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... und zerstreute sie in alle Winde: 7. Teil (1943-1945)
... und zerstreute sie in alle Winde: 7. Teil (1943-1945)
... und zerstreute sie in alle Winde: 7. Teil (1943-1945)
eBook329 Seiten4 Stunden

... und zerstreute sie in alle Winde: 7. Teil (1943-1945)

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Über dieses E-Book

'. und zerstreute sie in alle Winde' ist ein spannend geschriebenes Antikriegsbuch, doch es würdigt den deutschen Frontsoldaten, der sein Vaterland bis zum bitteren Ende 1945 verteidigt hat. – Karl Grzibowski hat das Schauspielstudium beendet und hofft, auf den 'Brettern, die die Welt bedeuten', Karriere zu machen, da erreicht 1943 den gerade achtzehn Jahre alt Gewordenen der Gestellungsbefehl. Während der Ausbildungszeit wird er von den Ausbildern auf jede nur erdenkliche Weise schikaniert. Er erlebt die Härte der soldatischen Ausbildung. Aus Verzweiflung meldeter sich freiwillig an die Front. Vielleicht geht es dort menschlicher zu, hofft er. In vorderster Linie, in der konsequenten Vernichtung von Mensch und Material, erfährt er die Bedeutung des Wortes 'Krieg'. Der junge Soldat, der in der Hitlerjugend indoktriniert und diszipliniert worden war, vergleicht Worte und Taten der nationalsozialistischen Machthaber und stellt fest, daß vermitteltes Wissen und die eigene Erfahrung nicht übereinstimmen. Als der genesende Soldat in seinem Geburtsort Beuthen 0/S in Stellung liegt und seine Mutter mit vier Geschwistern vor den einrückenden Russen die Heimat verlassen muß, sagt er den nationalsozialistischen Machthabern den Gehorsam auf. – Karl Grzibowski denkt und handelt, wie viele seines Alters gedacht und gehandelt haben …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. März 2016
ISBN9783899604498
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    Buchvorschau

    ... und zerstreute sie in alle Winde - Hans Schellbach

    Hans Schellbach

    … und zerstreute sie in alle Winde

    Roman

    »Pieron, wo bist du…?«

    7. Teil

    Laumann-Verlag

    Die Handlung ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

    2. Auflage

    © 2016 by Laumann Druck & Verlag GmbH & Co. KG, 48249 Dülmen

    Gesamtherstellung:

    Laumann Druck & Verlag GmbH & Co. KG,

    Postfach 1461, 48235 Dülmen

    ISBN 978-3-89960-449-8

    info@laumann-verlag.de

    www.laumann-verlag.de

    Junge, Junge, ich sehe dich auch noch Soldat werden!

    Karl Grzibowski, siebzehn Jahre alt, Absolvent der Schauspielschule zu Breslau, dem vor wenigen Tagen noch eine große Zukunft, »Auf den Brettern die die Welt bedeuten«, vorhergesagt worden war, näherte sich, an einem Tag im August des Jahres 1943, mit müdem Schritt der Kaserne Guben-Mückenberg II, wo die Sanitäts-Ersatz- und Ausbildungsabteilung der Division Großdeutschland, zu der er einberufen worden war, um für Führer, Volk und Vaterland zu kämpfen, ihren Standort hatte.

    »Junge, Junge, ich seh dich auch noch Soldat werden …« hatte der Viehhändler Willi Friedel, der Bruder des Bauern, bei dem Karl 1939 als Landjahrjunge im Broteeinsatz gewesen war, zu ihm gesagt, und er, der »Deutsche Junge«, hatte die Worte des Mannes, der für den Führer und das nationalsozialistische Deutschland nichts übriggehabt hatte, mit Empörung aufgenommen – sich sogar mit dem Gedanken getragen, den »Feind des deutschen Volkes« dem Lagerführer zu melden …

    »Der Dicke hat doch recht gehabt«, murmelte Karl, »Fast alles, was er damals gesagt hat, ist eingetroffen, ist Wirklichkeit, erschreckende Wirklichkeit geworden … « Er erinnerte sich der Auseinandersetzungen zwischen den so ungleichen Brüdern …

    »Dein Führer will den Krieg!« hatte der Viehhändler immer wieder gesagt.

