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Das Mawangdui-Yijing: Text und Deutung
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eBook576 Seiten4 Stunden

Das Mawangdui-Yijing: Text und Deutung

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Über dieses E-Book

Der sensationelle Grabfund von Mawangdui, einer kleinen Stadt im Süden Chinas, hat eine Version des Yijing – des Buches der Wandlungen – ans Licht gebracht, die in das Jahr 168 v.Chr. datiert werden kann und somit um rund 1000 Jahre älter ist als die bisher bekannte früheste Ausgabe. In dem Band "Das alte und das neue Yijing " hat Dominique Hertzer bereits die neu gefundene mit der bislang bekannten Yijing-Fassung verglichen, mit dem Ziel, einen neuen Weg zum Verständnis des Yijing - im Sinne eines Werkes zur Bestimmung der Zukunft aus Vergangenheit und Gegenwart - aufzuzeigen. Mit dem vorliegenden Band "Das Mawangdui Yijing. Text und Deutung" liegt die erste deutsche Übersetzung des Textes vor. Das vorliegende Buch enthält den kompletten Text – auf Deutsch und auf Chinesisch – in direkter Gegenüberstellung zur Übersetzung Richard Wilhelms sowie eine detaillierte Kommentierung und Auslegung. Ein enormer Gewinn für alle Yijing- Forscher wie alle Freunde und Anwender des Yijing. Ferner bietet das E-Book allen Chinesisch Interessierten erstmals die Möglichkeit den Chinesischen Text zu durchsuchen. Dieses Buch basiert auf der Promotion von Dominique Hertzer im Jahre 1993 über den Textfund des Yijing aus Mawangdui im Fach Sinologie. Der vorliegende Band ist eine zweite überarbeitete Auflage - die erste Auflage ist ursprünglich im Diederichs Verlag erschienen- , in die der gegenwärtige Forschungsstand zum Mawangdui-Yijing, verschiedene inhaltliche Aktualisierungen und nicht zuletzt zwanzig Jahre Erfahrung mit dem Yijing eingeflossen sind.
SpracheDeutsch
HerausgeberDao.works
Erscheinungsdatum24. Feb. 2016
ISBN9783958495333
Das Mawangdui-Yijing: Text und Deutung

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    Buchvorschau

    Das Mawangdui-Yijing - Dominique Hertzer

    Seidenrolle

    Vorwort von Wolfgang Bauer

    Um das »Buch der Wandlungen« hat sich in den letzten Jahrzehnten im Westen und jüngst auch in China eine so riesenhafte Literatur gebildet, dass man eine neue Veröffentlichung darüber kaum noch zur Kenntnis nehmen mag. Das Werk ist zu einem »Kult-Buch« geworden mit einem Eigenleben, das sich von seiner ursprünglichen Bedeutung schon weit entfernt hat und die absonderlichsten, teils rein phantastischen, teils naiv pseudowissenschaftlichen Blüten treibt. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher fast unmöglich, dass noch wesentlich Neues über diese Schrift ausgesagt werden könne: Gewinnt man doch bei den meisten jüngeren Veröffentlichungen eher den Eindruck, als sollten dem populären, aber eben bereits ausgelaugten Thema mit Gewalt noch einige ungewöhnliche Ideen abgepresst werden. aufregender ist es, dass es tatsächlich einen völlig neuen, nur eben noch nie beschrittenen Zugang zum »Buch der Wandlungen« gibt, der durch einen nunmehr 22 Jahre zurückliegenden sensationellen Manuskriptfund eröffnet worden ist. Das hier vorliegende Buch der Sinologin Dominique Hertzer ist die erste westliche Veröffentlichung überhaupt, die sich eingehend mit diesem eigenständigen, im Vergleich zu den frühesten vollständig erhaltenen Fassungen der überlieferten Version um rund tausend Jahre älteren Text auseinandersetzt.

    Dieser Text, der eine neue Epoche in der wissenschaftlichen Erforschung des »Buches der Wandlungen« eingeleitet hat, war Teil einer ganzen Bibliothek von über fünfzig auf Seide geschriebenen Werken, die, aufbewahrt in einer gewaltigen, langen Lacktruhe, 1973 in Mawang-dui, einem Vorort von Changsha, der Hauptstadt der Süd-Provinz Hunan, in einem Grab entdeckt wurde. Der Grabeigner, wahrscheinlich ein hochrangiger Militärführer, konnte zwar nicht namentlich festgestellt werden, wohl aber das Jahr der Schließung des Grabes: 168 v. Chr.

