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Du deutsch? Raus!: Roman über die Vertreibung der Deutschen zwischen Oder und Neiße
Du deutsch? Raus!: Roman über die Vertreibung der Deutschen zwischen Oder und Neiße
Du deutsch? Raus!: Roman über die Vertreibung der Deutschen zwischen Oder und Neiße
eBook218 Seiten3 Stunden

Du deutsch? Raus!: Roman über die Vertreibung der Deutschen zwischen Oder und Neiße

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Über dieses E-Book

Friede wird. nur herrschen, wenn alle Völker sich zu ihrer Schuld bekennen. Diese Erkenntnis stellt der Autor Hans Schellbach seinem Buch "Du deutsch? Raus!", einem "Roman über die Vertreibung der Deutschen zwischen Oder und Neiße", voran. Er erzählt vom Schicksal der Oberschlesierin Anja Schigulla zu der Zeit, als polnische Polizei und Verwaltungsmacht sich in Schlesien etablierten. Die Brutalität, die auf die Zivilbevölkerung ganz Schlesiens in den Schicksalsmonaten des Jahres 1945 hereinbrach, ist nicht überzogen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Feb. 2016
ISBN9783899604467
Du deutsch? Raus!: Roman über die Vertreibung der Deutschen zwischen Oder und Neiße

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    Buchvorschau

    Du deutsch? Raus! - Hans Schellbach

    Hans Schellbach

    Du Deutsch?

    Raus!

    Roman über die Vertreibung der Deutschen zwischen Oder und Neiße

    Laumann-Verlag

    Die Handlung ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

    © 2016 by Laumann Druck & Verlag GmbH & Co. KG, 48249 Dülmen

    Gesamtherstellung:

    Laumann Druck & Verlag GmbH & Co. KG,

    Postfach 1461, 48235 Dülmen

    ISBN 978-3-89960-446-7

    info@laumann-verlag.de

    www.laumann-verlag.de

    »Wir, die Deutschen, haben die von den Nationalsoziali­sten im Namen des deutschen Volkes verübten Verbrechen an anderen Völkem nicht vergessen.

    Die europäischen Nationen haben den Wunsch, ein gemeinsames Haus zu bauen. Friede wird in diesem Haus nur herrschen, wenn alle Völker sich zu ihrer Schuld bekennen.«

    Hans Schellbach

    HERR, VERGIB UNS UNSERE SCHULD …

    Panie odpuść nam nasze winy …

    Über dem schlesischen Land lastete der Tod. Tausende waren hier während der Kriegskämpfe gefallen, und nun geisterten die Seelen von Freund und Feind in den ver­wunschenen Wäldern, wo die schrägen Sonnenstrahlen durch die reglosen Blätter schienen.

    Die ganze Landschaft lag in einem unirdischen Schweigen da.

    Jedes leere, von Granaten zerstörte Haus und jeder in den Himmel ragende Schornstein, der einsam über den geschwärzten Trümmern Wache hielt, erinnerte an die Schrecken des Krieges.

    Aufbruch

    Anja Schigulla erhielt von der russischen Kommandan­tur die Genehmigung, ihren verstorbenen Sohn, den erst zwei Jahre alten Klaus, am l. Juni 1945 auf dem Friedhof der Gemeinde Liebersdorf, die in der Nähe von Walden­burg gelegen war, zu bestatten. Aber nur die nächsten Angehörigen durften der Zeremonie beiwohnen. Frau Müller, die die evakuierte Familie Schigulla aufgenom ­men, mit der Anja in den letzten Wochen Freud und Leid geteilt hatte, mußte schweren Herzens der Bestattung des ihr liebgewordenen Kindes fernbleiben.

    Anja Schigulla und die ihr noch verbliebenen drei Kinder betraten gegen zehn Uhr den Friedhof. Der elf Jahre alte Georg und seine Schwester Steffi, die gerade das achte Lebensjahr vollendet hatte, zogen einen Handwagen, auf dem ein kleiner, aus alten Brettern gefertigter Sarg lag. Anja Schigulla ging mit Ruth, ihrer jüngsten, erst fünf Jahre alten Tochter, die sie an der Hand führte, hinter dem Karren her.

