Seniorenschlägerei: Heitere Geschichten für Alt und Jung
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Buchvorschau
Seniorenschlägerei - Antje Erdmann-Degenhardt
Antje Erdmann-Degenhardt
Seniorenschlägerei
Heitere Geschichten für Alt und Jung
©2016, Antje Erdmann-Degenhardt
ISBN: 9783961120383
Die Verfasserin, Juristin im Ruhestand und überwiegend Autorin von zahlreichen, landeskundlichen Büchern, hat jahrelang heitere Alltagsbegebenheiten beobachtet, welche sich in ihrem Umfeld privat und beruflich ereignet haben. Sie verschönern das tägliche Leben und lassen es durch eine positive Sichtweise mit fröhlichem Gleichmut ertragen und bewältigen.
Ob es um Situationen in der älteren Generation, in ehelichen und nicht ehelichen Beziehungen oder um junge Mütter mit Kleinkindern geht, ob es sich um die Darstellung von männlichen Personen aus der unterschiedlichsten Perspektive handelt, um lustige Ereignisse in Verbindung mit Essen und Trinken, um Reiseerlebnisse oder Anekdoten über einige Schriftsteller des Landes – immer hat Antje Erdmann-Degenhardt versucht, mit einem kleinen Augenplinkern und nicht allzu ernst, den Dingen eine lebensbejahende Einstellung abzugewinnen.
Wie in ihrem Nordsee-Krimi „Mord zwischen Flut und Ebbe" (Nordstrand, 2012, demnächst auch als E-Book), will die Autorin vor Allem das vielseitige und reizvolle Schleswig-Holstein und seine Bewohner, inner- und außerhalb des Landes, den Einheimischen, Zugereisten und Touristen nahe bringen.
Als gedrucktes Taschenbuch ISBN 978-3-944854-08-3 erschienen im M.-G.-Schmitz-Verlag/Nordstrand,kontakt@schmitz-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Fröhlich im Alter
Seniorenschlägerei
Das Gebiss im Wattenmeer
Aufgebratenes
Die Erb-Uhr
Die Selbstüberschätzung
Der Pfefferminzbonbon
Die Welt ist voller Tanten
Alle Jahre wieder
Winterkartoffeln
Aachener Printen
Großmütter
Schwerhörig
Höchst ungelegen
Ein christliches Haus
Der reiche Mann
Die gute Tat
Der alte Deichgraf
Ein unverhoffter Fall
Hommage an einen siebzigjährigen Buchhändler
Unwiderstehliche Männer
Die Jugendliebe
Kurschatten gefällig
Die Hosen des Herrn von B.
Der hanseatische Tischherr
Die Ein-Mann-Küche
Der Handkuss
Das Tauschgeschäft
Der Förster und die Märzbecher
Ausgelaufen
Feuchte Weihnachten
Männer sind auch Menschen
Nur ein Kind
Brustbonbons
Ohne Männer geht es nicht!
Niederlagen
Verliebt, verlobt, verheiratet
Leidvolle Erfahrung
Wir winden dir den Jungfernkranz
Hohe See
Die Traumhochzeit
Ein Zentrum der Hebammen
Der fürsorgliche Ehemann
Die verblühte Blondine
Die Kuckucksuhr
Ein gewisses Lächeln
Das Adventsgesteck
Heimatflug
Goethes Sesenheim
Das Mittagessen
Dumm gelaufen
Alibi gesucht
Höhere Bildung
Die Witwe in spé
Wahrheit aus Kindermund
Unser willensstarke Julia
Die Hausfassade
Der Talar des Pastors
Das Frokodil
Viele Weihnachtswünsche
Frische Luft
Die Balletteinlage
Junge Bauherren
Im Kindergarten
Holsteiner Kuchen
Stinklangweilig
Die Radtour
Nestflüchter
Hausfrauenschicksal
Die perfekte Dithmarscherin
Halbe Socken
Gardinenpredigt
Behütet
Und das vor Weihnachten
Taschentuch-Parade
Blauer Dunst
Kaffeeklatsch
Die Kunst zu kochen
Der Schornsteinfeger
Familiensilber
Süßer Kreislauf
Kuchenbacken gegen Frust
Die schönsten Jahre
Kleine Oberhemden-Revue
Weihnachtspost
Vordrängeln
Sonderangebote
Auch eine Frau
Pflaumenkuchen
Essen und Trinken landauf und landab
Frikadellen
Berliner Pfannkuchen
Holsteiner Delikatessen für Goethe
Ein kleines Versehen
Krabben, frische Krabben…
Geräucherte Sprotten – ganz frische Ware
Krabbenomelett
Eierlikörtorte
Teepunsch
Champagnerhähnchen
Kleine Stollenbäckerei
Eine einsame Krabbe
Die Trümmer-Torte
„Knobi" lässt grüßen
Der Pastor auf Hooge
Reiselust
Ein Engländer in Flensburg
Wenn einer eine Reise tut
Schlechte Wege
Im schaukelnden Wochenwagen
Sandumflutetes Neumünster
Fontane in Kiel
Wanderer, kehre um!