    Bemerkenswerterweise bildete die Region damals ein weitgehend selbständiges Gebiet, nämlich das Königreich Changsha, das dem herrschenden Reich der Han-Dynastie nur als Lehen unterstellt war und bis 154 v. Chr. existierte. Es stellte einen wesentlichen Teil des alten südchinesischen Staates Chu dar, der über eine eigene hochentwickelte, vom Norden schon immer etwas verschiedene Kultur verfügte. Der Text, der sämtliche Orakelaussagen zu den 64 Hexagrammen wie auch zu den jeweils sechs Einzellinien enthält, dagegen nicht den stark konfuzianisch beeinflussten »Bild«-Kommentar, wurde erstmals 1984 in Umschrift publiziert, aber erst 1993 in einem Faksimile der Wissenschaft zugänglich gemacht, das die verschiedenen fehlerhaften früheren Umschreibungen und Einfügungen erkennen ließ.

    Diese späte Veröffentlichung mag mit der äußere Grund dafür gewesen sein, dass es bis heute noch keine einzige westliche Untersuchung oder gar Übersetzung gibt, die die neue Textversion bei der Interpretation überhaupt zur Kenntnis nimmt. Die Ursachen liegen in Wirklichkeit aber tiefer. Die weitaus meisten jüngeren westlichen Interpretatoren des »Buchs der Wandlungen« verfügten — wenn überhaupt — nur über so eingeschränkte Kenntnisse des Chinesischen, dass sie sich einfach in die schwierige Auseinandersetzung mit dem neuen Text, der nicht zuletzt die Durcharbeitung einer sehr umfangreichen modernen chinesischen Fachliteratur verlangt, nicht hineinwagten. Viele von ihnen waren sich auch der Tragweite des Textfundes - soweit sie von ihm überhaupt vernommen hatten - nicht bewusst. Und sie überhörten gerade die wichtigste Botschaft, die er zu verkünden hatte: nämlich die von der »Plastizität« seiner alten geschriebenen Form, die sicherlich keine beliebigen, wohl aber innerhalb eines bestimmten Rahmens sehr beträchtliche Variationen zuließ. Tatsächlich konnte deshalb zwar das »Buch der Wandlungen«, wie alle anderen Klassiker, 175 n. Chr. auf Befehl eines Kaisers buchstäblich in Stein gehauen werden, aber abgesehen davon, dass von diesen daraus resultierenden, auf 64 riesigen Platten niedergelegten »Steinklassikern« heute nur noch einzelne Trümmer erhalten geblieben sind, war ihre (im übrigen relativ späte) Herstellung in sich selbst ein Beweis für den generell etwas schwebenden Charakter bei der schriftlichen Überlieferung ältester chinesischer Literatur, dem eben bei solch heiligen Texten durch diese Aktion entgegengewirkt werden sollte. Für das »Buch der Wandlungen« mit seinem naturgemäß oftmals dunklen Inhalt galt das in erhöhtem Maße. Schon in dem üblichen Text haben einzelne, ganz zentrale Zeichen eine völlig ungewöhnliche, primär nur auf das Buch selbst zurückführbare Bedeutung, die erst im nachhinein lexikalisiert wurde. Es führt also nicht sehr weit — und oftmals sogar gerade in die Irre jedes Zeichen in der überlieferten Version wie »in Stein gehauen« aufzufassen und jeder seiner Bedeutungen nachzugehen, ohne sich bewusst zu machen, dass es vielleicht »ursprünglich« mit einem ihm lautlich oder graphisch nahestehenden oder auch mit einem völlig anderen vertauscht wurde und so grundsätzlich in einer Art offenen Konkurrenz zu anderen Zeichen stand.

    Gerade diese Vorstellung, die nach Entdeckung des Textes von Mawangdui unabweisbar geworden ist, hat aber auch etwas Beunruhigendes an sich. Das empfindet verständlicherweise der am ärgsten, dem angesichts dieser plötzlich um eine ganze Dimension schwieriger gewordenen Interpretation mangels differenzierteren sprachlichen und kulturellen Hintergrundwissens die Orientierung verlorenzugehen droht. Gegenüber dem altvertrauten, scheinbar unverrückbaren (und angenehmerweise vielfach vorübersetzten) Text empfindet er jede Veränderung als bedrohlich und neigt deshalb dazu, sie entweder einfach zu ignorieren oder als eine Art Sakrileg aufzufassen. Interessanterweise findet sich die zweitgenannte Reaktion aber auch in China, wenngleich aus ganz anderen Gründen. Denn dort gilt das »Buch der Wandlungen« zu Recht als ein Grundpfeiler der nationalen Kulturtradition, an dem allzu sehr zu rütteln wenig Beifall finden würde.