    Mit ausdruckslosen Augen starrte Anja auf das frisch ausgehobene Grab, in das Georg den kleinen Sarg hin­einlegte. Das Schluchzen ihrer Töchter krampfte ihr das Herz zusammen. Sie warf eine Handvoll Erde auf den Sarg, wischte mit der rechten Hand über die tränenfeuch­ten Augen und sagte: »Gehen wir!«

    Georg ergriff den Holm des Handwagens. Langsam folgte er der Mutter und seinen Schwestern. Als sie den Friedhof verlassen hatten, sagte er: »Mutti, ich fahre noch zu den Russen, vielleicht finde ich was …«

    »Geh nur, komme aber nicht zu spät wieder!«

    Schweigend legten Anja und ihre Töchter den Weg zu­rück.

    »Laßt mich jetzt in Ruhe, ich möchte mal allein sein!« sagte sie zu den Mädchen, als sie am Haus angekommen waren, und ging die Stufen zur Wohnung hinauf.

    Sie trat in das niedrige, nur mit dem nötigsten Mobi­liar ausgestattete Zimmer ein, in dem sie wohnten, aber auch schliefen. Die Starre, die den Ausdruck ihres Ge­sichts geprägt hatte, löste sich. Nachdem sie tief und hör­bar ausgeatmet hatte, schien sie kleiner geworden zu sein.

    Mit viel Mühe ging sie zum Tisch hinüber, setzte sich, legte die Ellenbogen auf die Tischplatte, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und begann zu schluchzen. Sie sprach leise vor sich hin, erst stockend, nach Worten suchend. »Und ich … ich … ich konnte … ich konnte dir nicht helfen … mein kleiner Junge … Immer hast du Hunger gehabt … aber … aber ich hatte nichts, was ich dir zu essen geben konnte … Wenn ich doch nur etwas Milch bekommen hätte …« Das Gespräch mit ihrem verstorbenen Sohn, in dem sie sich rechtfertigte, schien sie alles vergessen zu machen. »Du hättest nicht sterben müssen, mein kleiner Klaus, nein, du könntest noch le­ben, wenn wir nur etwas zu essen gehabt hätten … Aber der liebe Gott wird dich besonders lieb haben, dich, mei­nen kleinen, lieben Jungen, weil es dir so schlecht ergan­gen ist auf dieser Welt … Weißt du, Klaus, wir, die armen kleinen Leute müssen immer ausbaden, was die Großen verbrechen. Und wo sind sie jetzt, die Lumpen, die das al­les angezettelt haben? Wo sind die hin, die am lautesten Sieg-Heil geschrien haben? … Jetzt wissen wir, wie so ein Endsieg aussieht, ja, jetzt wissen wir es, alle! Die klei­nen, unschuldigen Kinder müssen ihn bezahlen, mit ihrem Leben bezahlen, müssen darben und hungern … Was ist das für eine Welt?« Anjas Körper bebte, als sie murmelte: »Mit der Evakuierung hat das Unglück ange­fangen … Warum bin ich nicht zu Haus geblieben? Warum habe ich mich nicht gewehrt, als sie uns abge­schoben haben? … Alles wäre anders gekommen. Jetzt leben wir wie die Vögel von dem, was wir zu essen fin­den …« Sie beugte ihren Kopf, legte ihn auf die Tisch­platte, schloß die Augen und ließ das Jahr 1945 bis in die Gegenwart Revue passieren … Wie gut sie sich an alles erinnerte, als ob es sich gestern erst ereignet hätte …

    Die letzten Monate des Krieges hatte sie mit aller Härte zu spüren bekommen.

    Im Januar waren sie aus Hindenburg evakuiert wor­den. Für die kurze Entfernung hatte der Zug einige Tage benötigt, und niemand hatte sich für die vielen Frauen und Kinder verantwortlich gefühlt. Sie hatten gefroren, gehungert und gedürstet.

    Nach dem Tode Adolf Hitlers hatte sie täglich mit dem Ende des Krieges gerechnet. Doch bis in den Mai hinein war das unsinnige Morden noch weitergegangen. Auch in die kleine Ortschaft, deren Häuser sehr schnell zu zählen waren, war die Kunde von der bedin­gungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht gedrungen. Von diesem Tag an hatten sich die deutschen Soldaten von der durch Schlesien verlaufenden Front abgesetzt und versucht, durch das Sudetenland und Böh­men zu den Amerikanern zu gelangen, um der gefürch­teten russischen Kriegsgefangenschaft zu entgehen.

