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Ins Ungewisse Sein
Ins Ungewisse Sein
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eBook164 Seiten1 Stunde

Ins Ungewisse Sein

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Über dieses E-Book

Klappentext: Regeln, Normen, Zwänge, der ganz alltägliche Wahnsinn, wie wir ihn kennen – wer kann sich diesen lähmenden Kräften entziehen? Ins Ungewisse: Wäre es nach seinen unbeirrbaren Eltern gegangen, so hätte Walter als Fußballprofi den väterlichen Traum vollenden sollen, oder wenigstens einen ehrbaren Beruf ergreifen müssen! Doch etwas geht schief, etwas in seinem Innern, der scheuen Seele eines Heranwachsenden, sträubt sich stur gegen das vorhersehbare Geschick. Kaum achtzehn, beginnt seine wagemutige Odyssee quer durch Europa – alle Sicherheiten in den Wind schlagend, wendet er dem bürgerlichen Dasein endgültig den Rücken. Indes: ihm scheint die Fahrt auf der Gewinnerstraße lange Zeit verwehrt zu bleiben; erst als er Jahre später einen Punkt in seinem Leben erreicht, an dem keine Flucht nach vorn mehr möglich ist, wird ihm die Notwendigkeit einer echten Ambition bewusst. Die Suche nach einem tieferen Sinn beginnt mit einem einzigen Wort: Anschnallen!
SpracheDeutsch
HerausgeberBrighton
Erscheinungsdatum16. Okt. 2013
ISBN9783942200479
Ins Ungewisse Sein

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    Buchvorschau

    Ins Ungewisse Sein - Peter Pitsch

    Pitsch

    Erstes Kapitel

    Fehlstart

    Die konspirative Frage kam von der Hakennase, die sich zu ihm an den Bistrotisch gesellt hatte: „Na, Alter, schon mal gekifft?"

    Geheimnisumwitterte Pfade, die von der breitspurigen Normalität abwichen, gar zu gesellschaftlicher Ächtung führten, schlug er traumwandlerisch ein.

    „Klar", log Walter, nahm den Joint entgegen und begann beiläufig zu inhalieren.

    Dichte Rauchschwaden schwebten über den Tischen, in den Regalen schimmerndes Neonlicht auf bunten Flaschen, palavernde Leute, wohin das Ohr horchte; ein Ausruf, der das niederprasselnde Geschnatter durchstieß: „Tiiiief einaaatmeeen!"

    Seine Backen blähten sich, die Lungenflügel drohten zu zerplatzen, ein Moment ging aus einem anderen Moment hervor … unversehens ergriff etwas Eigenartiges von ihm Besitz, eine Veränderung umschloss die Herzkammer seines Bewusstseins.

    Bilderschwälle, wie Milch gerinnend, verlangsamte Impulse, umgestülpte Dimensionen – elastischer Geräuscheschwamm, überquellendes Gedröhn, schallende pulsierende Klänge, wogende, brummende Bässe – hypnotisierendes Wummern, geballtes Brodeln und Gebrause, helles Gläserklirren, stumpfe Töne – gläserne Helligkeit, koboldhaftes Frauenlachen, Gerede zerredet, herrenlose Stimmen, murmelndes Gemurmel – und dann noch etwas … (?) … etwas darüber hinaus, eine Verlautbarung, ein Insistieren unbekannten Ursprungs drang auf ihn ein, ineinander ruhende Fragmente, Ahnungen, Vernetzungen – Fremdes vertraute sich, fand Zugang, Repetition einer akustischen Struktur: „Waaheiiss-d-du-uu-wiiehh-spääät-t-sss-issss?"

    Vor seiner Stirn materialisierte sich eine Gestalt aus der Vielfalt, wuchs überraschend buchstäblich in die Höhe, am oberen Ende schaukelte ein grell geschminktes Clownsgesicht. Äonen ohne Anfang verstrichen, ehe er auf seiner Armbanduhr die Zeit abgelesen und in zähen Tönen verkündet hatte. Verkündet! Seine Stimme klang, als stiege sie leiernd aus seiner tiefsten Mitte empor. Die Züge verzerrt, das Grinsen erstarrt, bedankte sich das skurrile Dingsbums und entschwand auf unerforschlichen Pfaden, weit jenseits des Ereignishorizonts.