    »Der Führer will keinen Krieg – er war nämlich Frontsoldat!« hatte der mit dem goldenen Parteiabzeichen dekorierte alte Kämpfer, Alphons Friedel, stereotyp erwidert. Den Argumenten des kritischen Bruders – zum damaligen Zeitpunkt muteten diese wie Hirngespinste an – hatte der »Deutsche Bauer« nur den einen Satz entgegenzusetzen, und dieser Umstand hatte Willi, den Viehhändler, nicht nur einmal in Rage gebracht. Bei so manchem Streit zwischen den politisch so verschieden engagierten Brüdern war Karl ungewollter Zuhörer gewesen – und nachdenklich geworden. Bis zum heutigen Tag hatte er nicht vergessen, was der Dicke gesagt hatte, als die deutschen Truppen nach Polen einmarschiert waren und im Radio Siegesmeldung um Siegesmeldung verkündet worden war: »Seid ihr denn meschugge«, hatte er den Bruder und die Schwägerin angefahren, »ihr glaubt doch nicht etwa, daß wir den Krieg gewinnen können … ? – Herrgott noch mal, schlagt doch mal den Atlas auf! Seht euch doch mal an, wie groß Deutschland sich auf der Weltkarte ausnimmt!! – Vielleicht geht euch dann ein Licht auf?!«

    Und nach einer längeren Pause – er war erregt im Zimmer auf und ab gegangen – hatte er hinzugefügt: »Und darauf wette ich meinen Kopf: der Amerikaner wird sich auch noch einmischen – und dann machen die uns fertig wie noch nie!!«

    Karl dachte: »Ob der dem Führer so ergebene Bauer Alphons Friedel noch so denkt wie damals … ? Inzwischen hat sich ja vieles geändert … Stalingrad war die erste bittere Pille, die wir, die sieggewohnten Deutschen, zu schlucken hatten. Und schon bald darauf, im Mai, mußten die Streitkräfte der Achse Berlin-Rom in Nordafrika kapitulieren – vorläufig wenigstens war der Traum, wieder eine Kolonialmacht zu werden, ausgeträumt … Der Verlust Stalingrads, die vielen Gefallenen und die fast 100000 Mann, die in Gefangenschaft geraten waren, all dies ernüchterte, war schmerzlich. Und auch die Kapitulation des Afrikakorps tat weh – aber da waren noch die Luftangriffe der alliierten Bomber, die in verstärktem Ausmaß, seit dem Frühjahr 1943, der deutschen Zivilbevölkerung maßloses Leid zufügten.«

    Karl meinte, seinen Lehrherrn, den Baumeister, sprechen zu hören … »Fliegende Eisenbahnzüge werden Feuer über Deutschland abwerfen! Ganze Städte werden vernichtet, Millionen Menschen den Tod finden … Hier steht es geschrieben, mein Junge, in diesem astrologischen Kalender!« hatte der komische Kauz gesagt, und als er, Karl, ihn mit Augen angesehen hatte, in denen der Spott zu lesen war, da hatte Jonas hinzugefügt: »Lach nur, mein Junge – hoffentlich wird es uns nicht vergehen … « – »Er hat recht behalten … « murmelte Karl. Er erinnerte sich der Gefühle, die ihn davon abgehalten hatten, dem Baumeister einen Besuch abzustatten, als er sich, anläßlich des Todes seiner Großmutter in Beuthen befunden und an dem Haus, in dem der komische Kauz wohnte, aber auch sein Geschäft betrieb, vorbeigegangen war. Er hatte gedacht: »Mit absoluter Sicherheit ist anzunehmen, daß Jonas wieder von der Astrologie und den Vorhersagen sprechen würde und es wäre mir, dem ungläubigen Thomas – so hatte der Baumeister ihn genannt –, nicht recht gewesen, ihm meinen Irrtum eingestehen zu müssen. – Aber sowohl die Aussagen des Viehhändlers als auch die Vorhersagen des astrologischen Kalenders hatten dem Wahrheitsbeweis standgehalten – daran führte kein Weg vorbei … Hoffentlich vergeht uns das Lachen nicht …«