    So tendiert denn auch ein wichtiger chinesischer Bearbeiter des Mawangdui-Textes, Deng Qiubo, dessen umfangreiches einschlägiges, 1987 erschienenes Werk in dem vorliegenden Buch durchgängig berücksichtigt wurde, dazu, alle Unterschiede gegenüber dem tradierten Text nach Möglichkeit herunterzuspielen. Das geht auch bei einer rein in Chinesisch abgefassten Untersuchung insofern viel leichter, als die genaue begriffliche Festlegung der einzelnen abweichenden Schriftzeichen mehr im Hintergrund, gleichsam in der Schwebe, bleibt, solange man Chinesisches in Chinesisch erklärt. Bei einer Übersetzung jedoch, die unausweichlich in dem oft wolkenartig ausgebreiteten Begriffsfeld den Kernbegriff namhaft machen muss, kommt man um eine Festlegung nicht herum. So gewinnen die Unterschiede zwischen den beiden Textversionen in der Übersetzung denn auch mehr an Schärfe und Profil, ihre tatsächliche Verschiedenheit lässt sich nicht mehr übersehen oder verschleiern.

    Insgesamt ist etwa ein Viertel des »Buches der Wandlungen« in der Mawangdui-Version mit anderen Zeichen geschrieben als in der überlieferten, wobei die Art der Unterschiede uneinheitlich ist: Sie reicht von Abweichungen, die tatsächlich als bloße Schreibvarianten angesprochen werden können, bis zu völlig anderen Zeichen, die mit ihren Entsprechungen im tradierten Text absolut nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Hierzu gehören vor allem sämtliche Bezeichnungen der Acht Trigramme. Einheitlich ist dagegen durchgehend der jeweilige - positive oder negative — Wert der Orakelaussage zu den einzelnen Hexagrammen und zu den ihnen zugeordneten sechs Linien. Die Unterschiede betreffen also mehr die Begründungen der Urteile als die Urteile selbst. Damit ist aber trotzdem Grundsätzliches berührt. Denn das Wesen des »Buches der Wandlungen« besteht ja gerade nicht in apodiktischen Zukunftsaussagen, sondern in Zustands- und Tendenzbeschreibungen von existenziellen Situationen, die gleichzeitig — einmalig in der mantischen Literatur weltweit - Ratschläge und damit eine menschliche Einflußmöglichkeit auf die letztliche Verwirklichung der Zukunft mit einschließen. Die in Bildern und Assoziationen gefassten »Begründungen« sind also auch für die Qualifizierung der »Urteile« entscheidend, weil sie eben die Reaktion darauf weitgehend bestimmen. Die beiden in dem vorliegenden Buch gegeneinander gesetzten Übersetzungen aller Orakelsprüche - auf der einen Seite die weiterhin in sich gültige Übersetzung von Richard Wilhelm nach dem überlieferten Text, auf der anderen Seite die (manchmal sogar doppelte) von Dominique Hertzer nach dem Text von Mawangdui - legen davon beredtes Zeugnis ab.

    Die Erklärung und damit auch die Einschätzung dieser Verschiedenheiten beruht auf drei teilweise miteinander verbundenen Elementen: Am wichtigsten ist zunächst die schon genannte Tatsache, dass die chinesische Schrift bis weit ins 2. vorchristliche Jahrhundert hinein noch keineswegs gefestigt war, so dass man davon ausgehen kann, dass ein über weite Strecken noch mündlich tradierter und obendrein dunkler Text wie das »Buch der Wandlungen« angesichts der unzähligen, für die chinesische Sprache charakteristischen Homonyme, d.h. gleichlautende Worte verschiedener Bedeutung, schon rein theoretisch zwangsläufig unterschiedlich verschriftet worden sein muss. Diese Bedingungen aber galten, zweitens, in besonderem Maße für die Region des ehemaligen Staates Chu im Süden, der vor der Einigung des Reiches unter dem »Ersten Kaiser der Qin-Dynastie« 221 v. Chr. sogar eine eigene, besonders abweichende Schriftentwicklung durchgemacht hatte und mit seiner Art der Verschriftung zugleich eine spezifische Interpretation des Textes einführen konnte. Da das durch den Staat Chu repräsentierte Südchina der Tradition nach als ein besonderer Hort, wenn nicht gar als die Ursprungsregion des Daoismus galt — im Gegensatz zu dem mehr vom Konfuzianismus beherrschten Norden ist der stärkere Akzent auf der Orakel-Funktion des »Buches der Wandlungen«, die sich für den Mawangdui-Text nachweisen lässt, nur folgerichtig, ebenso wie umgekehrt die größere Betonung seiner moralischen Funktion im Norden, wo sich der überlieferte Text zusammen mit seinen Kommentaren eher als ein »Weisheitsbuch« durchsetzte. Drittens scheinen aber auch noch rein lokal- und zeitpolitische Ausdeutungen an einzelnen Stellen der Mawangdui- Version eine Rolle gespielt zu haben, die mit der besonderen Situation des Königreiches von Changsha in der damaligen Periode zu tun hatten; denn schließlich wurde das »Buch der Wandlungen« ja weniger für private als für staatliche Entscheidungen benutzt.

