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Klärchen bekommt ein Gesicht: ... und andere Betrachtungen über Internet und Neue Medien
Klärchen bekommt ein Gesicht: ... und andere Betrachtungen über Internet und Neue Medien
Klärchen bekommt ein Gesicht: ... und andere Betrachtungen über Internet und Neue Medien
eBook150 Seiten1 Stunde

Klärchen bekommt ein Gesicht: ... und andere Betrachtungen über Internet und Neue Medien

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Über dieses E-Book

Das Internet und die Neuen Medien verändern uns und unsere Welt.
Im Schutz der Anonymität geben Menschen nahezu alles preis, was sie nicht einmal nächsten Angehörigen oder Freunden "im realen Leben" anvertrauen würden. Ob das alles wahr ist, was man da erfährt, kann man glauben - muss man aber nicht. Wird eine Behauptung nur oft genug wiederholt, neigt man dazu, sie für bare Münze zu nehmen. Alles in diesem Buch ist wahr - jedenfalls soweit es die Wiedergabe der Rechercheergebnisse und Zusammenfassung der Internetkontakte betrifft.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum23. Dez. 2016
ISBN9783743146303
Klärchen bekommt ein Gesicht: ... und andere Betrachtungen über Internet und Neue Medien
Autor

Norbert Reitz

Norbert Reitz, geboren 1943, wäre schon als Säugling fast zum Kriegsopfer geworden beim großen Bombenangriff auf seine Heimatstadt Kassel am 22. Oktober 1943. In der privaten Handelsschule des Vaters wird er früh mit Bürokommunikation und technischer Entwicklung vertraut. Eine Internetliebe bringt ihn dazu, über sein Leben nachzudenken und aktuelle Recherchen, Diskussionen und Erlebnisse im Netz mit Erinnerungen an seine Zeit als Kind, Schüler, Soldat, Journalist, Pressesprecher und selbständiger Kommunikationsberater zu verbinden und kritisch zu betrachten.

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    Buchvorschau

    Klärchen bekommt ein Gesicht - Norbert Reitz

    Klärchen

    Das Internet verändert meine Welt

    Meine erste Auslandsreise brachte mich nach Dänemark. Ich war gerade 10 Jahre alt und wartete ungeduldig auf die Bahnfahrt, auf der mich eine Tante begleiten würde. Und so nutzte ich die Zeit bis zur Abreise, um schon mal die Urlaubsgrüße zu formulieren. Dusseligerweise vergaß ich dann in der Aufregung, die umfunktionierten Karteikarten in den Koffer zu packen und so fanden die Daheimgebliebenen diese bereits vor meiner Ankunft am Reiseziel und ich musste jahrelang den Spott ertragen, wenn der Wortlaut meiner Postkarten zitiert wurde: Ihr werdet Euch wundern, von mir eine Postkarte aus Dänemark zu kriegen! Heute wundert sich niemand mehr über Grüße aus aller Welt, die kaum formuliert, auch schon angekommen sind. Die Ansichtskarten meines Urlaubsortes verschickte ich dann trotzdem noch. Sie kamen allerdings erst an, als ich bereits wieder zu Hause war. Stolz berichtete ich in der Schule in einem Lichtbildervortrag von meinen Erlebnissen. Die Papierbilder aus meiner Kleinbildkamera mussten in ein Episkop eingelegt werden, mit dem sie bei zugezogenen Gardinen an die Wand geworfen" wurden. Mein Heimatkundelehrer versprach sich davon eine Belebung des Unterrichts und mir eine gute Note. Ob die Klasse daran interessiert war, wage ich zu bezweifeln. Heute jedenfalls könnte man keine Kinder mit so etwas hinter dem Ofen hervorlocken.

    Mein Vater nahm mich regelmäßig mit zur Industrie-Messe in Hannover und so konnte ich die technischen Veränderungen Jahr für Jahr miterleben. Alte Schreibmaschinen, sogar noch eine mit holzgeschnitzten Teilen, hatte mein Vater zu Hause gesammelt und die neuesten Messeexponate waren sogar schon in silbergrau, grün oder rot und nicht mehr nur schwarz. Nur langsam wurden sie durch elektrisch betriebene ersetzt, der Kugelkopf wurde als epochale Erfindung gefeiert, die Lochstreifentechnik für Fernschreiber und Schreibautomaten setzte sich durch, auch wenn zunächst die Schaulustigen nur ungläubig zusahen, wie diese Maschinen immer wieder die gleichen Texte auf Papier hämmerten. Damals reichte ein Teil der Halle 18 aus, um die Neuheiten der Bürokommunikation zu präsentieren während inzwischen die Kommunikationsmesse CeBIT mit vielen neuen Hallen auf dem gleichen Gelände aus allen Nähten platzt.

