Dorian Hunter 84 – Die Uhrmacherin
Von Logan Dee und Christian Schwarz
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Buchvorschau
Dorian Hunter 84 – Die Uhrmacherin - Logan Dee
Die Uhrmacherin
Band 84
Die Uhrmacherin
von Uwe Vöhl und Christian Schwarz
© Zaubermond Verlag 2016
© Dorian Hunter – Dämonenkiller
by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur
http://www.zaubermond.de
Alle Rechte vorbehalten
Was bisher geschah:
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Ihn kann Dorian schließlich töten.
Nach vielen Irrungen nimmt Lucinda Kranich, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Rolle des Asmodi an. Niemand weiß, dass sie in Wirklichkeit hinter dem wiedererstandenen Fürsten steckt. Und letztendlich wird ihre Maskerade Wirklichkeit. Dass Lucinda sich einen Teil Asmodis einverleibt hat, um seine Macht zu erlangen, wird ihr zum Verhängnis. Der in ihr schlummernde Asmodi übernimmt die Kontrolle über ihren Körper und ersteht so tatsächlich wieder auf.
Und die Umstände wollen es, dass ausgerechnet Coco Zamis die neue Schiedsrichterin wird. Das Dämonenkiller-Team droht zu zerfallen, Dorian stirbt. Die Dämonen scheinen gesiegt zu haben.
Aber mit vereinten Kräften gelingt es Dorians Freunden, ihn ins Leben zurückzuholen. Das Team formiert sich neu. Dummerweise sind einige von ihnen während Dorians Abwesenheit auf Abwege geraten. Phillip Hayward ist nicht nur derzeit von seinem bösen Zwillingsbruder besessen, er ist auch mit Coco nach Wien gegangen, wo sie den Posten als Schiedsrichterin der Schwarzen Familie angenommen hat.
Erstes Buch: Der unsichtbare Tod
Der unsichtbare Tod
von Uwe Vöhl
nach einem Exposé von Susanne Wilhelm
Kapitel 1
»Hier also ist Ihre Schwester gestorben?«, fragte ich und seufzte innerlich. Meine Rolle als Schiedsrichterin erforderte manchmal auch unangenehme Hausbesuche. Und dieser war einer von der äußerst unangenehmen Art. Stefan von Hirdner war mir sofort unsympathisch. Seit dem Tode seines Vaters war er als ältester Sohn in die Fußstapfen des Familienoberhauptes getreten. Eine Rolle, die er durchaus ausfüllte, doch wie alle Nachtmahre war er als Persönlichkeit eher unscheinbar. Zumindest für Außenstehende. Als Mann ohne Eigenschaften versuchte er fehlende Präsenz durch Härte und Grausamkeit wettzumachen.
»Larissa ist nicht einfach gestorben«, antwortete er barsch. »Sie wurde ermordet. Und zwar auf heimtückischste Art und Weise! Vor unseren Augen.«
Erregt, aber vielleicht auch nur, um Dynamik zu demonstrieren, ging er in der Bibliothek auf und ab, wobei seine Schritte auf dem abgenutzten Parkett kaum zu hören waren, während sie unter mir bei jeder Bewegung knarrten. Ich behielt ihn im Auge, schon allein, um herauszufinden, ob er log. Jede einzelne Regung mochte mir einen Hinweis geben. Ein falsches Lächeln, ein zuckendes Lid, eine vielleicht ein wenig zu hoch gezogene Braue. Dabei fiel es selbst mir schwer, den Blick auf ihn zu fokussieren. Es war, als ob seine Gestalt an den Rändern zerfaserte, sich auflöste.
Angesichts meiner Musterung reagierte er leicht nervös. Er trat neben einen riesigen hölzernen Standglobus, klappte ihn auf und schüttete sich eine milchige Flüssigkeit in ein Martiniglas. Mit einer Pipette träufelte er ein paar klare Tropfen hinzu, sodass der ganze Drink zu schäumen begann und Nebelwolken ausstieß.