    Sein Einmarsch in die Kaserne stand unter einem ungünstigen Stern. Zwei Faktoren zeichneten für die höchst ungünstige Konstellation verantwortlich: der Aufschub von drei Tagen, den das Kreiswehrkommando Karl gewährt hatte, um die Abschlußprüfung vor dem Prüfungsausschuß der Reichstheaterkammer vornehmen zu können und sein höchst individuelles Einrücken zum Ehrendienst mit der Waffe, das von der sonstigen Übung abwich; denn zu den Normalitäten zählte der Gruppeneinmarsch der Rekrutierten in die Garnison. Die zu Karls Einheit einberufenen Wehrpflichtigen hatten schon vor drei Tagen den geöffneten Schlagbaum am Kasernentor passiert, waren in der Marschkolonne einmarschiert – und die Individuen waren fürs erste anonym geblieben; was für sie von unschätzbarem Vorteil war.

    Zu guter Letzt nahm schon das Erscheinungsbild des Karl Grzibowski, insbesondere das lange, bis auf die Schultern herabfallende Haar, jeden Dienstgrad der deutschen Wehrmacht gegen den Fremdkörper im Kasernenbereich ein … Schon zum zweitenmal klopfte Karl Grzibowski zaghaft an die Tür des Kompaniegeschäftszimmers. Der Aufforderung: »Eintreten!« kam er augenblicklich nach, schloß die Tür, begab sich zur Barriere, die das etwa 40 Quadratmeter große Zimmer teilte, sagte: »Guten Tag!« und wartete auf eine Anrede. Doch der korpulente, vielleicht 40 Jahre alte Mann, der ohne Uniformjacke am Schreibtisch saß, nahm von seiner Anwesenheit keine Notiz. Karl ließ einige Sekunden verstreichen und sagte dann: »Ich melde mich zur Truppe!« Nun reagierte der am Schreibtisch Sitzende. Er blickte Karl flüchtig an und fragte leise, mit drohendem Unterton: »Wer meldet sich zur Truppe … ?«

    »Ich heiße Karl Grzibowski und melde mich zur Truppe!« Karl hatte den Satz kaum ausgesprochen, da fuhr der korpulente Mensch ihn an: »Was heißt hier: mein Name ist Grzibowski! – Merken Sie sich; hier heißt es: Soldat Sowieso meldet sich zur Truppe! – Verstanden!?«

    »Ja, ich habe verstanden!«

    »Jawoll, heißt das, Mann!!«

    Karl sagte nun: »Soldat Grzibowski meldet sich zur Truppe!«

    »Herr Soldat, das heißt: Herr Hauptfeldwebel!!«

    »Kann der brüllen!« dachte Karl, antwortete jedoch sogleich: »Jawoll, Herr Hauptfeldwebel!«

    Dann erhob der Hauptfeldwebel sich von seinem Platz, ging langsamen Schrittes auf die Barriere zu, hinter der Karl, wie er meinte, in strammer Haltung stand, blickte ihn von Kopf bis Fuß an, und der lauemde Unterton, der in der Frage: »Wo kommen Sie her?« mitschwang, warnte Karl, hieß ihn auf der Hut sein. »Aus Breslau, Herr Hauptfeldwebel!« antwortete er. Was nun erfolgte hielt Karl nicht für möglich. Der Dicke begann unvermittelt zu brüllen: »Nein, da kommen Sie eben nicht her! – Das können Sie mir doch nicht weismachen!« Dann ging er ganz nah an Karl heran und flüsterte ihm in die linke Ohrmuschel hinein: »Wissen Sie, wo Sie herkommen … ?« Und als Karls Blick, den die Ratlosigkeit prägte, ihn traf, schrie er: »Sie kommen aus dem Urwald! – Aus dem Urwald kommen Sie her! – Mit solch langen Haaren laufen nur die Zulukaffer herum – und Sie!!« Die Röte, die das Gesicht des Hauptfeldwebels überzogen hatte, schien Karl bedenklich. Er dachte: »Hoffentlich trifft ihn der Schlag!« Doch er vermochte sich nicht weiter mit seinen Wünschen zu beschäftigen, denn der Schreihals legte wieder los. Karl kam aus dem Staunen nicht heraus, er dachte: »Daß ein Mensch so falsch und so laut zu brüllen vermag, daß die Stimme dies aushält ist ein Wunder!« Er hatte immerhin zwei Jahre Sprechtechnik während seiner Ausbildung als Schauspieler studiert und verstand etwas von diesen Dingen. »Hauen Sie ab, Mann! Ich will Sie nicht mehr sehen! – Kommen Sie erst wieder, wenn Sie beim Friseur waren!« Noch als Karl ratlos im Flur der Kaserne umherlief und vor sich hin sprach: »Wo finde ich bloß einen Friseur … ?« vermeinte er den Hauptfeldwebel brüllen zu hören. Ein Unteroffizier bereitete seinem Irrlauf ein Ende. »Wo wollen Sie denn hin, Sie komischer Heini?« fragte er. »Vielleicht können Sie mir sagen, wo ich einen Friseur finde?« erwiderte Karl und bemühte sich um eine korrekte soldatische Haltung. »Wo kommen Sie her?«