    Noch in der Nacht zum 9. Mai waren unzählige deut­sche Soldaten durch das Dorf gezogen, die Waffen und sonstiges Gerät hatten sie in die Straßengräben gewor­fen, um schneller voranzukommen.

    Nach der großen Freude, der Erleichterung über das Ende des Krieges hatte sich die Angst eingestellt, die Angst vor dem, was nun kommen würde. Mit jeder Stunde war die Unruhe gewachsen, die Spannung uner­träglicher geworden. Die Frage: Was werden die Russen mit uns machen? war unbeantwortet geblieben.

    Es war am Mittwoch, dem 9. Mai, gewesen. Gegen sechs Uhr waren die ersten russischen Truppen durch Liebersdorf gezogen. Russisches Militär hatte dann den ganzen Tag über den Ort in Richtung Hirschberg pas­siert. Der Infanterie war ein großer Troß gefolgt. Panje­wagen an Panjewagen waren meist im Trab durch das Dorf gerollt – im gleichen Tempo vierspännige Artille­rie. Sehr schnell war jedem klar geworden, was die russi­schen Soldaten am meisten begehrten – was man vor ihnen verstecken mußte. Ihr besonderes Interesse hatte den Uhren und Schmuckwaren gegolten, aber auch Fahrräder waren sehr beliebt.

    Als Anja den Kopf hob und zur Tür blickte, stöhnte sie auf. Ein Geschehen kam ihr in Erinnerung, das sie augenblicklich in Angst versetzte.

    Ein russischer Soldat hatte auch den Weg in jenen Teil des Hauses gefunden, in dem sie untergebracht waren. Er hatte die Tür aufgestoßen, die Maschinenpi­stole auf sie gerichtet und verlangt: »Du, gäbän Urä – sonst erschießen!« Die Kinder hatten vor Angst geschrien und sich unter den Betten und dem Tisch verkrochen. Was war ihr übriggeblieben, als dem Soldaten entgegenzutreten, ihn zu besänftigen. Sie hatte den Wecker, die einzige Uhr, die sie besaßen, vom Tisch genommen und mit zitternder Stimme gesagt: »Ich gebe dir eine schöne große Uhr!«

    Freudestrahlend war der junge Russe abgezogen, und noch auf dem Hofe hatte er gerufen: »Schene Urä, großä Urä!« In den verschiedensten Variationen hatten sich die Rotarmisten dargestellt. Naiv, wie jener, der seiner Freude über den Wecker so lebhaften Ausdruck verlie­hen hatte, aber auch gewalttätig und brutal. Wie die Teu­fel hatten sie sich aufgeführt, wenn sie Schnaps getrun­ken hatten. Die armen, armen Frauen, die den Betrunke­nen in die Hände gefallen waren …

    Auch Frau Müller war vergewaltigt worden. Danach hatten Anja und sie sich in den Taubenschlag verkrochen und dort die Nächte verbracht.

    Mit der Zeit war es dann ruhiger geworden, nahmen die Vergewaltigungen ab. Belästigungen durch russische Soldaten konnte man den Offizieren melden, die mitun­ter äußerst hart durchgriffen.

    Schlimm waren jene Deutsche dran gewesen, denen es nicht gelungen war, vor den plündernden Soldaten einige Lebensmittel zu verbergen. Ihnen war nichts anderes übriggeblieben, als fortan zu hungern.

    Die wenigen Vorräte, die Frau Müller versteckt hatte, waren aber auch bald aufgebraucht gewesen, und da ihre zwei Kühe und das Schwein, ja sogar die Hühner von den Rotarmisten geschlachtet worden waren, hatten sie sich in der letzten Zeit hauptsächlich von Kartoffeln ernähren müssen. Wasserkartoffelsuppe hatte sie am Leben erhal­ten.

    Nachts, wenn die Kinder vor Hunger gewimmert hat­ten, hatte sie zu Gott gebetet und um etwas zu essen gefleht. Nicht für sich, nein, aber für die Kinder, deren Bäuche immer größer geworden waren, die Gesichter aber immer bleicher.