    Da bemerkte er, am Rande seiner Fiebrigkeit, dass der Raum gespickt war mit hundert Pupillen. Äugende Augen im Kaleidoskop, ein Meer von Blicken, durchdringende, spöttische, verwunderte Blicke. Das Auge der Zeit, weit aufgerissen, zugleich verwoben mit dem ewigen Strom. Gezeiten, schwer lastend, in wiederkehrende Schleifen gebannt, mittendrin ein explodierendes Gelächter:

    „HEHEHE, GANZ SCHÖN BREIT, WAS, ALTER!?"

    Hakennase fletschte die Zähne, ihre Hakennase bog sich um ein weiteres Stück. Walter beabsichtigte, verneinend den umwölkten Kopf zu schütteln, doch die Intention verpuffte im Ansatz der Bemühung. Wirre Empfindungen quollen losgelöst aus seinem Schädel, projizierten sich auf das Phänomen der Wahrnehmung; er hockte da, aufgrund des Dahockens magnetisch an den Stuhl gefesselt.

    Zu fortgeschrittenem Zeitpunkt, als die Reihen der Gäste sich lichteten, spähte sein ICH (Persönlichkeit? Image? Gedankengut?) aus dem Muster der Denkimpulse hervor, automatisch verliefen Reaktionsvermögen und Reflexionsfähigkeit in unbewussteren Bahnen. Er kam aus dem Staunen wieder heraus, sah sich imstande, aller Schwerkraft zuwider, die hermetische Starre abzuschütteln.

    Sein Tischnachbar, von aufwallender Inbrunst beseelt, ließ derweilen Folgendes verlauten: „Siehste die beiden Perlen dort drüben? Die kenne ich! Richtige Zuckerpüppchen."

    Seite an Seite saßen zwei Mädchen auf hohen Hockern an der Bartheke, vor ihnen schlanke Gläser mit bläulich glühender Flüssigkeit. Blondierte Locken hüben, rot schimmernde Mähne drüben, aufmunterndes Mienenspiel, von lasziven Gesten begleitet. Hakennase gab Zeichen! Heißlaufende Gedanken, Frühlingsgefühle, Gerangel am Tisch!

    Auf dem Weg zu ihm nach Hause: die Besinnung stieg schübchenweise an die Oberfläche, er, noch fremdelnd, am Steuer seines Käfers, Zwerg Nase auf dem Beifahrersitz, auf der Rückbank säuselnde Stimmen, betörender Parfümgeruch und anzügliches Kaugummigeschmatze. Postwendend meldete sich das schlechte Gewissen, als wäre es ein Kapitalverbrechen, den jüngsten Mahnungen zum Trotz ein paar nette Leute einzuladen – an einem Wochenende, das seine Eltern am Ostseestrand bei Niendorf verbrachten.

    „Mann, krähte Hakennase dazwischen, „du kriechst ja wie eine Schnecke übers Pflaster … soll ich aussteigen und die Kiste anschieben?

    „Wieso?", protestierte Walter desorientiert, während seine Pupillen auf der Suche nach dem Tachometer waren. Sein rechter Fuß erwachte zum Leben, er drückte das Pedal eine Nuance tiefer und der VW knatterte durch die schemenhafte Dunkelheit und steuerte eine abgelegene Wohngegend an. Die Wege schrumpften mit jeder Biegung, bald parkte er vor einem schmalen, gutbürgerlichen Reihenhaus, stellte den Motor ab und löschte das Scheinwerferlicht. Die Motorhaube gab ein leise knackendes Geräusch von sich; ratlos starrte die kleine Gruppe aus den Seitenfenstern zu ihrer Linken – ein Stillleben im Mondlicht: auf einer Wiese gegenüber der Siedlung zeichnete ein fahler Glanz die Silhouetten schlafender Kühe nach.

