichten wählt Carsten Sebastian Henn einen leichten Ansatz, oftmals spielt Humor eine große Rolle. Sein Schreibstil ist spielerisch und unangestrengt. Wer wie ich viele Jahre in der Küche gestanden hat, weiß, dass es nichts Schwereres gibt, als alles leicht wirken zu lassen, so als habe es überhaupt keine Mühe gemacht, das Kunstwerk herzustellen. Mein Ziel waren immer leichte, aromenreiche und schmackhafte Kreationen. Den gleichen Ansatz scheint Carsten Sebastian Henn häufig zu verfolgen. In der Literatur werden das Leichte und der Humor leider – und völlig zu Unrecht – allzu oft weniger geschätzt als das Ernste. Dabei ist es in beidem gleichermaßen schwer, Meisterschaft zu erlangen, wie Carsten Sebastian Henn das gelungen ist.

    Es gibt eine weitere Parallele zwischen Carsten Sebastian Henn und mir. Ich koche zuerst im Kopf. Was auf die Teller kommt, entspringt meiner Fantasie, und das, was ich mir vorstelle, schmecke ich beinahe auf der Zunge. Auch Carsten Sebastian Henn schreibt nicht einfach drauflos, seine Geschichten sind im Kopf herangereift wie guter Wein, ehe er sie aufs Papier fließen lässt.

    Seine Romane um den Sternekoch und Meisterdetektiv Julius Eichendorff kann man mit einem reichhaltigen Menü vergleichen. Viele Gerichte folgen aufeinander, die Spannung steigt, um in einem wohlinszenierten Finale zu enden. Die vorliegende Anthologie krimineller Kurzgeschichten ähnelt dagegen einem Büfett oder besser noch meinem Amuse-Bouche-Menü, besteht sie doch aus vielen kleinen Kunstwerken. Bei meinem Menü erhält der Gast neunzehn kleine Gerichte – serviert in fünf Gängen – und unternimmt so eine lukullische Weltreise. In diesem Band sind es dreiundzwanzig Geschichten in vier Kapiteln, und die Reise ist krimineller Natur. Manche »Gänge« sind süß und luftig, andere herb und mit langem Nachhall, manche spielerisch, zu einem Lächeln herausfordernd, andere schlicht und auf ihre Eigenwirkung konzentriert. Doch alles ist mit handwerklicher Präzision und künstlerischem Esprit geschaffen, alles ein Genuss auf seine Art.

    An »Henkerstropfen« gefallen mir nicht nur die Geschichten, sondern auch der lustvolle Aufbau des Buches: Die Geschichten sind entsprechend ihrer Eignung zum Weingenuss angeordnet. Manche passen besser zu prickelndem Wein, andere zu gerbstoffbetontem Rotem oder zu frischem Weißem, einige gar zu edelsüßen Preziosen. In einer Küche geht es stets darum, Aromen und Konsistenzen kongenial zu kombinieren, am Tisch kommt dann der ideale Wein dazu, all dies in perfektem Ambiente. Carsten Sebastian Henns Ansatz, den passenden Wein zu jeder Geschichte zu empfehlen, überträgt dies auf den literarischen Bereich.

    Genuss steht nie allein, Genuss ist stets ein Gesamterlebnis. Ich möchte Ihnen raten: Suchen Sie sich einen schönen Flecken aus, wenn Sie dieses Buch lesen. Machen Sie es sich behaglich. Wenn es Sie nicht ablenkt, legen Sie die passende Musik auf – vielleicht etwas Heiteres zu »Liebfrauenmilch«, Jazz zu »Blue Train« oder dramatische Klassik zu »Der alte Wingert«? Vor allem aber möchte ich Ihnen eines ans Herz legen: Sie sollten vor der Lektüre unbedingt ausreichend und gut gegessen haben – sonst schaffen Sie es bestimmt nicht bis zum letzten Satz dieser vor kulinarischen Köstlichkeiten strotzenden Geschichten!

