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Angriff auf die Demokratie: Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern
Angriff auf die Demokratie: Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern
Angriff auf die Demokratie: Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern
eBook186 Seiten2 Stunden

Angriff auf die Demokratie: Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern

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Über dieses E-Book

Er wühlt sich den ganzen Tag durchs Internet und entlarvt Fake News, Verschwörungstheorien und rechtsextreme Machenschaften. Doch er ist mehr als nur ein engagierter Nerd. In diesem Buch zeigt Andre Wolf, bekannt durch die Rechercheplattform Mimikama und ausgezeichnet mit dem Menschenrechtspreis 2020, mit welchen Tricks, Techniken und Strategien Rechtsextremisten das Internet unterwandern und warum die Regierungen die Gefahr unterschätzen.
SpracheDeutsch
Herausgeberedition a
Erscheinungsdatum13. März 2021
ISBN9783990014929
Angriff auf die Demokratie: Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern

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    Buchvorschau

    Angriff auf die Demokratie - Andre Wolf

    Andre Wolf:

    Angriff auf die Demokratie

    Lektorat:

    Andreas Görg

    Alle Rechte vorbehalten

    © 2021 edition a, Wien

    www.edition-a.at

    Cover und Gestaltung: Isabella Starowicz

    ISBN gedruckte Ausgabe 978-3-99001-491-2

    ISBN E-Book 978-3-99001-492-9

    E-Book-Herstellung und Auslieferung:

    Brockhaus Commission, Kornwestheim

    www.brocom.de

    Demokratie muss wehrhaft sein!

    Inhalt

    Das schleichende Gift

    Was ich mir mit diesem Buch vornehme

    Der Angriff auf die Demokratie

    Zunehmendes Schweigen in Eleutheria

    Die Not bringt uns ins Taumeln!

    Wohin gehen wir?

    DAS SCHLEICHENDE GIFT

    Vor Empörung riss es mich vom Schreibtischsessel hoch. Wie konnten die Kindergärtnerinnen so etwas zulassen? Die Männer mit dem weißen Lieferwagen direkt vor dem Kindergarten. Rumänisches Kennzeichen. Die kleinen Kinder vertrauensselig, angelockt, kommen zum hüfthohen Zaun. Wo war die Aufsicht? Den Zorn der jungen Mutter, deren Posting ich auf Facebook las, konnte ich nachfühlen. Sie und ihre Kinder wohnten in meiner Nachbarschaft. »Wenn ich meine Kleinen im Kindergarten abgebe«, schrieb sie offensichtlich wutentbrannt, »erwarte ich, dass sie beschützt werden. Was da hätte passieren können, nicht auszudenken.«

    Zu ihrem Posting gab es eine ganze Reihe von Kommentaren: »Als Frau traue ich mich sowieso kaum noch aus dem Haus. Aber wenn es um Kinder geht, sofort die Polizei rufen.«

    »Die Polizei ist doch machtlos«, kommentierte ein Mann, den ich ebenfalls aus der Nachbarschaft kannte. »Ich habe einen Cousin bei der Polizei. Der kann ein Lied davon singen. Die Kinder werden nach Osteuropa gebracht. Organmafia. Es wird alles immer schlimmer!«

    Als ich diese Zeilen las, war ich noch jung und gerade meiner Ortsgruppe auf Facebook beigetreten. Ich wohnte damals in einem kleinen Ort in Deutschland. Etwa 20.000 Einwohner, alles recht überschaubar. Eigentlich war ich auf Facebook, um mich mit anderen Menschen über mein damaliges Hobby – Autotuning – auszutauschen. Der Ortsgruppe war ich eigentlich nur beigetreten, weil ich neugierig war und wissen wollte, was die Menschen in meiner Nachbarschaft beschäftigte. Dass da praktisch vor meiner Haustür beinahe Kleinkinder entführt worden waren, um ihnen die Organe zu entnehmen, erschütterte mich tief. Aufgewühlt lief ich vor dem Computer auf und ab. Ja, so naiv war ich damals.

