Ex Cathedra: Episoden und Anekdoten aus allerlei mittelostdeutschen Jahren
Von Jürgen Hermann
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Über dieses E-Book
Er wächst im thüringischen Geschwenda auf. Dieser fünf Quadtratkilometer kleine Ort wird nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von der Sowjetischen Militäradministration übersehen. Kurzentschlossen gründen die Dorfältesten auf eigene Faust eine Freie Republik samt Selbstverwaltung und parteilosem Bürgermeister. Im Alter von vierzehn Jahren wird Hermann vom Pfarrer aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche geworfen, weil er sowohl Konfi rmation als auch Jugendweihe besucht hat. 1960 wird er Zeuge, wie sein Kommilitone Kniling von der FSU Jena exmatrikuliert
und im Stasigefängnis Gera inhaftiert wird, weil dieser Aufmarschpläne gegen Russland angefertigt haben soll. Später wird Hermann eingeladen, als FDJ-Sekretär an der Woche der Freundschaft der Jugend der DDR und der VAR in Ägypten teilzunehmen, obwohl ihn der Zentralrat der FDJ ob seiner systemkritischen Äußerungen bereits seit geraumer Zeit aus dem Dienst entlassen hatte. Hermann nimmt die Einladung gern an - der Irrtum fällt erst im Flugzeug auf - und genießt einen für damalige Verhältnisse außergewöhnlichen Urlaub. Unter Anwendung raffi nierter und zugleich
gefährlicher Tricks entgeht er mehrfach der Einberufung zur NVA …
Diese und zahlreiche weitere Anekdoten und Episoden weiß Jürgen Hermann zu berichten. In kurzweiligen, komischen, heiteren und auch ernsten Geschichten lässt er die wertvollen Erinnerungen an sein Leben vor, während und nach der Zeit in der DDR Revue passieren. Auch Episoden aus der Gegenwart widmet er sich.
»Ex Cathedra. Episoden und Anekdoten aus allerlei mittelostdeutschen Jahren« ist authentisch und unterhaltsam, subjektiv-persönlich als auch allgemeinhistorisch-objektiv. Hermann personalisiert Geschichte, ohne sie zu trivialisieren. Er gewährt einen ganz eigenen Blick auf die vergangene Zeit - eine Aufarbeitung der besonderen Art.