    Viel Genuss wünscht Ihnen

    »Gourmet-Restaurant Dieter Müller« im Schloss Lerbach

    SÜSSWEIN

    Wenn ich wirklich etwas zu feiern habe, eine Geburt, ein neues Buch oder ein gutes Fußballspiel des 1. FC Köln, dann muss ein großer, edelsüßer Wein auf den Tisch. In diesen Momenten hole ich eine der kleinen Flaschen aus dem Keller, spüle die Weingläser noch mal durch, damit auch ja kein Schrankgeruch darin hängen bleibt, und gieße das Elixier ehrfürchtig ein. Wie viele überraschte Gesichter habe ich schon gesehen, wenn plötzlich klar wurde, dass ein großer Süßwein eben nicht klebrig ist wie Limonade, sondern genau die richtige Mischung aus Frucht und Frische bietet. Er ist in all seiner Komplexität und Dichte (manche gleiten träge wie Öl über die Zunge) in sich elegant und harmonisch. Die feine Süße kitzelt dabei den Gaumen – nicht umsonst muss ich häufig unwillkürlich lächeln beim Genuss eines solchen Weins.

    Die nun folgenden Geschichten sollen auch »kitzeln«, steht bei ihnen doch das Humoristische beim mörderischen Treiben im Vordergrund. Für Frucht und Frische ist hoffentlich ebenfalls ausreichend gesorgt – bei »Mord im Kühlschrank« würde ich gerade für Letzteres meine Hand ins Feuer legen …

    Die Blutente des Julius E.

    »Des is ja roh!« Franz-Xaver Pichler, genannt FX und seines Zeichens Maître d’Hôtel im Heppinger Sterne-Restaurant »Zur Alten Eiche«, ließ den Teller demonstrativ an der Ausgabe stehen. »Die Gäste an Tisch vier kommen aus Koblenz und net aus Transsilvanien!«

    Der Mann, dem diese schnippische Bemerkung galt, drückte FX den Teller grantig wieder in die Hand. »Das kocht man heute so, und das isst man gleich auch so.«

    Julius Eichendorff, dem kugelförmigen Besitzer und Koch des Restaurants, war am Morgen eine Laus über die Leber gelaufen – in Form seiner beiden Kater Herr Bimmel und Felix. Ersterer glich dank eines ausgewogenen Ernährungsplans, in dem alle wichtigen Fettgruppen enthalten waren, mehr einem Fußball mit Beinen als einer europäischen Kurzhaarkatze.

    »Ich servier des net. Du musst dich draußen ja net vor den Gästen verantworten! Mich schauen’s dann an, als würden wir blutrünstigen Wiener unsere Rindviecher noch mit den Zähnen reißen.«

    Normalerweise wäre dieses Wortgefecht so lange weitergegangen, bis der Tellerinhalt nur noch Zimmertemperatur gehabt hätte. Aber Julius Eichendorff drehte sich auf dem Absatz um und verließ sein Restaurant.

    Das machte er sonst nie.

    Aber heute war ihm danach.

    Sollte FX doch schauen, wie er ohne ihn klarkam! Sollte diese österreichische Verkörperung von kulinarischer Unfähigkeit doch der Küchenbrigade erklären, warum diese nun die Arbeit für ihren Chef mitmachen musste!

    Auf dem Heimweg zeterte Julius so lange vor sich hin, zählte alle Schwächen und Fehler seines Maître d’Hôtel auf, beleuchtete grimmig dessen schlimmste Verfehlungen und haderte mit Untergebenen allgemein, bis es ihm ein bisschen besser ging.

    Seine Laune steigerte sich noch mehr, als er den Mann mit dem hochgeschlagenen Kragen an der Straßenecke sah. Sein Gesicht lag im Dunkeln, nur eine aufglühende Zigarette erhellte die kantigen Züge. Julius drückte sich an die nächstbeste Hauswand. Wenn ihn sein Gespür nicht trog, führte dieser Mann etwas im Schilde.