    Aber nach ein paar Minuten kam mir die Sache dann doch komisch vor. Was war eigentlich passiert? Da hatte ein weißer Lieferwagen vor dem Kindergarten geparkt. Männliche Besatzung, rumänisches Kennzeichen, soll schon mal vorkommen. Hatten die Männer irgendetwas Auffälliges getan, um die Kinder zum Zaun zu locken, etwa Süßigkeiten angeboten? Davon war keine Rede. Wie kam die junge Mutter eigentlich darauf, dass es da eine Entführungsabsicht gegeben hatte? Woher wollte sie eigentlich so genau wissen, dass die Kindergärtnerinnen nicht ohnehin ein Auge auf die Kinder auf der Spielwiese gehabt hatten? Und wieso waren mir diese ganzen Ungereimtheiten nicht sofort aufgefallen?

    Ich setzte mich also, naiv wie ich bei meinen ersten Gehversuchen auf Facebook war, wieder an den Computer und begann zu recherchieren. Das war mein erster Faktencheck.

    Zum allerersten Mal in meinem Leben recherchierte ich, ob die Aussagen von irgendwelchen Menschen im Internet überhaupt der Wahrheit entsprechen konnten. Gut, zugegeben, meine Recherche war noch recht unbeholfen. Über die Eingabe von passenden Schlagworten in eine Suchmaschine wollte ich herausfinden, ob in unserem Ort wirklich eine versuchte Kindesentführung mit einem weißen Lieferwagen gemeldet worden war. Heute würde ich diese einfache Suche gar nicht mehr als Recherche bezeichnen. Doch wie ich heute mit ein wenig Abstand weiß, war mein Ansatz zumindest vom richtigen Impuls getragen: Bei dramatischen Inhalten kurz zurücklehnen und die Sache nüchtern prüfen. Nur so lässt sich einer Falschmeldung überhaupt auf die Spur kommen.

    Das Ergebnis meiner Nachforschungen in diesem Fall war erschütternd. Nicht nur in unserem Ort hatte eine versuchte Kindesentführung mit Hilfe eines weißen Lieferwagens aus Rumänien angeblich stattgefunden, sondern laut Social-Media-Posting in unzähligen anderen Orten. An meinem ersten Eindruck zeigt sich, wie unbedarft mein Vorgehen war. Immerhin konnte ich dieses Suchergebnis nicht so recht glauben.

    Also suchte ich weiter und kam dann doch recht schnell zu dem Schluss, dass diese gesamte Geschichte nichts anderes als ein Schauermärchen sein konnte, welches von Ort zu Ort weitererzählt wurde. Überall waren angeblich Rumänen im weißen Lieferwagen, aber nirgends gab es Meldungen über konkrete Kindesentführungen. Trotzdem gab es überall dieselben Reaktionen. Eltern waren verunsichert, schimpften über Schulen, Erzieher oder die Polizei. Also überall dasselbe Ergebnis, obwohl nirgendwo wirklich ein Kind mit einem weißen Lieferwagen entführt worden war.

    Erst viel später wurde mir klar, warum gerade diese Geschichte über die vermeintliche Kindesentführung im weißen Lieferwagen in vielen Städten und Ortschaften so leicht Verbreitung findet. Diese Geschichte, die zunächst völlig unpolitisch klingt, hat tatsächlich einen handfesten politischen Kern. Wie ich mittlerweile weiß, steckt hinter diesen Gerüchten um Kindesentführer aus Südosteuropa tatsächlich ein brutales politisches Motiv. Doch dieses bemerken die meisten Fake-Weiterverteiler gar nicht, da sie in ihrer eigenen Gefühlslage gefangen sind.

    Diese Befangenheit bekam ich recht schnell zu spüren. Hat schon mal irgendwer einer Mutter widersprochen, die Angst um ihre Kinder hat und aus diesem Grund eine Falschmeldung glaubt? Möchte sich jemand einer Löwin entgegenstellen, die ihre Jungen in Gefahr sieht? In meiner Naivität schrieb ich ihr, dass die Geschichte eine Art Kettenbrief sein dürfte, der bereits an verschiedenen Stellen auf Facebook zu finden sei.

    Ihre erste Antwort war nahezu ein Schlag ins Gesicht: Wie könne ich sie nur als Lügnerin darstellen und ob ich es gut finden würde, dass Kinder entführt werden?