Fontane auf Föhr
Oh, sancta Justitia
Rattenjagd
Die Hauptverhandlung
Frühe Mandantschaft
Der Antrag des Staatsanwaltes
Das Plädoyer
Timm Kröger und der Brandstifter
Gerechtigkeit
Kunst und Kultur in Schleswig-Holstein
Nicht gerade ladylike
Flensburger Deutsch
Kieler Arbeitsmoral
Wo liegt Holkenäs?
Unter dem gestirnten Himmel
Kleine Schweinerei
Vernissage einer Künstlerin
Vorwort
Das Land Schleswig-Holstein, dieses kleine Land zwischen zwei Meeren, diese schmale Brücke zwischen Mittel- und Nordeuropa, dieser Appendix der Bunderepublik Deutschland, bietet nicht nur ein gerütteltes Maß an feuchten Niederschlägen und viel Wind (…und ist es nicht Wind, so ist es Sturm!) sowie eine gewisse Herbheit, sondern ebenfalls viel Charme und Leichtigkeit des Seins, auch, wenn der Fremde es anfangs nicht vermutet. Wer sich mit Land und Leuten beschäftigt, stellt fest, dass zwischen Deich, Marsch, Geest und dem östlichen Hügelland viele Originale lebten und leben, die teilweise sowohl in die Geschichte, wie auch in die Literatur eingegangen sind oder die man einfach in der Alltagskultur des Landes wiederfindet.
Die Stadt Mölln wird landesweit als „Eulenspiegelstadt bezeichnet. Die Schalk-Figur des Till Eugenspiegels soll hier mehrere Jahre gelebt haben und im Jahre 1350 an diesem Ort verstorben sein. Doch nicht nur in Mölln, sondern in unserem gesamten kleinen Bundesland finden und fanden sich Menschen, welche mit Witz, Geistesblitzen, Sozialkritik und der Darstellung von menschlichen Unzulänglichkeiten ihren Mitmenschen einen Spiegel vorhielten und so zum „Eulenspiegel
wurden. Oder sie waren selbst Opfer der „Eulenspiegeleien". Sich mit diesen aus volkskundlicher Sicht zu beschäftigen, ist seit Jahren mein Anliegen, wobei ich zumeist eine heitere Perspektive bevorzuge.
Vielleicht meint manche der Leserinnen und mancher der Leser, sich hierin wiederzufinden. Doch ich möchte nicht – schon aus juristischen Gründen – auf den üblichen Zusatz verzichten, dass Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen, soweit sie nicht namentlich genannt sind, ganz zufällig und nicht beabsichtigt sind. Vielleicht haben nur einige Menschen einfach einen Doppelgänger!
Glücksburg, im März 2014 Die Verfasserin
Fröhlich im Alter
Seniorenschlägerei
Der altertümliche Gerichtssaal des kleinen Amtsgerichtes ist an diesem Tage gut gefüllt. Zwei Schulklassen haben sich in die schmalen Bänke für die Öffentlichkeit gequetscht und lauschen amüsiert der Strafverhandlung.
„Also, wiederholt die junge Richterin die Ausführungen des ältlichen, schmächtigen Angeklagten, „Sie haben sich nach dem Krieg hier in unserem Städtchen wiedergefunden, Sie und Ihr Schulfreund und er hat Ihnen in den nächsten Jahren oft bei Ihrem Fischhandwerk geholfen? Aber dann gab es zwischen Ihnen beiden an einem Nachmittag eine Auseinandersetzung? – Hatten Sie Alkohol getrunken?
„Jawohl! erwiderte der angeklagte Fischer leise mit unverkennbar ostpreußischem Akzent. „Ich hatte uns beiden zuvor in meiner Fischerhütte einen Grog gemacht.
„Einen? „Es können auch zwei – oder vielleicht sogar drei gewesen sein.