    Das vorliegende Buch geht allen diesen für den Mawangdui-Text wichtigen Voraussetzungen in minuziösen Einzelanalysen nach unter Heranziehung der weitverzweigten, vorwiegend chinesischen wissenschaftlichen Literatur, wobei es sich an kritischen Stellen immer wieder in genaue inhaltliche Auseinandersetzungen einlässt.

    Dieses sich bei jedem Schritt absichernde Vorgehen ist mühsam, aber notwendig. Denn es gilt ja vielfach, gegen fest eingefahrene Ideen über das »Buch der Wandlungen« anzudenken und statt des bisher bekannten starren Konzeptes ein bewegliches vorzuführen, kurz — um es mit den Worten von Dominique Hertzer zu sagen - »die Wandlungen des >Buchs der Wandlungen< selbst begreiflich zu machen.«

    Unter diesen Bedingungen wird auch die Frage gegenstandslos, welche der beiden uns jetzt zur Verfügung stehenden Versionen nun eigentlich die »richtige« sei. Denn wie auf vielen anderen Gebieten, so entzieht sich auch hier das chinesische Gedankensystem der uns eher geläufigen Frage nach einem klaren Entweder-Oder mit einem gleichsam zur Seite tretenden (und doch nicht einfach »ausweichenden«) Sowohl-als-Auch. Das bedeutet konkret, dass die beiden Versionen des Textes nebeneinander bestehen und sich gegenseitig ergänzen, auch und sogar vor allem dann, wenn man sich für das »Buch der Wandlungen« als einem Wahrsagebuch interessiert, als das es ja in seiner Mawangdui-Version noch eindeutiger benutzt wurde als in seiner bisher überlieferten. Durch die beiden Versionen werden also Grenzpfähle gesteckt, zwischen denen sich die Beschreibungen der existenziellen Situationen, deren Spannungsgefüge das »Buch der Wandlungen« grundsätzlich wiederzugeben sucht, bewegen können. Der Text von Mawangdui setzt den uns bekannten Text damit nicht außer Kraft, sondern er bereichert ihn, und vor allem: Er haucht ihm neues Leben ein, indem er ihm die Wandlungsfähigkeit zurückgibt, die er von jeher besaß.

    So ist denn diese von bisher unbekanntem Material ausgehende und auf präziser wissenschaftlicher Analyse aufbauende Doppelübersetzung des »Buches der Wandlungen« ein Werk, das völlig neue Horizonte erschließt. Man möchte es jedem in die Hand wünschen, der sich von diesem ältesten Buch der chinesischen Kultur faszinieren lässt, nicht nur um sein Verständnis dafür zu vertiefen, sondern auch um ihm Gelegenheit zu geben, an einem geistigen Abenteuer teilzunehmen.