    Klassischer Fall. Der Überbringer der Nachricht wird zum Schuldigen gemacht und als das Böse dargestellt, womit er sich für den weiteren Gesprächsverlauf disqualifiziert. Doch ich ließ nicht locker und verlinkte ihr Presseberichte der Polizei aus anderen Orten, die bereits beschrieben, dass es sich um eine Falschmeldung handelte. Die Polizei! Das musste doch wirken. Schon wieder einer meiner naiven Gedanken. Nein, auch mit einer Pressemitteilung der Polizei im Gepäck war die junge Löwin nicht zu überzeugen. Ich fragte sie, ob sie denn den Lieferwagen gesehen und einen Entführungsversuch beobachtet hätte. Das hatte sie jedoch nicht. Die Angaben hätte sie von ihrer Freundin bekommen und die würde sie ja nicht belügen. Ihre Freundin hätte das auf Facebook gepostet und da könnte ich das ja lesen.

    Zu meinen zehn Minuten Recherche kamen mittlerweile fünfzehn Minuten Streitdialog, der nun kurz vor seiner Auflösung stand: Die Freundin hatte mittlerweile das Posting gelöscht. In diesem Moment fanden meine Argumente auf einmal einen Zugang zu der jungen Mutter. Die Kombination aus sachlicher Recherche, einer nüchternen Pressemitteilung der Polizei und der nicht mehr existenten Warnung ihrer Freundin konnten die junge Frau überzeugen, dass es doch keinen Entführungsversuch vor unserem Kindergarten gegeben hatte. Wir konnten uns versöhnlich noch einen schönen Tag wünschen. Jedoch blieb ein schaler Nachgeschmack, als sie zum Schluss schrieb:

    »Es ist ja zum Glück nichts passiert, aber besser einmal zu viel gewarnt als zu wenig!«

    Genau an dieser Stelle errang die Falschmeldung am Ende doch noch einen ganz kleinen, heimlichen Sieg. Eine gewisse manipulative Botschaft ist hängengeblieben: Wir haben Glück gehabt, dass nichts passiert ist. Beinahe wäre es passiert. Daher ist es gut, wenn wir einander warnen. So als müssten wir ständig in berechtigter Angst leben.

    Damit hat die junge Frau ihr Verhalten vollends gerechtfertigt. Die Manipulation hat bei ihr gewirkt. Diese Manipulation, dieses Einpflanzen der Grundangst und des Misstrauens, beeinflusst uns in unserem Verhalten. Solche Verhaltensmanipulationen finden an vielen Stellen auf Social Media statt. Es ist eine schleichende Manipulation, die wir anfangs gar nicht bemerken. Leider bemerken viele Menschen auch weiterhin nicht, was da eigentlich mit ihnen passiert. Bis es zu spät ist. Bis Angst und Misstrauen zu ihrer Grundhaltung geworden sind. Diese Grundhaltung bildet eine gewaltige Hürde in der Kommunikation. Rationale Argumente können diese Hürde kaum noch überwinden.

    In unserem Umfeld

    Diese massive Störung der Kommunikation führt mitunter zu Katastrophen auf zwischenmenschlicher Ebene. Diese Katastrophen passieren in unserem sozialen Umfeld. Die meisten von uns haben bereits leidvolle Erfahrungen damit gemacht. Manchmal spaltet diese schleichende Manipulation sogar die kleinste gesellschaftliche Zelle, die Familie.

    Damit war meine alte Schulfreundin Nadine konfrontiert. Zu spät bemerkte sie das schleichende Gift, das ihren Mann Stephan über wenige Monate hinweg befiel.

    Nadine und ich gingen viele Jahre lang gemeinsam zur Schule und waren all die Jahre gut befreundet. Über die Freundschaft hinaus ergab sich nie eine Beziehung, auch wenn es von außen manchmal so aussehen konnte. Es war halt so eine Best-Buddies-Beziehung. Wir gingen gerne miteinander einen trinken oder machten irgendwelchen Quatsch. Umso weniger verstand ich, warum Nadine ausgerechnet Stephan heiratete.