    »Vom Geschäftszimmer! – Ich darf mich erst wieder sehen lassen, wenn ich beim Friseur gewesen bin!«

    »Mann, Mann, da sind Sie aber beschissen dran … Gleich am ersten Tag auffallen, das kann auch nicht jeder! – Kommen Sie mit!« Karl folgte dem Unteroffizier in angemessenem Abstand. Nachdem sie etwa 30 Schritte gegangen waren, klopfte der Unteroffizier an eine Tür und ging, ohne die Aufforderung einzutreten abgewartet zu haben, in das Zimmer hinein. »Kommen Sie!« rief er Karl zu, der unschlüssig vor der Tür stehengeblieben war.

    »Otto, Kundschaft!« sagte der Unteroffizier zu einem Gefreiten. »Aha!« bemerkte der.

    »Der Spieß will ihn erst wieder sehen, wenn du seine Tolle abgeschnitten hast«

    »Alles klar!« erwiderte Otto, und mit den Worten: »Dann mal los«, forderte er Karl auf, sich auf einen Schemel zu setzen.

    »Das ist mal ’ne Tolle«, sagte der Gefreite und machte sich an die Arbeit. Während er tätig war, redete er unentwegt. »Mann, du hast dem Spieß den ganzen Tag verdorben – das vergißt er dir nie! Der hat ja Bauchschmerzen bekommen, als er dich gesehen hat! … Für ihn sind Menschen mit langen Haaren Affen! – Das Haar des deutschen Soldaten wird streichholzlang getragen! sagt er jeden Tag! – So, jetzt bin ich fertig!«

    Karl mahnte sich zur Vorsicht und sprach den Friseur mit seinem Dienstgrad an. »Herr Gefreiter, haben Sie mal einen Spiegel?« fragte er. »Guck in die Fensterscheibe!« lautete die Antwort.

    »Ja … »murmelte Karl und begab sich zum Fenster. Das Gesicht, das sich im Fensterglas widerspiegelte, war ihm fremd, und ihm war zum Heu1en zumute, als er seinen fast kahlen Schädel sah.

    »Jetzt sehen Sie wieder wie ein Mensch aus, wird der Spieß sagen, wenn du dich bei ihm meldest!«

    Der Gefreite lachte und betrachtete Karls Haarschnitt wohlgefällig.

    »Ja … « sagte der deprimierte Karl und begab sich zur Tür.

    »Wo willst du denn hin … ?« rief der Gefreite.

    »Zum Spieß!«

    »Und was ist damit?« Der Friseur wies auf den Fußboden. Karl blickte verständnislos.

    »Du denkst doch nicht etwa, daß ich den Dreck hier wegräume?!«

    fuhr der Gefreite Karl an. Es dauerte einige Sekunden, ehe der Rekrut

    Grzibowski: »Ach soo … « sagte und fragte: »Wo finde ich einen

    Besen?«

    »In dem Schrank ist alles drin!«

    Der Friseur wies auf einen Spind. Karl spürte Wut aufsteigen, doch nach den bisher gemachten Erfahrungen hielt er es für ratsam, sich nichts anmerken zu lassen. Als der Gefreite sagte: »Bei mir brauchst du nichts zu bezahlen, aber den Dreck, den mußt du schon selber wegräumen!« dachte Karl: »Du kannst mich mal … «