„Und wie stark machen Sie den Grog? „Na ja, so, wie man ihn hier macht, nach dem Motto Rum muss, Zucker kann, Wasser braucht nicht! Doch ich hatte schon einen tüchtigen Schuss heiß Wasser zugetan. – Und dann ging er plötzlich mit Fäusten auf mich los!
„Wer, der Zeuge? Der Sie angezeigt hat wegen Körperverletzung? Das haben Sie bei der Polizei aber nicht gesagt! „Es war aber so! Nur, ich wollte meinen alten Freund nicht schlecht machen. Aber, wo das jetzt zur Anklage gekommen ist, nun will ich denn man auch die Wahrheit sagen. Ja, und denn hat er mich richtig verdroschen. Grün und blau bin ich am nächsten Tag gewesen. – Und meine Prothese ist auch dabei kaputt gegangen.
Unerwartet langt der Angeklagte mit seiner einen Hand in den Mund. Offensichtlich will er das gute Stück herausnehmen, um den Schaden zu demonstrieren.
„Danke! sagt die Richterin. „Behalten Sie Ihr Gebiss drinnen! Ich glaube Ihnen das! – Herr Staatsanwalt, haben Sie noch Fragen an den Angeklagten? Herr Rechtsanwalt Doktor Müller, als Vertreter des Nebenklägers, den wir ja vorerst als Zeugen hören wollen – haben Sie zurzeit Fragen an den Angeklagten? Und Sie, Herr Verteidiger, Fragen an Ihren Mandanten?
Nachdem der Zeuge und Nebenkläger hereingerufen worden und auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen worden ist, wendet sich die Richterin an ihn:
„Herr Zeuge, der Angeklagte hat uns soeben erzählt, dass Sie mit der Schlägerei angefangen haben und ihn grün und blau geschlagen haben. Außerdem soll dabei seine Zahnprothese beschädigt worden sein. Stimmt das?"
Der Zeuge, ein sportlicher, alter Mann, der den Angeklagten keines Blickes würdigt, schüttelt bei den Fragen der Richterin immer wieder kräftig mit dem Kopf. „Nein, so war es überhaupt nicht! Ich sitze nichtsahnend bei einem Glas Grog, da schleicht er sich in seiner Fischerhütte von hinten an mich heran und ruft: ´Du hast mich überall im Dorf schlecht gemacht. Das wirst du mir jetzt heimzahlen!` Und dann hat er immerzu mit seinen Fäusten auf mich eingeschlagen. Irgendwann musste ich mich doch dann verteidigen! Es war reine Notwehr! Sonst hätte er mich totgeschlagen!"
„Ist es richtig, Herr Zeuge, setzt die Richterin ihre Befragung fort, „wenigsten habe ich das den Akten entnommen, dass Sie vor dem Zweiten Weltkrieg Landesmeister im Fünfkampf waren. Stimmt das?
„Jawoll! „Stimmt es denn auch, dass Sie immer noch sehr sportlich sind?
„Jawoll! „Kann es denn sein, dass Sie dem Angeklagten körperlich überlegen sind? Wenn ich mir den Angeklagten so anschaue, sieht er nicht unbedingt kräftig aus.
„Jawoll! Ik dörf doch mal?"
„Ja, was dürfen Sie, Herr Zeuge?"
Doch statt einer Antwort, entledigt sich der Zeuge demonstrativ seines Jacketts, zieht zwei hölzerne Bürostühle zu sich heran und vollzieht auf beiden Lehnen einen „Schweizer Handstand, beide Beine gerade und hoch in die Luft hebend und die Hände auf den zwei Stuhllehnen abstützend. Sein wohlbeleibter Prozessbevollmächtigter, mit dickem Bauch, dickem Goldring und einer flotten Haartolle auf dem weißhaarigen Kopf, wird sichtlich blass um die Nase. Ob aus Neid, wegen dieser demonstrativ zur Schau gestellten Sportlichkeit oder weil er den Verfahrensausgang bereits ahnt, vermag die Richterin nicht zu beurteilen. Auch sie ist von dieser körperlichen Hochleistung des Zeugen beeindruckt. Und ehe Doktor Müller seinen Mandanten daran hindern kann, fragt dieser, nachdem er mit Schwung wieder auf die Beine gekommen ist: „Ik dörf doch noch wat?