»Möchten Sie auch einen Avalon?«
»Nein danke, ich behalte lieber einen klaren Kopf«, erwiderte ich.
Stefan von Hirdner trank den Avalon in einem Zug. Seine Hand zitterte nur leicht, vielleicht auch vor Erregung. Denn im nächsten Moment knallte er das Glas auf die Tischplatte und sagte: »Sie müssen verstehen, dass ich etwas aufgelöst bin. So ein hinterlistiger Mord zehrt auch an meinen Nerven. Immerhin könnte jeder von uns der Nächste sein. Und als Familienoberhaupt obliegt es meiner Verantwortung, das zu verhindern.«
»Natürlich, ich verstehe Ihre Erregung«, heuchelte ich.
Das waren die Momente, in denen ich meine Rolle als Schiedsrichterin verfluchte. Jeder Dämonendepp erwartete, von mir ernst genommen zu werden, erwartete, dass ich ihm zuhörte und Verständnis zeigte. Wobei ich Stefan von Hirdner ausdrücklich nicht als Depp bezeichnete. Im Gegenteil, er kam mir durchaus seriös vor und schien zu wissen, wie er sich am besten präsentierte. Dennoch war es mir arschegal, wer seine Schwester auf dem Gewissen hatte. Ich hatte ganz andere Sorgen.
»Hat sich denn bei Ihnen noch niemand für den feigen Mord bekannt?«, fragte von Hirdner nun aufgebracht.
Ich schüttelte den Kopf. »Bisher nicht. Glauben Sie denn, es steckt mehr dahinter?«
»Natürlich! Meine Schwester ist ermordet worden, definitiv! Schließlich kippt unsereiner nicht so einfach um wie ein Mensch. Sie hat sich ans Herz gegriffen und ist umgefallen. Aber ich muss Ihnen wohl nicht begreiflich machen, dass es kein Herzschlag war, oder?«
»Nein, und Altersschwäche sicherlich auch nicht«, versuchte ich einen Scherz. Wie erwartet verzog von Hirdner keine Miene.
Ich überlegte, wie ich mit dem Fall am besten umgehen sollte. Je schneller ich ihn löste, desto schneller hatte ich ihn vom Hals. Aber vielleicht löste er sich ja von selbst. Wo kein Täter, gab es auch keine Tat. »Wir sollten abwarten, ob noch eine offizielle Kampfansage ausgesprochen wird«, schlug ich daher vor. »Bis dahin sind mir sowieso die Hände gebunden.«
Aber so leicht kam ich nicht davon. Von Hirdner stellte sich breitbeinig vor mich hin, ballte die Fäuste und funkelte mich wütend an. Für einen Nachtmahr wirkte er in diesem Augenblick durchaus imposant. »Ich werde nicht zulassen, dass weitere Familienmitglieder gemeuchelt werden. Glauben Sie, ich bin so dumm und lege die Hände in den Schoß, bis vielleicht der Nächste von uns stirbt? Falls Sie keine Ermittlungen anstellen, werde ich in die Offensive gehen. Und ich habe auch schon einige Personen in Verdacht …«
»Ich warne Sie! Stellen Sie sich nicht gegen das Gesetz! Sie kennen die Regeln!«
Natürlich waren die Regeln nicht immer fair ausgelegt – das hatten sie mit den Gesetzen der Menschen gemein. Meistens gewann nicht der, der recht hatte, sondern der Stärkere. So lag der Vorteil auch bei Sippenkämpfen meistens bei denen, die anfingen. Der Herausforderer musste sich nicht sofort zu erkennen geben. Es konnte Tage oder sogar Wochen dauern, ehe eine Kampfansage erfolgte. Und bis dahin tappte der Angegriffene im Dunkeln und war weiteren Attacken mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt.