    Und dann brach irgendwann das elektronische Zeitalter an. Magnetkarten waren in der Lage, den Text von 64 Zeilen zu speichern, die etwas teureren Geräte konnten sogar zwei Magnetkarten gleichzeitig nutzen, um maximal 64 Adressen in einen maximal 64 Zeilen langen Serienbrief einzumischen, jetzt bekamen die Schreibautomaten auch kleine Bildschirme mit hellgrüner Schrift auf dunkelgrünem Grund. Magnetbänder, Magnetscheiben und dann Metalldisketten erweiterten den Speicherplatz bevor eingebaute Laufwerke immer mehr Volumen brachten. Und in zunehmender Geschwindigkeit wurden weitere technische Neuerungen auf den Markt geworfen. Sobald man das Geschäft mit einem neuen Gerät verlässt, ist es bereits veraltet, wurde gelästert. Aber wer geht deswegen noch in ein Geschäft, wenn der Postbote die Onlinebestellung doch auch direkt nach Hause bringt. Jedes Handy verfügt heute über mehr Speicherkapazität und größere Programmvielfalt als die ersten Computergenerationen, bei denen es noch keine hochauflösenden Farbdisplays gab.

    Wie schnell die Kommunikation geworden ist, erleben wir täglich. E-Mails, WhatsApp, eBay & Co bestimmen unser Leben. Lexika verstauben im Regal, weil die Abfrage bei Wikipedia schnellere und aktuellere Antworten liefert. Wer schreibt, der bleibt. Die Helden der Vergangenheit wären wohl kaum noch bekannt, gäbe es die Ilias und das Nibelungenlied nicht. Dass die ersten Menschen wohl Adam und Eva hießen, wissen wir aus der Bibel. Irgendjemand hat sich die Mühe gemacht, diese Informationen niederzuschreiben und damit der Nachwelt zu erhalten. Und wir sind daran gewöhnt, geschriebenem eher zu glauben, als mündlicher Überlieferung, denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man laut Goethe getrost nach Hause tragen. Das gilt dann sicher auch für elektronisch frei Haus gelieferte Informationen.

    Und wenn man abgesehen von Kontakten mit Familie und wirklichen Freunden auch anonym chattet, bekommt man Informationen, die weit über bisherigen Informationsaustausch hinausgehen. Im Schutz der Anonymität geben Menschen nahezu alles preis, was sie nicht einmal nächsten Angehörigen oder Freunden im realen Leben anvertrauen würden. Ob das alles wahr ist, was man da erfährt, kann man glauben - muss man aber nicht. Jedenfalls ist der Wahrheitsgehalt kaum zu überprüfen. Man muss eine Behauptung nur oft genug wiederholen, damit sie als wahr empfunden wird. Brexit und ungarischer Volksentscheid sind aktuelle Beispiele für Meinungsmanipulation mit gezielten Fehlinformationen. Amerikanische Wahlkampagnen funktionieren wohl nach dem gleichen Prinzip. Das deutsche Grundgesetz verlangt in Artikel 21 von unseren Parteien, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Bleibt zu hoffen, dass sie sich diesem Grundsatz und auch der Wahrheit verpflichtet fühlen.

    All das ist bekannt, dachte ich jedenfalls. Aber woher sollen die heutigen Jugendlichen das wissen? Mir ist aufgefallen, dass meine Kinder ebenso wenig aus meiner Jugend wissen, wie ich aus der Jugend meiner Eltern. Andererseits haben Menschen, die noch im Schreibmaschinenzeitalter aufgewachsen sind, so ihre Schwierigkeiten, mit den aktuellen Kulturtechniken klar zu kommen, die Kinder spielerisch erlernen. Deshalb sind Eltern und Lehrer kaum noch in der Lage, die Online-Aktivitäten ihrer Kinder zu kontrollieren.

    Die folgenden sehr unterschiedlichen Kapitel enthalten Chats und Internetrecherchen mit Informationen aus Briefen und Aufzeichnungen meiner Vorgängergeneration sowie mit eigenen Erinnerungen. All das ist wahr - jedenfalls soweit es die korrekte Wiedergabe und Zusammenfassung meiner eigenen Erlebnisse und Suchergebnisse betrifft. Was ursprünglich nur ein Bericht über spannende Chats mit monatelangen Kontakten werden sollte, wurde so auch zu einer Art Autobiografie. Und ich konnte mir auch Medienschelte nicht verkneifen, weil ich selbst als Journalist und ein Jahrzehnt Pressesprecher an Information und Meinungsmache beteiligt war. Es ist eine Branche mit besonderer Verantwortung für Demokratie und Pressefreiheit.

    Die Zeiten ändern sich, aber es ist meine Welt, die sich durch die neuen Medien und das Internet verändert.