„Ja, was denn noch, Herr Zeuge? Daraufhin stellt sich dieser in Positur, erhebt beide angewinkelten Arme in Boxstellung, ballt die Fäuste und bewegt sie kräftig in Richtung eines imaginären Gegners. Dazu ruft er immer wieder aus: „Un denn hev ik emm, un denn hev ik emm immer nochmal! Bis he to Boden güng!
Sichtlich zufrieden wendet er sein Gesicht der Richterin zu, so als ob er deren Beifall erwarten würde. Kaum kann sie sich ein Lächeln verkneifen ob dieser kraftvollen, körperlichen Darstellung, als sowohl zuerst der Staatsanwalt und später der Verteidiger des Angeklagten einen Freispruch beantragen. Das Plädoyer des Nebenklägervertreters auf Verurteilung wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung fällt zuvor nur schwach aus.
Den beiden Anträgen auf Freispruch ist die Richterin dann nachgekommen – im Namen des Volkes!
Das Gebiss im Wattenmeer
„Nichts ist so verbindend in einer Alt-Ehe, erklärte mir als Studentin einmal ein älterer, sehr charmanter Arbeitgeber, bei dem ich in den Semesterferien auf einer Messe jobbte, „als wenn man gemeinsam abends die Gebisse in ein Glas Wasser legt.
Ich konnte das damals, gerade zwanzigjährig, noch nicht unbedingt nachvollziehen. Mittlerweile hat sich in der Zahnheilkunde eine Menge getan und ich hoffe, dass ich in ferner Zukunft um diesen Akt der ehelichen Verbundenheit herumkomme!
Vor einigen Jahren traf ich auf einer der Nordseeinseln eine ältere Dame, die ich noch aus meiner Schulzeit kannte, da wir damals jahrelang im Urlaub zeitgleich an der Nordsee waren. Sie und ihr Mann machten hier immer noch Ferien, nun mit den Enkelkindern. Ihren Ehemann, einen gut bestallten Rechtsanwalt, konnte ich nicht sogleich begrüßen, da er noch in den Wellen schwamm. Als er dem kühlen Nass entstiegen war, lief seine Frau rasch auf ihn zu, wandte mir den Rücken zu und flüsterte etwas, begleitet von nicht auszumachenden Handbewegungen, was ich wohl unbedingt nicht mitbekommen sollte. Dann kehrte sie, verlegen lächelnd, zu mir zurück.
„Wissen Sie, erzählte sie nun, „eigentlich soll das ja niemand erfahren, aber mein Mann nimmt vor dem Schwimmen jetzt immer seine Prothese aus dem Mund. Im vorigen Sommer, am Ende der Ferien, wurde sie ihm nämlich hier beim Baden heraus gespült. Das war ja nun zu ärgerlich, denn er sollte an den nächsten Tagen wichtige Gerichtstermine wahrnehmen. Das wäre ja nun gar nicht gegangen und der Zahnarzt hätte einige Zeit gebraucht, bis das neue Gebiss fertig gewesen wäre. Stellen Sie sich doch die Honorareinbuße vor! Doch wir hatten Glück! Bei der nächsten Ebbe fanden wir die Prothese am Abend zwischen Tang und Muscheln im Watt.
Aufgebratenes
Die Vorweihnachtszeit ist besonders geeignet, um zu Senioren zu fahren und diesen eine Visite abzustatten.
Ein Pastor auf dem Lande zwischen Itzehoe und Hohenwestedt fuhr an einem frühen Adventsabend zu einem einsamen Gehöft, um dort die Altbäuerin zu besuchen, die es kräftemäßig nicht mehr schaffte, mit ihrem Fahrrad am Sonntag zu ihm zum Gottesdienst zu kommen. Und ihr Sohn oder die Schwiegertochter hatten, bedingt durch die viele Arbeit auf dem Hof, nur selten Zeit, sie mit dem PKW dorthin zu fahren. Die Sonne ging gerade blutrot unter und die Kälte kroch spürbar aus der gefrorenen Erde. Der Seesorger parkte sein Kraftfahrzeug neben der Scheune und näherte sich dem altertümlichen Wohnhaus. Aus dem geöffneten Küchenfenster quoll der appetitliche Duft nach „Aufgebratenem heraus. „Aufgebratenes
, das ist in dieser Region alles, was vom Mittag übrig geblieben ist: in Scheiben geschnittene Buchweizenklöße, Pellkartoffeln, Zwiebeln, Speck und im Winter auch Grünkohl. Alles wird zusammen in einer eisernen Pfanne recht scharf angebraten.