    Bald war Klaus krank geworden. Kaum hatte er die Wassersuppe eingenommen, hatte der Magen sie auch schon wieder hochgewürgt Von Tag zu Tag war es schlimmer geworden, und sie hatte hilflos zusehen müs­sen, wie der Junge immer schwächer und schwächer geworden war. Er hatte unentwegt geweint, als er noch kräftig war, dann nur noch gewimmert. »Ich hab’ Hun­ger, Mutti, gib mir doch ein Stückchen Brot! Nur ein ganz kleines Stückchen«, hatte er gefleht, und ihr Herz hatte sich zusammengekrampft.

    Sie murmelte: »Was hätt’ ich ihm denn geben können, ich habe doch nichts gehabt. Nur einen Knochen, den Bruno von den Russen mitgebracht hat, nur den konnte ich ihm geben, damit er wenigstens was zum Lutschen hatte … «

    Sie vergrub ihr Gesicht in ihre Hände, stieß leise, unartikulierte Schreie aus. Dann aber brach es aus ihr hervor: »Lieber Gott, was haben wir denn verbrochen, daß wir so leiden müssen?!« Der halbaufgerichtete Kör­per, die weit aufgerissenen, zum Himmel gerichteten Augen drückten unsägliche Verzweiflung aus. Doch dem kurzen Aufbäumen folgte der völlige Zusammen­bruch.

    Vielleicht zehn Minuten mochte sie so, in völliger Reglosigkeit, verharrt haben, dann schien sie zu erwa­chen, wie aus einem tiefen Schlaf. Sie blickte sich im Zimmer um, als hätte sie es noch nie gesehen. Doch plötzlich setzte die Erinnerung ein, wurde ihr das Elend, in dem sie mit ihren Kindem lebte, wieder bewußt, und sie kehrte langsam in die rauhe Wirklichkeit zurück. Mit der rechten Hand glättete sie ihr Haar, wischte sich dann die Tränen aus dem Gesicht, und ihre Lippen öffneten sich kaum, als sie leise sprach: »Hier bleiben wir keinen Tag länger!«

    Sie ging ziellos im Zimmer auf und ab, blieb einige Sekunden hinter den kleinen Fenstern stehen. Ihr Blick fiel auf den großen Misthaufen, der seit dem Kriegsende weder größer noch kleiner geworden war; einmal des­wegen, weil die Russen die Tiere geschlachtet hatten, zum anderen, weil der Haufen nicht abgetragen worden war. Anja dachte: »Wie haben wir es hier nur so lange aushalten können …« Sie sah die untergehende Sonne über dem Dach des Nachbarhauses stehen und dachte:

    »Gleich wird es dunkel sein.« Doch im gleichen Atem­ zug fiel ihr ein, daß die Kinder und sie an diesem Tag noch nichts gegessen hatten, daß es an der Zeit war, die Kartoffeln in den Topf zu legen und zu kochen.

    Der kleine Sack, in dem sie die Erdäpfel versteckt hatte, stand unter dem Bett. Sie beugte sich, zog ihn her­ vor. Acht legte sie in den Kochtopf und schob dann mit dem rechten Fuß den Sack wieder unter das Bett.

    Auf dem Tisch stand eine brennende Kerze, die bereits zur Hälfte abgebrannt war. Sie verbreitete ein schumm­riges Licht in dem Zimmer. Anja und ihre beiden Töchter schwiegen, doch sie vermittelten den Eindruck von War­tenden, die auf irgend etwas, auf irgend jemanden warte­ten.

    Anja hielt es auf ihrem Platz nicht mehr aus. Während sie sich erhob, sprach sie: »Wo der Junge nur bleibt? … Er weiß doch: Wenn es dunkel wird, dürfen wir nicht mehr auf die Straße! … Hoffentlich ist ihm nichts pas­siert.«

    »Reg dich nicht auf, Mutti, er wird schon kommen! Georg kennt soviel Schleichwege!« beruhigte Steffi die Mutter.