    Drei aufglühende Zigaretten – eine gute Viertelstunde – wartete Julius.

    Dann huschte eine junge Frau über die Straße, der hochgeschlagene Kragen trat seine Zigarette aus, die Frau warf sich ihm in die Arme, und sie gingen, wohin auch immer es sie trieb.

    Julius Eichendorff aber ging frustriert nach Haus. Doch kein neuer Kriminalfall, der seine Kombinationsgabe herausforderte. Seine Laune erreichte einen neuen Tiefpunkt.

    Sie besserte sich kein bisschen, als er drei Stockentenfedern auf seiner Fußmatte fand. Exakt drei. Sie besserte sich auch nicht, während er für seine beiden geliebten Kater das vorgekochte Abendessen aufwärmte – und selbst Fremdtrinken half nicht. Der famose Frühburgunder vom Elfthof aus Franken balsamierte seinen Gaumen zwar aufs Samtigste ein, aber das Glückszentrum verfehlte er um Längen.

    Erst als er den Fernseher anstellte und die Tagesthemen sah, wurde es aufs Wunderbarste stimuliert.

    »… als Warnung hinterlässt der Mörder drei Stockentenfedern auf der Fußmatte seines nächsten Opfers. Der Mordanschlag findet stets innerhalb einer Woche danach statt, wobei der Mörder seine Opfer wie Geflügel erdrosselt.«

    Anna von Reuschenberg war nicht nur in der Mordkommission der Koblenzer Polizei tätig, sondern zu Julius’ augenblicklichem Unglück auch seine Lebensgefährtin.

    »Warum sollte jemand dich umbringen wollen?«, fragte sie und strich Julius beruhigend durch den Haarkranz. »Da hat sich irgendwer einen dummen Scherz erlaubt.«

    »Wie kannst du so was nur nicht ernst nehmen!«

    Mit einem Glas des Weins in der Hand, der Julius seit den Tagesthemen viel besser schmeckte, ließ sich Anna in den monströsen Ohrensessel fallen. »Ich würde ehrlich gesagt noch nicht mal ausschließen, dass du selbst irgendeinem armen Vieh die Federn rausgerupft hast, nur um mal wieder kriminalistisch tätig zu werden. Bevor du jetzt vor lauter Wut zerplatzt: Der Entenmörder hat bisher nur in Großstädten zugeschlagen, und seine Opfer waren ausschließlich Frauen. Wenn ich mich nicht völlig täusche, fällst du in keine der Risikogruppen. Und wenn es ein Nachahmer ist, dann würde er wissen, in welcher Gruppe er seine Opfer suchen müsste. Knuddelige Landköche würden sicher nicht dazugehören.«

    Anna meinte es sicherlich gut. Julius, von der Presse gegen seinen Willen immer wieder als kulinarischer Detektiv bezeichnet, hatte bereits vier Mordserien aufgeklärt. Jetzt litt er eindeutig unter der nicht weitverbreiteten Krankheit namens Mordentzug. Und die konnte gewiss gefährlich werden, wenn man sie nicht rechtzeitig mit knallharten Argumenten kurierte. Der Nervenkitzel hatte sich vor Jahren ungefragt in sein Leben gestohlen und Julius nun ebenso ungefragt in den kalten Entzug geschickt.

    Er konnte deshalb nicht anders.

    Obwohl Anna sofort aufsprang, ihm nachhechtete, ihre Arme auf maximale Länge ausfuhr, schaffte sie es nicht, ihn davon abzuhalten. Er hielt das Telefon fest, als hinge sein Überleben davon ab.

    Der SWR war mehr als begeistert über seinen Anruf.

    Nur einen Tag später war Julius auf allen Kanälen.