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Buchvorschau
Ex Cathedra - Jürgen Hermann
2015
Inhaltsverzeichnis
Impressum
01 Mittelostdeutschland
02 Kriegserlebnisse eines Dreijährigen
03 Die Freie Republik Schwäng
04 Schrotsemmeln und Milch zur Staatsgründung
05 Die Geheimen Koffer des K. H. L.
06 Die Braut des Zahnarztes
07 »Fanni«, der Dribbelkünstler
08 Der »Katzehopf«
09 Der Gänsebraten
10 Über den Fettgehalt der Erdbeermarmelade
11 Dr. h.c. Loc. Dr.-Ing. Lokomov
12 Was man sich im »Hanjust« erzählte
13 Groß-Kuttnow
14 Der wahre Rasselbock
15 Kolonialwaren
16 Vier berühmte Neulehrer
17 Unchristliches
18 Das alte Försterhaus
19 Jäder nor einen wönzigen Schlock
20 Edel sei der Mensch, hilfreich und gut
21 Schulschwänzer aus Giire
22 Im Gänsemarsch, von Klaus Sturm, Geraberg
23 Faust I oder II?
24 Gips und Barock zum Abitur
25 Als Tanzmusiker bei Kapelle Schneider, Geschwenda, von Klaus Sturm, Geraberg
26 Das Mädchenpensionat am Jenzig
27 Die Osterbotschaft von Tante Elfriede
28 Wir sind der Papst. Nein. Wir sind der Papst
29 Besuch beim Deutschen Kaiser Napoleon
30 Kein Vater Land
31 Wie ich nicht zur »Nationalen Volksarmee« ging
32 Zu Befehl, Herr Meier-Schneider!
33 Studentinnenprüfung Biologie
34 Studentenprüfung Augenheilkunde
35 Wie die Staatssicherheit mit dem Witz umging
36 Bälle, Walter, Bälle, von Rita Hermann
37 Alkohol und Nikitin
38 Der kleine Unterwachtmeister
39 Warum Händel nach England geflohen ist
40 Wo ist die Partei?
41 Reagan, Breschnew, Honecker und der liebe Gott
42 Länder mit »U«
43 Die deutsche Bedeutung der Banane
44 Ein Hoch auf uns
45 Was ist denn in Österreich los?
46 Am Geldautomaten
47 Kommuniqué über die Teilnahme Walter Ulbrichts an einem Studentenfasching
48 Fasching im Senat
49 Über die historische Bedeutung des Physikerfaschings
50 Psychische Anthropologie
51 Die Siegessäule der DDR
52 Der zerstreute Professor
53 In der Eselsmühle gibt es Devisen!
54 Mitternachtsalarm I, von Claudia Braune
55 Mitternachtsalarm II, von Ralf Hermann
56 Wie viel Durst hatten tausend Sowjetbürger?
57 Baschkirskaja Mjodka
58 Die Ölsucher
59 Die Rügenangler
60 Der Wonnemonat
61 Zu Ehren des Ersten Mai: »Jeden Tag frische Brötchen«
62 Stadtgespräche über Nikita Chruschtschow
63 Liebe, Diebe, Eifersucht
64 Der Dramatiker
65 Roter Orden in Preußen
66 Roter Orden in der DDR
67 Reiseziel Pyramiden
68 Hannibals Elefanten und der Aufmarschplan nach Moskau
69 Der »Mutterbrief«, Fredi und die Studentin Rita
70 Leipzscher Brotschnaps
71 Schildkrötensuppe
72 Der Minister verlangt Bauer Kurt Rasemann
73 »Tandaloi«!
74 Der Pudding-Prozess
75 Ein Glas Wasser für magna cum laude im Melanchthonianum
76 Die Polizei, mein Freund und Helfer
77 Heirat in letzter Instanz
78 Das Scheechtum von Dresden
79 Rasenmäher können Badtüren nicht reparieren!
80 Die 96. These von Dr. Martin Luther
81 Katheder-Weisheiten
82 Anstelle eines Schlusswortes
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig.
© by Verlag Neue Literatur
www.verlag-neue-literatur.com
Covergestaltung: Steve Schubert
Covervorlage: Claudia Braune
Gesamtherstellung: Satzart Plauen
ISBN 978-3-945408-20-9
Dem Andenken
meiner lieben Frau Rita
Jeder Leser findet heraus,
was wahr und was halbwahr ist.
Auch Halbwahrheiten sind Wahrheiten.
Nur sind sie keine vollständigen Wahrheiten.
So wahr ich sie geschrieben habe.
Ich danke sehr herzlich meiner Lektorin Frau Susanne Spengler.
1
Mittelostdeutschland
Wo sind wir? In Mittelostdeutschland? Das ist die Gegend, in der einst die DDR in die Quere gekommen war. Mehr ist durch eine verheerende deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert nicht übrig geblieben. Aber das hat nicht die DDR verbrochen. Um zu einem wirklichen Mittelostdeutschland zu gelangen, müsste man Hessen nach Osten verschieben. Aber das wäre bei dem ausgeprägten Nationalstolz der Nord- und Südhessen nicht zumutbar.
Es lohnt sich, über Mittelostdeutschland nachzudenken. Historiografisch, politisch, geistig-kulturell, geistlich, wissenschaftlich, unwissenschaftlich. Denn dort war allerhand los. Es wird Zeit, sich zu entscheiden. Mitteldeutschland? Ostdeutschland? Oder doch Mittelostdeutschland? Wer weiß.