»Dann verlange ich, dass Sie sich ernsthaft mit dem feigen Mord beschäftigen!«
Das reichte! Nun war ich es, die sich wütend vor ihm aufbaute: »Wollen Sie der Schiedsrichterin der Schwarzen Familie etwa mangelnde Ernsthaftigkeit unterstellen?«
Von Hirdner ruderte sofort zurück. Seine eben noch spürbare Präsenz verblasste augenblicklich wieder. »Bitte entschuldigen Sie vielmals, aber Sie müssen verstehen, dass ich in größter Sorge bin …«
»Natürlich, und falls Ihre Schwester wirklich ermordet wurde, dann handelt es sich um einen äußerst hinterhältigen Angriff, da gebe ich Ihnen recht. Daher werde ich heute noch verkünden, dass sich der Herausforderer binnen vierundzwanzig Stunden bei mir zu melden hat. Und jetzt bitte ich Sie, mich zur Tür zu geleiten, ich habe noch einige andere wichtige Termine wahrzunehmen.«
Je mehr ich darüber nachdachte, desto verzwickter war der Fall. Sollte von Hirdners Schwester wirklich eines unnatürlichen Todes gestorben sein, so mochte der Gegner auch mir gefährlich werden. Jedenfalls verfügte er über Mittel, die durchaus eindrucksvoll waren. Während von Hirdner voranging, um mich zur Haustür zu bringen, kam mir plötzlich ein Gedanke. »Wissen Sie was? Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir den Ort, an dem Ihre Schwester gestorben ist, auch gleich mal ansehen.«
»Sie meinen den Tatort?«
Ich verdrehte insgeheim die Augen. Von Hirdner machte es einem mit seiner Penetranz nicht eben leicht.
»Meinetwegen auch den Tatort«, sagte ich.
Von Hirdner führte mich ins Esszimmer. Wie die Villa selbst und die anderen Zimmer war auch dieser Raum überaus prunkvoll eingerichtet. Ein wenig wie bei der Kaiserin, dachte ich. Oder zumindest so, wie sich biedere österreichische Dämonen mit einem »von« im Titel die damaligen Zeiten bei Hofe vorstellten. Das verschnörkelte Interieur wirkte wie aus einem Sissi-Film. Und selbst das Besteck blitzte golden. Mein Stil war es jedenfalls nicht.
Allerdings herrschte hier im Gegensatz zu den anderen Zimmern eine geradezu wohltuende Unordnung. Die Teller waren halb gefüllt mit Essensresten. Die Schüsseln und Schalen waren ebenfalls noch gut gefüllt. Die Stühle standen in Unordnung, einer lag umgekippt auf dem Perserteppich, und daneben lag in verkrümmter Haltung eine tote Frau. Ansonsten wirkte die Szenerie, als hätte die Tischgesellschaft die Tafel soeben erst verlassen und würde jeden Moment zurückkehren.
Aber natürlich waren die Speisen kalt.
»Wir haben alles so gelassen«, erklärte von Hirdner eilfertig. »Niemand hat etwas angerührt, damit Sie sich ein Bild machen können und vielleicht sogar eine Spur entdecken.«
»Ich heiße nicht Sherlock Holmes«, entfuhr es mir.
»Natürlich nicht, ich dachte nur …« Von Hirdners hagere Gestalt flimmerte sichtlich, ein Zeichen besonderer Nervosität, nun, da er sich im Todeszimmer befand. Theatralisch zeigte er auf den umgestürzten Stuhl mit der Leiche daneben, als wäre beides nicht selbsterklärend: »Dort, genau an dieser Stelle, traf meine Schwester der gegnerische Schlag. Sie schrie auf, fiel zu Boden und starb auf der Stelle.«
Ich trat an den Tatort heran, kniete nieder und untersuchte den Teppich. Nichts, aber auch gar nichts, deutete auf ein Verbrechen hin – abgesehen von der Leiche natürlich.
Dennoch fühlte ich, wie sich der Teppich unter meinen tastenden Händen leicht erwärmte – ein untrügliches Zeichen für eine wie auch immer geartete Magie, die hier am Werke gewesen und als Abglanz noch immer leicht zu spüren war. Allerdings musste das nicht heißen, dass es sich um fremde Magie handelte. Genauso gut konnte die Entladung ihrer eigenen magischen Kräfte bei Larissas Tod so heftig gewesen sein, dass noch immer Reste davon aufzufinden waren.