    Auf dem Weg zum Geschäftszimmer tastete Karls rechte Hand immer wieder den frischgeschorenen Kopf ab, und als er die Nacktheit des Schädels fühlte, empfand er höchstes körperliches Unbehagen. Karl schlug die Absätze seiner leichten Sommerschuhe aneinander; doch der Knall, die von ihm erhoffte Wirkung, blieb aus. Der Mißerfolg bewirkte ein verstärktes, krampfhaftes Bemühen um eine korrekte soldatische Haltung. Er streckte die Brust so weit wie möglich heraus, legte die Hände an den Hosennähten an, und blickte den Spieß, der sich zwischenzeitlich den Uniformrock angezogen hatte, ohne mit der Wimper zu zucken an, als er meldete: »Befehl ausgeführt! Haar schneiden lassen!!«

    »Herr Arsch … !« brüllte die Mutter der Kompanie, und Karl wußte wirklich nicht warum. »Was will er denn jetzt von mir?« dachte er, doch er wich dem Blick des Vorgesetzten nicht aus. Der Spieß ging auf den zur Salzsäule erstarrten Karl zu, sah sich genüßlich die Arbeit des Kompaniefriseurs an, murmelte: »Hat Otto gut gemacht … « und brüllte plötzlich wieder los: »Befehl ausgeführt, Haar schneiden lassen, Herr Arsch!! – Das wollten Sie doch sagen, Sie komischer Heini, Sie!!«

    Wie aus der Pistole geschossen antwortete Karl laut und deutlich: »Das wollte ich nicht sagen, Herr Hauptfeldwebel!!« Karls rasche und bestimmte Entgegnung schien das Mißfallen des Hauptfeldwebels hervorgerufen zu haben, denn noch lauter als vordem brüllte er: »Widersprechen Sie mir nicht, Sie komischer Soldat!!« In völlig anderer Tonart sagte er nun: »Natürlich haben Sie das gedacht! – Oder können Sie mir sagen, warum Sie meinen Dienstgrad vergessen haben?!«

    »Ich weiß es nicht, Herr Hauptfeldwebel!«

    »Sie wissen das nicht? – Aber ich weiß es!! – Soll ich Ihnen sagen, was Sie gedacht haben?!«

    »Ich habe –«

    »Sie haben die Klappe zu halten, Sie Weihnachtsmann! – Haben Sie verstanden?!«

    »Jawoll, Herr Hauptfeldwebel!«

    »Sie haben gedacht: Der Arsch, der kann mich mal! – Genau das haben Sie gedacht! – Aber merken Sie sich: der Spieß weiß alles – und er kann auch Gedanken lesen! – Haben Sie verstanden?!«

    »Jawoll, Herr Hauptfeldwebel!!« In freundlichem Tonfall sagte der Spieß nun: »Jetzt tun Sie sich leid, Grzibinski, nicht wahr?!«

    »Grzibowski, Herr Hauptfeldwebel!«

    »Das ist mir völlig wurscht, ob Grzibinski oder Grzibowski! – Merken Sie sich das, Sie traurige Figur!!«

    Just in diesem Moment trat ein Unteroffizier in das Geschäftszimmer ein. Mit größter Selbstverständlichkeit passierte er die Schranke, und während er sich an den Schreibtisch setzte, der dem des Hauptfeldwebels gegenüberstand, sagte er: »Hauptfeld, der Alte läßt Ihnen sagen, es ist in Ordnung so.«

    »Hab ich mir gedacht«, murmelte der Spieß, doch laut und akzentuiert sagte er: »Neumann, das ist der Mann, dem die Extrawurst gebraten wurde, der drei Tage Aufschub erhalten hat. – Sehen Sie sich diesen Trauerkloß mal genau an: das will ein Schauspieler sein … «

    Dann wandte er sich wieder Karl zu, der es nicht gewagt hatte sich zu rühren, und murmelte: »Mann, Mann, so sieht also ein leibhaftiger Schauspieler aus …«

    Unvermittelt brüllte er wieder los: »Herr, Sie sind hier nicht auf der Bühne! – Merken Sie sich das! – Und das schreiben Sie sich hinter Ihre Ohren: hier wird anders Theater gespielt, das werden Sie bald merken!!« Der Spieß wandte sich von Karl ab, begab sich an seinen Schreibtisch und bemerkte nebenbei: »Neumann, geben Sie ihm einen Laufzettel … und Sie«, er blickte Karl an, »ziehen auf Stube 214 ein und melden sich bei Ihrem Zugführer, Feldwebel Niemeyer, verstanden?!«