    Die Beweisstücke waren von der Spurensicherung abgeholt und untersucht worden. Aber Federn und Fingerabdrücke vertrugen sich schlechter als Volksmusik und Klatschen auf den zweiten Takt. Die angeordnete Polizeibewachung war imposant – doch sie hinderte Julius auch daran, irgendetwas auf eigene Faust zu unternehmen.

    Wodurch sich seine Laune gebessert hätte.

    Ihm blieb nur das Kochen, und er entschied sich – vollkommen unbewusst, wie er gegenüber allen behauptete – für eine klassische Blutente. Bei diesem Rezept wird das Tier erdrosselt, so bleibt das Blut im Körper. Julius verwendete die für das Gericht typische normannische Rasse Rouen. »Canard Rouennaise«, die gebratene Blutente, wird von Schlegeln und Brüsten befreit, die Karkasse in der Entenpresse ausgedrückt und der gewonnene Saft zur Sauce weiterverarbeitet.

    Es war ein martialisches Kochvergnügen, doch Julius’ ungewohnter Blutdurst wurde so endlich gestillt.

    Und die Blutente landete auf der Karte der »Alten Eiche«.

    Die Gäste kamen, der Mörder nicht.

    Nach zehn Tagen zog die Polizei ihre Kräfte wieder ab. Nichts war aufgeklärt worden. Und in Hamburg fand man die nächste Frau erdrosselt vor. Julius’ Ängsten war das schnurzegal. Deshalb griff er zum Telefon. Er rief Anna an – mit der er seit exakt zehn Tagen nicht mehr gesprochen hatte.

    »Du willst was?«, fragte sie überrascht.

    »Na ja, wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen.«

    »Ich hab doch richtig gehört: Du willst, dass ich bei dir für die nächsten Tage einziehe

    »Das Bett ist gemacht, und du wirst selbstverständlich vorzüglich beko–«

    »Lass mich ausreden! Ich soll bei dir einziehen, um dich nachts vor dem – von dir halluzinierten – Entenmörder zu beschützen? Dich, den kulinarischen Detektiv? Dafür bin ich dir gut genug?«

    »Ich hab dich einfach gerne um mich!«

    Das folgende Klacken in der Leitung erschien Julius sehr laut. Und die Nacht erschien ihm sehr lang. Doch die folgende sollte Julius noch länger erscheinen.

    Denn nach dem Frühstück fand er wieder etwas vor der Tür.

    Entenfedern.

    Diesmal zwei.

    Blutbeschmiert.

    Nur die Zeitung mit den großen Bildern interessierte sich dafür. Die Polizei nahm die Sache nicht mehr ernst. Dabei war der Entenmörder immer noch nicht gefasst und hatte mittlerweile in Frankfurt einer jungen Frau im wahrsten Sinne des Wortes den Hals umgedreht.

    Julius war allein mit seinen Gedanken über den Hinterleger der Entenfedern vor seiner Tür. Wenn es nicht der eigentliche Serienkiller war, dann zumindest ein mehr als cleverer Nachahmer. Der wartete, bis die Polizei abgezogen war, um wieder einen Hinweis zu deponieren. Der Julius in den Augen aller zum Mordkomplott-Hypochonder machte. Und so später freie Bahn hatte. Mit diesen Gedanken war Julius in der Nacht allein. Selbst die Katzen schlummerten lieber in sicherer Entfernung. Julius konnte nicht schlafen. Er knabberte deshalb von Stunde zu Stunde immer wieder an einer übrig gebliebenen Blutente in der Küche.

    Bis das Telefon klingelte.

    Es war vier Uhr früh.

    Die Stimme am anderen Ende der Leitung war die eines freundlichen älteren Herrn, die Worte waren sanft und weich. Er war einem direkt sympathisch.

    Obwohl er Menschen mordete.