    Er wird schon kommen! Er wird schon kommen!­ Und wenn er mal nicht mehr kommt, wenn sie ihn auf der Straße erwischen – da erschießen sie ihn!«

    Auf der Holztreppe, die zu den Zimmern führte, in denen die Schigullas untergebracht waren, waren Schritte schwach zu hören, kamen näher – Georg öffnete die Tür. »Wo bleibst du bloß, Junge – « Doch weitere Worte verließen Anjas Lippen nicht, denn Georg fiel ihr ins Wort, rief: »Mutti, Mutti, heute habe ich aber Glück gehabt! – Schaut euch das an!«

    Er stellte einen Karton mittlerer Größe auf den Tisch, den er mit seinem linken Arm an seinen mageren Körper gepreßt hatte, und sagte zu seinen Schwestern: »Ihr werdet aber staunen, ihr werdet Augen machen!« Dann schüttete er den Inhalt des Kartons auf dem Tisch aus.

    Weder Anja noch die Mädchen sagten etwas. Ihre weitgeöffneten Augen weideten sich an dem Anblick der Lebensmittel, die sie nur noch vom Hörensagen kannten. Als Anja das Brot erblickte, die Fleischkonserven und die Tüte Mehl, dachte sie an Klaus, den sie vor einigen Stunden erst zu Grabe getragen hatten, und begann zu weinen. Sie weinte, schluchzte und murmelte in einem fort vor sich hin: »Hätten wir das früher gehabt, wäre Klaus nicht verhungert … er wäre nicht verhungert. Mein Gott, warum hast du uns das nicht früher ins Haus geschickt …«

    »Weine nicht, Mutti, sonst verdirbst du mir noch die ganze Freude«, sagte Georg.

    Immer noch schluchzend erwiderte Anja: »Mit dir hab’ ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen. – Wo hast du denn bloß gesteckt? Denkst du nicht daran, daß die dich erschießen können, wenn sie dich abends auf der Straße sehen?«

    »Ach, hör doch bitte auf, Mutti, mir ist doch nichts passiert. Außerdem konnte mir auch nichts geschehen, denn ich war mit einem Russen zusammen. Von dem hab’ ich auch alles bekommen!«

    »Von einem Russen? …«

    »Ja, von einem Russen, Mutti!«

    »Und warum, warum hat er die Sachen gegeben?«

    »Weil ich für ihn gearbeitet habe, deshalb Mutti!«

    »Der liebe Gott möge ihn beschützen, der liebe Gott und die heilige Maria mögen diesen Menschen beschüt­zen, Kinder«, sagte Anja und faltete die Hände.

    »Wir wollen für diesen guten Menschen beten. – Vater unser, der du …«

    Auch die Kinder hatten die Hände gefaltet und spra­chen mit Innigkeit das Vater unser.

    »Amen!« sprach Anja.

    »Heute können wir uns wenigstens mal richtig satt essen«, sagte Georg, doch Anja erwiderte: »Wir werden soviel wie möglich aufheben, weil wir es für die Reise brauchen.«

    »Für welche Reise, Mutti?« fragte Georg.

    »Für den Weg nach Haus! – Hier bleiben wir keinen Tag länger, als wir müssen!« sagte Anja bestimmt.

    »Aber Mutti, jetzt, wo ich vielleicht noch mehr zu essen bringen kann –«

    Sie fiel ihrem Sohn ins Wort, sagte: »Dann wirst du eben noch einige Tage hingehen, und wir werden uns einen Vorrat für den Weg schaffen, damit wir unterwegs nicht hungern müssen. – Aber dann werden wir Liebers­dorf verlassen; denn hier bleiben wir nur noch so lange, wie wir unbedingt müssen!«

    Georg maulte: »Ich verstehe dich nicht, Mutti!«

    »Brauchst du auch nicht, mein Junge, brauchst du auch nicht.«

    »Gerade jetzt, Mutti, gerade jetzt, wo ich mit den Rus­sen gut kann, da …«

    »Du bist ruhig! Wir bleiben hier nicht! … Meinst du, ich halte das aus, jeden Tag an Klaus denken zu müssen, daran, daß er hier verhungert ist?! – Kein Wort mehr!« Mit glänzenden Augen saßen die Mädchen um den Tisch und betrachteten mit gierigen Blicken die Lebens­mittel. »Und

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