    München, im Dezember 1995 Wolfgang Bauer

    Vorbemerkung und Danksagung

    Das Mawangdui-Yijing ist Ausdruck der »Wandlungen des Buches der Wandlungen«, und seine Übersetzung in eine westliche Sprache, die den vielschichtigen Charakter des Chinesischen entbehrt, kann dem Bedeutungsreichtum und den Assoziationsmöglichkeiten des Originals nicht gerecht werden. Um trotzdem das Verständnis für die Besonderheit des Chinesischen wie auch des Yijing zu wecken, habe ich in den Fällen, in denen offensichtlich verschiedene Interpretationsebenen eines Hexagramm- oder Linientextes erkennbar sind, mehrere Übersetzungsvorschläge nacheinander aufgeführt, auf die Gefahr hin, dass einzelne Hexagrammlinien nicht unbedingt mit dem gesamten Hexagrammkontext übereinstimmen. Doch anders als etwa Richard Wilhelm und viele chinesische Gelehrte gehe ich davon aus, dass es sich beim Yijing nicht um das kohärente Werk eines Verfassers handelt, sondern um eine Zusammenstellung einzelner Textbausteine verschiedenster Herkunft. Natürlich steht bei jedem Hexagramm ein bestimmtes Thema im Mittelpunkt, wie auch die graphische und thematische Beziehung der Hexagramme untereinander nicht zu bestreiten ist, doch besteht die Gefahr, dass, um einer vollkommenen inhaltlichen Stringenz willen, das jeweilige Thema in jede einzelne Hexagrammlinie »hineininterpretiert« wird. Angesichts dessen sollen meine eigenen Anmerkungen lediglich »als Hintergrundwissen« für das Textverständnis dienen, um die individuelle Interpretation und ein tiefes Verständnis über die eigene Intuition und Phantasie bei den Lesern so wenig wie möglich einzuschränken.

    Die Hintergründe zum sensationellen Grabfund von Mawangdui sowie eine eingehende Erläuterung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der überlieferten Yijing-Version und der in Mawangdui gefundenen sind in dem Band »Das alte und das neue Yijing - Die Wandlungen des Buches der Wandlungen« (Diederichs Gelbe Reihe Band 126) enthalten. Dieser und der vorliegende Band beruhen auf meiner Arbeit, die im Januar 1993 von der Ludwig-Maximilians-Universität als Dissertation angenommen wurde.

    Auf dem Weg zur Fertigstellung dieser Bücher haben mich Menschen begleitet, denen an dieser Stelle aufrichtig für ihre Unterstützung gedankt sei. An erster Stelle danke ich meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Bauer, sehr herzlich, der sich sehr viel Zeit für unsere Gespräche genommen hat und mich menschlich wie fachlich mit viel Einfühlungsvermögen über all die Jahre betreut und motiviert hat. Mein besonderer Dank geht auch an meinen langjährigen Freund und Studienkollegen Dr. Axel Schneider, der die Atmosphäre meines Studiums ganz entscheidend mitgeprägt hat und der ebenso wie mein Kollege Roland Winkler, mit unendlich viel Geduld all die Schwierigkeiten, die die verschiedenen Computerprogramme mit sich gebracht haben, gelöst hat. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Michael Friedrich für seine konstruktive Kritik und seine wertvollen Hinweise. Zuletzt, aber gewiß nicht am wenigsten, geht mein Dank an meine Eltern, die mir mein Studium ermöglicht haben, sowie an meinen Freund Oliver Norkauer, der all die Höhen und Tiefen, die dieses Buch mir sich brachte, mit mir geteilt hat.

    München, im Januar 1996 Dominique Hertzer

    Vorwort zur zweiten überarbeiteten Auflage

    In dieselben Flüsse

    steigen wir hinab und nicht hinab.

    Wir sind es und sind es nicht,

    denn in denselben Strom

    vermag man nicht zweimal zu steigen.

    (Heraklit)

    Seit der Erstauflage dieses Buches vor zwanzig Jahren hat mich mein Weg zunächst weg von der rein universitären Laufbahn hin zur Chinesischen Medizin in Theorie und Praxis geführt. Doch auch, oder besser vielleicht gerade in der Chinesischen Medizin ist das Buch der Wandlungen das Fundament, auf dessen Grundlage die verschiedenen Schulen und Ansätze der Chinesischen Medizin ihren Ausgangspunkt genommen haben. Wie es in einem medizinischen Klassiker heißt, gilt es „die Medizin (als das Wissen) um die Wandlungen" zu verstehen, so dass mich nicht zuletzt das Bemühen um ein tieferes Verständnis der Chinesischen Medizin wieder zum Yijing zurückgeführt und mir zugleich neue Perspektiven auf das Studium der Wandlungen eröffnet hat.

    Diese zweite Auflage als E-Book ist insofern etwas Besonderes und zugleich Aufwändiges, als der chinesische Text des Mawangdui -Yijing hier erstmals in einer elektronischen Form veröffentlicht und damit für den Chinesisch kundigen Leser auch durchsuchbar ist. Die Schriftzeichen, die bislang lexikalisch nicht überliefert sind, wurden als Bilddatei in den Text eingefügt. Ferner wurden in dieser zweiten Auflage die jüngsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Text und den Andersschreibungen des Mawangdui eingearbeitet sowie verschiedene inhaltliche Aktualisierungen vorgenommen. 