»Und? Haben Sie etwas entdeckt?«, fragte von Hirdner neugierig und beugte sich zu mir runter. Einen Moment lang spürte ich seine leichte Berührung und zuckte vor der Eiseskälte, die mich erfasste, zurück. Auch von Hirdner nahm sofort wieder Abstand. »Bitte entschuldigen Sie …«
»Keine Ursache«, erwiderte ich. Mir wurde bewusst, dass es die Nachtmahre auch innerhalb der Schwarzen Familie nicht leicht hatten. Sie waren zwar in diesem Fall eine angesehene und respektable Sippe, fanden aber sicherlich nur unter ihresgleichen einen Partner fürs Leben.
Ich rappelte mich auf und erklärte: »Es bleibt dabei: Ich werde abwarten, bis eine offizielle Kampfansage bei mir eintrifft. Bis dahin erwarte ich von Ihnen, dass Sie nichts unternehmen. Schützen Sie Ihre Villa, so gut es geht, und bleiben Sie in Deckung. Keine unüberlegten Schritte! Kann ich mich darauf verlassen, Herr von Hirdner?«
Das Familienoberhaupt hielt mir die rechte Hand hin: »Also schön, ich gebe Ihnen mein Wort: In den nächsten vierundzwanzig Stunden werden wir uns ruhig verhalten. Sollte sich bis dahin niemand zu dem feigen Mord meiner Schwester bekannt haben, werden wir allerdings zurückschlagen. Das wird auch der Fall sein, wenn noch ein zweiter Mord geschehen sollte.«
Ich schlug ein. Mehr konnte ich wohl nicht verlangen. Immerhin musste auch von Hirdner seiner Familie glaubhaft erklären, warum es im Moment das Beste war, abzuwarten.
Dennoch verließ ich mit einem höchst unguten Gefühl die Villa. Falls wirklich jemand den von Hirdners an den Kragen wollte, konnte daraus leicht ein neuer Flächenbrand werden.
Und darauf hatte ich im Moment überhaupt keine Lust.
Trotzdem: Es braute sich was zusammen, ich spürte es, und das betraf nicht nur das Wetter. Als ich nach oben schaute, ballten sich dort schwarze Wolken zusammen, und die ersten schweren Regentropfen klatschten herab.
Es wurde Zeit, dass ich nach Hause kam.
Am Abend zuvor
Die fünf Dämonen saßen bereits um den Esstisch versammelt, als die schwere Standuhr sechs Uhr verkündete. Draußen tobte ein Unwetter, sodass einige der Schläge darin untergingen. Es donnerte, blitzte, und der Regen schlug prasselnd gegen die bleiverglasten Fenster.
»Wann fangen wir endlich an?«, fragte Heinz von Hirdner ungeduldig. »Oder warten wir wieder auf Matthias?«
Larissa, seine Enkelin, nahm die Hand ihres Großvaters und erklärte behutsam: »Vater ist tot. Schon lange …«
Heinz von Hirdner riss sich los, ergriff den Suppenlöffel und haute damit wütend auf die Tischplatte. »Und warum sagt mir das niemand, dass mein Sohn heute nicht kommt? Verdammt noch mal, ich sterbe vor Hunger!«
Stefan von Hirdner verdrehte die Augen. Als neues Familienoberhaupt gebührte ihm der Platz am Kopfende des Tisches. Es war zu jeder gemeinsamen Mahlzeit dasselbe mit dem Alten! Langsam hatte er die Nase voll, ihm immer wieder zu erzählen, dass sein Sohn schon vor geraumer Zeit umgekommen war. Der Alte warf alles durcheinander, wurde jeden Tag seniler. Es war nicht einfach, mit dem alten Bock auszukommen. Wenn Larissa nicht immer so viel Geduld aufbringen würde, hätte er den Mistkäfer schon längst vom Tisch verbannt. Manchmal gelang ihm das sogar: Wenn der Alte mal wieder tagelang umnachtet war und nicht wusste, ob es Tag oder Nacht war, ließ Stefan ihm das Essen aufs Zimmer bringen. Meistens von einer dämonisierten jungen Pflegerin. Diese wechselten wie die Fliegen, denn Opa Heinz, wie ihn alle nur nannten, war ein sadistisches Arschloch und hatte dementsprechend einen hohen Verschleiß an den jungen Dingern.