2
Kriegserlebnisse eines Dreijährigen
Das hätte ich meinen Erinnerungen nicht zugetraut. Dass sie mir mitteilen, dass ich als Dreijähriger im Frühjahr 1945 noch am Krieg teilgenommen habe. So etwas musste mir passieren, der ich für mein Lebtag geschworen hatte, keine Waffe in die Hand zu nehmen, nie in einer Armee zu dienen – egal in welcher – und in keinen Krieg zu ziehen. Weil Waffen in Menschenhänden tödlich für die Menschen sind. Obwohl die Menschen über die Jahrtausende nur mit der Waffe in der Hand »Menschen« geworden sind.
Dabei wusste ich 1945 natürlich nicht, was überhaupt los war oder worum es ging. Nicht einmal konnte ich wissen, dass es Krieg war. Aber ich habe mitgemacht. Schließlich brauchte der Gröfaz doch alle. Sogar seine Pimpfe, obwohl ich noch keiner war. Aber ich habe folgendermaßen mitgemacht.
Geschwenda, »Schwäng«, am Nordhang des Thüringer Waldes, April 1945, Schillerstraße. Ich stand auf der kleinen Kreuzung vor dem Zweifamilienhaus meines Großvaters, als über mir plötzlich ein Flieger mit höllischem Motorenlärm »stand«. Angstvoll rufend holte mich meine Mutter hinters Hoftor zurück. Nachdem ich doppelt so alt geworden war, erfolgte die Einweisung. Ein amerikanischer »Doppeldecker« war das gewesen. Der wollte wissen, was in »Schwäng« los war.
Ein paar Tage später war ich durchs halbe Dorf zum Geschwendaer Berg hinaufgewackelt. Doch, man kann das so beschreiben, weil ich damals ganz schöne O-Beine hatte. Rechterhand, also nördlich des Bergs in Richtung Plaue/Arnstadt, lag die Hexenleide. Dort hatten die Katholische Kirche und Fürsten im 15. und 16. Jahrhundert unschuldige Frauen als »Hexen« verbrennen lassen.
Auf halber Höhe des Hügels erschrak ich. Über den Berg kam eine Karawane amerikanischer Panzerspähwagen, die plötzlich anhielt. Auch der Begriff »Panzerspähwagen« wurde mir Jahre später erklärt. Auf den Fahrzeugen saßen vorwiegend schwarze Männer. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich schwarze Männer. Unfassbar. ›Wo kommen die denn her?‹ Plötzlich schnappte mich eine Frau, eine »Tante«, und brachte mich nach Hause. Als Kinder in diesem Alter hatten wir auf dem Dorf ja genügend Tanten: leibliche, erbliche und »ernannte« Tanten. Später wurde ich aufgeklärt. Bei den schwarzen Männern handele es sich um »amerikanische Neecher«.
Aber kaum zu Hause angekommen, flogen wir achtkantig hinaus. Was war denn nun wieder los?
Im Haus wohnten mein Großvater Arthur mit meiner Oma Alma, wir und sein Schwager Emil und dessen Familie. Arthur und Emil waren schon jahrzehntelang treue SPD-Bebelianer. Als Emil von den Nazis mit dem Bau der A4 Arbeit bekam, lief er zu denen über und wurde Nazibürgermeister. Für meinen Großvater, den Nazigegner, war das nicht zu verkraften.
Die US-Army fing an, nazistisch auszumisten. In der unteren Schillerstraße wurde ein ehemaliger hoher SS-Mann aus seinem üppigen Haus entfernt. In der Schillerstraße 6 ein Blockwart. Wir flogen mit meinem Großvater aus der Schillerstraße 6 a raus. Wir kamen in der Nachbarschaft mit direktem Blick auf unser Haus unter.