    Die Tatsache, dass es sich um einen gemischtsprachigen Text handelt und ferner sehr viele alte chinesische Schriftzeichen auftreten, die in dieser Form jedoch nicht mehr überliefert sind und als Bild eingefügt werden mussten,  hat leider dazu geführt, dass einige E-book Reader aufgrund von technischen Schwierigkeiten die Formatierungen nicht korrekt darstellen. Dies kann stellenweise dazu führen, dass einzelne Textabschnitte in unterschiedlichen Schriftarten dargestellt werden. Dies ist so nicht beabsichtigt und hat keine inhaltlichen Folgen.  Es hängt ferner von den Fonts der einzelnen E-book Reader ab, welche der äußerst selten auftretenden Schriftzeichen dargestellt werden können. 

    Ich widme dieses E-book meinem verstorbenen Lehrer, Wolfgang Bauer, der mir bis zum heutigen Tage eine große Quelle der Inspiration ist und mich ermutigt, meinen Weg als unabhängige Wissenschaftlerin zu gehen.

    Utting, im Januar 2016 Dominique Hertzer

    Einleitung

    Quellengrundlage für die Übersetzung der Andersschreibungen im Mawangdui-Yijing

    Bei der Untersuchung der Andersschreibungen, also der Schriftzeichen, die sich in der Mawangdui-Version vom Textus receptus unterscheiden, lassen sich drei verschiedene Ebenen voneinander differenzieren, die Zeichengestalt, die Aussprache und die Zeichenbedeutung, welche aus einer notwendigen Trennung von Zeichen und Wort im Chinesischen resultiert. Denn ein chinesisches Schriftzeichen ist ja nicht unbedingt mit einem Wort gleichzusetzen, da es nur die graphische Darstellung eines Wortes mit einer ganz bestimmten Bedeutung repräsentiert. Bereits die Tatsache, dass das geschriebene Chinesisch während der Zhou-Zeit dem gesprochenen Chinesisch sehr viel näher stand, als es bereits 1000 Jahre später der Fall war, weist darauf hin, dass eine Gegenüberstellung der unterschiedlichen Schriftzeichen nicht in einem Vergleich zwischen bildhaften oder abstrakten Zeichen besteht, sondern in einem Vergleich von Worten. Der Irrtum, dass ein Schriftzeichen infolge des weitgehend monosyllaben Charakters der chinesischen Sprache immer einem Wort entspricht, zeigt sich demgegenüber in der Möglichkeit, ein Wort, dessen Aussprache immer dieselbe bleibt, mit mehreren Zeichen wiederzugeben, wie es bei den Lehnschreibungen der Fall ist. Ebenso können einzelne Zeichen je nach Kontext unterschiedlich ausgesprochen werden und somit für mehrere Worte stehen.¹ Die geringe Silbenanzahl im Chinesischen hat zur Folge, dass eine Lautung theoretisch mehrere Worte wiederzugeben vermag, so dass die jeweilige Bedeutung beim reinen Anhören nur aus dem Sinnzusammenhang erschlossen werden kann. Eventuell daraus resultierende Verständnisschwierigkeiten werden durch die Existenz der Schriftzeichen in gewisser Weise wieder kompensiert.

    Bei der Beurteilung, ob die unterschiedlichen Schriftzeichen des Textus receptus und der Mawangdui-Version dieselbe oder eine voneinander unterschiedene Bedeutung haben, d.h., ob hier dasselbe Wort gemeint sein kann, ist die Aussprache der Schriftzeichen der entscheidende Faktor. Da für die Aussprache des alten Chinesisch (8. bis 3. Jahrhundert v. Chr.), im Gegensatz zum Mittelchinesischen (ca. 6. Jahrhundert), keine chinesischen Quellen vorliegen, sind wir auf die Rekonstruktionen chinesischer und westlicher Wissenschaftler angewiesen. Die einzigen existierenden Quellen sind die phonetischen Elemente der Schriftzeichen, wie sie im ersten Wörterbuch - dem Shuowen — wiedergegeben werden, sowie die Kommentare zu den Klassikern und die Reime des »Buches der Lieder« - des Shijing.² Da jeder, der sich um eine Rekonstruktion des Altchinesischen bemüht hat, auch sein eigenes System entwickelt hat, ist davon auszugehen, dass es sich bei allen Lautwerten nur um approximative, hypothetische Werte handelt. Insofern gibt es auch kaum objektive Kriterien zur Beurteilung der verschiedenen Systeme; eines der wenigen ist die innere Kohärenz einer Rekonstruktion.