Meistens jedoch hatte Stefan ein Einsehen, wenn der Alte bei Tisch aus der Rolle fiel, aber heute platzte ihm der Kragen: »Vater kommt heute nicht, morgen nicht und nie mehr! Kapier das endlich!«
Eine Weile herrschte gespannte Stille. Selbst Opa Heinz hielt für einige Momente die Klappe. Dann fragte er: »Und warum sitzt du dann auf Matthias seinem Platz, he?«
Stefan verdrehte die Augen. Es war sinnlos. Also blieb ihm nur, darauf zu hoffen, dass der Alte irgendwann abkratzte.
Allerdings wären sie dann wieder einer weniger. Die Familie von Hirdner bedurfte unbedingt einer Auffrischung, bevor sie irgendwann aussterben würde. Er ließ den Blick kurz schweifen. Links von ihm saß seine jüngere Schwester Larissa. Sie war keine Granate, außerdem besaß sie von Geburt her einen Klumpfuß. Dafür waren ihre Gesichtszüge ebenmäßig, die naturblonden Haare fielen ihr in Wellen über die Schultern, und ihre Oberweite war recht ansehnlich. Alles das, was einen normalen Mann doch anziehen musste. Allerdings war sie so etwas wie das Nesthäkchen und dachte gar nicht daran, auf eigenen Beinen zu stehen und sich von der Familie zu lösen.
Rechts von Stefan saß sein jüngerer Bruder Klaus. Klaus war ein Hansdampf in allen Betten, ein Partylöwe, der es mit Frauen aller Couleur trieb. Er sah blendend aus, war stets gebräunt, das blonde dauergewellte Haar trug er schulterlang, und er zeigte gern die schneeweißen Zähne. Natürlich trug er auch diverse Goldkettchen zur Schau. Bei ihm war das Erbe ihrer gemeinsamen verstorbenen Mutter noch am ehesten ausgeprägt: Sie war eine begabte Hexerin gewesen, weshalb es Klaus erfolgreich gelang, alle zu bezirzen. Dennoch war er in Stefans Augen zu weich und nachgiebig. Und: Er dachte nur an sich, anstatt an die Familie.
Neben ihm saß Erika, eine entfernte Cousine von ihnen. Sie war eine unscheinbare, kleine Frau, an der alles grau in grau schien: Graue Haare, graue Kleider, und sogar die Haut schien einen Grauton aufzuweisen. Sie schminkte sich nicht und legte auch sonst keinerlei Wert auf ihr Äußeres. Stefan wusste immer noch nicht so recht, was er von ihr halten sollte. Bis vor Kurzem war sie noch auf Weltreisen gewesen und hatte nach alten Artefakten gesucht. Seitdem war ein Teil des Kellers mit magischen Souvenirs aller Art vollgemüllt. Stefan tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie irgendwann wieder abreisen würde. Zumindest hoffte er das, wenngleich sie sich nicht wirklich mal darüber unterhalten hatten.
Blieb noch Opa Heinz. Er hatte wahrscheinlich von allen am Tisch am meisten herumgevögelt und immerhin einen rechtmäßigen Sohn, den verstorbenen Matthias, gezeugt. Aber er hatte seine Zukunft längst hinter sich. Wie alle Nachtmahre war auch er eher unscheinbar. Aber wo die anderen am Tisch nur an den Rändern leicht zu zerfasern schienen, wenn man sie anschaute, war Opa Heinz an manchen Tagen bereits durchscheinend. Er konnte seine physische Präsenz schon nicht mehr ganz aufrechterhalten. Über kurz oder lang würde sich