    »Mein lieber Herr Eichendorff, bitte beenden Sie dieses Spiel mit den Federn. Sie und ich wissen, dass damit nur die Aufmerksamkeit auf Ihr Restaurant mit seiner Blutente gelenkt werden soll. Sie stehen nicht auf meiner Liste, seien Sie dessen versichert. Aber wenn Sie weitermachen, wird sich das rasch ändern. Nach ganz oben werden Sie dann gesetzt. Doch Sie sind ein kluger Mann, das entnehme ich den Artikeln über Sie. Deshalb können Sie nun auch beruhigt weiterschlafen. Machen Sie sich keine Sorgen.«

    Eine halbe Stunde später stand Julius vor dem Hochhaus, in dem sich Annas Wohnung befand, und klingelte.

    Sturm.

    Das Türschloss öffnete sich mit einem Summen, nachdem er seinen Namen genannt hatte.

    Anna stand drei Minuten später und vier Etagen höher im viel zu großen Schlafanzug vor ihm, die Ärmel hingen über ihre Hände, der Hosenbund hielt sich nur mühsam an der schlanken Hüfte. Trotzdem sah sie enorm gefährlich aus.

    »Willst du einen Kaffee?«, fragte sie. »Oder bist du nur mal so vorbeigekommen, weil du gerade in der Nähe warst?«

    Ihre Augen funkeln viel wacher, als es um diese Uhrzeit möglich sein dürfte, dachte Julius. Nach dem ersten Kaffee fragte er, ob sie noch einen zweiten hätte, und nach dem zweiten fragte er wegen eines starken Schlummertrunks, der die Wirkung der beiden Kaffees wieder aufhob. Nach dessen Genuss wurde er sehr schnell sehr müde. »Ich erklär dir alles morgen, ja?«

    Anna ließ es ihm durchgehen.

    Nachdem er am nächsten Morgen sein plötzliches Erscheinen erklärt hatte, befand er sich ganz schnell wieder auf der Straße. All dies hatte zumindest ein Gutes: Julius war definitiv vom Mordentzug geheilt. Er wollte jetzt wieder nur kochen.

    Die Blutente würde sofort von der Karte gestrichen.

    Es ist doch so ein schöner sonniger Tag, dachte Julius. Vielleicht der sonnigste des ganzen Sommers. Genau richtig, um im Garten die Beine hochzulegen und sich mit einem schönen Eiswein von den Strapazen zu erholen, sich ein hübsches Entschuldigungsgeschenk für die Liebste zu überlegen und für den Abend im Restaurant Kraft zu sammeln. Kein Tag, um darüber nachzudenken, wer ihm die Blutfedern vor die Haustür gelegt hatte.

    Und warum.

    Ob es nur ein saudummer Scherz oder die Tat eines Nachahmers war.

    Der einen Mord folgen lassen wollte.

    Er würde diese Gedanken mit Riesling aus seinem Hirn spülen. Egal, wie viel nötig wäre.

    All dies ging Julius Eichendorff im Kopf herum, als er den alten VW-Brezelkäfer in der Garage abstellte, seinen Körper aus dem Wagen schälte und sich dem heimatlichen Haus näherte.

    Vor dem eine Entenfeder lag.

    Nur eine.

    Julius schwor sich, niemandem etwas davon zu sagen. Er hob sie auf und versteckte sie, ohne zu zögern, in seiner Jackentasche. Das metallische Klicken der Kamera hörte er nicht, das aus dem gegenüberliegenden Fenster drang. Auch nicht, dass der Hobbyfotograf und Nachbar kurz danach den Telefonhörer abhob und die Bild-Zeitung anrief.

    Dieser Tag mit verdrängter Angst, einer kniebelastenden Entschuldigung, dem eine zweisame Nacht gefolgt war, mündete dadurch in einem panischen Schrei beim Zeitunglesen, einer langen Erklärung und einer abrupten Abreise Annas.

    Und der Abkommandierung eines österreichisches Maître d’Hôtel zum persönlichen Leibwächter.

    »Was mach ich eigentlich, wenn er kommt?«, fragte dieser nun. »Soll ich den Mörder vielleicht totservieren? So

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