    Die nicht nur im Westen am weitesten verbreitete Rekonstruktion ist die von Bernhard Karlgren,³ wenngleich sie aufgrund neuer linguistischer Erkenntnisse inzwischen teilweise überholt zu sein scheint.⁴Unter den chinesischen Gelehrten sind vor allem Dong Tonghe, der mit seiner eigenen Rekonstruktion die Karlgrens kritisiert,⁵ Zhoufagao und Li Fanggui zu nennen. Die Rekonstruktionen von Li Fanggui haben in letzter Zeit internationale Anerkennung gefunden, doch wurde bisher noch kein entsprechendes Wörterbuch veröffentlicht, sondern Li hat die Prinzipien seiner Rekonstruktion in einem Artikel vorgestellt, anhand derer sich die alte Aussprache einzelner Zeichen rekonstruieren lässt.⁶

    Beim Vergleich der Aussprache der unterschiedlichen Mawangdui- und Textus receptus-Zeichen habe ich mich für das Werk von Zhou Fagao entschieden, der sich sowohl mit den Schriftzeichen selbst wie ihrer Aussprache im klassischen und vorklassischen Chinesisch beschäftigt hat.⁷ Er hat ein Wörterbuch herausgegeben, welches sowohl seine eigenen Rekonstruktionen enthält, als auch einen sehr guten Überblick über die anderen wichtigsten und umfassendsten Rekonstruktionen bietet. Dort sind drei verschiedene Rekonstruktionen der Aussprache des archaischen Chinesisch (ca. 700 v. Chr.) - die von Dong Tonghe, Bernhard Karlgren und seine eigene - tabellarisch nebeneinander geordnet, und ferner zwei Lautungen des Mittelchinesischen (B. Karlgren und seine eigene) sowie die Aussprache der modernen Hochsprache und des Kantonesischen angeben.⁸

    Zur Definition der Unterschiede bei der Aussprache habe ich vier Kategorien gewählt, in die die voneinander abweichenden Schriftzeichen eingeteilt wurden, und zwar  a) dieselbe Aussprache b) Alliteration c) Reim d) unterschiedliche Aussprache. Kategorie a) ist selbstevident, während Kategorie d) nur eintritt, wenn die ersten drei Kategorien ausgeschlossen sind. Da das Ziel des Vergleiches der unterschiedlichen Zeichen darin besteht festzustellen, ob und inwieweit es sich — wie die bisherigen Untersuchungen zum Mawangdui-Yijing größtenteils  ermittelt haben wollen - bei den zu vergleichenden Zeichen um Lehnschreibungen handelt,⁹ habe ich mich, hinsichtlich der Kriterien von Reim und Alliteration denen von Bernhard Karlgren angeschlossen. Denn er har als einziger im Rahmen der Ausspracherekonstruktion des archaischen Chinesisch und des Mittelchinesischen ein geschlossenes System zur Reimlehre, Alliteration und den

    Lehnschreibungen entworfen. Alle anderen Rekonstruktionen setzten sich mit der Problematik der Lehnschreibungen nicht auseinander.

    Die Kombination der lautlichen und graphischen Beziehung zwischen den Mawangdui- und Textus receptus-Zeichen sind bereits Hinweis auf ihre inhaltliche Beziehung wie auf eine eventuelle Lehnschreibung. Anders als man zunächst vermuten könnte, handelt es sich beispielsweise bei den Zeichen, die graphisch betrachtet dasselbe Phonetikum aufweisen, d.h. sich nur durch das Radikal und eventuell weitere Bestandteile unterscheiden und deswegen zu einem großen Teil ehemals auch dieselbe Aussprache hatten, nicht um eigentliche Lehnschreibungen. In Anlehnung an die Definition von Karlgren und anderen chinesischen Sprachwissenschaftlern besteht die theoretische Möglichkeit einer Lehnschreibung immer dann, wenn zwei Zeichen, die inhaltlich und graphisch nicht miteinander verwandt, sondern homophon sind; ein Schriftzeichen wurde dabei nicht in seiner ursprünglichen, ihm eigenen Bedeutung verwandt, sondern es hat (an dieser Textstelle) die Bedeutung eines anderen Zeichens entliehen. Dies kann sowohl auf Worte zutreffen, die bisher kein eigenes Zeichen hatten, als auch auf Worte, die bereits ein anderes Schriftzeichen für sich in Anspruch nehmen konnten.¹⁰ Diese Möglichkeit besteht, wie gesagt, theoretisch für alle die Fälle, in welchen zwei Zeichen nicht verwandt, aber homophon sind, doch in der Praxis ist die Lehnschreibung ausschließlich an der Zeichenbedeutung innerhalb des jeweiligen Kontextes zu belegen, da die geringe Silbenanzahl im Chinesischen ansonsten eine nicht zu überblickende Anzahl von Lehnschreibungen ermöglichen würde. In dem Augenblick, wo zwei Zeichen graphisch und inhaltlich nicht miteinander verwandt sind und lediglich phonetische Ähnlichkeiten im An- oder Auslaut aufweisen, ist eine Lehnschreibung in vielen Fällen strittig und bedarf einer detaillierten Untersuchung.¹¹