Eines Tages trauten wir unseren Augen kaum! Ein amerikanischer Soldat hielt aus dem ersten Stock unseres Hauses seinen Hintern aus dem Fenster und schiss auf die Straße. Die »Färzch-Linna«, die zu den gut informierten Kreisen in der Straße gehörte, rief aus: »Ä Neecher wor das nech. Das wor ä wisser Nacktorsch. On mejäd sin Schnerpfel heäde offn Alfred gepinkelt.«
3
Die Freie Republik Schwäng
Nachdem der Schacher um thüringisch-fränkische Gebiete zwischen den USA und der Sowjetunion ausgetragen worden war, zogen die Amis weiter westwärts. Wie sich das berühmte Lauffeuer ausbreitet, ging die Nachricht durchs Dorf: »Die Russen kommen!« Und die Leute hatten eine Heidenangst. Vor allem die Frauen. Koppel ab, Hose runter … Aber wehe ihnen, wenn sie erwischt wurden! Entweder wurden sie von Frauen des Dorfes gnadenlos vermöbelt, oder, wenn sie von Offizieren aus der Garnison Ohrdruf gefasst wurden, kam es vor, dass sie erschossen wurden. Aber erst später, ab 1946.
Die Russen kamen nicht! Sie kamen einfach nicht! Was hatten die sich denn dabei gedacht? Ähnlich wie Schwarzenberg im Erzgebirge hatte die Sowjetische Militäradministration Schwäng »vergessen«! Nein, ganz so war es nicht. »Tante« Hedwig Schunder aus der vorderen Schillerstraße ermöglichte die Freie Republik Schwäng! Indem sie zwei russische Offiziere wegschickte!
Als sie Anfang Juli 1945 den Geschwendaer Berg hinaufging, begegnete sie einem sowjetischen »Spähwagen«. Einer der Offiziere stieg aus. Wir nehmen mal an, dass es ein Offizier war. Er holte einen zerknautschten Zettel aus der Brusttasche seiner Uniformjacke und musste radebrechen: »Wo ist Fabrik, die baut Kisten mit Henkel?«
»Määnst wull de Kofferfabrig? Bi de Döffels will de. Die sinn schun fard. Medn Amis sinn die gleich abgehaun.« Die Offiziere kehrten mit ihrem Fahrzeug um und fuhren den Gräfenrodaer Berg hinab. Ein halbes Jahr lang wurden die Sowjets in Schwäng nicht gesehen.
Ein paar Kommunisten und Sozialdemokraten, die nun nicht mehr miteinander zanken wollten, und einige ursprüngliche Demokraten, die künftig für keine Partei verwendet werden wollten, gründeten eine Freie Republik Geschwenda. Sie gaben sich eine Selbstverwaltung und einen parteilosen Bürgermeister. Da hätte ich gerne mitgemacht! Doch bis heute hat niemand herausgefunden, was man mit einer Freien Republik wirklich anfangen kann. Weil ihr nicht erlaubt worden ist, sich selbst frei auszuprobieren. Wir wissen, dass die Freie Republik Schwäng nur fünf Quadratkilometer groß war. Klein darf sie sein, aber eine demokratische Republik muss sie sein. Ein halbes Jahr hielt sie durch, die Freie Republik »Schwäng«.
Bis die SMAD kam. Zu Weihnachten 1945. Seitdem gibt es keine Freien Republiken mehr. Die SMAD nahm noch ein paar Nazis mit nach Buchenwald: einen Blockwart, den Ortsgruppenleiter der NSDAP und einen SS-Mann.
4
Schrotsemmeln und Milch zur Staatsgründung
Am Montag, den 10. Oktober 1949, begingen wir in der Grundschule Geschwenda mit einem Fahnenappell auf dem Schulhof vor der »Neuen Schule« die Gründung der DDR. Neben der Neuen Schule gab es die »Alte Schule« am anderen Ende des Schulhofs. Dorthin gingen wir Erstklässler.
Die Gründung der DDR hatte an dem vorangegangenen Freitag stattgefunden. Vier Wochen zuvor waren wir eingeschult worden. Längst hatte man uns in der Schule pioniermäßig weiß-blau eingekleidet. Mit blauem Halstuch und blauem Käppi. Mein Käppi flog mir andauernd vom Kopf. Es war zu klein. Die kurzen blauen Pionierhosen passten zum Tag des 10. Oktober. Es war warm wie an einem Sommertag. Die Pionierhose habe ich am häufigsten zum Fußballspielen angezogen.