    »Jawoll, Herr Hauptfeldwebel!« Als Karl den Laufzettel in der Hand hatte, brüllte der Spieß: »Raus!!«

    Karl hatte die auf dem Laufzettel aufgeführten Stationen, mit mehr oder weniger unangenehmen Begleiterscheinungen, durchlaufen. Wie ein Lastesel bepackt stand Karl vor der Tür der Stube 214, in die der Spieß ihn eingewiesen hatte. Als er den Raum betrat und die vielen übereinanderstehenden Bettstellen sah, dachte er: »Hier hausen mindestens 30 Mann und hier ist überhaupt kein Bett mehr frei … « Doch dann blickte er sich aufmerksam um und fand in der dunkelsten Ecke des Raums, wo selbst bei schönstem Sonnenschein kein Lichtstrahl einzudringen vermochte, einen überzogenen Strohsack. »Gott sei Dank, es ist das untere Bett!« sprach

    er leise vor sich hin, doch er wußte auch, daß es ein billiger Trost war, den er sich zugesprochen hatte; in dieser Ecke hätte er sich unter normalen Umständen nie und nimmer niedergelassen. Während er mit einem

    Seufzer der Erleichterung die Klamotten – so hieß er in Gedanken die

    Uniform und die Ausrüstung des Soldaten, den Karabiner 98 eingeschlossen – auf dem Strohsack ablegte, drang die Stimme des Hauptfeldwebels bis in den im zweiten Stockwerkgelegenen Raum ein. »Kompanie –

    Achtung! Melde Herrn Oberarzt: Kompanie beim Exerzierdienst!« Die Stimme des Oberarztes vermochte Karl nicht zu vernehmen, was er in

    Gedanken so kommentierte: »Der wird wohl wie ein Mensch gesprochen haben …«

    Karl war froh, niemanden in der Stube angetroffen zu haben; denn er benötigte dringend einige Minuten, um zu sich selbst zu finden. Er hatte die erste, höchst unangenehme Begegnung mit dem Spieß zu verkraften und den Verlust seines Kopfschmucks zu verschmerzen. Mechanisch führte er die notwendigen Handgriffe aus. Zu dem Zeitpunkt, da er den Strohsack mit dem Laken bezogen hatte, war das Aufschlagen vieler, rasch sich nähernder nägelbeschlagener Schuhe in dem mit Fliesen ausgelegten Flur zu vernehmen, aber auch stetig anschwellendes Stimmengewirr drang in seine Ohren ein. Zwei, drei Sekunden noch befand Karl sich allein in der Stube 214, dann wurde die Tür aufgestoßen. Die beiden Rekruten, die als erste in das Quartier eintraten, denen das Gros der Stubengenossen auf dem Fuße folgte, schienen einen bereits auf dem Flur geführten Dialog fortzusetzen, denn der eine sagte: »Herbert, das sag ich dir noch mal, Feldwebel Niemeyer ist ein Sadist! – Wie der dich herumgejagt hat, das ist schon unmenschlich!«

    »Der hat einen Pik auf mich – dem kann ich auch gar nichts rechtmachen!« entgegnete Herbert.

    Karl stand unschlüssig neben seinem Bett und stellte Überlegungen über das eben Gehörte, aber auch über sein weiteres Verhalten an. Er dachte: »Soll ich vorerst in der Ecke bleiben und abwarten oder gehe ich nach vorn und sage: Ich bin Karl Grzibowski, soeben angekommen … ?« Aber er wurde der Mühe, sich entscheiden zu müssen, enthoben.»Was machst du denn hier … ?«Der große, schwarzhaarige Soldat, der die Frage an ihn stellte, hatte die Dienstbrille, die ihn entstellte, noch nicht abgelegt. Nach einer kurzen Überlegungspause antwortete Karl: »Dasselbe wie du und die anderen. Aber ich bin eben erst eingetroffen, ich habe drei Tage Aufschub erhalten!«

    »Ja, Mensch, dann bist du der Schauspieler, auf den die Ausbilder schon warten! – Hört mal her! Der Schauspieler ist da!« rief der Soldat und schob Karl aus der Ecke.