In dem Theologen stiegen all seine leckeren Kindheitserinnerungen hoch, denn auch er stammte aus dieser Gegend von einem kleinen Bauernhof. „Aufgebratenes"! Wie lange hatte er das nicht mehr gegessen! Wohl Jahrzehnte nicht, da seine Ehefrau aus Schwaben stammte und ihre kulinarischen Spezialitäten Knöpfle und Spätzle waren.
Nun kam der Bauer aus dem Schweinestall, zog vor der Eingangstür seine lehmigen Gummistiefel aus und sagte: „Na, Pastor, das ist ja schön, dass du mal wieder kommst, um meine Mutter zu besuchen! Willst du mit uns Abendbrot essen?" Der Theologe nahm die Einladung freudig an und
folgte dem Hausherrn in die Küche. Hier saßen auf den zwei Bänken mittlerweile schon alle zusammen: die Bäuerin, ihre drei Kinder und die alte Großmutter. Mitten auf dem gescheuerten Esstisch stand auf einem Untersatz die
dampfende Pfanne. Jeder bediente sich tüchtig daraus. Oh, wie schmeckte es dem Pastor! Und er langte ebenfalls kräftig zu.
Plötzlich verspürte er ein kleines, hartes Stück Speckschwarte zwischen zwei Backenzähnen, das er mit der Zunge nicht herausbekam. Hilfesuchend schaute er sich um. Gab es hier irgendwo Papierservietten? Natürlich nicht! Ehe er in seiner Hosentasche nach seinem Taschentuch greifen konnte, mümmelte die zahnlose Großmutter mit vollem Mund:
„Na, Pastor, hast d u jetzt das Stück Schwarte bekommen? Leg` es man wieder zurück in die Pfanne. Das habe ich vorhin auch so gemacht!"
Die Erb-Uhr
Auf einem sehr alten, verschnörkelten, silbernen, kleinen Messer mit stählerner, rostiger Klinge und auf einer passenden silbernen Gabel mit verrosteten Zinken, die sich in unserem Eigentum befinden, stehen jeweils die Initialen „A.D." Dieses einzelne Besteck stammt offensichtlich noch aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ich werde die Stahlteile, so unansehnlich sie auch sind, nicht durch zeitgemäße Stücke aus Cromargan ersetzen, auch wenn ich sie nun nicht mehr mit zum Essen aufdecken kann, weil Klinge und Zinken einfach zu unschön aussehen und diese beiden Vorlegeteile
nur noch von musealem Wert sind. Vielleicht hat man sie früher zum Abschneiden von Käsescheiben benutzt. Ich weiß es nicht. Denn zum Essen sind sie zu klein.
Die eingravierten Initialen müssen die der angeheirateten Urgroßtante Albertine Dehn sein. Sie stammte von einem stattlichen Marschhof an der Westküste. Meine Cousine Nicole ist ihre Urgroßenkelin. Nicole ist mit einem jungen, dynamischen Juristen an einem nahen Obergericht verheiratet. Und auch er, mit dem passenden Vornamen Justus, ist von bäuerlichem Geblüt.
Der eine Großonkel von Justus heißt Julius. Er ist ein eingefleischter Junggeselle, der auf einem ererbten Hof sitzt. Der Besitz ist nicht groß, doch ernährt er seinen Eigentümer und dessen Haushälterin. Zum Mobiliar gehört aus dem Familiennachlass eine eichene, kleine Truhe und eine dazu passende Wanduhr aus dem 18. Jahrhundert. Hierbei handelt es sich nicht um irgendeine Wanduhr, sondern um eine, welche die Sonnen- und Mondfinsternisse anzeigt und zahlreiche Melodien aus vergangener Zeit spielen kann. Justus kommt jedes Mal ins Schwärmen, wenn er von dieser Uhr spricht. Und er weiß es genau: Eines Tages wird er sie erben. Vielleicht wird der Onkel, der auch noch sein Patenonkel ist, sie ihm sogar noch zu Lebzeiten schenken. Versprochen hat dieser es zwar nicht. Doch an wen soll die Uhr schließlich gehen, wenn nicht an Justus?
„Justus, habe ich schon mehrmals warnend gerufen, „Justus, kaufe deinem Großonkel die Uhr ab, jetzt, in den nächsten Tagen. Wer weiß, was noch geschieht! Alte Leute sind unberechenbar!
Doch Justus hat jedes Mal abgewinkt Spätestens bei Erbonkels Tod wird er Eigentümer dieser seltenen Uhr