    Ein Korken schoss gegen die Wohnzimmerdecke, Sekt sprudelte, die Stimmung hob an, derweil Hakennase (der eigentlich Martin hieß) ein alchimistisches Ritual inszenierte. Zum feierlichen Höhepunkt ließ er eine qualmende Tüte zirkulieren; zehn Minuten später setzte die gebündelte Wirkung von Alkohol und Marihuana ein, folgenschwer, wie sich noch herausstellen sollte. Fasziniert betrachtete Walter die magisch quirlende Flüssigkeit in seinem Sektglas, beobachtete das Zusammenspiel der Lichtreflexe und den Schlangentanz der aus dem Nichts aufsteigenden Bläschen. Eine monströs anmutende Lampe aus gebranntem Ton, die den Glastisch zu beleuchten hatte, sprach der Tatsache Hohn, an dem filigranen Schauspiel beteiligt zu sein. Unwiderstehlich legte ihr Gewicht sich auf sein Gemüt, der Oberkörper kippte, die Wange erreichte die flauschige Lehne des Sofas. Bleiern senkten sich die Augenlider, Stimmen erstarben in Geflüster … und das Vergessen streckte sich herbei.

    Geweckt von einem Sonnenstrahl – er brach sich Bahn durch eine Ritze im Vorhang, fiel wie ein Lichtschwert auf sein Gesicht und spaltete die Stirn. Wehleidig richtete er sich auf, schaute auf leere Weinflaschen, verstreute Salzstangen, überquellende Aschenbecher und schwelende Fragezeichen. Martin lag, im wahrsten Sinne der Redensart, unterm Tisch; rücklings ausgestreckt auf dem Berberteppich, kuschelte er seinen krausen Schopf an ein Sofakissen. Von den parfümierten, kichernden Mädchen schwebte nur noch eine vage Erinnerung im Raum.

    Einer bösen Vorahnung auf den Fersen, schlingerte Walter ins elterliche Schlafzimmer. Im Bruchteil eines Wimpernschlags versteinerte seine Wirklichkeit und die Gewissheit presste sämtliche Luft aus seinem Brustkasten. Dass die Bettlaken zerwühlt waren, damit allein hätte man leben können. Doch dass aus der Biedermeierkommode sämtliche Klamotten heraushingen, Mutters Schmuckkästchen völlig geschröpft dalag, anklagend auf dem Plüschteppich, oder dass von dem runden Abstelltisch handliche, elektronische Spielereien entwendet waren und selbst Vaters glänzender Fußballpokal durch sein Abhandenkommen die Welt verdunkelte, all dies schlug in Walters Bewusstsein ein wie eine Splitterbombe. Innerlich zerrissen vor Wut, Abscheu und blankem Entsetzen, hörte er schon die schicksalsbeschwörenden, wehklagenden Stimmen, die unersetzlichen Erinnerungsstücken und dem schönen neuen Nerz hinterhertrauerten. Gekrönt von der elementaren Frage: „Weshalb eigentlich setzt man sich ein Kind in die Welt?"

    Auch darauf fehlte ihm seit jeher die passende Antwort.

    Er lebte in einem backsteinfrischen Eigenheim, das seine Eltern zwei Jahre zuvor erworben hatten. Er war sechzehn Jahre alt gewesen, beseelt von aufmüpfiger Neugierde und alles andere als erpicht darauf, an einem tristen Ort fernab der Heimatstadt sein Vorhandensein zu fristen. Verbannt in ein gottverlassenes Kaff, wo sich im Umkreis von zehn Kilometern gesellschaftliche Aktivitäten auf eine windschiefe Imbissbude nebst Kiosk, zwei Telefonzellen, eine Kneipe und einen mit tausend Maulwurfshügeln gesprenkelten Bolzplatz beschränkten. Die trostlose Gegend bereitete in seiner Psyche den idealen Nährboden für Fernweh, Weltschmerz und Selbstmitleid.