    »Karl Grzibowski, ich heiße Karl Grzibowski!« Karl war mit seinem Auftritt unzufrieden.

    »Warum bin ich so gehemmt«, dachte er – doch seine Überlegungen fanden ein jähes Ende. »Mensch – Karlik!!«

    »Das ist doch nicht möglich«, dachte Karl Grzibowski, als er den

    Rekruten erblickte, der »Karlik" gerufen hatte, doch im gleichen Atemzug rief er: »Albert – Albert Scholz aus Karf!« Dann stellte er die blödsinnige Frage: »Wie kommst du denn hierher?« Scholz drängte sich

    durch die herumstehenden Stubengenossen. Als er vor Karl stand,

    reichte er ihm spontan die Hand und sagte: »Das darf doch nicht wahr sein … «

    »Ich kann es auch noch nicht fassen … « erwiderte Karl.

    »Ihr scheint euch ja gut zu kennen!« sagte der Soldat, der Karl nach vom geschoben hatte. »Das kannst du laut sagen – « erwiderte Karl und wollte hinzufügen: Wir waren schon im Jungvolk zusammen und in der HJ war er Gefolgschaftsführer … Doch die Worte blieben unausgesprochen, denn Scholz war ihm ins Wort gefallen. Was er sagte, ließ Karl aufs höchste erstaunen. »Ich werde doch meinen Cousin kennen!!«

    »Das ist ja toll«, sagte irgend einer, und der hochaufgeschossene Soldat sprach in salbungsvollem Tonfall: »Gottes Wege sind wunderbar …«

    »Der spricht ja wie ein Priester«, dachte Karl und: »Hat Albert eben gesagt, wir sind Cousins?«

    »Ich sage noch einmal: Gottes Wege sind wunderbar!« war der Soldat wieder zu vernehmen. »He, Pastor, kommst du schon wieder mit der Bibel!«

    »Auch du, Soldat Korditschke, kannst Gott nicht leugnen!« entgegnete der salbungsvoll redende Soldat.

    »Ich hab doch gleich gemeint: der spricht wie ein Priester«, dachte Karl. »Korditschke, laß Lux, unseren Pastor, doch in Ruhe, ja!«

    »Laß Lux, unseren Pastor, doch in Ruhe, ja! – Aber ja doch, Soldat Kleischmantut, ich laß ihn schon in Ruhe!« äffte der Soldat Korditschke die feminine Sprechweise des Kleischmantut nach – und erntete schallendes Gelächter.

    »Komm, Karlik, wir gehen mal raus!« sagte Albert, schob den Jugendfreund auch schon zur Tür hinaus und gab seiner Verwunderung unentwegt Ausdruck. »Mensch, Karlik, ich kann es immer noch nicht fassen«, sagte er in einem fort.

    »Mir geht’s genauso. Ich bin auch –«

    »Und ich erst!« Albert war Karl ins Wort gefallen. »Du, das ist Schicksal!« sagte Karl.

    »Meinst du … ?«

    »Na, was denn sonst?!«

    »Da kannst du recht haben, Karlik!«

    »Sag mal, wie lange haben wir uns eigentlich nicht gesehen?« Albert dachte ein, zwei Sekunden nach und sagte: »Ich meine, zweieinhalb Jahre müssen es sein!«

    »So lange … «,

    »Wie die Zeit vergeht, nicht …«

    »Mensch, Mensch … « murmelte Karl. Dann wandte er sich Albert zu und fragte: »Willst du noch immer Arzt werden?« Karls Frage schien dem Jugendfreund willkommen zu sein; denn er beantwortete sie spontan: »Na klar – deswegen bin ich ja auch hier, bei einer Sanitätsabteilung! – Ich wollte zu einer Sanitätseinheit! !«

    »Ach so … « Karl nickte zustimmend.

    »Ich habe doch in Beuthen im Krankenhaus gearbeitet, stundenweise, vor dem Abitur, um praktische Erfahrungen zu sammeln.«

    »Hm …« machte Karl.

    »Du, ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg.«

    »Das glaub ich auch«, erwiderte Karl.