    Stephan war das totale Gegenteil von mir. Er war extrem solide, dachte in seinen frühen Zwanzigern schon an Familie, Haus und ans Bäume-Pflanzen. Auch seine berufliche Laufbahn war sehr solide. Vielleicht war es das, was Nadine immer wollte. Am Ende eine Sicherheit, eine Familie, Geborgenheit und ein Heim. Bei mir sah das aufgrund meines Studiums völlig anders aus. Es war stets ungewiss, wo ich beruflich landen würde, und genauso ungewiss, wo ich überhaupt leben würde. Wahrscheinlich spürte Nadine, dass ein Verbleib in meinem Heimatort keine sonderlich reizvolle Option für mich war.

    Letztendlich heirateten die beiden, bekamen eine Tochter, Stephan baute ein Haus und nahm dafür auch ein Darlehen auf. Also alles völlig normal und solide. Auch mein Leben lief in etwa so, wie ich es befürchtet hatte. Wie nicht anders zu erwarten, verließ ich meinen Heimatort, zog weit weg, ins Ausland, studierte, war in der Privatwirtschaft für IT und Kommunikation zuständig und landete letztlich als Faktenchecker bei Mimikama in Wien.

    Als ich dann wieder einmal auf Heimaturlaub war, traf ich nach langen Jahren Nadine wieder.

    Es war ein grauer Novembernachmittag. Die Blätter waren bereits von den Bäumen gefallen. Der leicht modrige Geruch des faulenden Laubs lag über der Stadt. Die Sonne war seit Tagen nicht zu sehen gewesen und die feuchtkalte Luft wies darauf hin, dass der Winter vor der Tür stand. Eigentlich nicht das richtige Wetter für einen Spaziergang durch die Innenstadt. Aber da ich selten zu Besuch war, wollte ich auch rausgehen. Es war also Zufall, dass ich Nadine traf.

    Ich bemerkte sie zuerst. Sie sah alles andere als glücklich aus. Gebeugt, bedrückt. Immerhin zauberte die Wiedersehensfreude ein Lächeln in ihr Gesicht. Wir nahmen uns an diesem Nachmittag spontan Zeit und setzten uns in ein Café. Gemütliches Ambiente. Auf den Tischen standen Kerzen, der Raum hatte eine angenehme, fast schon zu warme Temperatur. Die dick gepolsterten Sitze waren wie die Temperatur im Raum: angenehm, aber doch ein klein wenig zu viel. Jedenfalls ein angenehmer Ort, um ein ausgedehntes Gespräch zu führen. In dieser Atmosphäre bemerkte ich recht schnell, dass irgendetwas mit Nadine nicht stimmte.

    Nach anfänglichem Small Talk brach sie unvermittelt in Tränen aus. Leise schluchzend erzählte sie von ihrem anfänglich guten Leben, von einer stabilen Normalität, bis zu diesem verfluchten Tag. Dem Tag, als Stephan seine Arbeit verlor. Sparmaßnahme des Unternehmens. Stephan war daraufhin viel zu Hause, machte viel an Haus und Garten und das war auch gut so.

    Doch leider verlief seine Jobsuche nicht so, wie er sich das erhofft hatte. Das wirkte sich natürlich auch auf seine Laune aus. Er fragte sich, warum ausgerechnet er es jetzt so schwer hatte. Dazu kam der Druck wegen dem Hauskredit und der selbstauferlegte Druck, als Mann seine kleine Familie ernähren zu müssen. Stephan suchte im Internet nicht nur nach Jobs, sondern auch nach Antworten, die ihm seine Misere erklärten. Antworten, die er auf Social Media fand, die seine Erwartungshaltung erfüllten.

    Stephan konsumierte Informationen, die sein vermeintliches Scheitern in einem anderen Licht darstellten. Da war die Rede davon, dass die Regierung lieber Fremde ins Land holen würde, anstatt den eigenen Bewohnern Arbeit und Sicherheit zu bieten.

    Verschiedenste Verschwörungsmythen bekam Stephan auf Facebook oder YouTube zu Gesicht. Da hieß es, die Bevölkerung würde ausgetauscht werden, die eigenen Traditionen würden wegen einer gewollten Islamisierung absichtlich zerstört, der Staat, in dem Stephan lebte, würde gar nicht wirklich existieren. All diese vielen Geschichten veränderten Stephan. So erzählte es mir Nadine, während sie mit zitternden Händen

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