    Klärchen bekommt ein Gesicht

    Gedächtnis-Protokoll einer virtuellen Liebe

    Jetzt bekommt Klärchen ein Gesicht. Nach meiner Herzoperation und der anschließenden Reha hab ich sie kennen gelernt. In einem Internetforum. Einigen belanglosen Chatbeiträgen folgt schon bald ein persönliches Gespräch, wir flüstern - ohne weitere Mitleser oder Gesprächsteilnehmer. Wir tauschen uns aus über Gott und die Welt - ok - eigentlich dann doch mehr über die Welt. Erzählen uns, was wir so im Laufe des Tages erlebt haben. Treffen uns dann häufiger im Netz, schließlich dann jeden Abend, und dann kommt die Frage: Darf ich dich mal anrufen? Eine eigentlich schwierige Frage, denn sie ist verbunden mit Aufgabe der Anonymität, lässt eine Nähe zu, die das Internet eher verhindert als ermöglicht.

    Mit der Preisgabe der Telefonnummer verrät man auch die komplette Adresse, soweit sie im Telefonbuch steht, ein ungleicher Informationsstand, wenn der Anrufer seine Rufnummer unterdrückt. Und zuviel hat man schon gehört von Adressenmissbrauch. Aber inzwischen haben wir uns so weit kennengelernt, dass wir die Scheu verloren haben, uns zu outen. Nun nennen wir auch unsere richtigen Namen. Natürlich heißt sie nicht Klärchen, ist nur ihr Nick, ihr Chat-Name, aber sie würde es nicht wollen, wenn ich ihren richtigen dokumentiere, deshalb lasse ich es hier dabei.

    Über eine Stunde dauert dieses erste Telefonat, dem dann weitere folgen. Manchmal tagsüber. Wenn meine Kinder bei ihren Besuchen zufällig Klärchen auf dem Display sehen, schauen sie mich fragend an. Oft klingelt es dann noch spät abends und ihre Stimme verkündet: Ich wollte dir doch nur noch gute Nacht sagen. Und so telefonieren wir fast täglich, meist nach vorherigem Kontakt über das Internet. Sicherlich wissen wir nicht alles übereinander, aber täglich kommen neue Details hinzu.

    So begleitet sie mich in meinem Gesundungsprozess, macht mir Mut, spornt mich an, interessiert sich für mich, gibt meinem Leben auch wieder einen neuen Sinn, erlebt meine kleinen Erfolge mit, meinen ersten Spaziergang alleine und wie die kleinen Ausflüge langsam länger werden, und noch immer haben wir uns nicht real kennen gelernt. Eigentlich sollten wir uns dann doch mal treffen, irgendwo einen Kaffee zusammen trinken und/oder spazieren gehen. Vielleicht im Schloss Benrath? Ich schicke ihr erst einmal ein Foto von mir, aber sie hatte keins von sich auf dem Rechner, verspricht aber nach einer Möglichkeit zu suchen.

    Eines Abends erzählt sie mir dann, sie hat Herrenbesuch, kann jetzt nicht so laut reden, denn er liegt schon im Bett. Ihr kleiner Neffe ist zu Besuch. Und so lerne ich virtuell nach und nach auch ihre Familie kennen. Aber gesehen habe ich sie noch nicht. Wir wissen ja nicht einmal, wie wir aussehen. Was willst du wissen? fragt sie, Größe, Gewicht, Haarfarbe, Augenfarbe ... Wie kann man sich selbst schon beschreiben? Und unvermittelt stelle ich die Frage: Bist du hübsch? Nein! ist die kurze und sachliche Antwort. Hässlich? Nein, auch nicht - keine Angst.

    Und damit ist das Thema erledigt und wir wenden uns wieder wichtigeren Dingen zu. Wir plaudern über Kinderbücher, auch über das Chamäleon Kunterbunt von Eric Carle, das so aussehen will wie die vielen anderen Tiere. Es möchte ein Fuchs sein, ein Fisch, ein Hirsch, ein Elefant. Und auf jeder Seite erhält es ein entsprechendes Puzzleteil und sieht aus wie dieses Tier. Jedenfalls ein bisschen! heißt dann der Refrain nach jeder Verwandlung, den meine Kinder jeweils ergänzten.

    Ich habe mich in dich verliebt! sagt sie mir eines Abends. So direkt und zu diesem Zeitpunkt hatte ich das wirklich nicht erwartet. Wir haben uns ja immer noch nicht wirklich kennengelernt. Was ist das eigentlich für eine Beziehung, die wir da haben. Sie könnte schließlich meine Tochter sein, denn sie ist tatsächlich genau so alt wie meine Tochter. Nein! Ich bin nicht deine Tochter! stellt sie nur sachlich fest. Oder andersherum: ich könnte ihr Vater sein. Nein! Auch diesen Gedanken lässt sie nicht zu. Die Erinnerungen an ihren Vater, der vor ein paar Jahren gestorben ist, waren noch so frisch und lebendig. Sie gerät ins Schwärmen von den Schmusestunden mit der älteren

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