    Sein konkurrenztüchtiger Vater, leitender Angestellter einer Baufirma, verschaffte seinem einzigen Sohn und Hoffnungsträger einen Ausbildungsplatz in einem Stahlhochbaubetrieb. Mangels anderweitiger Vorstellungen bezüglich der Berufswahl tippelte er den abgesteckten Weg entlang und als angehender Technischer Zeichner hinein in die Kulissen der Erwachsenenwelt, Hüter einer Bürobox, die synthetisches Mobiliar, ein Zeichenbrett sowie Lineale, Zirkel, Stifte und eine Schublade voller Schablonen beherbergte. Darüber hinaus nistete sich eine nicht zu bändigende Langeweile ein. Seine Stimmung erfuhr beim Wechsel zwischen Wohnort und Arbeitsplatz kaum eine umfassende Schwankung, Walter war meistens deprimiert. Hatte er eben noch brav in der Schule vor einem Schreibpult gesessen, stand er jetzt gefügig in der Reihe vor einem Zeichenbrett, jonglierte mit Zahlen und Berechnungen und zog millimetergenaue Striche. Die Wochentage waren von einer gedehnten Ereignislosigkeit geprägt, das Basteln an einer gesicherten Zukunft geriet zum Zerbröseln an der stumpfen Gegenwart. Triefäugte Walter an dem eigenen Arbeitsgerät vorbei, sah er auf der gegenüberliegenden Seite des Raums die Rückseiten von vier identischen, auf Stativen montierten Zeichenbrettern, und darunter hervorschauend die Beine der standhaften Kollegen in adretten Bügelfaltenhosen. Und er wunderte sich: Wie hält man das aus? Jeden Tag, fünfzig Jahre lang, Striche ziehen. Dieses pflichtgemäße Rumstehen, stellt das niemand in Frage? Will niemand mehr vom Dasein, mehr bewegen und ausprobieren als dieser Zweckgebundenheit zu dienen?

    Gegen Ende des ersten Lehrjahrs hielt er das ziellose Verlangen nicht länger in Zaum. Alles was in ihm steckte an Hoffnung, Mut und Sehnsucht sträubte sich gegen diesen vorhersehbaren Ablauf der Dinge. Ehe er sich dessen richtig versah, hatte er seinen Schreibtisch geräumt, hatte jedes Indiz seiner Anwesenheit entfernt und sich mit vorgespielter Leichtigkeit von den verblüfften Kollegen verabschiedet. Auf dem Heimweg versuchte er alle denkbaren Szenarien durchzuspielen, jede mögliche Reaktion vorwegzunehmen, die ihn hinsichtlich der Kündigung erwarten mochte. Er hatte den Status des rechtschaffenen Sohns („Wir sind stolz auf dich!) verspielt – eingetauscht gegen den Unvernunft verkörpernden Teenager („Du wirst es noch bereuen!), den abtrünnigen Widerling („Womit hat man das verdient!"), bereitete seinen Eltern die Enttäuschung ihres Lebens!

    Beim heiteren Beruferaten war Walter durchgefallen, der Diaprojektor mit den Entwürfen einer von vorderhand erdachten Existenz kam unwiderruflich zum Stillstand.

    Gelegentlich entstieg Walter der Rolle des verletzlichen Rebellen und schlug in der lokalen Tageszeitung unter den Stelleninseraten nach. Viel Auswahl bot sich dem lustlosen Auge mitnichten. Beim ersten Job, gebeugt über eine Drehmaschine, setzte er im Akkordtempo Metallstängel und Bürstengarn zu primitiven Toiletten- oder Abwaschbürsten zusammen. Dessen überdrüssig, hantierte er sodann in einer großen Fabrikhalle an einem Fließband und verfrachtete die heranfliegenden Honiggläser, zwei Dutzend pro Einheit, in bereitstehende Kartons. Hernach folgte ein Intermezzo im Maschinenlärm der Möbelfabrik Platten & Planken, wo er systematisch eine Spanplatte nach der anderen unter eine unermüdlich rotierende Walze schob. Sollte er die Unverfrorenheit besitzen, sekundenlang innezuhalten, ereiferte sich unverzüglich einer der Veteranen am anderen Ende des Bandes, so als verkünde er das Jüngste Gericht: „BRETTER! BRETTER! BRETTER!"

    Kopfüber

    Im Minutentakt erschütterte das Bellen einer Autohupe die kleine Gemeinde. Auf dem Hausdach quietschte ein nimmermüder Wetterhahn, heftige Windböen ließen die Gräten der Antennen erzittern, rostfarben gegen den grauen Himmel. Endlich spuckte das schäbige Mietshaus eine gebeugte Gestalt aus, ihr Erscheinen verlieh dem Provinzdasein

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