    »Ich habe viel gelernt im Krankenhaus.«

    »Das finde ich Klasse, Albert.«

    »Die Ausbildung hier wird für mich ein Kinderspiel sein – in der Klinik habe ich sogar schon Tabletten verabreicht und viele andere Dinge selbständig machen dürfen.«

    »Da bin ich aber platt«, sagte Karl, und der Blick, mit dem er den Jugendgespielen maß, drückte höchste Bewunderung aus. »Hast du vielleicht gedacht, nur bei dir ging es weiter?«

    »Nein, nein … »murmelte Karl, doch dann fragte er mit klarer Stimme: »Sag mal, wie ist denn das hier?« Und als Albert nicht sogleich antwortete, drückte er sich klarer, unmißverständlicher aus: »Ist die Ausbildung sehr hart?«

    »Ach so«, entgegnete Albert, »Das meinst du … Also, die schleifen uns von morgens bis abends … !«

    Während die Freunde sich unterhielten, gingen sie im Flur auf und ab. Nun blieb Albert stehen, faßte Karl am rechten Arm und fragte: »Sag mal, das ist dir doch recht?«

    »Was?«

    »Daß ich in der Stube gesagt habe: wir sind Cousins!!«

    Karl antwortete nicht gleich, sagte dann aber mit Nachdruck: »Auf jeden Fall ist das ein Mordsspaß.«

    »Weißt du, Karlik, man weiß nie, wozu etwas gut sein kann – und beim Barras schon gar nicht!«

    »Du hast bestimmt recht!«

    »Hör mal«, sagte Albert und blieb wieder vor Karl stehen, »hör mal, ich muß dir noch was Wichtiges sagen.« Albert Scholz, Jugendfreund und auch »Cousin« des Grzibowski, der auch in Karf, der nahe der Großstadt Beuthen, im »Ruhrgebiet des Ostens«, gelegenen Ortschaft, das Licht der Welt erblickt hatte, sprach nun in sachlichem Ton: »Karlik, die Ausbilder sind alle neugierig auf dich, auf den Schauspieler! – Ich glaube, sie sind scharf auf dich: weil du eine Extrawurst gebraten bekommen hast!«

    »Was … ich … ?«

    »Ja, du … Du durftest doch drei Tage später einrücken!«

    »Na und?«

    »Das ist eben die Extrawurst!« Karl erinnerte sich der ersten Begegnung mit dem Hauptfeldwebel. Was hatte der zu dem Unteroffizier in der Schreibstube gesagt?

    »Neumann, das ist der Mann, dem die Extrawurst gebraten wurde, der drei Tage Aufschub erhalten hat!«

    »Hast du mich verstanden?« fragte Albert, als der nachdenklich gewordene Karl schwieg.

    »Und ob … «

    »Sei vorsichtig und fall nicht auf, Karlik! – Die Schleifer machen dich fertig!!« Zwei, drei Sekunden schwiegen die Freunde, dann sagte Karl: »Ich bin schon aufgefallen!!«

    »Das ist doch nicht möglich, du bist doch noch gar nicht richtig da!!« »Es ist aber so …« Nach einer kleinen Pause, in der Albert den Jugendfreund eingehend gemustert hatte, fragte er: »Wie konnte denn das passieren?«

    »Ich weiß es nicht, Albert … Der Spieß hat mich aus der Schreibstube rausgeschmissen!«

    »Und warum?« »Mein Haarschnitt hat ihm nicht gefallen! ’Sie kommen mir erst wieder mit einem vernünftigen Kopf unter die Augen! Sie sehen aus, wie ein Wilder aus dem Urwald – wie ein Zulukaffer!!’ hat er gebrüllt!« »Mensch … du bringst auch alles fertig.«

    »Das hat ein Unteroffizier auch gesagt: ’Mann, da sind Sie beschissen dran … gleich am ersten Tag auffallen, das kann auch nicht jeder …’ hat er gemeint!«

    »Künstlerpech, Karlik … «

    »Bestimmt … « Albert blickte Karl mit weitgeöffneten Augen an, in denen Besorgnis zu lesen war. Ob er bereits bedauerte, sich als Karls Cousin ausgegeben zu haben? Das Mißfallen, das der Jugendfreund in so kurzer Zeit in der Kompanie zu erregen vermocht hatte, ließ Albert für die Zukunft nichts Gutes ahnen: ja, er fürchtete, daß auch über ihn, den »Verwandten« des »schwarzen Schafes«,

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