    In diesem Zusammenhang ist auch die Theorie, dass all die Zeichen, die ein Phonetikum gemeinsam haben, auch in ihrer Bedeutung sinnverwandt sind, zurückzuweisen.¹² Es besteht vielmehr die Möglichkeit, dass infolge der noch nicht endgültig fixierten Schreibweise vieler Schriftzeichen Radikale vertauscht, weggelassen oder hinzugefügt wurden. Andererseits bedarf die Hypothese, dass der Mawangdui-Text früher als der Textus receptus niedergeschrieben wurde und seine Schriftzeichen dementsprechend als die »ursprünglichen« betrachtet werden können, ebenso der Überprüfung.

    Der Bedeutungsauswahl der einzelnen Schriftzeichen wurden verschiedene Lexika und Kommentare zugrunde gelegt, die ich im folgenden näher darlegen werde. Zunächst gilt es jedoch, zwischen der lexikalischen und der Glossenbedeutung eines Schriftzeichens zu unterscheiden. Während erstere sowohl die ursprüngliche wie die im Regelfall zutreffende Bedeutung angibt, handelt es sich bei letzterer um eine von der eigentlich lexikalischen abweichende Bedeutung, die nur in einem ganz bestimmten Kontext zutrifft und insofern ebenfalls eine Lehnschreibung sein kann. Eine Glossenbedeutung muss in ihrer Verwendung allerdings nicht auf eine Textstelle oder ein Werk beschränkt sein, sondern findet häufig auch in anderen (klassischen) Werken Verbreitung. Quelle für die Glossen sind hauptsächlich die Kommentare zu den Klassikern, in welchen einzelne Zeichen, da sie innerhalb des vorgegebenen Kontextes in einer für den damaligen Sprachgebrauch unüblichen Bedeutung verwandt wurden, einer besonderen Erklärung bedurften. Der Zeitpunkt, zu dem ein Zeichen das erste Mal in der jeweiligen Glossenbedeutung verwandt wurde, ist dabei nur aus der Datierung des entsprechenden Werkes ersichtlich, in dem die Glosse vorkommt. So sinnvoll demzufolge eine Trennung von lexikalischer und Glossenbedeutung für die Übersetzung auch wäre, da die Glossenbedeutung eines Zeichens, gerade weil sie einmalig ist und auf Kommentarwerken beruht, oftmals Ergebnis eines Missverständnisses oder einer bewusst intendierten Interpretation des Autors sein kann, so problematisch ist sie auch.

    Davon abgesehen, dass bei einer korrekten Darlegung der verschiedenen Glossenbedeutungen jede einzelne in den Quellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden müsste, so wie es beispielsweise in der Grammata Serica Recensa geschehen ist, stellt sich die Frage, ob dies unter den gegebenen Voraussetzungen überhaupt zweckmäßig erscheint. Wie bereits ausgeführt wurde, spielt bei der vorliegenden Untersuchung die Textgattung — das Yijing in seiner Funktion als Handbuch zur Wahrsagung — eine ganz wesentliche Rolle. Insofern gilt es zunächst, alle möglichen Bedeutungen eines Schriftzeichens aufzuzeigen, da sie - nicht zuletzt unter Beachtung der gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen des Mawangdui- Yijing - als potentiell gleichwertig betrachtet werden können. Besteht ein Ziel bei der Zusammenstellung bzw. Abfassung des Textes in seiner Verschlüsselung, so ist auch davon auszugehen, dass man sich nicht unbedingt der allgemein üblichen, sondern einer

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