Aber was passierte auf dem Fahnenappell? Wenn von der falschen Erziehung von Kindern und Jugendlichen in der DDR die Rede ist, liegen die Fahnenappelle immer griffbereit. Nicht so mit dem Appell vom 10. Oktober 1949.
Die Rede hielt der neue Schuldirektor Erich Woop. Woop war ein ostpreußischer Altkommunist, der am Ende des Krieges bis nach Thüringen vertrieben wurde. Ein kleiner Stalinist, der an guten Tagen auch ein gutmütiger Stalinist sein konnte. An die Mädchen verteilte er gern liebevolle Streicheleinheiten. Dafür schnappte er meinen Banknachbarn K. E. am Schlafittchen und stemmte ihn zwanzig Zentimeter hoch. Mit links. Weil der oft nicht parierte wie er sollte.
Gewiss wird Woop seine Lobesrede auf die Gründung der DDR gehalten haben. Später wurde gar ein »Wendepunkt in der Geschichte Europas« daraus gemacht. Adenauer wird er eins übergezogen haben als Spalter Deutschlands. Weil schon am 23. Mai 1949 das bundesdeutsche Grundgesetz in Kraft gesetzt und de facto die Bundesrepublik gegründet worden war. Wo Erich Recht hatte, hatte er Recht.
Er verkündete, dass ab sofort jede Schülerin und jeder Schüler täglich eine Schrotsemmel und einen Viertelliter Milch aus Glasflaschen kostenlos erhalten würde und wir kein Frühstück in die Schule mitbringen müssten. Wenn das kein soziales Signal des neuen Staates an seine Jüngsten war! So endete der Fahnenappell nicht nur mit dem Pioniergruß. Jeder erhielt eine Flasche Milch und eine Schrotsemmel.
In den folgenden Wochen schwirrte Hausmeister Ferdinand Knabe in seinem stets akkurat gebügelten grauen Baumwollkittel durch die Schule. In der rechten Hand den Pappkarton mit den Schrotsemmeln, in der linken den Pappkarton mit den Milchflaschen. Wie einst der berühmte Wiener Schauspieler Johann Julier, alias Hans Moser, als er den Gumboldskirchner Wein aus dem berühmtesten Weinort Österreichs servierte. Aber zuerst stolperte Moser mit seiner Weinflasche, und dann unser Hausmeister mit den Milchflaschen.
Nach einigen Wochen geriet die Sozialaktion ins Stocken. Sie musste eingestellt werden. Es mangelte an Glasflaschen. Dann wurde die Milch knapp. Die benachbarten Bäcker Beyer und Frießner schafften die Semmeln nicht mehr.
Dafür gingen wir, der Schuldirektor Erich Woop und ich, ein paar Jahre später zur Zigarette über! Zur »Turf«. Zwanzig Stück in der weißen oder dunkelgrünen Schachtel. Damals wurde die Zigarette heftig kritisiert, weil sie sich mit Reemtsmas »Ernte 23« aus dem Westen vergleichen lassen musste. Heute gilt sie als Legende. Wie sich der Geschmack ändern kann.
Schulleiter Woop und ich, wir hatten unsere Affinität. Als Woop 1945 bis nach Schwäng vertrieben wurde, erhielt er seine Einquartierung in das Haus meines Großvaters Arthur. Für die Zeit, als er seine Neulehrer-Kurse absolvierte, wohnte er in der Mansarde, in der ich geboren wurde.
Als Direktor rauchte Erich die Turf mit Leidenschaft. Aber es durften täglich nicht mehr als zehn Stück sein. Aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen. Nebenan beim Bäcker Beyer konnte die Turf in kleinen Tüten einzeln gekauft werden. Zehn Pfennige